Die stecken doch alle unter einer Decke!

Und genau das ist das Gute. Seit Monaten demonstrieren junge Menschen auf der ganzen Welt für eine gerechtere Gesellschaft, in den USA und Syrien, in England und Israel. Wir haben vier Aktivisten aus diesen Ländern zum Gespräch gebeten: Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Wie lebt es sich in einem Protestcamp? Und wie sieht die Zukunft aus, von der sie alle träumen?


München an einem Oktobertag, 11 Uhr, das »Café Kosmos«, eine Studentenkneipe im Bahnhofsviertel, hat gerade aufgemacht. Zur Begrüßung geben sich Kristen, Nathan, Dellair und Bar die Hand. Sie sind sich noch fremd, vor ein paar Stunden erst haben sie sich kennengelernt, vier junge Menschen aus drei Kontinenten, alle Anfang 20. Das »SZ-Magazin« hat sie nach München eingeladen, um mit ihnen über das zu sprechen, was seit Monaten ihr Leben bestimmt: den Protest.

Bar bestellt sich einen Kaffee, sie hat die Nacht im Flieger verbracht, Tel Aviv–Brüssel–München. Sie trägt Schlaghose und Strickjacke, man könnte sie sich gut als Rucksackreisende in Indien vorstellen. In Tel Aviv hat sie wochenlang auf dem Rothschild-Boulevard gecampt, um gegen hohe Mieten zu protestieren. Neben ihr sitzt Dellair, mit dem sie sich kurz auf Arabisch unterhält, nicht jeder Israeli kann oder will das. Dellair kommt aus Syrien, er hat dort gegen das Regime Präsident Assads demonstriert. Vor ihm, auf dem Tisch, liegt ein Zettel mit Vokabeln, englisch–arabisch, die er für das Gespräch herausgesucht hat. »Heckenschütze«, »Trauerzug«, »Flüchtlingslager«. Dellair ist zum ersten Mal in Deutschland, gestern Abend hat er Spanferkelschnitzel mit Pfifferlingen gegessen. Er ist zwar Muslim, sieht das aber nicht so eng.

Nathan gähnt, er hat schlecht geschlafen, »zu nervös«, sagt er. Wegen des Interviews? »Ja, aber auch wegen der unbekannten Umgebung.« Nathan, der ein Sohn von Muhammad Ali sein könnte, ist noch nicht oft aus seinem Viertel in London rausgekommen. Im August wurden in seiner Straße Läden geplündert und Feuer gelegt, es waren die schwersten Ausschreitungen seit 25 Jahren. Seither sitzen viele seiner Freunde im Gefängnis.

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Zuletzt stellt sich Kristen vor, sie lebt in New York und unterstützt die Occupy- Wall-Street-Bewegung seit dem ersten Tag. Die Statistiken über Jugendarbeitslosigkeit und Einkommensunterschiede kennt sie auswendig, sie ist ein politischer Mensch, engagiert. Gestern, als sie in München angekommen ist, hat sie sich als Erstes die KZ-Gedenkstätte in Dachau angeschaut. Im Gegensatz zu Dellair, der ständig lacht, wirkt Kristen ernst und konzentriert.

SZ-Magazin: Kristen, du hast vor Kurzem dein Studium in New York abgeschlossen. Anfang Oktober wurdest du verhaftet. Warum?
Kristen: Weil ich für ein gerechteres Amerika protestierte. Zusammen mit 3000 anderen Occupy-Wall-Street-Aktivisten bin ich über die Brooklyn Bridge marschiert, wir hatten Spruchbänder dabei und skandierten: »So sieht Demokratie aus!« Irgendwann hat die Polizei uns eingekesselt und festgenommen.

Hast du dich gewehrt?
Kristen: Nein. Ich kannte ja die You-Tube-Videos von einem früheren Protest, bei dem Polizisten ein paar friedlich demonstrierenden Frauen Pfefferspray ins Gesicht sprühten. Aber ich muss auch zugeben: Bei unserer Verhaftung war die Stimmung recht ausgelassen. Wir haben im Regen gestanden und Umbrella von Rihanna gesungen. Irgendwann hat uns die Polizei mit Bussen ins Gefängnis gebracht. Unterwegs hat ein Polizist dauernd Witze gemacht.
Dellair: Witze? Wirklich?
Kristen: Er meinte zum Bespiel: Hebt eure Hand, wenn ihr Vegetarier seid – dabei hatte er uns kurz vorher die Hände mit Kabelbindern hinter dem Rücken gefesselt. Wir konnten darüber lachen.

War es das erste Mal, dass du in einem Gefängnis warst?
Kristen: Ja, und ich war erstaunt, wie schäbig es dort aussieht. Die Beamten schreiben ihre Protokolle auf uralten Schreibmaschinen. Total absurd. Wir protestieren gegen Budgetkürzungen im öffentlichen Dienst, und die Leute, die uns dafür festnehmen, sind der lebende Beweis, wie schlecht dort die Arbeitsbedingungen sind. Diese

Massenverhaftung hat Occupy Wall Street weltweit bekannt gemacht – worum geht es euch?
Kristen: Um eine Neuordnung des wirtschaftlichen und sozialen Systems. Das hört sich jetzt wahnsinnig unkonkret an, ich weiß, aber wir sind keine Partei, sondern eine Bewegung. Die Leute fragen uns immer, welche konkreten Forderungen wir haben, aber uns geht es um etwas Grundlegenderes.
Bar: Das kenne ich. Auch von uns will die israelische Regierung immer wissen: Was sind eure Forderungen? Wer repräsentiert euch? Als ob sie uns eine Frist setzen wollten. Aber es gibt keine Frist, es ist schließlich unser Leben!

In Israel sind die Menschen – zumindest am Anfang – gegen hohe Mieten auf die Straße gegangen.
Bar: Ja, das stimmt. Zu Beginn waren es vor allem Studenten wie ich, die ihre Zelte auf dem Rothschild-Boulevard aufgebaut haben. Das ist eines der nobelsten Viertel in Tel Aviv. Unser Regierungschef Netanjahu hat sich über uns lustig gemacht: Wir seien doch nur Sushi-Esser und Wasserpfeifenraucher, die verhätschelte Mittelschicht, wir sollten uns nicht so anstellen. Aber ich bin 21 und lebe immer noch bei meiner Mutter. Sie verdient nicht schlecht, aber wir können uns trotzdem nur eine kleine Wohnung leisten, eine eigene Wohnung ist für mich unbezahlbar. Bei meiner Mutter habe ich kein eigenes Zimmer, sondern nur einen Bereich in der Wohnung, der mit einem Vorhang abgetrennt ist.
Nathan: Du hast nicht mal eine Zimmertür?
Bar: Nein.
Nathan: In England hat jeder eine Tür. Man muss doch mal allein sein. Ich teile mir mein Zimmer zwar mit meinem Bruder, aber wenn ich Ärger mit meinem Vater habe, bei dem wir leben, kann ich wenigstens die Tür zumachen.
Bar: In Tel Aviv geht es vielen jungen Leuten wie mir, das Camp auf dem Rothschild-Boulevard ist daher immer größer geworden. Und mit der Zeit kamen auch Menschen aus den Armenvierteln, Migranten und illegale Flüchtlinge. Und die Demonstrationen weiteten sich aus aufs ganze Land. Bei einigen Demos protestierten eine halbe Million Menschen! Da ging es dann nicht mehr nur um Mieten, sondern um ein besseres Leben für alle, wie jetzt in New York.

Auch die Bilder ähneln sich: Menschen, die in Innenstädten campieren. Wie lebt es sich in so einer Zeltstadt?
Kristen: In den ersten Tagen mussten wir ganz grundsätzliche Sachen klären. Wo gibt es Toiletten? Wie kriegen wir Strom? Was essen wir?
Bar: In Tel Aviv haben wir den Strom von Straßenlaternen abgezapft. Und die teuren Restaurants in der Umgebung haben uns ihre Toiletten benutzen lassen, sie fanden unseren Protest irgendwie toll. Jeder hat uns geliebt, wir waren ja die Guten. Inzwischen gibt es das Camp auf dem Rothschild-Boulevard aber nicht mehr, der Protest hat sich auf ärmere Stadtteile verlagert, vor allem im Süden Tel Avivs. Da stehen jetzt die Zelte, die Versorgung dort ist komplizierter.
Kristen: Wir bekommen viele Essensspenden, am Anfang vor allem Pizza, da haben die Leute einfach einen Pizzaservice angerufen, per Kreditkarte bezahlt, und ihn zu uns in den Zuccotti-Park geschickt. Der Park liegt mitten im Finanzdistrikt von Manhattan. Inzwischen haben wir eine Kochecke eingerichtet, es gibt vegetarisches Essen, viel frisches Obst, wir wollen uns ja ausgewogen ernähren. Wir haben auch eine Bibliothek, einen Kindergarten, in einer Ecke des Parks spielen tagsüber Trommler. Auf die Toilette gehen wir zu »McDonald’s«, die haben 24 Stunden auf und sind vom Park nur ein paar Meter entfernt. Manchmal ist die Schlange hundert Meter lang. Aber die von »McDonald’s« beschweren sich nicht, bei »Burger King« dürfen wir nicht mehr aufs Klo, die haben irgendwann aufgehört, uns cool zu finden.

Das klingt alles eher nach Ferienlager als nach Protest.

Kristen: Ich sehe es eher als gelebte Demokratie. Jeder kann in die Zeltstadt kommen, auch Obdachlose und Kriegsveteranen, die in der Politik keine Stimme haben. Unser Slogan ist: Wir sind die 99 Prozent. Es gibt jeden Abend, mitten in diesem Park in Manhattan, eine Vollversammlung, auf der jeder sprechen darf. Das ist in unserem so hierarchisch organisierten Land schon eine Besonderheit. Unser Protest ist also auch eine Art Experiment für ein neues Miteinander: Wir haben keine Anführer, alle sind gleichberechtigt, Geld interessiert hier niemanden.
Bar: In Israel habe ich viele Freunde, die schlau über das kapitalistische System philosophieren oder sich über die Korruption in der Politik aufregen, aber sie haben sich nie mit denen unterhalten, die wirklich die Verlierer des Systems sind. In den Protestcamps haben sie nun die Chance, nicht nur über Ideologien zu reden, sondern – entschuldigt bitte die Hippie-Sprache – Menschen zu sein.
Kristen: Genau! Das Großartige an Occupy Wall Street und all den anderen Protesten ist doch, dass die Macht wieder bei den Menschen ist. Ich meine, wenn man zum Beispiel Obdachlose mit Essensmarken abspeist, dann bekämpft man doch nur Symptome. Viel besser wäre es, diesen Menschen den Raum zu geben damit sie ihr eigenes Gemüse anbauen, ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Kein Zwang, sondern eigener Wille – dafür steht Occupy Wall Street.

»Wenn man in Syrien demonstrieren geht, muss man damit rechnen, getötet zu werden.«

Aber ist es nicht naiv zu glauben, man müsse eine solche Welt einfach nur vorleben, dann stellt sie sich irgendwann von selbst ein? Fehlt es nicht doch an einer klaren Agenda?
Kristen: Die reichsten Amerikaner – ein Prozent der Bevölkerung – besitzen 40 Prozent des Vermögens. Wenn ihr unbedingt ein Ziel hören wollt, dann ist es dies: dass diese Ungerechtigkeit aufhört. Wir wollen, dass die Reichen mehr Steuern zahlen. Das ist ein Ziel. Wir wollen keine Sparpolitik, an der vor allem Alleinerziehende, Kinder und Menschen, die sich keine Krankenversicherung leisten können, zu leiden haben. Wir brauchen keine Bank of America – wir wollen Schulen, die vernünftig ausgestattet sind. Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, und diese Banken sind too big to fail, zu groß, um zu scheitern? Das ist nicht fair!

Die Gefahr wird sein, dass der Occupy-Wall-Street-Protest über den Winter einschläft. Der linke Philosoph Slavoj Žižek hat kürzlich davor gewarnt. Er hat in New York eine Rede gehalten und euch das Versprechen abgenommen, dass ihr nicht einfach eines Tages nach Hause geht und euch dann einmal im Jahr zum Biertrinken trefft, nach dem Motto: Ach, das war schon eine tolle Zeit damals im Protestcamp.
Kristen: Die amerikanische Wirtschaft basiert auf der Ausbeutung der Mehrheit durch eine privilegierte Minderheit, das wird sich nicht über den Winter ändern. Deshalb werden wir weitermachen.
Bar: Und bei uns in Israel können viele Demonstranten ja gar nicht nach Hause gehen. Sie haben kein Zuhause. Sie sind Flüchtlinge.

Kristen, du hast eben von euren Versammlungen in New York erzählt, an denen mehrere Hundert Menschen teilnehmen. Um trotzdem zu einem Konsens zu kommen, habt ihr euch bestimmte Kommunikationsregeln ausgedacht.
Kristen: Ja, es gibt Handzeichen. Bei unseren Versammlungen kann man damit recht schnell ausdrücken, was man denkt: Ja und Nein oder ob über ein Thema noch länger geredet werden soll. Leider dürfen wir im Park keine Lautsprecher aufstellen. Damit jeder die einzelnen Redebeiträge akustisch versteht, werden sie von allen Zuhörern laut wiederholt. Wir nennen das das menschliche Mikrofon.
Bar: In Tel Aviv benutzen wir genau dieselben Zeichen. Aber bei uns gibt es kein Nein. Stattdessen sagt man einfach, was man sagen will, und wenn keiner zustimmt, hört man eben auf.
Nathan: Bei den Protesten in England hat kein Mensch solche Handzeichen benutzt. Die Leute haben ihre Hände für andere Sachen gebraucht. Um Steine auf Polizisten zu werfen oder um mit Brechstangen die Türen von Geschäften aufzustemmen.

Das waren die Krawalle im August. Mittlerweile gibt es Ableger von Occupy Wall Street auf der ganzen Welt, in Frankfurt, auch in London. Machst du mit, Nathan?
Nathan: Ehrlich gesagt habe ich gestern zum ersten Mal davon gehört, als ich im Hotelzimmer CNN geguckt habe. Aber dort hieß es: Diese Proteste sind schon wieder am Abklingen.
Kristen: Das sagen sie im Fernsehen? Quatsch! Die Bewegung kommt doch gerade erst in Fahrt.
Nathan: Na ja, die Medien wollen wahrscheinlich nicht, dass die Leute Angst bekommen vor sozialen Unruhen. Oder dass sich die Zuschauer den Protesten anschließen. Das ist ja eine bessere Taktik, als einfach die Demonstranten festzunehmen – einfach behaupten, dass diese Proteste nichts bringen und es sich gar nicht lohnt, da hinzugehen.
Dellair: Das ist nicht wahr, jeder Protest bringt etwas. Schaut nach Syrien!

Dort kämpft das Regime von Präsident Baschar al-Assad seit Monaten gegen das eigene Volk. Es herrscht Angst und Gewalt, nichts ist entschieden.
Dellair: Ja, aber aus ein paar kleinen Demonstrationen ist eine Massenbewegung geworden. Ich bin Ende Januar das erste Mal in Damaskus auf die Straße gegangen. Ich hatte mich mit Freunden vor der ägyptischen Botschaft verabredet, wir haben Kerzen angezündet für die Menschen, die während der Proteste in Ägypten gestorben waren. Wir waren nicht besonders viele, 50 junge Menschen vielleicht, aber wir wollten unsere Solidarität zeigen. Dann kamen syrische Polizisten mit Knüppeln und haben uns vertrieben.

Warum habt ihr trotz der Polizeigewalt weiterdemonstriert?
Dellair: Weil es im Grunde ja nicht um Ägypten ging, sondern um uns, um Syrien. Wir wollen Rechte. Und Freiheit. Bei der nächsten Demonstration waren wir dann auch schon mehr.

Welche Unfreiheiten hast du erlebt?
Dellair: Ich habe eine Videokamera und würde gern Dokumentarfilme drehen, ohne Angst zu haben, dafür ins Gefängnis gesteckt zu werden. Ich liebe auch das Theater und würde gern Stücke schreiben, ohne Angst zu haben, dafür verhaftet zu werden. Aber in Syrien ist so etwas nicht möglich. Für alles braucht man die Erlaubnis des Staates, selbst eine Geburtstagsparty muss man bei der Polizei anmelden.
Kristen: Und was, wenn man die Party nicht anmeldet?
Dellair: Dann kommen Polizisten zu dir nach Hause und verlangen Geld oder nehmen dich fest. Oder du musst wirklich sehr leise feiern, damit es niemand mitbekommt.

Gestern hast du uns von einem Brief erzählt, den du kurz nach deiner ersten Demonstration geschrieben hast. Ein Abschiedsbrief.
Dellair: Wenn man in Syrien demonstrieren geht, muss man damit rechnen, getötet zu werden. Ich habe diesen Brief geschrieben, als ich merkte, dass mich der Geheimdienst beobachtet.

Woran merkt man das?
Dellair: Wenn ich telefonierte, knackte es in der Leitung, und auf der Straße hat mich jemand verfolgt.
Kristen: Du warst tatsächlich bereit, für deine Sache zu sterben?
Dellair: Ich war bereit zu sterben, ja.
Nathan: Ich habe großen Respekt vor dir, Dellair. Und ich kann dich verstehen. Denn es ist doch so: Wenn sie dir deine Freiheit nehmen, haben sie dir dein Leben sowieso schon genommen. Und wenn du stirbst, hast du immerhin ein Zeichen gesetzt für die zukünftigen Generationen.
Kristen: Ich könnte nicht sagen, dass ich für Occupy Wall Street sterben würde, ich riskiere eine Verhaftung, aber nicht mein Leben. Wenn man jedoch eine Regierung hat, die einen tötet, nur weil man sie kritisiert, dann stellt sich die Frage: »Wie weit bist du bereit zu gehen?« vermutlich ganz anders.

»Um den Schmerz besser zu ertragen, dachte ich an Gandhi und Che Guevara«

Dellair, was stand in deinem Abschiedsbrief?
Dellair: Ich habe meiner Mutter geschrieben, dass sie stolz auf mich sein soll, wenn ich sterbe, dass sie mich so in Erinnerung behalten soll, wie ich bin. Und meine Freunde habe ich gebeten weiterzumachen, weiterzukämpfen. Für ein freies Syrien.
Kristen: Ist deine Familie stolz auf dich?
Dellair: Ja, ich denke schon. Sie hatten natürlich auch Angst um mich, vor allem, als ich dann verhaftet wurde. Ich glaube, es war der 12. April. Ich war in der Uni und wollte gerade auf die Toilette, als ich auf dem Flur einen Mann sah, der schon ein paar Mal vor meinem Haus gestanden hatte. Ich dachte: Der muss mir gefolgt sein. Dann rannte ich los. Raus aus dem Gebäude, aber auf einmal kamen Männer aus allen Richtungen, fünf oder sechs. Sie trugen keine Uniformen, aber das macht der Geheimdienst nie. Sie schnitten mir den Weg ab, ich wollte über einen Zaun klettern, aber dann wurde ich gepackt und zu Boden gerissen. Sie haben mich geschlagen und getreten. Dann haben sie mich zu einem Van geschleift. Dort legten sie mir Handschellen an, verbanden mir die Augen und sperrten mich im hinteren Teil des Wagens ein.

Haben sie dir etwas Konkretes vorgeworfen?
Dellair: Im Auto noch nicht, sondern erst, als ich in einer Art Verhörraum war. Ich musste mich nackt ausziehen, dann haben sie mich wieder geschlagen und getreten. Sie nannten mich einen Spion und sagten, dass ich Israel unterstütze, dass ich will, dass Israel in Syrien einmarschiert. Sie warfen mir Dinge vor, die ich nicht einmal denken würde. Zweimal habe ich das Bewusstsein verloren. Sie haben mir dann kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet, damit ich wieder aufwache. Um den Schmerz besser zu ertragen, dachte ich an Gandhi und Che Guevara, das hat irgendwie geholfen.

Wie lange wurdest du gefoltert?
Dellair: Ich weiß es nicht genau. Ich wurde morgens gegen neun Uhr verhaftet, dann in den Verhörraum gebracht, und als ich fliehen konnte, war es schon dunkel.
Kirsten: Du konntest fliehen?
Dellair: Ja, es war Glück. Sie wollten mich in ein anderes Gefängnis bringen, und auf der Fahrt dorthin hat mich der Polizist, der mit mir im Auto saß, einfach laufen lassen. Er kannte mich, weil er im gleichen Viertel wie meine Eltern wohnt. Ich bin erst mal losgerannt und habe mich dann bei einer Freundin versteckt, in meine eigene Wohnung oder zu meinen Eltern konnte ich nicht zurück.

Wann hast du deine Eltern wiedergesehen?
Dellair: Am Tag bevor ich in die Türkei geflohen bin, etwa zwei Wochen nach meiner Verhaftung. Ich wollte mich von ihnen verabschieden. Sie haben geweint und wollten nicht, dass ich gehe, aber ich hatte keine Wahl. Ich bin dann Richtung Norden zur türkischen Grenze gefahren und habe einen syrischen Beamten bestochen, dass er mich über die Grenze ließ.
Bar: Hattest du irgendetwas dabei? Gepäck?
Dellair: Nur einen Rucksack mit ein paar Klamotten und ein paar Büchern. Meine Eltern haben mir dann meinen Laptop nach Istanbul geschickt. Es war ein harter Weg dorthin. Drei Tage mit dem Bus, über Antakya und Ankara. Mir tat noch immer alles weh, von den Schlägen und Tritten. Und ich spreche kein Türkisch. In Istanbul bin ich dann bei einer Freundin meines Bruders untergekommen. Mein Bruder lebt in London, er ist schon vor sieben Jahren aus Syrien geflohen. Ich hatte kaum Geld. Ich erinnere mich an zwei, drei Tage, an denen ich nur im Bett lag. Und jedes Mal, wenn ich auf die Toilette musste, war Blut im Stuhl.
Bar: Du bist wirklich mutig. Ich muss die ganze Zeit daran denken, wie viel Glück ich mit meinem Leben habe.

Wie steht ihr in Israel zu den Protesten in Syrien?
Bar: Ich kann nur für mich sprechen. Israel grenzt an Syrien, wir sind Nachbarn: Natürlich unterstütze ich die Demonstrationen meiner Brüder und Schwestern dort, auch wenn meine Regierung nicht will, dass ich überhaupt mit Syrern spreche. Im Oktober sind Bekannte von mir an die syrische Grenze gefahren und haben Luftballons steigen lassen und Schilder hochgehalten, auf denen stand: »I care about you«.

Und du, Dellair, fühlst du auch eine Verbindung zu den Protesten in Israel und New York?
Dellair: Ja und nein. Ich demonstriere nicht gegen Banken, sondern für ein normales Leben, aber ich kann die Menschen schon verstehen. Würde ich in New York leben, würde ich vermutlich auch bei Occupy Wall Street mitmachen. Ich glaube, es liegt immer daran, in welche Familie man geboren worden ist. Ich komme aus der Mittelschicht, ich habe studiert, Bar und Kristen auch. Ihr seid wie ich.
Bar: Ich fühle mich oft in einem Dilemma. Ich habe ja schon erzählt, dass in den Protestcamps in Tel Aviv nicht nur Studenten leben, sondern auch viele Flüchtlinge aus Afrika. Die Polizei behandelt sie sehr viel schlechter als uns, und sie können auch nicht mal kurz zu ihren Eltern gehen, um sich zu erholen. Manchmal nehme ich sie mit zu meiner Mutter, damit sie sich duschen können. Am liebsten würde ich zu hundert Prozent solidarisch mit ihnen sein: Ich kann zwar nicht meine Hautfarbe ändern, aber ich habe zum Beispiel Geld und sie nicht. Also sollte ich doch mein Geld mit ihnen teilen! Das hört sich naiv an, aber im Ernst: Warum soll ich reicher sein als ein Flüchtling aus Afrika? Andererseits: Wenn ich so schwach bin wie er, habe ich keinen Einfluss mehr, dann verliere ich meine Macht, die Situation zu ändern. Vielleicht ist es also besser, mein Privileg zu nutzen und mit meinem Geld zum Beispiel eine Kamera zu kaufen, denn Polizisten halten sich zurück, wenn sie wissen, dass sie gefilmt werden.
Kristen: Ich komme auch aus einer privilegierten Familie. Ich habe an der New York University Journalismus studiert, aber als Journalistin werde ich wohl kaum reich werden. Ich kann mir dieses Leben also nur leisten, weil meine Eltern Geld haben und mich unterstützen. Mein Vater ist Anwalt. Er hat als Erster in seiner Familie studiert und sich hochgearbeitet. Er hat also diesen amerikanischen Traum gelebt, der uns schon im Grundschulalter eingetrichtert wird: Arbeite hart, und du kannst alles schaffen. Meine Generation hat genau das getan – wir sind an die Uni gegangen und haben absurd viel Geld in unser Studium investiert. Trotzdem finden viele keine Jobs, 25 Prozent der Uniabsolventen sind arbeitslos. Jeder sechste Amerikaner lebt heute unterhalb der Armutsgrenze. Die Menschen fühlen sich vom Kapitalismus verarscht. Ich bin Journalistin, das ist ein Privileg, ganz klar, aber ich will dieses Privileg nutzen, um für die 99 Prozent einzutreten und ihre Sorgen publik zu machen.

Gilt der Slogan von Occupy Wall Street – Wir sind die 99 Prozent – auch für die Proteste in Syrien, Dellair?
Dellair: Wir haben viele Unterstützer, so große Demonstrationen hat es seit vielen Jahren nicht gegeben. Aber das Regime von Assad ist schon seit fast einem halben Jahrhundert an der Macht, da gibt es natürlich auch eine Menge Leute, die davon profitieren und es unterstützen.

Du hast eben von deiner Zeit in der Türkei erzählt – zuletzt hast du aber in Ägypten gelebt.
Dellair: Nach 90 Tagen ist mein Visum für die Türkei abgelaufen, und ich bin nach Kairo geflogen. Ich kannte dort zwar niemanden, aber wenigstens konnte ich die Sprache verstehen. Die erste Nacht habe ich in einer Bushaltestelle geschlafen, dann hat mir Gott sei Dank wieder mein Bruder geholfen. Er kannte eine Professorin von der American University, sie hat mich aufgenommen, ich durfte bei ihr wohnen und habe ihr im Gegenzug ein wenig im Büro geholfen. Ich bin dann auch wieder zu Demonstrationen gegangen, vor der syrischen Botschaft in Kairo.

Hattest du keine Angst, wieder Ärger zu bekommen? Auch in Ägypten gibt es viele Leute, die das syrische Regime unterstützen.
Dellair: Ich weiß, ich wurde auch in Kairo verfolgt. Sie haben mein Zimmer durchwühlt. Aber Menschen haben Träume, und manche Träume erfordern eben Opfer.

Willst du in deine Wohnung zurück?
Dellair: Nein.

Weißt du, wo du in der nächsten Woche leben wirst?
Dellair: Nein.
Kristen: Du erzählst das alles und lachst dabei. Wie kannst du so positiv bleiben? Dellair: Ich weiß nicht.
Kristen: Du solltest nach New York kommen.
Dellair: Okay, besorg mir ein Visum. (Alle lachen.)
Bar: Nein, ernsthaft: Können wir dir helfen? Ich meine – anstatt immer nur zu reden. Wir können doch auch was tun! Wir sind doch alle Aktivisten.
Dellair: Um ehrlich zu sein, ich will das nicht. Ich möchte meinen Weg allein gehen. Aber es gibt sehr, sehr viele Leute, die Hilfe brauchen, syrische Flüchtlinge in der Türkei und im Libanon zum Beispiel – die Lebensbedingungen in den Lagern sind miserabel. Es fehlt an Essen, Kleidung, Bildung.
Bar: Ich wollte dir nicht zu nahe treten, aber …
Dellair: Wisst ihr, ich habe eine Kamera und kann Filme drehen. Ich habe einen Computer und kann Artikel veröffentlichen. Die Menschen in den Camps haben eure Hilfe sehr viel nötiger als ich.
Bar: Aber du sitzt hier mit Leuten aus England, Amerika und Israel an einem Tisch – wir können doch deine Videos und Artikel wenigstens im Netz verbreiten.
Dellair: Okay, ihr habt mich. Lasst uns bitte über was anderes reden, ich möchte nicht weinen.

»Ich werde immer unzufrieden mit der englischen Regierung sein«

15 Uhr, Pause, erst mal vor die Tür und eine rauchen. Dellairs Geschichte hat die anderen mitgenommen. Aber auch alle näher zusammengebracht. Vor dem »Café Kosmos« bilden die vier einen Kreis, sie wollen mehr voneinander wissen, sprechen über den Armeedienst in Israel, syrische Popmusik und ob man in New York fürs Kiffen eine Anzeige bekommen kann. Dellair erzählt Bar, dass er sich zuvor noch nie mit jemandem aus Israel unterhalten hat. Nathan fragt, ob irgendwer einen Adapter dabeihat, er kann seinen Laptop nicht aufladen, weil der englische Stecker nicht in die deutsche Steckdose passt, das hatte er nicht gewusst. Kristen will unbedingt eine Butterbreze essen, die kennt sie, sie war als Einzige zuvor schon mal in München. Fürs Mittagessen einigen sie sich dann aber auf einen Vietnam-Imbiss, der auf der anderen Straßenseite liegt. Nathan würde auch gern Döner probieren, er hat gehört, dass die in Deutschland am besten sind, aber Bar und Kristen essen nur vegetarisch. Als die vier wieder ins »Café Kosmos« kommen, bestellen sie Bier.

Hätte es ohne den arabischen Frühling die Proteste in Israel und New York gegeben?
Kristen: Das ist schwierig zu sagen, aber ich glaube kaum. Die Demonstranten in den arabischen Ländern haben uns gezeigt, was es heißt, mutig zu sein, aufzustehen, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Wir von Occupy Wall Street fühlen uns als Teil einer weltweiten Bewegung.
Bar: Beim Protestcamp auf dem Rothschild-Boulevard habe ich ein Schild mit dem Slogan »Rothschild – Tahrir Platz« gesehen. Diesen Bezug gibt es schon.
Nathan: Was in England im August los war, hat mit den Protesten in der arabischen Welt nichts zu tun. Das hatte einen ganz anderen Auslöser.

Aus London wird vor allem ein Eindruck bleiben: Gewalt.
Nathan: Da ist viel schiefgelaufen. Am Anfang ging es nämlich schon um ein konkretes Anliegen: Ein junger Mann wurde bei einer Polizeikontrolle erschossen. Von offizieller Seite hieß es: Er hat zuerst gefeuert. Aber die Beweise waren dubios. Also sind ein paar Leute zur Polizeiwache gefahren und wollten wissen, was da eigentlich passiert ist. Es war eine friedliche Demonstration. Aber dann, als es dunkel wurde, ist die Lage völlig außer Kontrolle geraten. Einige haben Polizeiautos angesteckt, auch Häuser haben gebrannt, und dann sind Leute in Geschäfte eingebrochen. In Sport-Shops, Elektroläden, alles, was in der Nähe war.

Die Krawalle gingen vier Nächte lang. Hast du mitgemacht?
Nathan: Nein, aber viele meiner Freunde. Sie haben mich angerufen: Hey, komm mit, hier gibt es jede Menge Sachen abzustauben. Alles gratis! Sie haben gesagt: Die Polizei hat uns jahrelang mies behandelt, jetzt zahlen wir es ihnen heim.

In den britischen Medien wurden deine Freunde als »wilde Tiere« beschimpft, Premierminister David Cameron nannte sie kriminell.
Nathan: Natürlich sind viele zu weit gegangen. Sie haben Menschen gefährdet, das ist mit nichts zu entschuldigen. Aber auf der anderen Seite kann ich den Frust und die Wut auch verstehen. Vor drei, vier Jahren hätte ich wohl selbst mitgemacht. Viele in meinem Viertel fühlen sich ungerecht behandelt, vor allem Leute mit dunkler Hautfarbe werden ständig von der Polizei kontrolliert, ohne Grund. Ich kenne das. Mir passiert das auch. Die Polizisten wollen dich einfach nur ihre Macht spüren lassen. Wenn du das öfter erlebst, staut sich da was an.

In Deutschland gibt es den Begriff »erlebnisorientierte Jugendliche«, damit sind junge Männer gemeint, die bei Demos randalieren, weil sie ein wenig Aufregung suchen.
Nathan: Ich glaube, die Krawalle in London lassen sich vor allem auf zwei Gründe zurückführen: erstens auf die schlechten Erfahrungen mit der Polizei – und zweitens ist in den vergangenen Jahren überall an den Sozialprogrammen gespart und sind Stellen gestrichen worden, die Leute haben weniger Geld und das Gefühl, dass sich niemand für sie interessiert. Auch ich finde keinen Job, obwohl ich studiert habe, Ökonomie und Jura, damit müsste man doch eigentlich was kriegen.

Könnt ihr anderen Nathans Freunde verstehen?
Kristen: Ja, ein wenig schon. Ich meine, am Anfang sind sie doch vor allem in große Kaufhäuser eingebrochen.
Nathan: Nein, die Leute haben überall geplündert, das war ihnen völlig egal. Die sind nicht in Elektronikmärkte eingebrochen, um gegen Großkonzerne zu protestieren. Die wollten einfach bloß einen neuen Fernseher.

Wie steht ihr grundsätzlich zur Gewalt? Ist sie ein Mittel des Protests, um Forderungen durchzusetzen?
Dellair: Ich finde nicht. Unser Motto in Syrien war immer: Wir wollen lieber getötet werden, als jemand anderen zu töten.
Bar: Es kommt immer auf die Situation an: Gewalt gegen Menschen ist immer ein Verbrechen. Aber Gewalt gegen Dinge? Ich weiß nicht. Auf einer Demonstration in Tel Aviv hat uns die Polizei mit Schlagstöcken attackiert, dann hat irgendwer ein Polizeiauto angezündet. Damit ihr mich nicht falsch versteht: In dem Auto saß niemand, Menschen waren nicht gefährdet. Aber die Polizisten haben dann von uns abgelassen, weil sie erst mal das Auto löschen wollten.
Kristen: Unsere größte Sorge ist ja, dass die Stadt den Zuccotti-Park räumen lässt. Das könnte böse enden. Niemand bekommt gerne Pfefferspray ab. Aber es wäre fatal, wenn unsere friedliche Demonstration in einer Straßenschlacht enden würde. Denn auch wenn es kitschig klingt: Wir wollen ja die Herzen der Bevölkerung erobern, und das gelingt nun mal nicht mit Gewalt.

In Libyen ist Gewalt das Mittel des Protests. Eben wurde gemeldet: Gaddafi ist tot.
Nathan: Echt jetzt?
Dellair: Wow.
Kristen: Prost! Super!
Bar: Yeah. So viel zum Thema Gewaltfreiheit.

Dellair, kannst du abschätzen, was das für die Proteste in Syrien bedeutet?
Dellair: Ich hoffe, dass es bei uns nicht so endet wie in Libyen. Ich will nicht, dass Assad umgebracht wird. Ich will, dass er sich vor einem Gericht verantworten muss. Das wäre für die Zukunft meines Landes am besten.

Die Proteste in Syrien haben ein klares Ziel: den Sturz des Regimes. Was müsste passieren, damit ihr anderen sagt: Genug protestiert, wir haben unser Ziel erreicht?
Bar: Wenn ich das Gefühl habe, dass die israelische Regierung uns endlich ernst nimmt. Uns zuhört und unsere Ideen umsetzt. Aber ich möchte auch etwas Positives sagen, denn wir haben schon sehr viel erreicht! Die Demonstrationen haben unserem Land eine neue Identität gegeben, ein Nationalgefühl, das ausnahmsweise nichts mit Krieg und Gewalt zu tun hat. Einige meiner Freunde haben nach den Protesten zum ersten Mal gesagt: Ich bin stolz, aus Israel zu kommen.
Nathan: Ich glaube, für mich wird dieser Punkt niemals kommen. Ich werde immer unzufrieden mit der englischen Regierung sein. Man muss sich doch nur anschauen, was nach den Krawallen passiert ist: Viele meiner Freunde sitzen jetzt im Gefängnis, obwohl sie nur Turnschuhe oder einen DVD-Player geklaut haben. Das ist doch nicht normal. Die Strafen sind viel zu hoch, das bringt nur neue Wut.
Kristen: Auch ich glaube nicht, dass ich jemals aufhören werde, mich für Occupy Wall Street zu engagieren. Protestbewegungen in einer demokratischen Gesellschaft sind ja nicht einfach vorbei – auch die Bürgerrechts- und die Frauenbewegung gehen ja bis heute weiter. Darf ich zum Schluss auch noch eine Frage stellen?

Aber gern.
Kristen: Wogegen wird eigentlich in Deutschland protestiert?

Die größten Proteste in den vergangenen Jahren richteten sich gegen einen neuen Bahnhof und gegen Atomkraft.
Nathan: Gegen einen Bahnhof? Davon hab ich noch nie gehört.
Kristen: Ich auch nicht.

Jetzt wollen wir noch eine letzte Frage stellen: Wenn ihr morgen nach Hause fliegt – was nehmt ihr aus diesem Gespräch mit?
Nathan: Was es heißt, stark zu sein.
Kristen: Und positiv zu bleiben.
Nathan: Und dabei noch lachen zu können.
Dellair: Ich habe gelernt, dass ich Israelis nicht hasse.

19 Uhr, erschöpft verlassen Kristen, Nathan, Dellair und Bar das »Café Kosmos«. Im Hotel wartet bereits die Fotografin auf sie. Noch einmal zwei Stunden zusammenreißen, doch die Stimmung bleibt gut. Die vier sind trotz des langen Tages erstaunlich gelassen. Sie tauschen Adressen aus, handschriftlich, jeder bekommt einen kleinen Zettel mit drei E-Mail-Adressen. Dann geht es zum Italiener. Nathan bestellt eine Pizza Hawaii – mit extra Champignons und extra Knoblauch. Der Kellner wundert sich nicht: »Immer wenn Engländer hier sind, bestellt einer genau diese Kombination«, sagt er. Dellair fragt nach Aspirin, er hat Kopfschmerzen, wie fast jeden Abend seit seiner Verhaftung. Nach dem Essen stoßen die vier mit Wodka an, einem doppelten, nur Kristen schafft ihren nicht in einem Zug. Auf dem Rückweg zum Hotel hakt sich Bar, die Studentin aus Tel Aviv, bei dem syrischen Aktivisten Dellair ein.

Fotos: Monika Höfler