Die Gewissensfrage

Darf man mit dem Verkauf von Bratwürsten Spendengelder für ein Tierheim sammeln?

»Um Spendengelder für unser Tierheim zu sammeln, überlegen wir, Bio-Bratwürste zu grillen und zu verkaufen. Bei Festen aller Art erfreuen sich Bratwürste ja immer großer Beliebtheit, und der Erlös soll dazu beitragen, die hohen Kosten des Tierheims zu decken. Ist das ethisch in Ordnung?« Lars O., Gelsenkirchen

»All animals are equal but some animals are more equal than others – Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher«, an diesen Satz musste ich bei Ihrer Frage denken. Er stammt aus George Orwells Roman Animal Farm, »Farm der Tiere«, eine Parabel auf die Oktoberrevolution und den Stalinismus. Bei Orwell sind es die Schweine, die sich mit diesem Satz Herrschaft und Privilegien sichern. Hier ist es umgekehrt: Die Schweine, die in den Würsten stecken, wären vermutlich gern so gleich wie die Haustiere, deren Heim sie durch ihren absoluten Körpereinsatz finanzieren sollen.

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Dabei gibt es eigentlich keinen Grund, warum man Schweine schlechter behandelt als andere Tiere, insbesondere Haustiere. Schweine sind sehr intelligente Tiere – intelligenter als viele Haustiere –, und ihr Körper ist dem des Menschen in vielem ähnlich. Das wissen nicht nur Wissenschaftler, das wusste auch schon Thomas Mann: »Die bewimperten Blauäuglein und die Haut des Schweines haben vom Menschlichen mehr als irgendein Schimpanse – wie ja denn auch der nackte Körper des Menschen sehr oft an das Schwein erinnert.«

Doch woher dann diese Ungleichbehandlung? Wieso wird für manche Tiere, meist typische Haustiere, ein Tierheim gebaut, während andere – nicht nur Schweine – zu Wurst verarbeitet werden? Vermutlich liegt es an einem Gedanken, den Immanuel Kant in seiner Vorlesung über Ethik äußerte, wenn etwa »ein Hund seinem Herrn sehr lange treu gedient hat, so ist das ein Analogon des Verdienstes, deswegen muss ich es belohnen und den Hund, wenn er nicht mehr dienen kann, bis an sein Ende erhalten. Denn dadurch befördere ich meine Pflicht gegen die Menschheit, wo ich solches zu tun schuldig bin.« Für Kant gab es Pflichten gegenüber Tieren nicht primär, sondern lediglich als Ausfluss oder Übung der Pflichten gegenüber Menschen. Das halte ich für falsch, meines Erachtens hat man auch gegenüber Tieren direkte Pflichten, in Kants Ethik aber ist es logisch.

Eine Ungleichbehandlung von Haustieren und Schlachttieren, dass man die einen verwurstet, um von dem Erlös die anderen zu päppeln, deutet darauf hin, dass man im Sinne Kants an den Haustieren vor allem ihre Beziehung zum Menschen schätzt und weniger das Tier als solches. Wer aber Tiere allgemein liebt, kann nur schwer für ein Tierheim Bratwürste verkaufen.

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Quellen:

Thomas Mann, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1965

Immanuel Kant, Eine Vorlesung über Ethik, Herausgegeben von Gerd Gerhardt, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1990. IX. [Von den Pflichten gegen Nichtmenschliches] 1. Von den Pflichten gegen Tiere und Geister, S. 256ff.

George Orwell, Farm der Tiere: Ein Märchen. Diogenes Verlag 1973. Englisch: Animal Farm. A Fairy Story, Penguin Books, London 2008

Illustration: Marc Herold