Graciela Cucchiara: früher Psychologin und Grafikerin, heute Wirtin

Was in der Münchner »Kochgarage« passiert, ist weit mehr als nur Arbeit nach Rezept. Hier werden sogar steife Hamburger weichgekocht.

Graciela Cucchiara ist Italo-Argentinierin, sie mag große Stücke gutes Fleisch. Wenn sie in ihrem manchmal ulkigen Deutsch »Komm, wir machen China!« ruft, passiert das: Sie kauft beim Metzger ein geschlachtetes Schwein, reibt es mit Salz und Kräutern ein, hängt es an einem Haken an die Decke, stellt die Deckenventilatoren an und geht. Nach acht Stunden kommt sie wieder. Dann duftet es nach luftgetrocknetem Schinken. Und Graciela empfängt Gäste in ihrer Münchner »Kochgarage«.

Die Kochgarage ist Graciela Cucchiaras übergroße Wohnküche mit ungewöhnlichem Gastronomiekonzept: Speisekarten, Restaurant-Öffnungszeiten oder professionelle Küchenteams interessieren sie nicht. Rezepte? »Auch nicht.« Sie zeigt anderen Leuten lieber, wie Essen Spaß machen kann, wenn man zusammen kocht und dabei improvisiert. Dafür hat sie einen Industriebau aus den Sechzigerjahren gemietet, in einem Hinterhof mitten in München. Früher rührte hier die Firma Hindelang Kesselmilch zu Käse. Noch immer schlängeln sich die alten Kupferrohre an der Wand entlang. Den großen Tisch ersteigerte Graciela bei Ebay, für 101 Euro, von einem württembergischen Gemeinderat. »Gut Platz für 26 Esser!« Auf einer Empore thront eine riesige Kochinsel mit angrenzender Bar. »Damit jeder in der Küche bleiben kann.«

Als Kind stand sie neben ihrer italienischen Großmutter am Herd und kochte auf dem Kinderherd nach, was die in großen Töpfen brodeln ließ: selbst gemachte Pasta, dunkelrote Tomaten und Kräuter. Graciela Cucchiara, heute 54, liebt die Improvisation. »Rezepte lesen kann jeder«, erklärt sie, »besser, man lernt riechen.« Das kann man hier.

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In der Kochgarage gibt es keine Kochkurse. »Wir machen Kochevents.« In Workshops wird zu Anfang gemeinsam überlegt, was zu einem idealen Menü gehört. Graciela und ihre Schwester Monica kaufen die Zutaten ein, verstehen sich aber nicht als Vorkocher, sondern als Moderatoren. »Beim Kochen kommt man automatisch in Kontakt mit seiner kreativen Ader«, meint Graciela. Sogar steife Hamburger würden schnell weichgekocht. Große Firmen wie BMW, E.on, Danone oder Sony schätzten das »coaching by cooking«, wie Graciela es nennt, von Anfang an. Klar, beim Kochen kann man gut erkennen, wie ein Mensch reagiert, ob er laut »Scheiße« schreit, sobald sein Zucchini-Soufflé zusammenfällt. Oder ob er andere fragt, wie er es retten könnte. Nur ihre Familie, die sei nicht zu coachen, stöhnt Graciela, denn »das sind Latinos!«

Graciela Cucchiaras engstes Küchenhelfer-Team besteht aus ihren fünf Neffen, den Söhnen ihrer Schwester Monica, einer Sängerin. Graciela hat keine Kinder und ließ sich nach 18 Jahren Ehe scheiden. Ihr Exmann zahlte ihren Vermögensanteil aus. Rückblickend war diese Scheidung für alle ein »Glücksfall«. Graciela hat mal Psychologie studiert und als Grafikerin und Fotografin gearbeitet. Das Geld aus dem gemeinsamen Vermögen bot ihr Gelegenheit, endlich ein eigenes Unternehmen zu gründen und ihre Schwester Monica und drei ihrer Söhne von Portugal nach Deutschland zu holen.

Der Kochkurs »Junges Gemüse statt Couch Potatoes!«

Vergangene Ostern stieg die gesamte Familie mit Kochtöpfen und Kamera in den Bus, um durch ganz Italien zu fahren – das war Gracielas Kochschule für die Neffen. Im Piemont zeigte eine 103-jährige Frau den Cucchiaras, wie man Krautwickel dreht. In der Emilia-Romagna lernten sie, Tortellini zu formen. In Apulien gewonnene Freunde kamen kürzlich auf Gegenbesuch in die Kochgarage, um Panzerotti zuzubereiten, gefüllte Nudeltaschen.

Schüler der Münchner Filmhochschule filmen solche Reisen und auch die wichtigsten Veranstaltungen. In der Kochgarage kann man die Filme sehen, der Bildschirm steht neben dem großen Esstisch. Dort sieht man auch Hanka, eine Hausfrau aus Istanbul, die in der Kochgarage kochte. Sie »ließ den Teig tanzen wie Derwische die Röcke«, schwärmt Graciela. Hanka zeigte ihre Kochkunst bei einem der »Opens«. Diese Veranstaltungen nennt Graciela Cucchiara so, weil jeder dabei sein kann, der sich rechtzeitig anmeldet und einen Beitrag fürs Essen zahlt. Und weil dann die Kochinsel zur offenen Bühne wird, für Frauen oder Männer aus aller Welt, die jahrzehntelang gekocht haben, aber keine Profis sind. Was dann? »Wir sind alle wie Mamas.« Mamas, die Kindheitsgefühle wecken und zum Mitmachen einladen. Die »Opens« finden montags statt und füllen die Kochgarage immer komplett.

Der Graciela-Stil hat Erfolg. Im Oktober feierte die Kochgarage ihren zweiten Geburtstag, Graciela lud zur Jubelparty ein: Die Cucchiaras trugen Latzhosen und T-Shirts, auf deren Schulter »Hilf mir!« stand oder »Meine Messer sind scharf«. Monicas Freund Alexandre aus Brasilien bewachte die Tür als »Sircurity«. Monica, ihr Sohn Emanuel und Sabine, ein Gast, starteten eine »Food-Performance mit Crostini«. Andere zogen nach: Alessandra füllte Fladenbrot. Guy kochte Curry. Elfriede briet Wiener Schnitzel, Doris aus Ecuador frittierte Maniokstäbchen mit Tamarillosauce. »Ich netze immer«, erklärt Graciela das ständige Wachstum des Kochgaragen-Teams mit einer ihrer Wortschöpfungen. Sie entdeckt mehr und mehr Menschen aus aller Welt, die gut kochen können. Und plant immer weiter, zum Beispiel den Kochkurs »Junges Gemüse statt Couch Potatoes!« Da zeigen die Cucchiara-Schwestern Männern, was Frauen mögen: »Knackige Zutaten, wenig Fett. Die meisten wissen ja nicht mal, wie man mit Wasser kocht.« Beim letzten Männer-Kochabend kamen am Ende 22 zahlende Frauen zum Sechs-Gänge-Menü.

Graciela Cucchiara hält viel von der deutschen Kochkultur. »Deutsche haben das Wissen, weil sie viel reisen. Und sie sind für alles offen.« In Gracielas Augen sind Deutsche die wahren »Genusstypen«. »Spanier gehen um 23 Uhr essen und um Mitternacht wieder weg. Aber die Deutschen zelebrieren das Essen über viele Stunden.« Das passt zu Gracielas Mama-Konzept.

Wer in der Kochgarage feiern will, dem nehmen die Cucchiaras die Arbeit gern ganz ab. Graciela kauft dann wie eine klassische Hausfrau ein, eine, die wissen will, wo ihre Zutaten herkommen. »Alles, was mir Spaß macht, passt endlich zusammen.« Weihnachten reist sie nach Bahia in Brasilien. Und dann »machen wir kreolisch!«

Fotos: Julian Baumann