Anna: »Ich habe nie Haschisch und Alkohol kombiniert«

Auch ansonsten hat Anna oft befolgt, was ihr die Mutter sagte. Aber richtig erwachsen wurde sie erst, als sie ohne ihre Hilfe auskommen musste.


Zuhause
lebt mit ihrer Mutter in Düsseldorf
Ausbildung/Beruf Abitur/will Eventmanagement studieren
Liebe seit fünf Monaten mit Robin zusammen
Einkommen 100 Euro Taschengeld  
Lieblingsessen Artischocken, Dorade
Lieblingsstar Left Boy
Größter Wunsch immer noch eigene WG mit bester Freundin
Nächster Urlaub zwei Wochen Spanien mit dem Freund

Wenn es eine Konstante gibt im Leben von Anna, dann sind es diese Fragen: »Anna, räumst du dein Zimmer auf?« – »Hast du dich für die Geschenke bedankt?« – »Was ist mit deinem Praktikumsplatz, willst du da nicht mal anrufen?« Mit 13 hofft Anna noch, ihre Mutter würde bald damit aufhören, mit 16 rebelliert sie dagegen, heute sagt sie: Lieber etwas Genörgel als gar keinen Rückhalt. Sie hat am eigenen Leib erlebt, wie tief man fallen kann.

Sommer 2008. Anna ist 17 und macht mit ihren Eltern Urlaub an der türkischen Riviera. Sie liegt mit ihrer Mutter am Strand, der Vater streift allein umher. Zu Hause erfährt sie dann, dass sich ihre Eltern trennen wollen: Der Vater hat eine neue Freundin, kaum älter als seine Tochter. Anna steht noch unter Schock, da stirbt ihr innig geliebter Großvater. Und wenig später trennt sie sich von ihrem Freund, der seit Wochen nur noch kifft. Der Albtraum scheint kein Ende zu nehmen.

Aber Anna hat ja ihre Mutter, die zwar manchmal nörgelt, aber immer Rat weiß. Mit ihr spricht Anna über alles, etwa wenn sie Stress mit ihrem Freund hat. Freundinnen seien da schlechte Ratgeber, »zu loyal, die sagen sofort: ach, der Arsch«. Ihre Mutter dagegen hat stets auch die Perspektive des Freundes im Blick. Sie ist Sozialarbeiterin, betreut psychisch Kranke, die Probleme anderer sind ihr Alltag, so leicht erschüttert sie nichts.

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Da ist zum Beispiel die Sache mit den Alcopops: Als Anna 14 wird, geht die Mutter mit ihr zur Tankstelle und kauft ein paar Flaschen. Kichernd sitzen beide dann zu Hause in der Küche und testen, wie viel Anna verträgt. Drogen? Die Mutter warnt Anna nur, Haschisch mit Alkohol zu kombinieren, das führe geradewegs in die Psychose. »Hab ich auch nie gemacht«, sagt die Tochter heute. Mit 16 hat Anna eine Zeit lang »einen reicheren Freundeskreis«. Ein Freund holt sie oft im goldenen Porsche seiner Eltern ab, dann fährt er mit ihr die Düsseldorfer Einkaufsstraßen entlang. Die Begeisterung der Mutter, eher rot-grün sozialisiert, hält sich in Grenzen. Trotzdem redet sie Anna die Freunde nicht schlecht, das rechnet ihr die Tochter hoch an. Selten erlebt sie ihre Mutter ratlos, am ehesten bei den Wutanfällen des Vaters. Doch in diesen Situationen rücken die beiden noch näher zusammen.

Umso härter trifft es Anna, dass sie nach der Trennung der Eltern mit ihren Problemen auf einmal allein dasteht. Ihre Mutter ist mit sich beschäftigt – die Freundin ihres Mannes, sie ahnte ja nichts. Ständig ist sie gereizt, jedes Paar Schuhe, das nicht aufgeräumt ist, bedeutet Streit zwischen Mutter und Tochter. Anna kämpft auch mit dem Vater: Er weigert sich, Unterhalt zu zahlen. Überall Krisenherde, überall Spannungen. Annas Körper hält diesen Zustand nicht lang aus. Sie schläft zwanzig Stunden am Tag und fühlt sich die übrigen vier schlapp. Schließlich landet sie in einer Spezialklinik am Starnberger See, Diagnose: Burnout.

Sommer 2011. Anna sitzt im »Rosie’s«, einem Bistro in der Düsseldorfer Innenstadt. Die reichen Freunde hat sie längst hinter sich gelassen, manche halten sie trotzdem noch »für eine Schickimicki-Ziege«, erzählt sie genervt. Anna ist 1,82 Meter groß, schlank, hat lange braune Haare. Sie trägt einen kurzen, weißen Rock, graues Top, braune Lederjacke. Wie es in ihr aussieht, wissen nur ihre Mutter und ein paar Freunde. Sie war während ihrer dreimonatigen Therapie mit Abstand die Jüngste, in ihrer Gesprächsgruppe befanden sich ein BMW-Manager und ein Rentner, der sein Trauma aus dem Zweiten Weltkrieg verarbeitete. Seitdem hat sie recht genaue Vorstellungen davon, was im Leben zählt. Sie hat das schlimme Jahr 2008 überstanden, und das ohne die Hilfe der Mutter; in Therapie zu gehen war ihre eigene Idee, auch die Klinik suchte sie selbst aus. Diese Zeit war »eine enorme Bereicherung für mich«, sagt sie. Vor zwei Monaten starb Annas Vater an Lungenkrebs. Da fiel auch der Mutter auf, wie erwachsen ihre Tochter geworden war: Wie selbstverständlich beteiligte sie sich an der Organisation des Begräbnisses. In derselben Zeit legte sie ihre letzte Abiturprüfung ab. Ihre Mutter, stolz, überraschte sie mit einer spontanen Party. Und ermahnte sie am Ende, auch allen für die Geschenke zu danken. »Sie kann einfach nicht anders«, sagt Anna belustigt.

Es sei schon gut, »dass Anna demnächst in einer anderen Stadt studiert«, sagt ihre Mutter, »dann bin ich endlich diese Mutterrolle los«. Dafür hat Anna begonnen, sich über ihre Mutter Gedanken zu machen. Zu Hause gibt es jetzt einen Hund, es wird also nicht ganz ruhig werden, wenn sie auszieht. Mit dem neuen Freund der Mutter versteht sie sich auch gut. Trotzdem wäre es Anna lieber, wenn ihre Mutter nicht mehr heiratet.

Fotos: Konrad R. Müller