»Das Ego ist ein Schuft, der einen in Geiselhaft nimmt«

1969 hatte er Yoko Ono und John Lennon vor seinem Mikrofon – beide nackt. Bereits damals galt der östrreichische Künstler André Heller als Exzentriker und Wahnsinniger. Heute, nach Lebenskrisen, Drogen und Totenanbetungen, hat er beschlossen glücklich zu sein.

Götzendämmerung: André Heller in seinem Wiener Stadtpalais im 1. Bezirk.

SZ-Magazin: Herr Heller, mit sieben Jahren wurden Sie Ministrant. Was begeisterte Sie an diesem Amt?
André Heller: Als Altardiener und Lektor war ich Teil eines bizarren Theaterstücks, das in einer Fantasiesprache aufgeführt wurde – ich habe ja nicht Lateinisch gekonnt. Katholische Magier in merkwürdigen Prachtgewändern vollzogen Rätselrituale und schwenkten eine Art Handtasche, die Weihrauch verströmte. Es gab die Verwandlung einer gewöhnlichen Oblate in das Fleisch Jesu Christi, und Wein wurde zu Blut. Stellen Sie sich vor, was das für ein fantasiebegabtes Kind bedeutet. Und ich war es, der das Werk mit am Laufen hielt. Ich war sozusagen der Steward, der gewährleistete, dass der Priester in seiner Anmaßung stattfinden konnte, die ja immerhin auch das Vergeben von Sünden inkludierte. Ich habe die Sonntagsmesse als Bühne empfunden, auf der ich agieren durfte. Das Gebotene war zwar ziemlich abseitig, aber es war eine gute Gelegenheit, mich vor Publikum auszuprobieren.

Mit sechs Jahren schickte man Sie in ein Internat in die Schweiz, mit zehn kamen Sie in das altehrwürdige Jesuitenkollegium Kalksburg nahe Wien. Gefiel es Ihnen dort?
Diese Glaubenskaserne war eine Art Kinderausgabe der heiligen Inquisition. Bei den Jesuiten lernte ich zwei Dinge gleichzeitig kennen: ununterbrochenes Geschwätz über Liebe und die Anwendung radikalster Grausamkeit. Da war eine Kälte, Menschenverachtung und Gnadenlosigkeit zu spüren, die mir bis ins Tiefste widerlich war. Alles in mir war Auflehnung und ein Gefühl völliger Fremdheit.

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In einem Ihrer zahllosen Verzweiflungsbriefe schrieben Sie: »Meine geliebte Mami, ich weine Tag und Nacht.«
Ein Besuch zu Hause war nur einmal im Monat gestattet, für eine Nacht von Samstag auf Sonntag, aber meinen Eltern imponierte meine Verzweiflung leider nicht im Geringsten. Ich flüchtete mich in ein Fantasieuniversum und erfand Länder, für die ich Nationalhymnen komponierte und surreale Briefmarken und Flaggen entwarf. Solche Traumexile waren mein seelischer Luftschutzkeller in einer Welt, in der Eigensinn und Sinnlichkeit als Verbrechen geahndet wurden. Die Bestrafungen reichten von Essensentzug und Ohrfeigen bis Karzer. Meine dauernden Unbotmäßigkeiten führten zu einer Verschärfung dessen, wogegen ich rebellierte. Wenn ein Präfekt sagte: »Hände auf den Rücken!«, weil er mich schlagen wollte, habe ich mich auf den Boden fallen lassen. Daraufhin trat er mich zornig mit dem Schuh.

Sie waren bei Ihren Mitschülern unbeliebt und bezogen häufig Prügel. Warum?
Ich war ein unsportlicher, schlechter Schüler, dem es vor den anderen gegraust hat. Da waren lauter ungewaschene, pubertierende Buben in einem riesigen Schlafsaal zusammengepfercht. Zweimal im Monat durfte man warm duschen. Ich habe auch nicht, wie das in den meisten Internatserzählungen vorkommt, diesen gewissen Freund gefunden, mit dem man eine homoerotische Nähe entwickelt. Ich, mit der Zöglingsnummer 42, war inmitten aller ganz für mich allein, und nur in der Musik und im Lesen und im Berühren der alten Bäume im Park war ein Schimmer von Geborgenheit. Dass wir morgens um sechs Uhr nach dem Weckpfiff der Trillerpfeife als Disziplinübung täglich drei Stunden Sprechverbot hatten, traf mich nicht, denn ich wusste ohnedies nicht, mit wem ich reden sollte. Von mir aus hätten die Erzieher auch zehn Stunden Sprechverbot verhängen können.

Sie haben fünf Jahre in drei Internaten verbracht. Wie hat das Ihre Sexualität geprägt?
Ich bin in einer unglaublichen Körpertabuisierung aufgewachsen. Unserem Frühstückskakao wurde gelegentlich Brom beigegeben, um unsere Geschlechtslust herabzusenken. Trotzdem haben viele Buben sich ein Vergnügen daraus gemacht, im Winter nachts auf den glühenden Kanonenofen im Schlafsaal zu onanieren. Das hat gezischt und gestunken. Ich fand die Internatswelt maßlos grob und primitiv, weil ich aus einer wohlriechenden, luxuriösen Welt kam mit Blumenbouquets, edlen Möbeln, geschliffenen Gläsern und Brahmsliedern.

Ihr Vater war ein Jude, der zum Katholizismus konvertierte und dann sein Sendungsbewusstsein auch zu Hause auslebte.
Nach der Niederringung der Nazis hat er seinen katholischen Besessenheiten mit neuer Wollust gefrönt. Er trat dem Laienorden der Rechtgläubigen Ritter vom Heiligen Grab bei und gehörte damit zum inner circle der Hardcore-Legionäre des Vatikans. Unter meiner Mutter und mir konnte er sich nichts anderes vorstellen, als dass wir Plastilin für seine Vorstellungen von Herrschaftsausübung sind. Meine Mutter hatte die Rolle des hübschen Dummerchens, der kleine Sohn war auserwählt, dereinst bis zum Kardinal aufzusteigen. Papst hat er sich für sein halbjüdisches Kind dann doch nicht vorstellen wollen. Wenn Gäste kamen, musste ich Messen zelebrieren, wie andere Kinder mit Klavierspiel auftrumpfen. Am Ende hieß es: »Mein Sohn wird uns jetzt den Segen erteilen.« Das Positive war, dass ich anschließend Geld für arme Heidenkinder einsammeln durfte. Davon kaufte ich mir heimlich Tarzan-Hefte.

Sie attestieren Ihrem Vater »exzentrischen Sadismus«.
Ein Beispiel von vielen: Als mein Bruder eine Briefmarke in seiner Sammlung vermisste, sperrte mein Vater mich eine Nacht lang ins eiskalte Badezimmer. Am nächsten Morgen ließ er mich schwören, dass ich die Briefmarke nicht gestohlen habe, und befahl, über meinem Kinderbett ein Schild anzubringen mit der Aufschrift: »Wer falsch schwört, dem wächst die Hand aus dem Grab«.

Ihr Vater war Mitinhaber eines weltumspannenden Süßwarenimperiums. Stimmt es, dass Sie sich bis heute vor Süßigkeiten ekeln?
Ja. Inzwischen schaffe ich es aber immerhin, zweimal im Jahr eine Mousse au Chocolat zu essen.

Ihr Vater flüchtete vor den Nazis nach London und wurde in der von Charles de Gaulle angeführten französischen Exilregierung Verbindungsoffizier zum Weißen Haus. Seit dieser Zeit soll er drogenkrank gewesen sein.

Vielleicht konnte er sich nicht verzeihen, im Unterschied zu vielen seiner Freunde und Verwandten den Holocaust überlebt zu haben. Wenn er sich bei düsteren Stimmungen aus einem grünen Fläschchen opiumhaltige Tropfen auf die Zunge träufelte, hatte er Visionen, in denen er Botschaften für mich empfing. Dann hörte ich Sätze von ihm wie: »Erzengel Michael lässt dir etwas ausrichten …«

Fünf Tage später war ich berühmt

André Heller wurde 1947 in Wien geboren und ist einer der bekanntesten Künstler, Schauspieler und Kulturveranstalter Österreichs. Seine Zirkusrevue »Afrika! Afrika!« haben mehr als drei Millionen Zuschauer besucht.

Bevor Ihr Vater das Haus verließ, überschminkte er die Krampfadern an seinen Beinen jedes Mal mit Deckweiß.
Das war seine kosmetische Marotte. Heute ist die stärkste Präsenz meines Vaters in meinem Leben, wenn ich beim Malen Deckweiß verwende.

Ihr Vater starb an einem Herzinfarkt, als Sie elf waren. Haben Sie ihm den Tod gewünscht?
Als mir Mutter die Todesnachricht ins Internat brachte, war es eine Erlösung. Meine Gebete um Selbstbestimmung und die Möglichkeit auf ein Leben in Würde waren in Erfüllung gegangen. Sein Tod schenkte mir die Befreiung von den Jesuiten.

Die rettende Figur Ihrer Kindheit war Ihre Großmutter. Mit ihr errichteten Sie Dörfer und Kathedralen aus Moos und erfanden Feiertage und Naturkatastrophen.
Sie war eine Qualitätsoffensive: mondän, weltoffen, zärtlich, humorvoll, Freundin von Peter Altenberg, Adolf Loos und Alma Mahler. Sie infizierte mich mit ihrer Opern- und Theaterleidenschaft und las mir Komödien und Tragödien von Raimund bis Shakespeare vor. Als sie mich mit acht Jahren ins Burgtheater mitnahm, konnte ich manche Stücke auswendig mitsprechen. Es war schön, meinen Kopf an sie zu lehnen, weil sie stets eine Wolke von Lavendel und Kampfer um sich trug. Hätte sie nach Knoblauch oder Zigaretten gerochen, wäre es mir wohl schwer gefallen, in inniger Umarmung mit ihr die Verklärte Nacht von Schönberg als Siebenjähriger bis zum Ende anzuhören.

Mit 14 legten Sie ein Halstuch Ihrer Mutter um und betraten das Wiener Künstlercafé »Hawelka«, in der Hand einen Gehstock mit Silberknauf, den Sie kreisen ließen wie ein Revuekünstler. Nachdem Sie Platz genommen hatten, ließen Sie sich Le Monde und die Times bringen. Ein ziemlich steiler Auftritt.
Statt des erhofften Vermögens hat mein Vater hauptsächlich Schulden hinterlassen. Mutters Dior-Halstuch war deshalb das Eleganteste, was mir zur Verfügung stand. Ich sehnte mich nach einer anregenden Gesellschaft, und das Anregendste in Wien waren damals die Einwohner des »Hawelka«. Mir war klar, dass ich in diese Kirche des Geisteslebens nicht zögerlich und zaudernd wie ein Autogrammjäger eintreten durfte. Ich musste wenigstens so tun, als ob ich in diesem Biotop eine Lebensberechtigung habe. Und auf einmal saß ich zwischen lebenden Figuren, die aus dem Stoff waren, der mich interessierte: Friedrich Torberg, Hilde Spiel, Hans Weigel, Fritz Hundertwasser, Helmut Qualtinger, H.C. Artmann und Heimito von Doderer.

Sie saßen fortan fast jeden Abend bis Mitternacht im »Hawelka«. Wie kam es, dass Sie trotz Ihrer 14 Jahre so schnell akzeptiert waren?
Ich war ein fantasiedurchfluteter, hübscher Junge, viel hübscher, als ich damals dachte, und viele im »Hawelka« waren schwul. Die klügste Verhaltensweise schien mir das engagierte Zuhören zu sein. Alle Menschen, die spannend erzählen können, lieben begabte Zuhörer. Ich habe bedeutende Leute, die von ihrer Entourage schon abgefragt waren, noch einmal aus der Reserve gelockt, indem ich leidenschaftlich neugierig wissen wollte: »Haben Sie den Gustav Mahler noch persönlich gekannt?« oder »Hat der Joseph Roth eigentlich schöne Hände gehabt?« Und dann bin ich natürlich an manische Geschichtenerzähler geraten wie den Friedrich Torberg, der eine Art höchst amüsante kulturgeschichtliche Dauersprechplatte war. Ich erlebte einmal, wie die Geschichtengötter Torberg, Qualtinger und Peter Ustinov sich verbal in Grund und Boden duelliert haben. Das ging von Mitternacht bis um acht Uhr in der Früh. Ich dachte: Burli, Derartiges wirst du wahrscheinlich bis zu deinem Tod nie mehr erleben!

Ohne irgendeine Ausbildung gemacht zu haben, bekamen Sie am 1. Oktober 1967 eine tägliche Radiosendung auf Ö3 namens Musicbox. »Fünf Tage später«, sagen Sie, »war ich berühmt.«
Das war wirklich das Leichteste. 1967 war Österreich versiegelt von einer muffigen, jugendfeindlichen, kleinbürgerlich-bäuerlichen Generalatmosphäre. Die einzige Jugendsendung im Radio spielte Roy Black und Rex Gildo und ab und zu Udo Jürgens. Ich war 20 Jahre alt, und bei mir saßen live vorm Mikrofon die Rolling Stones und Herrschaften wie Jimi Hendrix, Frank Zappa und John Lee Hooker. Mein Lebensgefühl war: Was die Besten können, kann ich demnächst auch. Die waren ja etwa gleich alt wie ich, und den Starwahnsinn von heute gab es noch nicht. Die sind alle Economy geflogen und kamen ohne Leibwächter und PR-Parasiten ins Studio.

Vor offenem Mikrofon zerbrachen Sie missliebige Schallplatten und warfen sie aus dem Fenster.
Mit megalomanem, intolerantem Ton Missliebiges zu verreißen, war ein Teil von dem, was wir im »Hawelka« ohnedies jeden Abend machten. Mit dieser Attitüde verkündete ich: »Der deutsche Schlager ist flächendeckend Müll. Die Bee Gees sind auch konkursreif. Es lebe der Rimbaud unserer Zeit, Herr Robert Zimmerman alias Bob Dylan.« Wie stark ich polarisierte, merkte man an der Post. Die einen schickten Heiratsanträge, die anderen mit Fäkalien gefüllte Päckchen. Für die absolute Mehrheit war ich ein Arschloch, ein größenwahnsinniges Bürgerschreck-Monster.

Wie sahen Sie damals aus?
Ich hatte mich in einen dezidierten Dandy verwandelt, der in der damals hippen Londoner Carnaby Street in den Geschäften einkaufte, die ihm Brian Jones empfohlen hatte. Ich trug die Hosenträger überm Sakko, band mir Krawatten um, so breit wie Bieberschwänze und bin im roten Kaschmirpullover mit hüftlangem Haarzopf und hohen Plateauschuhen zur Verleihung der Goldenen Kamera geschwebt.

Wir waren verstörte Kinder

Heller ist oft in Marokko, wo er ein Anwesen mit Garten besitzt. Auch in seinem Wohnzimmer in Wien ist Afrika allgegenwärtig.

Im März 1969 hatten Sie im »Hotel Sacher« Yoko Ono und John Lennon vor Ihrem Mikrofon – beide nackt.
Im Roten Salon hatte man vorher die wertvollen Defregger-Gemälde abgehängt. Jetzt hingen da Kartontafeln mit handgeschriebenen Parolen wie »Peace now!« oder »Grow your hair!« Lennon und Yoko Ono hatten sich ausgezogen und ein riesiges Sacher-Leintuch übergeworfen. Ich stand im Ledermantel daneben und stellte Fragen. Dazu rauchte ich blasiert Zigarillo. Hinterher sagte Lennons Manager, dass die beiden mich am folgenden Vormittag zu einem ausführlichen Interview empfangen würden. Um 9.30 Uhr klopften der Tonmann und ich an die Tür von Suite 101. Man hatte wundersamerweise nicht zugesperrt, und wir traten »Good morning!« rufend ein. Die beiden lagen schlafend in einem gold-grünen Rokokobett. Lennon trug einen blau-weiß gestreiften Pyjama, auf dem Nachtkästchen lagen ein Buch von Allen Ginsberg und die runde Nickelbrille. Um die beiden zu wecken, intonierten wir die Bundeshymne Land der Berge, Land am Strome. Sie schrie erschrocken etwas Japanisches, er sagte mit belegter Morgenstimme nichts als »Oh my God!« Beim Frühstück wollte Yoko wissen, wie es um die Avantgardekunst in Österreich stehe, John Lennon fragte, ob es in Wien eine ähnliche Rotlichtmeile gebe wie in Hamburg. Beim anschließenden Interview ereiferte er sich über den Krieg in Vietnam und die Ausbeutung der Dritten Welt. Yoko schrie im Abstand von zwei Minuten »Peeeeeaaaace!« dazwischen. Am Nachmittag begleitete ich Lennon zum Flughafen. Als wir uns dem Zentralfriedhof näherten, sagte ich, dass sein Kollege Franz Schubert hier liege. Er ließ die Limousine stoppen, und wir liefen zu den Ehrengräbern. An Schuberts Grab stehend fiel ihm auf, wer da im Umkreis von 20 Metern noch seine endgültige Unruhe gefunden hatte: Mozart, Beethoven, Brahms, Johann Strauß. Er sagte: »Was für eine aberwitzige Versammlung!«, zog den Schnürsenkel aus seinem rechten Schuh und legte ihn mit den Worten »statt Blumen« auf Schuberts Grab.

Ihr früher Erfolg machte Sie nicht sympathischer. Einen kleinwüchsigen Hörfunkkollegen blafften Sie an: »Wachsen Sie erst einmal, bevor Sie mit mir reden!«
Das war der verletzende Hochmut eines verwöhnten Fratzen, der merkt, er muss sich nur etwas wünschen, und schon wird es wahr. Ich hatte 20, 30 Fanclubs, erstmals viel Geld und wurde von den Medien hofiert. »Anything goes« war die Devise. Diese manischen Phasen wechselten sich allerdings mit Verdüsterungen durch bleierne Selbstzweifel ab. Dann dachte ich: Du bist gar nichts, du kannst gar nichts. Statt ein dauerprovokanter Radiorabauke zu sein, wollte ich ein anerkannter, international wahrgenommener Dichter sein. Mein Status als Jugendidol basierte auf Fähigkeiten, die ich nicht schätzte. Deshalb zerfiel mein Selbstwertgefühl.

Ihr größter privater Scoop dieser Zeit war die Eroberung der Burgtheater-Schauspielerin Erika Pluhar.
Die Pluhar war damals der größte und begehrenswerteste weibliche Superstar des Landes. Den Zutritt zu dieser acht Jahre älteren Bühnengöttin habe ich mir als Achtzehnjähriger im wahrsten Sinne des Wortes erkauft. Ich legte mir das unsägliche Pseudonym André Miriflor zu und steckte mein gesamtes Erbe aus der Süßwarenfabrik Heller – 800 000 Schilling – in die Koproduktion eines Kinofilms, in dem sie die Hauptrolle spielte.

Wie haben Sie sie erobert?
Die Erika war verzweifelt nach einer schrecklichen Ehe mit dem ebenso fantasievoll-verrückten wie sadistischen Udo Proksch. Sie dachte – von mir in die Irre geführt –, ich sei nun endlich eine Männerversion, die fundiert liebevoll ist und ein Garant für gute Zeiten. Das war natürlich bei meinem damaligen Generalzustand ein aberwitziger Nonsens. Sie kam mit mir vom Regen in die Jauche. Ich wollte sie trophäenhaft als meine Privatmuse präsentieren, weil ich dachte, zu einer gelungenen Biografie gehört eine glamouröse Frau, und dann habe ich mir gleich die glamouröseste ausgesucht.

Über die Hochzeit im Herbst 1968 sagen Sie: »Ich habe bereits auf dem Standesamt gewusst, dass unsere Ehe nicht funktionieren würde.«
Wir waren verstörte Kinder, die sich ineinander verkrochen und souveräne, exzentrische Erwachsene spielten. Wir haben jeder an der Not des anderen gefröstelt. Es hat mich immer wieder tollwütig gemacht, wie weit ich von meiner Idealvorstellung entfernt war. Das ging vom Gesicht bis zu meinen Taten. Wer mir am nächsten stand, bekam natürlich am meisten Galle ab, und das war die Erika. Bei ihren umjubelten Premieren war ich angezogen wie aus einem futuristischen Albtraum, und am Rücken meines Sakkos stand »Fuck you all« gestickt. Alle haben immer bange darauf gewartet, was der Narr jetzt wieder anstellt: Macht er Zwischenrufe? Oder stellt er wieder das Kofferradio an, während auf der Bühne Othello gespielt wird?

Als Sie mit Ihren Liedern 1974 erstmals auf Tournee gingen, etablierten Sie eine neuartige Konzertform. Sie lieferten sich mit Besuchern Schreiduelle, rissen sich das Hemd vom Leib, küssten fremde Menschen auf den Mund. Einmal baten Sie um Handzeichen bei der Frage: »Wer will nachher mit mir schlafen?« Als 20 Hände in die Höhe gingen, war Ihr Kommentar: »Das scheint mir wenig.«
Ich habe einfach nichts professionell geübt gehabt, und bei dieser Art Geschichten war ich wieder in der »Hawelka«-Tradition. Den Alkohol hatte ich Gott sei Dank hinter mir, aber nach ein paar Konzerten fing ich an, jeden Abend um kurz vor acht viel Gefährlicheres zu nehmen. Meine Droge war ein Schlafmittel namens Mozambin plus. Durch Zufall hatte ich herausgefunden, dass dieses Medikament nach dem Übertauchen der beruhigenden Phase für schamloseste Euphorien sorgt. Meine Hemmungen und Ängste verwandelten sich in das Gefühl: Niemand auf der Welt ist besser als ich! Ich bin unbesiegbar! Bei meinen Ekstasen verausgabte ich mich so total, dass ich nach dem Konzert regelmäßig ins Krankenhaus musste, wo ich durch Infusionen wieder restauriert wurde. Anschließend besah ich mir dann im Hotel meine Groupies und nahm um sechs oder sieben Uhr in der Früh ein weiteres Mozambin, um schlafen zu können. Die traurige Wahrheit ist: Ohne Drogen wäre mir wahrscheinlich niemals eine derartige Konzertkarriere geglückt, denn ab der dritten Stadt hätte ich die totale Ödnis des allabendlichen Reproduzierens nicht länger ertragen.

Meine Menschwerdung hat Jahre gedauert

André Heller bei der Präsentation seiner Biographie

Ihre Allüren lebten Sie immer hemmungsloser aus. Ein Voraustrupp musste Ihre Hotelsuiten mit Ihren eigenen Möbeln ausstatten. Sogar die Groupies ließen Sie vorsortieren.
Ich habe eine Privatsekretärin gehabt, und der habe ich dann im Vorbeigehen gesagt: »Dies Mädchen dort, die ist ja bezaubernd.« Und dann hat die Sekretärin das Mädchen gefragt: »Wollen Sie den Herrn Heller noch treffen?« Aber ich bitte zu Gnaden zu halten, dass ich schon mit 34 Jahren meine Abschiedstournee absolviert habe. In meinem Wiener Haus gab es damals einen Gang mit den Goldenen Schallplatten und sonstigen Preisen. Wenn ich ihn durchquerte, empfand ich heftige Trostlosigkeit. All die Insignien meines Erfolgs funktionierten nicht einmal als kurzes Ablenkungsmanöver von meinen Dämonen. Ich habe jahrzehntelang ein riesiges Ego gehabt, und das Ego ist ein Schuft, der einen in Geiselhaft nimmt. Eines Tages begriff ich dann, dass man sein Ego nicht ist, sondern dass man es hat – so wie man kein Auto ist, sondern eines hat.

Sie hatten damals stets drei, vier Affären gleichzeitig. Eine davon, Monika Krenner, nahm sich 1977 durch einen Sprung aus dem elften Stock das Leben. In ihrem Abschiedsbrief hieß es: »Verzeih mir das viele Böse, das du mir angetan hast. Ich gehe jetzt zu Gott, um bei ihm für dich zu bitten.«
Ja, Monika, das schöne Roma-Mädchen, auf das im Circus Roncalli allabendlich mit Messern geworfen wurde, war noch bis zuletzt gütig. Nachdem ihr die Kraft ganz verloren ging, wollte sie noch die Schuld auf sich nehmen. Ihr Brief sagt: Ich opfere mich, damit es dir besser geht, denn wenn es dir nicht so schlecht ginge, würdest du nicht so grausam zu mir sein. Sie hat es intensiv erfahren, wie es mir ging, wenn ich auf Mozambin und die damit verbundenen Selbstaufpeitschungen verzichtete, für die mein Publikum so gerne Eintritt zahlte. Nach Monikas Selbstmord war nie mehr irgendetwas wie vorher. Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis ich wieder halbwegs aufrecht gehen konnte.

Sie flüchteten sich in eine Anbetung der Toten und bestraften sich, indem Sie die wertvollsten Bilder Ihrer Kunstsammlung mit einem Messer zerschlitzten. Ich bin mit einer unglaublich masochistischen Energie in eine Selbstbestrafungsmanie gekommen und wollte mich auch umbringen. Es wird so oft als Mut-Leistung hingestellt, sich umzubringen. Ich weiß aber, dass es in bestimmten Situationen ganz, ganz leicht ist. In fünf Minuten wärest du ja das Unerträgliche los, das du an Selbsthass und Schande mit dir herumschleppst. Deswegen habe ich mir Selbstmord verboten. Ich wollte mir keine Erleichterung zugestehen.

Zu Ihrem 65. Geburtstag am 22. März veröffentlicht der ehemalige Profil- Chefredakteur Christian Seiler eine Biografie über Sie, die von Ihnen autorisiert wurde. In dem tief recherchierten 450-Seiten-Werk fehlt ein hoch interessantes Kapitel: Heller und die Frauen. Warum?
Weil weder Seiler noch ich ein Skandalbuch wollten, das in der Boulevardpresse Schlagzeilen macht.

Was war Ihr Problem mit Frauen?

Da ich mich selbst nicht liebte, konnte ich die Liebe anderer nicht annehmen. Eigentlich bin ich jeden Morgen in einem bitteren Feind aufgewacht und am Abend in einem bitteren Feind eingeschlafen. Und das Kind in mir, das Harmonie und Ermutigung wollte, war hilflos diesem André Heller ausgeliefert. So ein Unglück führt zwangsweise in noch ernsthaftere Turbulenzen.

Ihre größte Lebenskrise begann 1997 und dauerte fast sieben Jahre.
Ich hatte plötzlich Hardcore-Symptome, wie man sie von Verrückten kennt. Meine Wahrnehmung war entgleist. Ich sah alles verzerrt, Gesichter zerbrachen vor meinen Augen oder wurden kubistisch. Wenn ich redete, hatte ich das Gefühl, es redet jemand, der neben mir steht. Ich fühlte mich wie zwei Personen, die nicht synchronisiert sind. Diese Bewusstseinsstörungen traten über Jahre in vielen Variationen auf. Es war ein Sterben und gleichzeitig eine Neugeburt mit äußerster Angst – »äußerste Angst« 300-mal unterstrichen und mit 6000 Ausrufezeichen.

Zu den Menschen, die Sie um Rat fragten, gehörte auch ein Schamane aus Kolumbien.

Durch weise Freunde wie ihn begriff ich, dass ich so etwas Ähnliches tun musste, wie meine alte Person niederzureißen und eine entgiftete neu aufzubauen. Und das habe ich dann getan. Diese Menschwerdung hat Jahre gedauert. Daneben habe ich tapfer den André Heller gespielt –mit erfolgreichen Premieren in aller Welt, Buchveröffentlichungen, Museumsbauten und Filmen. Die Leute haben nichts gemerkt, aber es war maßlos anstrengend. Ich konnte etwa fünf Stunden am Tag Heller sein, dann musste ich wieder konzentriert an dem Entzug von der Sucht nach Leid arbeiten. Für die Menschen an meiner Seite war das sehr belastend. Wenn ich schrie, konnten sie mir nur den Kopf halten, einen Tee hinstellen oder stumm mit mir spazieren gehen.

In Ihrem Wiener Palais hängt heute neben Werken von Chagall und Picasso eine Postkarte mit einem Satz von Voltaire: »Ich habe beschlossen, glücklich zu sein, weil es der Gesundheit förderlich ist.« Wie steht es um Ihre Physis?
Mein Körper macht ein bisschen Mucken, aber sonst? Meine Mutter wird heuer 98. Sie sagt: »Bis 90 war es ein Vergnügen, dann wird alles Disziplin.«

Fotos: Paul Kranzler (3), dpa