Speer und Er

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Franziska Agrawal hat in den Tiefen des peruanischen Urwalds Menschen besucht, die zwischen Moderne und Urzeit gefangen sind.



    Name:
    Franziska Agrawal
    Geboren: 1979 in Ulm
    Ausbildung: Studium des Industriedesigns in Pforzheim und Rhode Island
    Homepage: www.franziskaagrawal.com

    SZ-Magazin: Frau Agrawal, Sie haben im peruanischen Urwald die weit von jeder modernen Zivilisation lebenden Stämme der Aguaruna und der Wampi besucht. Das klingt wie ein großartiges Abenteuer, aber der Anlass Ihrer Arbeit "Message from the Amazon" war ernst. Bitte erzählen Sie uns mehr.
    Franziska Agrawal: Es dauert drei ganze Tage, um erst mit dem Flugzeug und Bus, dann mit dem Auto und Boot dorthin zu kommen, tief im Regenwald, nahe der Grenze zu Ecuador. Das Problem ist, dass die Stammesbewohner ihr einst großes Wissen über Naturmedizin und heilende Kräfte des Dschungels verloren haben. Darum können sich die Menschen nicht mehr selber helfen und das nächste Krankenhaus ist weit weg. Telefonverbindung gibt es nicht, es fehlt das Benzin und die Transportmöglichkeit, um im Notfall schnell einen Arzt zu erreichen. Unser Ziel war es, die Situation aus Sicht der Menschen vor Ort zu dokumentieren und dann in Sozialen Netzwerken darüber zu berichten. Ich habe fotografiert, gefilmt und Handys mit eingebauter Kamera im Dorf verteilt.

    Warum denn Handys? Es gibt doch kein Netz, oder?
    Das stimmt, aber wir wollten die Bilder und Videos später auf einem Account bei Facebook und auf youtube hochgeladen. Die Idee, den Einheimischen Fotohandys zu geben, hat aber nicht funktioniert - weil diese Technologie für die Menschen dort einfach zu unbegreiflich ist. Schon Videos und Fotos von ihnen zu machen war schwer, weil die Menschen nicht wussten, was eine Kamera oder ein Fotoapparat mit ihnen macht. Die konnten sich bewegtes Bild nicht vorstellen. Sie hatten Angst davor, dass wir alles aufzeichnen –  etwa auch was sie fühlen und riechen.

    Das heißt, die Menschen dort sind noch richtige Ureinwohner, ohne Kontakt nach draußen?

    Die Älteren schon. Aber die Jüngeren, zwischen 15 und 20 Jahren, haben den Ort größtenteils schon verlassen, die waren schon in der nächstgrößeren Stadt, haben dort gearbeitet und bringen auch Kommerzprodukte mit. Dann fährt man acht Stunden den Fluss hinauf und plötzlich schwimmt dir eine Gatorade-Plastikflasche entgegen. Die Menschen haben kein Bewusstsein dafür, was Verschmutzung ist, die werfen Plastik weg wie Bananenschalen, die denken das verottet in einer Woche.

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    Ureinwohner im Regenwald – als Westeuropäer verbindet man das mit romantischen Vorstellungen einer noch heilen Welt. Wie haben Sie die Stämme erlebt?
    Die Menschen waren sehr misstrauisch am Anfang. Ich habe es aber eher so empfunden, dass es eine kindliche Angst vor dem Unbekannten ist. Wir konnten uns mit den Älteren gar nicht verständigen, von den Jüngeren konnten manche ein paar Brocken Spanisch. Wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt, aber nach ein paar Tagen war es ein sehr inniges, vertrauensvolles Verhältnis. Ähnliches habe ich in sehr armen Gegenden Afrikas und Indiens erlebt.

    Haben sich die Menschen über Ihren Besuch gefreut?
    Sie haben sich gefreut, aber ich denke vor allem aus der Hoffnung heraus, dass ihnen geholfen wird. Ihre Gesellschaft ist in einer schwierigen Phase: Die Jugend drängt raus in die Zivilisation und bringt von dort auch Schlechtes mit. Die Ureinwohner in Peru kamen mir sehr verloren vor. Unser Besuch hatte ja die Motivation zu helfen - aber eigentlich finde ich, sollte man diese Stämme ganz in Ruhe lassen.

    Haben Sie die fertigen Bilder und Videos den Leute noch vor Ort gezeigt?
    Ja. Der Moment, in dem sie sich selber im Bildschirm der Digitalkamera gesehen haben, war der Höhepunkt des Tages. Es war eine sehr schöne, ehrliche Freude. Wir hatten einen Übersetzer, der aus dem Stamm kommt und sich für seine Leute einsetzt. Er hat Ihnen alles erklärt, die Fotosession war super lustig. Es hat allen Seiten Spaß gemacht.

    Haben die Menschen nach dem Betrachten der Bilder ihr Verhalten geändert? Haben sie etwa diesen typischen "ich werde fotografiert"-Gesichtsausdruck entwickelt?

    Ich habe ihnen die Bilder erst am Ende meiner Aufnahmen gezeigt. Die Frauen waren übrigens sehr, sehr schüchtern. Die haben sich nur zusammen mit mir vor die Kamera getraut, oder im Gruppenbild.

    Ist den Stämmen durch das Projekt geholfen worden?
    Entscheidend ist die Gesetzgebung der Regierung. Aber viele NGOs setzen sich für die Stämme ein. Ob dort eine Krankenstation gebaut wird, weiß ich nicht, aber es verändert sich dort etwas.