Mit? Ohne?

Knoblauch ist der FC Bayern unter den Zutaten: Man liebt ihn oder man hasst ihn. Aber für Aufregung sorgt er immer.

Die Kulturpflanze Knoblauch, bairisch: Knofel, hat viele merkwürdige Eigenschaften. Sie stinkt. Sie ist gesund. Sie hält die Vampire draußen vor der Tür. Dass der Umgang mit Knoblauch auch lustig sein kann, lernte ich erst vom Food Editor, also dem für Essen zuständigen Redakteur, des amerikanischen Fachmagazins Saveur, Todd Coleman. Coleman ist ein Mannsbild wie aus dem Katalog für leidenschaftliche Schlemmer, voluminös, verschmitzt, gekämmter Holzfällerbart, dickes, schwarzes Brillengestell. Er gibt in einem Youtube-Clip darüber Auskunft, wie man eine Knolle Knoblauch in weniger als zehn Sekunden schälen kann (»How to peel a head of garlic in less than 10 seconds«). Das ist eine nützliche Auskunft, denn normalerweise ist es ein hartes Stück Arbeit, auch nur eine Zehe Knoblauch von ihrer porösen Schale zu befreien, die an der feuchten Oberfläche der Zehe klebt und ihren Geruch tief in die Fingerkuppen der behandelnden Hand eindringen lässt, sodass man noch am nächsten Morgen, wenn man sich verschlafen die Nase reibt, heftig daran erinnert wird, dass es gestern Tomatensuppe mit Pesto zum Abendessen gab.

Todd Coleman macht Folgendes: Er schmettert die Knoblauchknolle auf ein Holzbrett, sodass sich die Knolle empört in ihre Bestandteile auflöst, die Zehen und eine Menge diffuser weißer Schalen. Das Resultat räumt Coleman mit Schwung in eine Aluminiumschale von etwa 30 Zentimeter Durchmesser, zu der er ein identisches Gegenstück aus dem Küchenkasten zaubert. Er bedeckt das Gefäß, in das er den Knoblauch gesteckt hat, mit dem zweiten Gefäß und tut, was er »shake the dickens out of it« nennt: Er schüttelt den Inhalt seines Behälters mit Energie und Inbrunst, bis sich, Sensation, nach ein paar Sekunden die Knoblauchzehen vollständig von Schalen und Häuten befreit haben, zur gefälligen Weiterverwendung.

Die Methode funktioniert, ich habe sie ausprobiert. Sie löst das Problem der Stinkefinger, wirft gleichzeitig freilich andere Fragen auf: Wozu brauche ich auf einen Sitz so viel Knoblauch? Und was heißt »shake the dickens out of it«?

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Zur zweiten Frage gibt es rege Diskussionen in diversen linguistischen Foren, die über die unterschiedlichsten literarischen Umwege zum Ergebnis kommen, dass man wirklich kräftig schütteln sollte. Die erste Frage hingegen, die nach der Menge, ist eine Grundsatzfrage: Wie viel Knoblauch vertragen wir? Wie viel Knoblauch vertragen die, die wir lieben und denen wir uns täglich zumuten? Ist der Genuss von Knoblauch Privatsache? Brauchen wir einen kulinarischen Waffenschein?

Knoblauch ist Nahrungsmittel, Medizin, Metapher, Distinktionsmittel, das bisschen Geschmack, an dem sich die Geister scheiden. Während ihn die einen als kraftvolle Antithese zur Fadesse der täglichen Er-nährung verehren, empfinden ihn die anderen als Zumutung, und zwar nicht nur, wenn sie ihn auf dem eigenen Teller vorfinden. Ihnen reicht schon das Küsschen auf die Wange eines Gegenübers, das am Abend davor den Anweisungen von Todd Coleman gefolgt ist und sich danach eine Portion Tomatensuppe mit Pesto zubereitete.

Tatsächlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Genuss von Knoblauch auch Stunden nach der Mahlzeit, auch nach sorgfältiger Reinigung der Zähne und dem Verzehr von drei Fisherman’s Friend nicht verheimlicht werden kann. Der Knolle wohnen Inhaltsstoffe inne, die bei der Verwertung im menschlichen Körper schwefelhaltige Abbauprodukte erzeugen. Diese wiederum werden über die Lungenbläschen an die Atemluft abgegeben, sodass auch der doppelte Magenbitter nach dem Essen nichts an der Knoblauchausdünstung ändert.

Im Regal der Gemüseabteilung wirkt die Knoblauchknolle harmlos, weiß, bieder, oft unter einem kleinmaschigen, weißen Netz verborgen. Die Art wird nicht weiter bezeichnet, welche Art auch? Wer, außer vielleicht ein paar Spezialisten, kennt die Unterschiede zwischen gemeinem, gewöhnlichem, chinesischem und Schlangenknoblauch oder wüsste, dass es diese Unterschiede überhaupt gibt?

Aber Knoblauch ist nicht Knoblauch. Der Geschmack der Knollen unterscheidet sich heftig, je nachdem, auf welchem Boden und in welchem Klima sie angebaut wurden.

Als eleganteste unter den Knoblauchsorten gilt der »Ail Rose de Lautrec«, der auf Tonkalkböden rund um den südfranzösischen Ort Lautrec, etwa 80 Kilometer von Toulouse entfernt, wächst. Seine Schale ist leicht rosa gefärbt. Sein Geschmack oszilliert zwischen Finesse und Tiefe, er ist frei von den Schockelementen schwefeliger Schärfe oder der nach muffigem Keller riechenden Überreife, die manche Arten oder zu lang gelagerte Knollen, die bereits wieder keimen, verströmen.

Aber auch der Schlangenknoblauch, den viele Winzer am Rand ihrer Weinberge anpflanzen, besitzt einen jeweils eigenen, unverkennbaren Charakter, anders als viele der namenlosen Knollen, die es im Netz im Supermarkt zu kaufen gibt.

Meistens ist dieser Knoblauch weit gereist. Mehr als 80 Prozent der Weltproduktion kommt aus China, der meiste aus der Provinz Shandong. Chinesischer Knoblauch, der oft nur aus einer einzigen, runden Zehe, dem Rundling besteht, ist ein verlässlicher Wert für die Alltagsküche. Außergewöhnlich ist seine ökonomische Karriere. Die chinesische Exportpolitik drückte die Ware ihrer Knoblauchbauern mit sagenhaft niedrigen Preisen in den Weltmarkt und ruinierte damit eine ganze Reihe europäischer, aber auch amerikanischer Produzenten, die sich den Konkurrenzkampf mit den Chinesen nicht länger leisten konnten, weil die Erlöse ihrer Ware die eigenen Herstellungskosten nicht deckten.

Als 2009 die Schweinegrippe ausbrach, schlug das Pendel in die andere Richtung aus. Knoblauch gilt in der traditionellen chinesischen Medizin als Prophylaxe gegen Erkältungen und Grippe, und die Angst, an Schweinegrippe zu erkranken, trieb Millionen Chinesen in die Gemüseläden. Die Preise für Knoblauch zogen an, innerhalb eines einzigen Jahres erreichten sie durchschnittlich einen fünfzigmal so hohen Wert wie im Jahr davor.

Einige chinesische Spekulanten wurden auf diese Weise sehr reich. Chinesischer Knoblauch kostete zwischen Bangladesch und Israel plötzlich Fantasiesummen. Im Jahr darauf sackten die Handelspreise als Folge der Wirtschaftskrise zurück in den Keller. Das ökonomische Jojo terrorisierte vor allem die Produzenten, die von den Preiskapriolen kaum etwas gehabt hatten, die Baisse aber mittragen mussten.

Auch in Europa gilt der Knoblauch historisch als Heilpflanze mit Breitbandwirkung. Die im Knoblauch enthaltene Schwefelverbindung Alliin verwandelt  sich, sobald eine Knoblauchzehe zerkleinert, zerquetscht oder irgendwie sonst aus der Form gebracht wird, durch Verbindung mit dem knoblaucheigenen Enzym Alliinase in Allicin, eine Verbindung, der antibakterielle und entzündungshemmende Wirkung attestiert wird - und die eben auch den typischen Knoblauchgeruch bewirkt. Dass die regelmäßige Einnahme von Knoblauch den Blutdruck senkt und positive Auswirkungen auf den Cholesterinspiegel hat, scheint wissenschaftlich gesichert.

Darüber hinaus wird dem Gewächs aber auch entspannende, Krebs hemmende, das Immunsystem stärkende Wirkung sowie eine spezifische Indikation als Aphrodisiakum nachgesagt, wie Dagmar Braunschweig-Pauli in ihrem Buch Die Heilkraft des Knoblauchs auflistet. Ihre noch viel umfangreichere Aufzählung porträtiert den Knoblauch als wundervolles Breitbandmedikament. In diesem Ruf steht er seit Jahrtausenden.

Knoblauch als Desinfektionsmittel

Foto: Photocase/MISS X


Im alten Ägypten wurde Knoblauch unter anderem als Desinfektionsmittel an hart arbeitende Sklaven verabreicht, die sich so daran gewöhnten, dass sie bei Kürzung ihrer Ration die Arbeit an den Pyramiden niederlegten. Im Talmud wurde ständiger Knoblauchgenuss empfohlen, weil das dem Geist Klarheit und den Lenden Kraft verleihe. Hildegard von Bingen (1098 - 1179) lobte ihn in ihrer Physica für seine »richtige Wärme« und legte seinen Einsatz bei Verdauungsstörungen, Blähungen, Durchfall und chronischer Verstopfung nahe. 1858 war es schließlich der französische Chemiker Louis Pasteur, der im Knoblauch das Sulfid Allicin nachwies und die antimikrobielle Wirkung der Knolle wissenschaftlich untermauerte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der römische Historiker Plinius der Ältere schon längst eine ganz andere Facette des Knoblauchs festgeschrieben: Plinius fiel auf, dass Knoblauch, sobald er längere Zeit an der Luft liegt, schwarz wird - eine Folge des Befalls durch den Pilz Helminthosporium allii. Plinius verweigerte aber eine naturwissenschaftliche Erklärung des Phänomens: Die Knolle besitze übernatürliche Kräfte. Sie ziehe alles Böse und Dunkle an sich.

Diese magische Eigenschaft machte den Knoblauch bei zahllosen abergläubischen Benutzern populär. Hatten bereits die Ägypter Knoblauch zerrieben und mit Bier vermischt, um ihre Häuser gegen Schlangen zu schützen, fanden nun am Balkan und in Osteuropa aus Knoblauchknollen geflochtene Kränze und Ketten Verwendung als magische Waffen gegen böse Geister und Vampire.

Weder die Hokuspokusgeschichten über den Knoblauch noch seine vielseitigen medizinischen oder quasimedizinischen Qualitäten erklären seinen Status als großen Polarisierer jedoch so wie seine soziale Karriere: Schon im Mittelalter deutete die Verwendung von Knoblauch auf die Zugehörigkeit zu einer minderen sozialen Schicht hin. Während Bauern und Handwerker gern und viel Knoblauch aßen, gingen die Angehörigen des Adels auf Distanz: Der Gestank des Allicins ziemte sich in ihren Kreisen nicht. Man stank lieber nach sich selbst.

Zur Skepsis der »besseren Leute« gegenüber dem Knoblauch kam nach und nach ein weiteres, bis heute durchschlagendes Motiv: Nachdem der Knoblauch als Kulturpflanze aus den Steppengebieten Zentral- und Südasiens über das Mittelmeer nach Europa gekommen war, hatte sich seine Verwendung vor allem in der Küche der Mittelmeerstaaten durchgesetzt. Georges Simenon ließ in vielen Romanen die dunkelhäutigeren Bewohner südfranzösischer Inseln und Städte »aus allem Poren« nach Knoblauch riechen, was nichts anderes als eine Metapher für ihre Herkunft und soziale Verortung war.

Spätestens als Spanier und Italiener, Jugoslawen und Türken als Gastarbeiter nach Mittel- und Nordeuropa drängten, brachten sie, die Knoblauch regelmäßig und in großen Mengen zu sich nahmen, nicht nur den Geschmack von Aioli, Tzatziki und fett mit Knoblauch befeuerten Bruschette mit, sondern auch ein Distinktionsmittel, das deutlich auf ihre fremde Kultur hinwies: Sie standen unverkennbar im Geruch, anders zu sein. Es war die Zeit, als die Schweizer Kochbuchautorin Marianne Kaltenbach sich in der Einleitung zu ihrem späteren Bestseller Aus Italiens Küchen noch regelrecht dafür entschuldigte, dem geneigten Publikum so etwas wie Gastarbeiterküche zuzumuten.

Während die italienische Küche eigentlich ziemlich vorsichtig mit Knoblauch hantiert - »es ist möglich und oft wünschenswert, dass der Geruch kaum wahrnehmbar ist«, erklärte eine andere Grande Dame der »klassischen italienischen Küche«, Marcella Hazan -, spielte er in anderen Küchen der Welt, die langsam, aber sicher in den Nebenstraßen unserer Städte Dependancen eröffneten, eine selbstverständliche und zentrale Rolle. Sowohl in der chinesischen, der indischen als auch der Thaiküche wird die »geradezu derb schmeckende Zutat«, wie David Thompson, der Autor des wichtigen Buchs Thai Food, den Knoblauch nennt, mit größter Selbstverständlichkeit als Grundwürze verwendet. Knoblauch wird gemeinsam mit anderen »Derbheiten« wie Zitronengras, Garnelenpaste und Chilischoten verarbeitet, die allerdings, wie Thompson zu Recht meint, während der Zubereitung miteinander verschmelzen und eine »mitunter subtile Eleganz [gewinnen], die im Widerspruch zu ihren groben Anfängen steht«.

Längst ist angerührtes Curry auch in vielen Privatküchen die viel gebräuchlichere Mahlzeit als das klassische Gulasch von seinerzeit. Die Tatsache, dass in der fertigen Currypaste aus dem Asialaden eine ganze Menge Knoblauch enthalten ist, entzieht sich dabei oft der Kenntnis ihrer Käufer, erübrigt also jede Diskussion. Es schmeckt schließlich.

Auf den Tischen der deutschen Sternerestaurants findet der Knoblauch jedoch nur wenig Verwendung. Maximal in Gemüsefonds oder Saucen, also weit, weit hinten im Spektrum der erwünschten Aromen, taucht einmal eine Ahnung des Geschmacks auf, um gleich wieder hinter elegantere Anmutungen zurückzutreten. Purer Knoblauchgeschmack bleibt gerade in der Spitzenküche ein Tabu, ein Rückfall ins Ordinäre, mehr noch als etwa der Gebrauch von Innereien, die lange Zeit verpönt gewesen waren, aber inzwischen im Sternebusiness ein Comeback hingelegt haben. Knoblauch aber bleibt außerhalb der Ethnoküche eine geschmackliche Metapher für Gewöhnlichkeit.

In Mitteleuropa wächst Knoblauch vorzugsweise dort, wo auch Wein angebaut wird. Er bevorzugt lockere Böden in sonniger Lage und gedeiht entweder in Zyklen von März bis Juli als Sommer-knoblauch, der gut lagerfähig ist, oder als kälteresistenter Winter-knoblauch, der im November eingesetzt und im Sommer, bevor der Weizen reif ist, geerntet wird.

Auch als Topfpflanze auf dem Fensterbrett oder dem Balkon ist Knoblauch bestens geeignet, wenn man ihn etwa mit Erdbeeren oder Karotten ins selbe Gefäß pflanzt, mit denen er sich ausgezeichnet, sogar symbiotisch verträgt. Blühender Knoblauch ist ein überaus eleganter Anblick, die Blüten erinnern an Momentaufnahmen explodierender Feuerwerkskörper.

Die frisch geernteten Knoblauchzehen schließlich wandern leicht und glänzend in die Küche, um dort durch heftiges Rütteln von den Schalen befreit und mit viel Basilikum und Parmesan zu dem Pesto verarbeitet zu werden, das Yotam Ottolenghis Tomaten-Kichererbsensuppe zum religiösen Ereignis macht. Ottolenghi, der in London eine Reihe von Lokalen betreibt, wurde durch sein Kochbuch Genussvoll vegetarisch auch in Deutschland berühmt, weil seine vegetarischen Gerichte eine deftige Antithese zum gewöhnlichen, faden Beilagengemüse darstellen: »Was meine Gerichte zum Leben erweckt«, sagt Ottolenghi, »ist der Knoblauch. Roher Knoblauch gibt Kraft, und wenn du ihn kochst, macht er die Speisen süß, weil er viel Zucker enthält. Ich mag Knoblauch nicht: Ich liebe ihn.«

Die Suppe, in der sich Fenchel, Karotten, Kichererbsen und Tomaten mit Thymian, Petersilie und Oregano zu einer sämigen, molligen Konsistenz verdichten, bekommt mit in Butter gerösteten Croutons vom entrindeten Sauerteigbrot etwas Knuspriges, das man sonst vermisst hätte, und das hellgrüne, strahlende Pesto veredelt die dunkelrote Harmonie auf dem Teller wie ein kontrapunktisches Motiv, das plötzlich aus dem Wohlklang einer Bach-Fuge steigt.

Wie man nach dem Genuss dieser Suppe riecht?

Glücklich. Man riecht glücklich.

Foto: Photocase/12frames