Die 30-jährige Jessica Alba

Sie nahm jedes Angebot an, sie wollte es allen recht machen. Heute ist die Schauspielerin wählerischer. Und hat ihre Gründe.

SZ-Magazin: Frau Alba, mit 30 wird es ernst, sagt man. Empfinden Sie sich jetzt als erwachsene Frau?
Jessica Alba: Erwachsen? Sagen wir so: Ich fühle mich freier, je älter ich werde. Ich bin eine freie Frau, und das finde ich sehr, sehr angenehm.

Ist Freiheit ein anderes Wort fürs Erwachsensein?

Glaube ich nicht. Zum Erwachsensein gehört ja nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung. Ich habe früh in meinem Leben Verantwortung übernommen – zum Beispiel als ich mit 13 Jahren die Hauptrolle in der TV-Serie Flipper spielte. Da hing das Projekt davon ab, dass ich jeden Morgen die Disziplin aufbrachte, mein Bestes zu geben. Ich hatte nie ein Problem damit, die Ansprüche anderer an mich zu erfüllen. Andererseits habe ich mich noch mit 25 oder 26 total unfrei in meinen Entscheidungen gefühlt.

Wovon oder von wem haben Sie sich seitdem befreit?
Damals war ich sehr darauf bedacht, es den Leuten in meinem Umfeld recht zu machen. Ich habe jeden Film und jeden Werbejob angenommen, den meine Agenten mir vorschlugen, weil ich nicht den Mut hatte zu widersprechen. Und am Drehort habe ich mich bemüht, die Wünsche aller zu erfüllen.

Warum?
Gute Frage. Kann ich mir heute auch nicht mehr erklären. Vielleicht war ich eine Streberin. Als junges Mädchen wollte ich unbedingt erfolgreich sein und habe dem Erfolg alles untergeordnet. Ich habe manchmal ein ganzes Jahr ohne Pause gearbeitet, mir aber eigentlich nie Gedanken gemacht, die über den jeweiligen Job hinausgingen.

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Denken Sie, dass Sie zu früh angefangen haben zu arbeiten?
Denke ich nicht. Ich wollte unbedingt Schauspielerin sein, niemand hätte mich aufhalten können. Und meine Neigung, es allen recht machen zu wollen, hätte sich bestimmt auch bei einer anderen Karriere entwickelt.

Wann haben Sie festgestellt, dass Sie auch mal Nein sagen können?
Meine erste Tochter, Honor, ist im Juni 2008 geboren, an diesem Tag hat sich mein Blick auf die Welt verändert. Ich habe ein Jahr Pause vom Film gemacht und hatte viel Zeit zum Nachdenken. Und habe festgestellt: Es gibt wichtigere Dinge, als Filme zu drehen. Als mein Mutterschaftsurlaub zu Ende ging, haben mir meine Agenten diese oder jene Rolle angeboten. Aber sie haben eine neue Jessica kennengelernt. Ich konnte nicht wieder zurück zu einem Leben, in dem ich von Job zu Job hechle, nur weil ich einen lukrativen Vertrag unterzeichnet habe. Da hat es natürlich geholfen, dass ich bereits genug Geld verdient hatte, um unabhängig zu sein.

Welche Projekte haben Sie denn abgesagt?
Ach, ich rede nicht über solche Details. In den letzten beiden Jahren habe ich mich übrigens vor allem meiner Firma gewidmet, was mir ganz neue Horizonte eröffnet hat.

Welche Firma haben Sie denn?
Einen Internetversand namens Honest.com. Wir sind die erste Website, die Bio-Babybedarf verkauft. Wir stellen unsere eigenen Windeln, Cremes und Seifen her – alles frei von Giftstoffen. Im Januar haben wir angefangen, und bislang übertrifft der Umsatz alle Erwartungen.

Glückwunsch. Welche Position haben Sie im Unternehmen?
Ich bin Mitgründerin und Vorstand.

Wollen Sie sich auf die Firma konzentrieren oder wieder häufiger Filme drehen?

Was mir vorher nicht klar war: wie unfassbar anstrengend es ist, eine Firma zu gründen, und wie viele Entscheidungen man treffen muss, vom Personal bis zu den Produkten. Wir haben jetzt Manager eingestellt, also werde ich mich weniger ins Tagesgeschäft einmischen. Aber wir wollen expandieren und neue Produkte entwickeln, was mir am meisten Spaß macht. Darauf werde ich mich konzentrieren und nur noch Filme drehen, mit denen ich mich total identifiziere.

Ich spiele gern selbstbewusste Frauen mit psychischem Knacks

Was muss ein Drehbuchautor beachten, wenn er Jessica Alba davon überzeugen will, ihr Büro zu verlassen?
Ich bin für jedes Genre offen, ich spiele in Actionfilmen, Komödien, Thrillern mit. Aber ich sage nur zu, wenn die Frau, die ich spiele, eine moderne, selbstbewusste, unabhängige Person ist. Am besten sollte sie einen psychischen Knacks haben, unberechenbar sein, ein wenig unverschämt.

Von Ihnen stammt der Satz: »Man versucht, aus meinem Sex-Appeal Profit zu schlagen.«
Das könnte ich damals gesagt haben.

Wie gefällt Ihren Agenten, PR-Beratern, Stylisten und Managern die neue Jessica Alba, die genau weiß, was sie will?
Es kann sein, dass ihnen die alte Jessica besser gefiel, weil sie besser funktioniert hat – aber ich weiß nicht, was sie denken, denn sie würden mir nicht sagen, wenn ich sie nerve.

Wie haben Sie Ihren 30. Geburtstag gefeiert?
Ich war hochschwanger mit Haven, meiner zweiten Tochter, also habe ich es ruhig angehen lassen. Wir haben unsere besten Freunde und die Familie in unser Haus hier in Los Angeles eingeladen und im Garten den Grill angeworfen.

Bedeutet Ihnen die runde Zahl 30 etwas?
Ich habe früher keine Sekunde daran verschwendet, über mein Alter nachzudenken. Aber an meinem letzten Geburtstag habe ich mich daran erinnert, wie es war, als meine Mutter 30 wurde. Ich war elf und dachte: Mein Gott, jetzt ist meine Mutter eine alte Frau. Nun bin ich aus der Perspektive von Kindern selber eine alte Frau. Aber ehrlich gesagt fühle ich mich noch ganz frisch. Ich denke: Jetzt bin ich 30 und habe zwei Kinder, und wahrscheinlich werde ich nicht mehr lange Bikinis und kurze Röcke tragen können, also tue ich es jetzt.

Würden Sie es Ihren beiden Töchtern erlauben, mit 13 Jahren nach Australien zu ziehen, um eine Fernsehserie zu drehen?
Ich hoffe, dass Honor und Haven mich niemals vor diese Entscheidung stellen. Denn welches Argument könnte ich vorbringen, um ihnen diese Flausen auszureden? Ich selbst war ja der glücklichste Mensch, als ich mit 13 Jahren nach Australien ging, um dort zu arbeiten. Dort hat sich sogar meine Gesundheit gebessert.

Dann stimmt es also, dass Sie unter Asthma gelitten haben, mehrere Lungenentzündungen pro Jahr hatten und Ihre Lunge mehrmals kollabiert ist?
Ich war ein kränkliches Kind, habe viel Zeit im Krankenhaus verbracht und hatte auch deswegen wenige Freunde.

Kaum zu glauben. Hatten Sie keine schöne Kindheit?
Ich wollte sie eigentlich möglichst schnell hinter mich bringen. Es war keine erfreuliche Zeit. Mein Vater hat bei der Air Force gearbeitet, also sind wir ständig umgezogen: Kalifornien, Texas, Mississippi und zurück nach Kalifornien. Wir haben in einem reichen Viertel von Los Angeles gelebt, wo mich die anderen Kinder regelrecht fertiggemacht und auf der Straße überfallen haben. Ich musste mein Mittagessen im Lehrerzimmer essen, weil es mir sonst geklaut worden wäre.

Wer oder was hat Ihnen geholfen? Der Glaube?
Meine Eltern sind sehr katholisch, aber ich gehöre keiner Kirche mehr an. Als ich elf, zwölf Jahre alt war, haben mich die alten Männer in der Kirche angeflirtet. Der Pfarrer hat mir die Schuld gegeben, weil ich angeblich zu aufreizend angezogen war. Ich steckte mitten in der Pubertät und war total verunsichert. Meine Beziehung zum Katholizismus ist seitdem gestört, an Gott glaube ich aber nach wie vor.

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Bio:

Jessica Alba
* 28. April 1981

Hätte Jessica Alba auf ihre strenggläubigen Eltern gehört, wäre die katholische Kirche in Kalifornien um ein frommes Mitglied reicher und Hollywood um eine Attraktion ärmer. Doch schon 1986, mit fünf Jahren, erklärte sie: »Ich bin eine Feministin, die Kirche mag ich nicht.« Sin City, Machete, Fantastic Four: Die Produktionen, in denen Jessica Alba auftritt, gewinnen auf Festivals keine Preise, aber sie füllen die Kinosäle. Obwohl inzwischen zweifache Mutter, landet sie in den »Most Sexy«- Listen der Männermagazine stets auf vorderen Plätzen – die Männer mögen anständige Frauen, die auch mal zuschlagen können.

Foto: Getty Images(1)