Der Weg zum Erfolg

Asiens berühmteste Straße ist voller Geschichten, aber die merkwürdigste passiert gerade erst: Die Khao San Road in Bangkok, das Paradies der Rucksacktouristen, wird auf einmal chic.

Ob Milos aus Prag und George aus Leeds wohl bemerken, wie ähnlich sie aussehen? Und würden sie sich, bemerkten sie es, darüber ärgern? Beide tragen grünliche Hosen, die unterm Knie enden, Sandalen, bedrucktes T-Shirt, Bart – die Weltmode des Asientouristen.

Freilich, sie unterscheiden sich auch: Der eine, Milos, ist jung, 25, Literaturstudent, der andere, George, 64, pensionierter Französischlehrer, Milos’ Rastazöpfe reichen fast bis zum Hintern, auf Georges Kopf wächst nicht mehr viel. Bloß fünf Meter oder drei Tische eines Straßenrestaurants trennen sie, aber sie nehmen sich nicht wahr. Die Urlaubswelt des einen hat mit der Urlaubswelt des anderen nicht viel zu tun, auch wenn sich beide zur selben Minute im selben Lokal in derselben Straße zehntausend Kilometer weg von zu Hause aufhalten – auf der world-famous Khao San Road in Bangkok, der Heimat so vieler Welten. Und derzeit kommt schon wieder eine neue hinzu: Boutique-Hotels mit Pool auf dem Dach oder japanischen Gärten halten Einzug, früher fensterlose Guesthouses werden renoviert, mit Aufzügen und Concierge ausgestattet. Die Crème brûlée kann man gleich im Hotelrestaurant ordern. Keine Frage, die Khao San Road häutet sich mal wieder, nun wird sie chic.

Es gibt wenige Orte auf der Welt, die so überromantisiert und überstereotypisiert sind wie die Khao San Road – seit dreißig Jahren ist jeder Meter übersät mit den Mythen Hunderttausender Rucksacktouristen, Abenteuerreisender, Späthippies. Ein Ort, der nicht real ist, nicht mehr Europa, noch lang nicht Asien, doch exotisch genug, um sich ein wenig fremd zu fühlen, ein neutrales Territorium. Und so wie sich das Reisen in den letzten dreißig Jahren verändert hat, so hat sich auch die Khao San Road verändert: Sie zerrt jetzt am Geldbeutel der Mittelschicht. Der Erfolg? Riesig. Die Straße ist überfüllt wie immer, Sightseeing-Busse halten an: Jugend atmen, verrückte Leute gucken. Die aber sind fast so uniformiert wie die Pauschaltouristen, die komischen Frisuren, das beschriftete T-Shirt. Mit Rebellion hat das alles nichts zu tun. Die Worte »entfernt« und »abgelegen« gibt es nicht mehr, seit Flüge um die halbe Welt 500 Euro kosten und Reiseführer wie der Lonely Planet auch das letzte Dorf im Norden Burmas kartografiert haben. Darum hat der Mittelschicht-Weltbürger keine Entdeckungen und keine Revolutionen mehr im Sinn, er reist jetzt den Trends nach.

Meistgelesen diese Woche:

George, der frühere Lehrer aus Leeds, ist zum dritten Mal hier. Beim ersten Mal vor 25 Jahren wollte er eigentlich nur umsteigen am Flughafen von Bangkok. Aber dann hatte er seinen Pass verloren und musste drei Tage überbrücken, »das Geld war quasi schon alle«, und so groß kann Bangkok gar nicht sein, dass man als westlicher Tourist die Khao San Road verfehlen würde. Das Zimmer kostete zwei Euro pro Tag und für weitere zwei Euro gab es drei Mal täglich Pad Thai, das touristische Nationalgericht. Und? »Es war toll, einfach großartig. Ich habe viele Leute getroffen, die ich schon aus Nepal kannte, und die haben wieder Leute getroffen, die sie aus Kambodscha kannten.«

Zehn Jahre später kam er wieder, diesmal mit seiner Frau, erinnerungstrunken er, sie aber wusste nicht viel anzufangen mit dem Lärm und dem Gedränge rund um die Uhr und Erinnerungen hatte sie auch keine.

Heute ist George geschieden, seine Pension ausreichend, seine Zeit auch, und weil er es inzwischen gern ein wenig angenehm hat, ist er in der »Buddy Lodge« abgestiegen. »Na ja«, sagt er, so entspannt wie früher ist das alles hier natürlich nicht mehr.« Sein Hotel ist neu, hat einen Pool, die Zimmer haben Safe und Balkon und TV und Aircondition. Und gleich nebenan ist »Starbucks«, das seinen Kaffee in einer alten Villa verkauft, die edel renoviert und bewusst ein wenig altmodisch eingerichtet wurde. George zahlt in seinem Hotel dreißig Euro pro Nacht, »das klingt natürlich nach fast nichts, und ist trotzdem zehnmal so viel, wie früher die fensterlosen Gästehäuser kosteten«. Und immer mehr Hotels ziehen nach, das »Rikka Inn«, das »Dang Derm« oder das »Khaosan Park«, das vor acht Monaten eröffnet hat.

In ihrem Schlepptau all die Annehmlichkeiten, die der Mittelklasse-Weltbürger an Thailand schätzt: Fitnessstudios, Zahnkliniken, in denen man sich die Zähne bleichen kann, Schönheitssalons, die Augenbrauen färben und Körperhaare entfernen. Vor zwei Monaten hat ein »Veggie«-Restaurant aufgemacht, in dem es organisches Essen gibt und das mit seinen bunten Kacheln und grünen Stühlen genauso gut in Berlin-Kreuzberg stehen könnte.

Und hätte sich ein echter Backpacker vor zwanzig Jahren noch lieber entleibt, als in ein Hotel mit Pool auf dem Dach zu gehen, so sieht er das heute erstens nicht mehr so streng und zweitens kann man ihn ja beruhigen: Die billigen Kleider, die gebrauchten Bücher, die gefälschten DVDs, das alles gibt es ja noch. Es wird nur allmählich etwas weniger.

Fast jeder Reisende hat seine eigene Geschichte mit der »Road«, wie der Asienfahrer sie kennerhaft nennt, dabei ist die Geschichte der Khao San Road kurz, kurz wie sie selbst, nur 400 Meter, aber was für pralle! Sie war: bis zu ihrer touristischen Entdeckung eine kleine Straße, in der Reise gehandelt wurde, nahe am großen Fluss und nah am Königspalast in der großen Stadt Bangkok. Dann, 1982, feierte Bangkok seinen 200. Geburtstag, Touristen sollten kommen, bis dahin standen nur zwei billige Gästehäuser auf der Khao San Road. Und da bebte die Erde der Hippies zum ersten Mal.

Der erste Lonely Planet-Reiseführer »Thailand« erschien, führte die beiden Gästehäuser auf, die nicht mal zwei Euro pro Nacht kosteten, die Karawane der Rucksackreisenden machte sich auf den Weg. Immer mehr Anwohner vermieteten billige Zimmer und ein paar Jahre später wurden die zweigeschossigen Holzhäuser durch viergeschossige Steinhäuser ersetzt, in fast jedem ein billiges Guesthouse, dazu alles, was der Traveller braucht, billige T-Shirts, billiges Essen, billige Drinks, billige Flüge, billige Fährverbindungen zu den thailändischen Inseln, billige Schneider, Wäschereien, handgemachten Schmuck, billig. Leute, die sich »Dude« nannten und ihre Tattoos verglichen. Damals schon war das Schluchzen zu hören: »Die Road ist nicht mehr das, was sie mal war.«

Zehntausende kamen und es wurden noch viel mehr, der Ballermann Asiens hieß sie alle willkommen. Bald folgte das zweite große Beben: Als der Film The Beach im Jahr 2000 in die Kinos kam, mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle, fielen Scharen von Journalisten und Kameraleuten in der kleinen Straße ein, weil sie auch im Film eine Rolle spielt. Und einer der Darsteller sagt, während er sich durch die Touristenmengen schiebt: »Irgendwann finde ich einen dieser Lonely Planet-Schreiber und ich werde ihn fragen: What’s so fucking lonely about Khao San Road?«

Vom Film infiziert, vom Lonely Planet abgesichert, brachen alle Dämme. Die Khao San Road wurde nun auch zur Attraktion für Bus- und Pauschaltouristen: »McDonald’s« kam und »Burger King« und KFC, auch der »Hühnermörder aus Kentucky« genannt, zwanzig Stunden Wahnsinn jeden Tag, nachts Musik und Geschiebe, Händler in Viererreihen, es gibt: alles. Balinesische Puppen, indianischen Federschmuck, Bongotrommeln aus Afrika, Raubkopien indischer Filme, Schlagringe. Die Kulturen auf dieser einst exotischen Straße sind zusammengeschmolzen zu ununterscheidbaren, globalisierten Souvenirshops.

Obwohl Milos, der Student aus Prag, noch nie in Bangkok war, ist er sich doch ziemlich sicher, dass »die Road ihren eigentlichen Charakter verloren hat«. Er hat tausend Euro für vier Wochen Asien, er schläft im »D I O«, das sich selbst das »oldest guesthouse« der Khao San Road nennt, es besteht seit 1983 und kostet 4,50 Euro pro Nacht. Dafür bekommt er kein Bad und kein Fenster und eine Matratze aus Plastik, aber dieses unbezahlbare Gefühl, Teil einer weltumspannenden Community zu sein.

Wahrscheinlich wird auch Milos, wenn er eines Tages wiederkommt, sagen, dass früher, also heute, alles besser war. Da merkt man oft erst, was Großeltern mit Touristen gemeinsam haben.

Fotos: Vinai Dithajohn/ On Asia