Die Gewissensfrage

Sollten nicht nur diejenigen ein Spender-Organ bekommen, die selbst einen Organspendeausweis hatten, als sie noch gesund waren?

»Sollten nicht nur diejenigen eine Organspende bekommen, die selbst schon einen Organspendeausweis hatten, als sie noch gesund waren? Warum sollten andere von dieser ›ethischen Gemeinschaft‹ profitieren, ohne einen eigenen Beitrag geleistet zu haben? Versicherungen funktionieren doch auch nach diesem Prinzip: Ich zahle im Voraus – auch für andere –, um im Notfall von dieser Solidargemeinschaft zu profitieren. Wer sich gegen eine eigene Organspende entscheidet, sollte dann doch wohl auch bereit sein, auf den Erhalt fremder Organe zu verzichten, oder?« Lisa-Maria R., Erlangen

In Deutschland hat die Diskussion um die Organspende ein Gesicht bekommen, als der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier seiner Frau eine Niere spendete. Deshalb ein Gedankenexperiment: Gesetzt den Fall, Herr Steinmeier würde nun selbst eine Niere benötigen, sollte er auf der Warteliste bevorzugt werden? In einer Umfrage unter Medizin- und Wirtschaftsstudenten hatten sich im Jahr 2001 je nach Fragestellung immerhin zwischen 50 und 73 Prozent prinzipiell für eine Bevorzugung ausgesprochen.

Was hat das mit Ihrer Frage zu tun? Es verdeutlicht den Kernpunkt, um den es bei Ihrer Überlegung geht: Sollen allein medizinische Gründe für die Verteilung von Spenderorganen ausschlaggebend sein oder auch andere? Normalerweise sollte medizinische Hilfe, hier in Form einer Organtransplantation, danach gewährt werden, wie dringend man sie braucht, und nicht nach Verdiensten. Unter Verdienste fällt aber die schon länger bestehende Bereitschaft, selbst ein Organ zu spenden. Und das ist auch das Hauptargument, das man gegen Ihren Vorschlag vorbringen kann.

Meistgelesen diese Woche:

Dennoch sprechen auch gewichtige Gründe für die Bevorzugung von Spendewilligen bei der Organzuteilung: Zum einen scheint es eine Frage der Fairness, dass niemand als Trittbrettfahrer selbst von Spenderorganen profitieren soll, der andererseits nicht bereit ist, seinen Beitrag zu leisten. Speziell dann, wenn wie hier gerade wegen seines Verhaltens ein großer Mangel herrscht. Zum anderen aber könnte eine derartige Regelung dazu führen, dass mehr Menschen sich zur Organspende bereit erklären. Dadurch würden mehr Spenderorgane zur Verfügung stehen, im Idealfall sogar so viele, dass sich die Problematik der Bevorzugung wieder relativiert, wenn nicht sogar erübrigt.

Eine absolute Regelung wie »Sie brauchen eine Niere, hatten aber selbst nie einen Organspendeausweis? Pech gehabt!« halte ich für nicht vertretbar. Eine Art Bonussystem scheint mir hingegen durchaus erwägenswert, vor allem um den Mangel an Spenderorganen zu beheben und damit viele Todesfälle auf der Warteliste zu vermeiden.

Bei der Gelegenheit: Haben Sie, verehrte Leser, schon einen Organspendeausweis? Bitte legen Sie sich einen zu.

----

Rainer Erlinger empfiehlt zu diesem Thema folgende Lektüre:

Govert den Hartogh, Priority to registered donors on the waiting list for postmortal organs? A critical look at the objections. Journal of Medical Ethics 2011, Band 37, S. 149-152

Marlies Ahlert, Gundolf Gubernatis, Ronny Klein, Common Sense in Organ Allocation. Analyse und Kritik, Band 23, 2001 S. 221-244

Thomas Schmidt, Distributive Justice in Kidney Allocation. Analyse und Kritik, Band 23, 2001 S. 286-298

Friedrich Beyer et al. Organmangel. Ist der Tod auf der Warteliste unvermeidbar? Springer Verlag Berlin, Heidelberg 2006

Stephan Bausch, Konstantin Kohlmann, Die erklärte Spendenbereitschaft als verfassungsrechtlich zulässiges Kriterium der Organallokation, Neue Juristische Wochenschrift 2008, 1562

Thomas Gutmann, Bijan Fateh-Mogadan, Rechtsfragen der Organverteilung. Das Transplantationsgesetz, die „Richtlinien“ der Bundesärztekammer und die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht. Neue Juristische Wochenschrift 2002, 3365

Carsten Dochow, Marc-Alexander Waschkewitz, Alexandra Kristina Weber, Zur Realisierbarkeit eines „Modells der erweiterten Zustimmungslösung mit dem Bonus der Bevorzugung“ unter Berücksichtigung des einfachen Rechts und des Grundgesetzes. In: Gunnar Duttge, Carsten Dochow, Marc- Alexander Waschkewitz, Alexandra Kristina Weber (Hrsg.) Recht am Krankenbett – Zur Kommerzialisierung des Gesundheitssystems. Göttinger Schriften zum Medizinrecht Band 7, Universitätsverlag Göttingen 2009

Illustration: Marc Herold