»Gutes Design kann den Menschen glücklich machen«

Stefan Sagmeister gilt als einflussreichster Grafiker unserer Zeit. Ein Gespräch über die Seele der Dinge.



Grafiker, Werber, Künstler, Designer? Es ist gar nicht so leicht zu benennen, was der gebürtige Österreicher Stefan Sagmeister wirklich ist. Er ist von allem etwas, vor allem aber sehr erfolgreich. Mit revolutionären Plattencovern für Lou Reed, die Rolling Stones und Aerosmith wurde er berühmt und gewann zwei Grammys in der Kategorie »Bestes Albumcover«. Zu seinen Kunden zählen der US-Bezahlsender HBO, Time Warner und diverse Museen, für die er jeweils das Erscheinungsbild gestaltet hat. Seine Auftritte bei der TED (Technology, Entertainment, Design), einer jährlichen Ideenkonferenz herausragender Persönlichkeiten im kalifornischen Long Beach, reißen sein Publikum jedes Mal zu Lachanfällen und Begeisterungsstürmen hin, denn Sagmeister ist nicht nur ein sehr kreativer Mensch, sondern auch ein sehr unterhaltsamer. Seit 1993 lebt er in New York, wo er sein Grafikstudio betreibt. Jetzt dreht er auch noch einen Film. Über das Glück.

SZ-Magazin: Herr Sagmeister, worum geht es in Ihrem neuesten Projekt The Happy Film?
Stefan Sagmeister: Es ist ein Selbstversuch-Film, vielleicht vergleichbar mit Morgan Spurlocks Supersize Me über McDonald’s. Ich will schauen, was mich glücklicher macht: Meditation, kognitive Therapie oder Drogen. Mit Drogen meine ich nicht illegale Drogen, sondern Psychopharmaka, also Antidepressiva. All das probiere ich aus, natürlich unter wissenschaftlicher Anleitung, und berichte, ob sich mein Wohlbefinden verbessert.

Was ist kognitive Therapie?
So, wie ich es verstehe, geht es darum, sich mit einem Therapeuten die eigenen Denkmuster anzuschauen, sie mit der Wirklichkeit zu vergleichen und zu versuchen, meist durch Wiederholung, diese Denkmuster der Wirklichkeit anzugleichen.

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Können Sie schon was berichten?
Das Meditieren habe ich schon abgeschlossen, dafür war ich drei Monate lang auf Bali. Ich habe sogar eine Computertomografie meines Gehirns machen lassen, davor und danach, um zu schauen, ob sich was in meiner Hirnstruktur verändert hat. Das Meditieren ist mir schwergefallen, weil da die Eigenleistung am größten ist. Bald mache ich die Therapie. Und am Schluss die Drogen, das ist das Einfachste.

Hat Sie das Meditieren glücklich gemacht?
Es ist im Prinzip eine angenehme Sache, die auf gar keinen Fall etwas verschlechtert. Aber wenn ich mir meine Notizen und die täglichen Videointerviews von mir anschaue, muss ich sagen: Der Einfluss auf mein Wohlbefinden war doch eher gering – gemessen am Zeitaufwand.

Sie machen Selbstversuche, zeigen sich auf Plakaten, gern auch nackt, halten Vorträge. Was treibt Sie?
Ich glaube, dass das Objektive, das Sichheraushalten, das Distanzierte, ein Fehler ist und zu unglaublich vielen kalten und schlechten Arbeiten und Produkten führt. Es macht einen auch selbst glücklicher, wenn man sich einbringt.

Mit Glück beschäftigen Sie sich schon länger. Sie haben schon 2004 einen Vortrag darüber auf der TED-Konferenz gehalten, jetzt drehen Sie einen Film. Was fasziniert Sie daran?
Die Frage, was uns in unserer Umwelt wie beeinflusst. Und wie man das verbessern kann. Es ist zum Beispiel erstaunlich, wie groß die Frage der Form in der Architektur ist und wie klein die Frage des Wohlbefindens. Gerade wenn man in einer Stadt wohnt, ist ja im Prinzip alles, was einen umgibt, gestaltet. Egal in welcher Stadt oder ob es die Erste oder Dritte Welt ist. Das heißt, dass Design für den Stadtbewohner den gleichen Einfluss hat auf sein Leben wie die Natur auf den Ureinwohner. Die Umgebung kann gut, mittelmäßig oder schlecht gestaltet sein, und das wirkt zurück auf uns Menschen.

Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Erkenntnis?
Ich achte auf die Psychologie der Dinge. Mache ich etwas, was die Leute vielleicht ein bisschen erfreut oder sogar entzückt, oder etwas, was jedem am Arsch vorbeigeht? Oder gar etwas, was nicht funktioniert und einfach nur nervt. Das gibt es auch im Produktdesign.

Beispiel?
Kantige Türklinken, die beim Anfassen leicht in die Hand einschneiden. Oder CD-Verpackungen, die so verschweißt sind, dass man sie nicht aufkriegt. Lauter so kleine, nervige Dinge, die uns täglich begegnen.

Oder Handys, deren Empfang schwächelt, wenn man sie in die Hand nimmt. Wie erklären Sie sich den Erfolg von Apple?

Jonathan Ive ist der wichtigste Produktdesigner der letzten zwanzig Jahre, ohne jeden Zweifel. Der Erfolg des iPhone ist vergleichbar mit dem Fall Google: Beide sind sehr spät in ihren jeweiligen Markt eingestiegen. Suchmaschinen waren ein alter Hut. Eigentlich von den meisten Leuten – zumindest von mir – komplett abgehakt. Beide sind ein Beispiel dafür, dass die Ausführung einer Idee wichtiger ist als die Idee selbst. Beide haben eine vorhandene Idee einfach besser und kompromissloser ausgeführt.

Von Ihnen stammt der Spruch: Stil ist Furz. Zumindest haben Sie sich das mal für ein Plakat in Ihren Bauch ritzen lassen. Zählt also allein die Idee?
Das war ein Fehler. So habe ich vor ewigen Zeiten gedacht: dass Stil an sich unwichtig ist, eben nur heiße Luft. Das sehe ich heute überhaupt nicht mehr so.

Es gibt ja auch eindeutig einen Sagmeister-Stil: plakativ, bunt, provozierend.
Das habe ich erst spät zugelassen: dass es eine formale Richtung geben kann, die wiedererkennbar wird. Vorher hatte ich die fixe Idee, unser Studio müsse sich immer wieder neu erfinden. Und das hat sich sehr flott als absolut unmöglich herausgestellt. Es war irgendwann klar, dass das nur möglich ist, wenn ich entweder historische Stile stehle oder noch schlimmer: Stile von anderen Designern übernehme. Für jedes Projekt einen neuen Stil zu erfinden, das hat noch keiner geschafft.

Sie machen Werbung, einige Ihrer Arbeiten werden aber auch in Museen ausgestellt. Sind Sie nun Grafiker oder Künstler?
Beides. Ich fühle mich in diesem Zwischenbereich sehr wohl, weil er große Vorteile hat. Er hat oft ein sehr großes Publikum. Mich hat Design für Designer nie interessiert. Oder Musik für Musiker, und vielleicht meine größte Kritik an der zeitgenössischen Kunst wäre, dass so viel für sich selbst gemacht wird. Ich finde diese geschlossenen Kleingesellschaften uninteressant. Wenn ich gut bin, bringe ich vielleicht die eigene Profession ein bisschen voran, aber das würde mir nicht reichen.

»Mir geht es um Wirkung, um Relevanz«

Was finden Sie denn spannend?
Dinge für ein großes Publikum oder für die Öffentlichkeit zu machen, für die Nicht-Fachwelt. Große Auflagen, die Masse. Ich bin von einem großen Film, einen millionenteuren Hollywoodfilm, der gut ist, mehr angetan als von einem kleinen Kunstfilm. Ich glaube auch, dass so was viel schwerer zu machen ist.

Sie brauchen Publikum. Spielt da Eitelkeit mit?
Ein bisschen vielleicht. Dieses pubertäre Denken, dass, wer erfolgreich ist, schon ausverkauft hat und damit künstlerisch tot ist, legt man ja irgendwann ab. Mir geht es um Wirkung, um Relevanz.

Wie können Designer wirken in der Gesellschaft?
Sie werden immer einflussreicher, was natürlich viel mit dem technischen Fortschritt zu tun hat. Den Beruf des Grafikdesigners gibt es ja erst seit hundert Jahren, wenn man jemanden wie Toulouse-Lautrec mal als Anfangspunkt nimmt. Heute ist jeder Mensch ein Gestalter, und wenn es nur die Einladungskarte für den Geburtstag der Tochter ist. Und dann gibt es diesen unglaublichen Wust an Informationen, die erst nützlich werden, wenn sie einer gestaltet oder kuratiert. Diese Schnittstelle, und dazu zähle ich mich auch, wird immer wichtiger.

Sie sind berühmt für die Auszeiten, die Sie sich immer wieder nehmen. Sie haben sogar mal abgelehnt, ein Wahlplakat für Obama zu machen, weil Sie schon im Aufbruch zum Sabbatical waren. Haben Sie das bereut?
Nein. Das war zu einer Zeit, als es um die Nominierung innerhalb der demokratischen Partei ging und ich wusste, dass die Leute, die wir mit einem Poster von uns beeinflussen könnten, sowieso schon auf Obamas Seite waren. Es kam mir vor, als ob wir zwar viel für unser Studio, aber wenig für Obama erreichen könnten, wenn wir auf diesen Zug aufspringen.

Wie wichtig sind diese Auszeiten für Ihre Arbeit?
Enorm wichtig. Alle Arbeiten, die in den sieben Jahren nach meinem Sabbatical entstanden sind, mit denen ich heute noch zufrieden bin, und zwar alle, gehen zurück auf diese Zeit in Bali.

Nun waren Sie gerade in Tansania, das haben wir zumindest Ihrer automatischen E-Mail-Antwort entnommen. Was haben Sie dort gemacht?
Ich war mit meinem Freund Marc Koska dort, einem Designer, um ihm bei seinem Projekt zu helfen. Er hat vor Jahren eine Einwegspritze erfunden. Wenn Sie diese Spritze einmal durchdrücken und wieder aufziehen, bricht der Kolben ab.

Was ist daran so besonders?
Man kann sie nur einmal benutzen. Und das kann Leben retten. Ich kenne Zahlen aus Pakistan, dort werden etwa hundert Millionen Spritzen pro Jahr importiert, aber 1,2 Milliarden Injektionen durchgeführt. Jede Spritze wird also im Schnitt zehnmal benutzt. Ich habe Videos gesehen, da bekommt ein HIV-Patient eine Spritze, die Spritze geht zurück aufs Tablett, dann kommt ein Baby dran, mit derselben Spritze.

Was war Ihre Rolle bei diesem Projekt?
Wir haben uns dort Krankenhäuser angeschaut, um mal ein bisschen Ahnung zu bekommen von der Situation dort. Ich soll Marc Koska helfen, eine Kommunikationsstrategie aufzubauen, um die Vorzüge dieser Spritzen publik zu machen. Marc hat natürlich Interesse daran, das nicht nur in Tansania zu belassen, sondern auch in die angrenzenden Länder und dann weiter über ganz Afrika zu verbreiten.

Hört sich nach einer ausgesprochen guten Idee an.
Mich beeindruckt vor allem Marcs Durchsetzungswille. Er arbeitet seit zwanzig Jahren an diesem Projekt. Im Design ist es eher ungewöhnlich, dass jemand so einen langen Atem hat. Die meisten haben eine Idee, probieren ein paar Monate lang, das an den Mann zu bringen, und wenn es nicht funktioniert, geben sie auf und kommen mit der nächsten Idee um die Ecke.

Manchmal ist die Idee einfach nicht gut.

Das meine ich nicht. Was mir auf den Wecker geht, sind diese Prototypenprojekte einer guten Idee, die es nicht einmal in die Produktion schaffen. Vor ein paar Jahren wurde im New Yorker Museum of Modern Art eine aufblasbare Behausung für Obdachlose ausgestellt. Da war so ein weißes Ding, das man über die warmen Entlüftungsschächte stülpen konnte, und dann sollte es wohl drinnen warm sein. Das hat im Museum ganz gut und witzig ausgeschaut – in der Wirklichkeit aber war es ein absoluter Schmarrn. Für einen Obdachlosen ist es unvorstellbar, in einem für alle sichtbaren, hell glänzenden Zelt zu liegen. Da ist er ein leichtes Ziel für die Polizei, die es eh schon auf ihn abgesehen hat.

Design wird also erst dann gut, wenn es sich in der Realität beweist?
Kennen Sie Alain de Botton, den englischen Philosophen? Der hat so eine angenehme rhetorische Frage in seinem neuen Buch gestellt: Wann finden wir unsere Arbeit nützlich? Ich hatte mich auf eine zehnseitige Antwort vorbereitet, die Antwort war dann aber nur ein Satz: When it delights people and when it helps people. Wenn ich irgendwas machen kann, ganz egal ob in der Architektur, im Verpackungsdesign oder im Produktdesign, was die Leute erfreut oder den Leuten hilft – wunderbar! Und am besten beides! Solche Dinge gibt es, aber leider gewöhnen wir uns so schnell an sie, dass wir ihre Qualität gar nicht mehr wahrnehmen.

Nennen Sie mal ein Beispiel.
Also, wenn ich morgen ins Flugzeug steige, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich dieses Wunder der Designgeschichte komplett ignoriere, mich eher darüber ärgere, dass mein Fußabstand ein bisschen zu klein ist oder vielleicht die Stewardess nicht so nett, wie ich es mir wünsche. Neulich habe ich eine Fabrikführung bei einem Autohersteller gemacht, die mich sprachlos gemacht hat. Ich war so beeindruckt von den Prozessen, die da stattfinden, und eben auch von der Entwicklung der menschlichen Kultur, die es möglich macht, so etwas auf die Beine zu stellen. Das Ballett, das die Roboter machen, wenn sie an einem Auto arbeiten, und dieser Tanz, der sich da ergibt! Das hat mich mehr ergriffen als jeder Besuch in der Oper. Und ich bin nicht mal Autofan.

Haben Sie das gemeint, als Sie sagten, gutes Design muss unsere Gefühle ansprechen?
Gutes Design kann extrem glücklich machen. Wenn ich auf Bali bin, leihe ich mir oft einen großen Piaggio-Roller aus. Dann spiele ich mir Songs auf mein iPhone, die ich noch nicht gut kenne, die mich also nicht an Vergangenes erinnern, suche mir eine landschaftlich reizvolle Gegend aus, die wenig befahren ist, sodass ich ohne Helm rumfahren kann, stöpsle die Ohrhörer rein und fahre los. Das funktioniert jedes Mal so gut, dass es mir vor Freude kalt den Rücken runterläuft. Es ist die künstliche Herstellung eines Glücksmoments, bei dem Design eine signifikante Rolle spielt.

Würden Sie sagen, dass es eine Seele der Dinge gibt?
Ich glaube, dass die Einstellung der Leute, die ein Ding gestalten, die Leidenschaft, der Mut, in dieses gestaltete Ding übergehen und im besten Falle sogar dem Benutzer bewusst werden. Ein gestaltetes Ding spiegelt ja immer die Seele seines Erschaffers.

Fotos: Andreas Laszlo Konrath