Ein gutes Zeichen?

Manche Städte setzen jetzt auf besonders geistreiche Verkehrszeichen. Mit hintergründigem Humor sollen die Verkehrsteilnehmer belehrt werden - das stößt nicht nur auf Zustimmung.

Der Hamburger gilt ja als eher steifer Geselle. Aber manchmal versucht er es durchaus mit so was Ähnlichem wie Charme.

Mag sein, dass Gott einen seltsamen Sinn für Humor hat, aber der Staat scherzt nicht. Das Finanzamt macht keine Witze (jedenfalls nicht mit Absicht). Die Bußgeldstelle versieht ihre Verwarnungsschreiben nicht mit Zwinker-Smileys, egal, wie albern der Gesichtsausdruck des Fahrzeughalters auf dem Foto ist. Es mag sein, dass manche seiner Repräsentanten lächerlich sind, aber: Der Staat und seine kommunalen Verwaltungsorgane begegnen uns nüchtern, mit beruhigendem Ernst. Es sei denn, man fährt mit dem Fahrrad über eine Kurpromenade oder einen anderen beliebten, schönen Weg, der nur für Fußgänger gedacht ist. Dann wird der Bürgermeister, das Bezirksamt oder die Kurverwaltung geistreich augenzwinkernd und bringt allen Ernstes Schilder an, auf denen steht: »Vernünftige fahren hier nicht mit dem Rad. Anderen ist es verboten.«

Varianten solcher Schilder haben sich in den letzten dreißig Jahren scheinbar wie von selbst in Deutschland ausgebreitet. Es heißt, viele könnten darüber schmunzeln. Heinz Lorenzen, Bürgermeister von Wyk auf Föhr, wo an der Strandpromenade fünf solcher Schilder stehen, berichtet: »Besonders schön ist die Reaktion von Kindern. Die lesen das und rufen dann, wenn sie einen Radfahrer sehen: Guck mal, der kann nicht lesen!« Carsten Butenschön, Fachamtsleiter für Management des öffentlichen Raums beim Bezirksamt Hamburg-Altona und für drei »Vernünftige«-Schilder zuständig, findet sie »ungewöhnlich, aber nicht negativ ungewöhnlich: Sie fallen auf und regen zum Nachdenken an.«

Meistgelesen diese Woche:

Ungewöhnlich ist nicht nur, dass das Schild aus dem Kanon des Vertrauten ausbricht: Weiße Fußgänger-Mami mit Fußgänger-Kind auf blauem Rund bedeutet »Fußgänger ja, Radfahrer nein«, Ende der Durchsage. Der »Vernünftige«-Aphorismus hingegen arbeitet auf so vielen Bedeutungsebenen, dass man kaum weiß, ob er tief- oder abgründig ist. Normalerweise teilt das Amt einem mit, was verboten ist und was erlaubt, und wenn man sich nicht dran hält, wird man vielleicht erwischt, und das bedeutet: Ordnungswidrigkeit und Bußgeld. Saubere Sache, ohne moralische Wertung.

Moralische Wertung steht hier aber ganz oben, auf Ebene eins: Der Staat sagt, dass du unvernünftig bist, wenn du dich nicht an seine Regeln hältst. Und er lobt dich ausdrücklich, wenn du es tust. Ebene zwei: Der Staat teilt seine Bürger ein, in Vernünftige und »andere«. Ebene drei: Der Staat tut so, als gäbe es Regeln nur, weil manche einfach zu blöd sind; wenn alle »vernünftig« wären, würde ja niemand mit dem Rad fahren, wo’s verboten ist. All dies verbrämt mit einem scheinbar aufklärerischen Ansatz: Vernunft, Baby! Die abzulehnen hieße ja, Voltaire und Kant über den Haufen zu fahren. Mit dem Rad.

Die Frage ist ja: Wie kommt man überhaupt auf so ein Schild? Wem ist es eingefallen? Rückwärts erzählt hat der Siegeszug der Vernunft sich in etwa so abgespielt: 2007 wurden die Schilder im Hamburger Bezirk Altona an einem recht engen, zwischen Fußgängern und Radfahrern immer wieder heftig umkämpften Gehweg am Elbufer aufgestellt. Ein Bezirkspolitiker hatte im Verkehrsausschuss Fotos des Schildes gezeigt, das er im Urlaub auf der Kurpromenade in Westerland auf Sylt gesehen hatte. Mutmaßlich haben die Sylter die Idee in den Neunzigerjahren von den Föhrern übernommen, wo fünf derartige Schilder bereits seit 1985 am Sandwall, der Hauptflaniermeile, stehen. Heinz Lorenzen, Bürgermeister von Wyk auf Föhr, vermutete erst, dass einer seiner Vorgänger das Schild ebenfalls im Urlaub gesehen habe. Angeregt durch unsere Nachfrage erreichte er diesen Vorvorgänger Dieter Haver »im Rentnerleben auf den Kanaren« und fand heraus: Das Schild war »ein Eigengewächs«, Haver habe es im Mai 1977, als er auf der Insel Baltrum »in die Bürgermeisterlehre« gegangen sei, für die dortige Kurpromenade erfunden, wo es heute noch stehe. Bürgermeister Haver habe etwas gegen den »harten Ton strenger Verbotsschilder« gehabt und daher den »sanften, hintergründigen Humor« gewählt. Seitdem stecken sich fahrradgeplagte Kommunalpolitiker im Urlaub mit der Idee an, das Schild zu Hause auf ihre Promenade zu stellen. Das Schild verbreitet sich viral.

Aber wirkt das Schild überhaupt besser als reguläre Schilder aus dem amtlichen Verkehrszeichenkatalog? Im Alltag verursacht ja nichts so viel Leidenschaft und Aggression wie die Teilnahme am Verkehrsgeschehen. Vor allem, wenn es ums Radfahren geht, sagt Bettina Cibulski vom ADFC, »ist immer wieder zu beobachten, dass die Sachebene verlassen wird«. Aus ihrer Sicht bewirke »das Fantasiezeichen« genau das Gegenteil: »Es provoziert und verärgert.« Und es sage auch viel über die »mangelnde Anerkennung des Verkehrsmittels Fahrrad«, dass es vergleichbare Schilder nicht für Autofahrer gebe.

Tatsächlich rätselhaft ist ja: Warum hat sich die autoritäre Cleverness von »Vernünftige fahren hier nicht Rad. Anderen ist es verboten« nicht längst auf andere Bereiche ausgedehnt? An jeder notorischen Staustrecke könnte stehen: »Vernünftige fahren hier nicht Auto, anderen ist es unmöglich.« Klar könnte die Stadtbücherei schreiben: »Vernünftige halten Rückgabefristen ein, andere zahlen Säumnisgebühren.« Das Prinzip lässt sich beliebig variieren, mit »Vernunft« geht alles, und dadurch wird am Ende jede Feststellung, die sich darauf beruft, trivial. Vielleicht ist dies das eigentlich Verstörende an der Ausbreitung des Schildes: dass es so schlicht ist. Wie ein Witz, der originell und vielleicht sogar charmant war, als ein junger Bürgermeister ihn sich zum ersten Mal ausdachte, dessen Pointe einen inzwischen aber längst nicht mehr überrascht und den man zu allem Überfluss an allen schönen Orten des Landes erzählt bekommt, von Sylt bis nach Mittenwald in den Alpen, wieder und wieder. So lange, bis einem die Unvernunft als süßeste Verlockung von allen erscheint.