»Ich bin stolz, ein Italiener zu sein. Und ich bin kein Masochist«

Ferrari-Chef Luca di Montezemolo mag die Abgesänge auf seine Heimat nicht mehr hören. Deshalb gilt Italiens mächtiger Manager als Hoffnung derer, die Berlusconi loswerden wollen. Allen voran: die Frauen.

SZ-Magazin: Herr Montezemolo, wenn es um Italien geht, gelten Sie als unverbesserlicher Optimist. Machen wir einen Test: Schaffen Sie es, uns nach 15 Jahren Berlusconi noch von Ihrem Land zu überzeugen?
Luca di Montezemolo:
Wie viel Zeit haben wir? Um Ihnen die ganze Schönheit und das unglaubliche Potenzial Italiens zu beschreiben, brauchen wir mindestens drei Stunden. Ich könnte Ihnen Tausende der wunderbarsten Ecken beschreiben – von Sizilien bis Bozen. Ich könnte Ihnen fantastische Geschichten über Spitzenleistungen erzählen, kulturelle, geschäftliche – was Sie wollen.

Vielleicht sollten Sie einfach einen Italien-Führer schreiben.
Etwas in der Art habe ich tatsächlich vor. Eine Webseite, auf der Sie nach dem Besten von Italien suchen können: fünfzig Jahre alter Balsamico, der beste Culatello-Schinken, ein wunderbar ausgereifter Parmesan.

Sie stammen aus einer weit verzweigten Familie von Offizieren und hochrangigen Beamten. Wenn jetzt im Radio tagtäglich Gespräche zwischen den Gespielinnen des Ministerpräsidenten übertragen werden, Wikileaks wenig rühmliche Einschätzungen ausländischer Diplomaten über Berlusconi und seine Regierung publiziert – berührt Sie das nicht?
Sie werden mich nicht dazu kriegen, über das Schlechte in diesem Land zu sprechen. Der Zustand Italiens macht mich manchmal auch unglücklich. Aber ich liebe dieses Land, ich bin stolz, ein Italiener zu sein. Und ich bin kein Masochist.

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Der Autor Roberto Saviano sagt, Italien sei ein sehr trauriges Land geworden, ein Land mit einer kranken Seele.
Italien hat bestimmt schon bessere Zeiten gesehen. Aber die Italiener kasteien sich auch gern selbst. Wir sind Weltmeister darin zu sagen, wie schlecht wir sind. Vermutlich sogar besser als die Deutschen. Gleichzeitig besitzen die Italiener eine faszinierende Fähigkeit weiterzumachen – egal, ob die Politik gut ist oder nicht. Das führt zu einer paradoxen Situation: Das Image Italiens ist zurzeit vielleicht nicht sonderlich gut, gleichzeitig gehören italienische Marken zu den besten der Welt, in der Mode, im Autobau, im Design.

Ferrari ist sicherlich eine davon – auch dank Ihnen. Wenn Sie das Italien von heute zu vermarkten hätten, was wäre Ihr Slogan?

»Italien – das Selfmade-Land« – das beschreibt die Stärke, aber auch das zentrale Problem des Landes. Sie finden überall in Italien kleine und mittlere Betriebe, die hervorragend arbeiten. Eine Bekannte von mir, sie ist sechzig Jahre alt, stellt in Bologna Maschinen her, die Zigaretten verpacken. So gut, dass Philip Morris dort einkauft. Oder, ein anderes Beispiel: Vor ein paar Wochen ist Robert Kubica, einer der Formel-1-Fahrer von Renault, bei einer Rallye schwer verunglückt. Er wurde in ein Krankenhaus in der Nähe von Savona eingeliefert, in einem kleinen Ort, von dem selbst ich noch nie gehört hatte: Pietra Ligure. Die Chirurgen dort waren das Beste, was ihm passieren konnte, hochqualifizierte Spezialisten. Jeder Einzelne tut also offenbar, was er kann. Aber es ergibt kein gemeinsames Ganzes.

Italien als eine Ansammlung von Individualisten?

Das ist wohl richtig. Und die vergangenen 15 Jahre haben den Hang der Italiener zum Individualismus weiter verstärkt. Das entspricht dem Selbstverständnis von Berlusconi: Er will das Amt des Ministerpräsidenten, aber er ist nicht immer willens, unpopuläre Entscheidungen zu fällen. Dies ist jedoch für das Gemeinwohl unerlässlich.

Können Sie uns das Phänomen Berlusconi erklären?
Italienische Politiker haben von jeher die Eigenart, so zu reden, dass das Volk sie kaum verstehen kann. Zu kompliziert. Berlusconi dagegen spricht mit dem Bauch, das verstehen viele Italiener besser. Sie haben nicht den Eindruck, dass da ein Politiker zu ihnen spricht. Sondern jemand von ihnen.

Es heißt, wenn man die Italiener nicht versteht, kann man auch Berlusconi nicht verstehen. Anders gesagt: In jedem Italiener steckt etwas von Berlusconi.
Das wird so gesagt, ich weiß nicht, ob es stimmt. Tatsächlich ist Berlusconis Koalition bei den letzten Wahlen mit einer großen Mehrheit gewählt worden. Und viele haben gejubelt: endlich wieder eine starke Regierung. Aber schon wenige Monate später hat sich die Koalition heillos zerstritten.

Wenn es eng wurde, hat sich Berlusconi regelmäßig als Überlebenskünstler gezeigt, zuletzt beim Misstrauensvotum im vergangenen Dezember.
Berlusconi hat die ungeheure Fähigkeit, Konsens herzustellen; seine Popularität ist immer noch groß, und wir sollten auf die positiven Dinge blicken, die seine Regierung erreicht hat. Andererseits glaube ich jedoch, dass der Wunsch nach Reform im Volk wächst. Die Italiener sind die endlosen und nutzlosen Auseinandersetzungen zwischen den immer gleichen politischen Führern während der letzten 25 Jahre leid. Was mich wirklich beeindruckt hat, war, dass die Frauen auf die Straße gegangen sind. Mehr als eine Million in vielen Städten, ohne eine politische Partei im Hintergrund. Nicht aggressiv. Sie haben nicht gesagt: Wir wollen Berlusconi verjagen. Sie haben einfach nur gezeigt, dass sie da sind, dass man mit ihnen rechnen muss, dass die Situation der Frauen in Italien nicht länger hinnehmbar ist. Die Menschen glauben den Versprechungen der Regierung nicht mehr, sie schauen jetzt darauf, was sie wirklich geleistet hat.

In diesem Jahr feiert Italien seine Einheit zum 150. Mal. In welchem Lebensabschnitt befindet sich das Land Ihrer Meinung gerade? Pubertät? Bestes Alter? Ein Greis?

Im besten Alter, würde ich sagen, aber etwas verwirrt vielleicht. Italien ist einfach zu kompliziert. Da sind zum Beispiel die Provinzen. Die Provinz von Mailand, die Provinz von Rom, die Provinz von Bologna. Die haben einen Präsidenten. Dann haben wir einen Präsidenten der Region. Dann haben wir einen Bürgermeister der Stadt, in den großen Städten noch zusätzlich Kommunalverwaltungen. Kürzlich habe ich versucht, das einem Bekannten aus New York zu erklären. Der hat mich nur verständnislos angeschaut: Dort gibt es den Großraum New York, einen Bürgermeister und fertig. Oder nehmen Sie die Politik in Rom: Da haben wir den Senat und dann noch das Abgeordnetenhaus. Beide politische Institutionen haben im Grunde dieselbe Funktion. Warum also brauchen wir zwei davon?

Es sind Strukturen, die über 150 Jahre gewachsen sind. Sie zu verändern dauert vermutlich ein weiteres Jahrhundert.

Italien ist tatsächlich langsam, wenn es um Reformen geht. Aber irgendwann müssen wir anfangen. Wenn sich ein paar führende Persönlichkeiten einig werden, dann sind Veränderungen möglich: Liberalisierung, Abbau der Bürokratie und damit auch weniger Kosten. Man darf sich nur nicht zu viel vornehmen.

Trotzdem klingt das, was Sie vorschlagen, sehr idealistisch. Woher nehmen Sie Ihre Hoffnung?
Die italienische Politik wird seit einem Vierteljahrhundert von denselben Personen bestimmt, das ist wahr. Der eine oder andere, wie der langjährige Ministerpräsident Andreotti, verlässt vielleicht die Bühne, aber im Kern ist es ein sehr kleiner Kreis, der das Land führt. Das müssen wir ändern. Wir brauchen junge, offene Leute, die sich engagieren. Vielleicht klingt das idealistisch. Aber zum einen ist die Generation der amtierenden Politiker in die Jahre gekommen. Zum anderen: Wer kannte Clinton, bevor er Präsident wurde? Wer Obama? Auch Berlusconi hat anfangs überrascht.

Vor anderthalb Jahren haben Sie die Stiftung »Italia Futura« gegründet, ein Institut für Zukunftsfragen. Damit mischen Sie sich selbst in die Politik ein.
Dabei geht es nicht um aktive Politik, sondern um Politik im weitesten Sinne. Mit der Stiftung wollen wir die Zivilgesellschaft in Italien fördern, junge Leute sollen in ihrem politischen Engagement unterstützt werden. Wir sind gerade dabei, regionale Ableger von »Italia Futura« zu eröffnen. Wenn sich dadurch die Politik in Rom ändert: umso besser.

Sie wollen dem Staat auch von einer anderen Seite her Konkurrenz machen: Gemeinsam mit anderen Unternehmern planen Sie ein Netz von Hochgeschwindigkeitszügen.
Wenn alles gutgeht, werden die ersten Züge noch in diesem Jahr fahren. Auf den Strecken Mailand – Rom/Neapel. Das wird für Italien eine neue Art des Reisens sein, und wir werden so vielleicht zeigen, dass das Land mehr kann, als es derzeit tut.

Berlusconi hat Ihnen einmal einen Ministerposten angeboten. Warum haben Sie abgelehnt?

Ich war damals gerade Präsident des italienischen Unternehmerverbandes. In dieser Zeit habe ich nicht nur die Regierung von Berlusconi, sondern auch die von Romano Prodi heftig kritisiert. Ich wollte nicht, dass es so aussieht, als ob ich damit meine politische Karriere befeuern wollte.

Das war vor fünf Jahren. Heute sind Sie eine der populärsten Persönlichkeiten Italiens. Politiker unterschiedlichster Oppositionsparteien könnten sich Luca di Montezemolo als Spitzenkandidaten vorstellen. Was hält Sie davon ab anzutreten?
Ich werde tatsächlich oft aufgefordert, mich zu engagieren. Nicht nur von Politikern, auch von Leuten auf der Straße, von den Arbeitern bei Ferrari. Das beschäftigt mich natürlich. Aber erstens sind keine Wahlen im Moment, und deshalb hat eine Diskussion über mein politisches Engagement keinen Sinn. Zweitens glaube ich nicht an eine One-Man-Show. Italien zu verändern ist eine große Herausforderung, die den Einsatz vieler Menschen braucht. Und, ganz ehrlich: Ich habe auch so genug zu tun.

Aber ist das nicht genau das Problem? Dass Leute wie Sie sich nicht die Hände in der italienischen Politik schmutzig machen wollen?
Da haben Sie vielleicht recht. Aber vor ein paar Tagen war ich wieder einmal bei Ferrari, in der Fabrik. Und da habe ich gemerkt, dass es genau das ist, was ich tun möchte. In die Politik zu gehen hieße, alles andere aufzugeben.

Das springende Pferd von Ferrari ist eines der bekanntesten Embleme Italiens. Welches Emblem würden Sie Italien zum 150. Geburtstag geben?
Die drei Nationalfarben. Mitglieder meiner Familie sind für die Einheit Italiens gefallen – mir genügt unsere Fahne vollkommen. Um das Staatsjubiläum zu feiern, lasse ich damit gerade die neuesten Ferraris verzieren.

Welchen Ort würden Sie empfehlen, um das Italien, das Sie so schätzen, zu erleben?
Das kommt sehr darauf an, was Sie wollen. Aber wenn Sie verliebt sind, fahren Sie gemeinsam nach Bagno Vignoni in der Toskana. Da gibt es ein kleines Hotel, acht Zimmer, das ist fantastisch, sehr romantisch. Und wenn Sie nicht verliebt sind – nach dieser Reise werden Sie es sein.

Fotos: Getty, Reuters