»Wie eine Alpenüberquerung«

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Sonja Herpich, die sich nach jedem Arbeitstag auf der Wiesn porträtierte.


Name:
Sonja Herpich
Geboren am und in: 1979 in Höchstädt an der Donau
Fotografische Ausbildung: Handwerksausbildung in München
Homepage: sonjaherpich.com

SZ-Magazin: Frau Herpich, wie ging es Ihnen nach dem ersten Tag als Bedienung auf dem Oktoberfest?
Sonja Herpich: Der ging wirklich an die Substanz. Auch emotional: Im Hofbräuzelt sitzen jedes Jahr 10 000 Menschen und rutschen ungeduldig auf den Bänken hin und her, bis um Punkt 12 Uhr endlich das erste Fass angestochen wird. Mein ganzes Serviceteam ist immer unglaublich aufgeregt.

Und wie reagierte Ihr Körper auf die Schlepperei?
Wer wenig trägt, der muss viel laufen! Im Extremfall trage ich 15 halbe Hendl auf einer Schulter oder 12 Mass Bier. Dabei schläft mir regelmäßig der ganze Arm ein und da es zu voll ist, um das Tablett irgendwo abzustellen, muss ich rennen, um nicht alles fallen zu lassen. Spätestens in der zweiten Woche haben alle Bedienungen einen schlimmen Schnupfen, Muskelkater, brennende Fußsohlen und dunkle Augenringe. Dann ist die Euphorie der ersten Woche verflogen.

Wie kamen Sie auf die Idee Ihren zunehmenden Erschöpfungszustand fotografisch festzuhalten?

Ich wollte wissen, was diese extreme Anstrengung mit meinem Körper macht. Außerdem ist mein Projekt sehr persönlich – ein visuelles Tagesbuch.

Wie haben Sie Ihre Selbstporträts aufgenommen?

Ich habe jeden Tag ein Bild morgens um 8 Uhr und das andere abends gegen 23 Uhr mit meiner Canon EOS 5D Mark II in meinem Studio aufgenommen.

Unterscheidet sich dieser Selbstversuch von Ihren anderen Arbeiten?

Für mich ist das Selbstporträt eine sehr intime Erfahrung gewesen. Eigentlich gehöre ich hinter die Kamera und arbeite als Dokumentarfotografin.

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Fiel es Ihnen schwer, hart zu arbeiten, während andere fröhlich feierten?
Eigentlich nicht. Ich finde es andersrum fast noch schöner. Man ist Teil dieser riesigen Veranstaltung und sieht die ganze Zeit dankbare Gesichter, wenn man mit Bier und Brezen an die Tische kommt.

Welcher Gast ist Ihnen lieber – der Münchner oder der Tourist?
Die Touristen sind genügsamer und lassen sich einfacher in ihre Schranken weisen. Einmal hat mir ein Italiener aus Versehen einen Teller mit Leberkäse vom Tablett gerissen und ist beim Entschuldigen auf die Knie gegangen und in Tränen ausgebrochen. Der Münchner ist ein richtiger Platzhirsch, der denkt, er kann sich auf der Wiesn benehmen wie zu Hause!

Sie arbeiten jetzt schon seit zwei Jahren auf dem Oktoberfest – ist es die ganze Plackerei wert?
Vor zehn Jahren habe ich dort zum ersten Mal Brezen verkauft und bin so auf den Geschmack gekommen. Die Menschen, die Gerüche und die Musik - pure Reizüberflutung. Für mich ist es jedes Mal wieder eine wichtige Selbsterfahrung, die mir hilft, meine Grenzen zu überwinden. Man kann das zum Beispiel mit dem Pilgern oder einer Alpenüberquerung vergleichen.

Spielte das Geld keine Rolle?
Da schweige ich lieber. Wie die anderen war auch ich am Umsatz beteiligt. Von meinem Startkapital habe ich Bier- und Essensmarken gekauft und dann wieder verkauft. Man verdient aber sehr gut – es kursieren nur so viele Mythen darüber. Ich frage Sie ja auch, nicht wie viel Sie verdienen.

Verdienen Sie in zwei Wochen mehr als mit Ihrer Arbeit als freie Fotografin?
Das kann man nicht vergleichen.

Sind denn 6000 bis 8000 Euro utopisch?
Schweigt und lacht.

Warum haben Sie sich am letzten Wiesn-Tag nur morgens porträtiert?
Am letzten Abend war ich so euphorisch, dass ich den Tränen nahe war. Ich habe mit meinem Team angestoßen und abends glatt vergessen, mich in meinem Studio ein letztes Mal zu fotografieren. Ich wollte einfach nur ins Bett.

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