In Ewigkeit, Almen

Davon träumen manche Stadtmenschen ein Leben lang: einmal als Senner arbeiten, Kühe melken, Käse machen – und den Alltag im Tal lassen. Aber so schön der Job da oben ist, leicht ist er nicht. Vier Berichte von Schweiß, Glück und Tränen auf dem Berg.

Die Alp, ein Traum

»Wenn ich gefragt werde, was ich von Beruf bin, sage ich: Der Kopf ist Psychologin, der Rest Hirtin. Ich liebe es, bei den Kühen zu sein. Deshalb schlafe ich auch nicht in der Hütte, sondern im Dach des Stalls in einer Kammer. Kühe haben es am liebsten, wenn man die Innenseite ihrer Ohren oder sie rund um die Schwanzwurzel krault. Die Kühe sollen mir vertrauen. Auch wenn ich manchmal denke, dass ich mit der Kuschelei meine Autorität beim Hüten aufs Spiel setze. Man darf nicht vergessen, was es bedeutet, auf 91 Kühe aufzupassen: Ich muss entscheiden, wo es zu steil für sie ist, ich muss das Wetter einschätzen. In meinem ersten Sommer habe ich meine Tiere auf eine zu steile Weide gelassen. Auf einmal sind sie ins Rennen gekommen. Bei jeder Kurve hatte ich Angst, dass eine abstürzt. Manchmal raubt mir diese Verantwortung den Atem: Wow, denke ich, die Bauern geben mir ihre Tiere! Das ist doch Wahnsinn! Deshalb kann ich jedes Jahr die ersten zwei, drei Wochen hier oben kaum schlafen. Und trotzdem gibt es nichts Schöneres, als morgens um halb vier unter dem Sternenhimmel nach den Kühen zu suchen. Wenn meine Stimme durch die Berge hallt und die Tiere mir folgen - davon bekomme ich Gänsehaut. Dann schwebe ich auf einer Wolke totaler Selbstzufriedenheit. Hier habe ich die Zeit, solche Momente zu genießen. Ich suche Bergkristalle oder koche Alpenrosen-Sirup und genieße das einfach. Unten im Tal läuft die Zeit viel schneller. Aber Ende August werden die Weiden gelb. Dann wird mir klar: Das Ende naht. Die Tiere finden nichts mehr zu fressen, geben weniger Milch, es schneit regelmäßig - und dann will auch ich zurück. Der Einstieg in den Alltag ist nicht einfach. Letztes Jahr, als ich nach Freiburg zurückgekommen bin, war ich mit Freundinnen Cocktails trinken. Die unterhielten sich über die letzten Partys, aber ich verstand kein Wort. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören. Was die redeten, war mir egal.«

Maike Aselmeier aus Freiburg, 36, Psychologin, ledig, verbringt ihren sechsten Sommer in den Bergen. Diesmal auf der »Alp Tambo« bei Splügen in der Schweiz. Sie hütet und melkt zusammen mit drei anderen Sennern zwischen Juni und September 91 Milchkühe auf 2000 Metern und bekommt 3600 Franken im Monat.

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Johanna Glas aus Siegsdorf

17 Sommer

»Auf dem Berg zu arbeiten ist die größte Freiheit, die ich mir vorstellen kann. Die Gebote und Vorschriften aus dem Tal zählen nicht mehr. Wenn ich morgens nach den Kühen rufe, ist das unendlich befreiend für mich. Beim ersten Auftrieb diesen Sommer hab ich fast meine Stimme verloren, so viel hab ich geschrien. Wir haben hier öfter Besucher, die beim Kühetreiben helfen wollen. Aber die trauen sich nicht zu schreien. Komisch, davon gibt es viele.

Hier in der Schweiz sagt man ja »ich geh auf die Alp«, wie auch in Vorarlberg und im Allgäu, nicht »auf die Alm«, wie im restlichen Bayern oder Österreich. Das hat sich aus dem alemannischen Sprachraum heraus entwickelt. Ich bin auf die Alp, weil ich meiner Familie beweisen wollte, dass ich das kann. Jetzt sind daraus 17 Sommer geworden. Jedes Jahr nehme ich dafür meinen kompletten Sommerurlaub und mache vorher Überstunden – ich arbeite als Krankenschwester in der Jugendpsychiatrie. Früher habe ich sogar Jobs gekündigt und mir im Herbst neue gesucht: Das ist mir die Alp wert. Man ist hier nur von natürlichen Geräuschen umgeben – das Rauschen der Wasserfälle, die Murmeltierpfiffe, der Gesang der Bergdohlen und Steinschmätzer. Und dazu die Gerüche: Manchmal falle ich vor Glück einfach auf die Knie und rieche an den Bergröschen oder am Enzian.

Früher war ich immer auf der Suche, innerlich unruhig, bin viel gereist, hatte ständig wechselnde Beziehungen. Aber dann kam die Alp – Abenteuer und Ruhe zugleich. Alles war neu für mich und selbst bis heute kenne ich keinen Alltag. Gleich im ersten Sommer war ich den ganzen Tag mit dem Vieh draußen, es war neblig, ich hatte nicht genug zu essen dabei, konnte die Kühe nicht mehr sehen und bin die Hänge rauf und runter – bis zur Erschöpfung. Solche Erlebnisse hat jeder Anfänger. Aber die Wertschätzung hier ist eine ganz andere als im Tal. Ich liebe meinen Job als Krankenschwester, aber man wird selten gelobt. Und wenn etwas schiefläuft, kriegt man eine auf den Deckel. Von den Bauern bekommt man Anerkennung. Es ist ein tolles Gefühl, wenn der Bauer dich fragt, ob du nächstes Jahr wiederkommst. Oder wenn er dir erzählt, dass seine Kälber noch nie so zutraulich waren. Natürlich bekommt man auch Geld. Aber am glücklichsten macht es mich, wenn ich alle Tiere ohne Schaden wieder ins Tal bringe.

Nur eines fehlt mir: Ich schwimme so gern. Hier kann man in den Auswaschungen der Flussbette untertauchen, den Gletschertöpfen. Aber richtig schwimmen kann man nicht. Dafür brauche ich kein Handtuch. Auf der Alp trocknet mich die Sonne.«

Johanna Glas aus Siegsdorf, 56, geschieden, drei erwachsene Kinder, Krankenschwester, seit 17 Sommern auf der Alp, dieses Jahr nahe Trin in der Schweiz auf 2000 Metern. Zusammen mit einer ihrer Töchter hütet sie von Juni bis September 180 Rinder und Kälber für 2000 Franken monatlich.


Johanna Glas aus Siegsdorf


Unter Sternschnuppen

»Alle in meiner Familie denken, ich spinne. Trotzdem arbeite ich schon den siebten Sommer hier oben. Mein Vater ist Philosophieprofessor, auch alle anderen in meiner Familie sind Akademiker – sie meinen, es sei unter meinem Niveau, Kuhmist wegzuräumen. Dabei liebe ich diese erdige, körperliche Arbeit. Ich lebe hier oben ganz allein mit vier Milchkühen, 30 Kälbern und Jungvieh. Mein Tag hat manchmal 18 Stunden. Aber die Arbeit ist eine echte Erfüllung für mich.

Früher habe ich als Sinologin eine deutsche Wirtschaftsprüferkanzlei in Shanghai aufgebaut und sehr viel verdient. Trotzdem habe ich mich eingesperrt gefühlt. Auf der Alm bekomme ich knapp 1000 Euro im Monat – aber ich fühle mich frei.

Erst vor ein paar Jahren hat mir mein Bauer eine Dusche eingebaut, im Stall, trotzdem dusche ich hier nicht jeden Tag. Und wenn, dann schauen mir die Kühe dabei zu – und strahlen ihre Wärme ab. Die Alm hat mein ganzes Leben umgekrempelt. Früher wollte ich es allen recht machen, obwohl ich es als Alleinerziehende mit zwei Kindern nicht leicht hatte. Erst auf der Alm habe ich gelernt, auf mich zu achten. Bei einem Hüttenurlaub vor sieben Jahren habe ich entschieden, dass ich als Sennerin arbeiten will. Damals habe ich schon nicht mehr in China, sondern wieder in Nürnberg gearbeitet, in einem Naturkostladen. Zum Glück gibt mir der Naturkostladen jedes Jahr so lange frei und meine Kinder sind in der Zeit bei ihrem Vater.

Die Alm hat natürlich nicht nur schöne Seiten: Letztes Jahr musste ich ein Kalb wegen eines gebrochenen Beins notschlachten lassen. Es ist eine zehn Meter tiefe Bergwand heruntergefallen, ich habe die Schleifspur gefunden. Aber es war nicht tot, sondern schleppte sich in den Stall. So was passiert. Du kannst nicht 24 Stunden auf die Tiere aufpassen. Abends, nach einem anstrengenden Tag, lege ich mich gern mit einer Wolldecke auf die Holzplanken, mit denen der Misthaufen abgedeckt ist – die Planken sind warm, weil der Mist dampft. Im Spätsommer sieht man Sternschnuppen-Schwärme und kommt mit dem Wünschen kaum nach. Wenn dann noch der Vollmond hinter dem Gipfel des Jägerkamps aufzieht, sitze ich dort manchmal die ganze Nacht.«

Rike Kößler aus Nürnberg, 47, Sinologin, heute angestellt in einem Naturkostladen, geschieden, zwei Kinder im Teenageralter, arbeitet ihren siebten Sommer auf der Oberen Schönfeldalm (1450 m) beim Schliersee, immer von Juni bis September.


Johanna Glas aus Siegsdorf



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Die Weiden so grün, die Milch so fett - 61 Kühe melkt Rafael Kiefer aus dem Saarland auf der Schweizer Alp und macht Käse aus deren Milch." Bild1="Wie im Heidi-Land sieht die Alphütte aus, auf der Rafael Kiefer den Sommer verbringt." Bild2=" Rafael (links) und sein Bauer Rudolf Zenger nach getaner Arbeit."]

Dehlia mit der Bronzeglocke

»Ich hätte nie gedacht, dass ich mal 61 Kühe am Euter unterscheiden könnte. Inzwischen erkenne ich meine Viecher besser am Euter als am Kopf. Einige sind am Euter kitzlig: In den ersten Tagen hat mich eine Kuh so heftig getreten, dass erst mal nichts mit Spazierengehen und Bergluft genießen war. Jetzt bin ich vorsichtiger.

Wir sind zu viert hier, der Bauer mit Frau und Sohn und ich als Senner. Wir melken zweimal am Tag, morgens, halb sieben, und abends, halb fünf. Am liebsten melke ich, wenn das Morgenrot die Gipfel färbt. Wir kümmern uns um 61 Milchkühe, sie sind meine Freundinnen geworden. Milka zum Beispiel, eine ganz junge, hat ein so straffes Euter, dass das Melkgeschirr nicht hält. Ich habe ihr eine Seilkonstruktion gebaut. Jetzt klappt es. Das Melken selbst läuft vollautomatisch ab. Ich würde kaum mehr als zwei Kühe mit der Hand schaffen. Vor dem Melken muss ich die Tiere suchen. Weil es oft neblig ist, tragen sie Glocken. Ich höre meine Lieblinge sofort heraus, Dehlia mit der Bronzeglocke zum Beispiel. Dass man im Sommer auf der Alp arbeiten kann, haben mir Leute beim Wandern erzählt. Ich hab mich für die Alp beworben, weil ich seit zwanzig Jahren dasselbe mache, in meiner eigenen Schreinerei – in meiner Zeit als Senner führt sie mein Angestellter weiter. Die Höfe schalten Anzeigen im Internet, auf dem Online-Portal »Zalp« etwa. Ich musste eine Woche auf die Senner-Schule. In meinem Kurs saßen Autolackierer und pensionierte Beamte. Ursprünglich wollte ich auf eine kleinere, archaischere Alp – auf meiner gibt es sogar Fernseher und Geschirrspüler –, doch auf einer kleineren Alp mit weniger Arbeit bekommt man auch weniger Geld: Ich muss aber meine Kranken- und Rentenversicherung weiter bezahlen. Hier verdiene ich 4000 Franken im Monat, dafür ist die Arbeit mit über sechzig Milchkühen fast wie ein Fabrikjob. Ich wende und wasche auch jeden Tag den schweren Bergkäse, der fast zehn Kilo wiegt. Und natürlich gibt es kein Wochenende. Trotzdem fühle ich hier nie den Stress, den ich aus meiner Firma kenne. Früher hatte ich selbst im Toskana-Urlaub eine Rufumleitung auf dem Handy. Hier denke ich manchmal zwei, drei Tage nicht an meine Firma. Das ist mir vorher nie passiert.«

Rafael Kiefer aus Blieskastel im Saarland, 42, ledig, ist Tischlermeister mit eigener Schreinerei. Er erlebte dieses Jahr zwischen Juni und August seinen ersten Sommer auf der 1800 Meter hoch gelegenen Alp »Suld-Latreyen« im Berner Oberland in der Schweiz.

WIE UND WO?
Wer auf dem Berg arbeiten will, auf einer »Alp«, wie man in der Schweiz, dem Allgäu und in Vorarlberg sagt, oder einer »Alm«, wie es im restlichen Bayern und Österreich heißt, wendet sich zum Beispiel an den Almwirtschaftlichen Verein Oberbayern oder den Alpwirtschaftlichen Verein im Allgäu. Insgesamt stehen rund 1400 Almen zur Auswahl. In der Schweiz ist das Angebot noch größer, hier gibt es über 6000 Alpen. Am besten findet man dort eine Stelle über das Internetportal www.zalp.ch, auf dem auch viele Fragen rund um die Alp beantwortet werden. Wer dazu noch lernen will, wie man käst, belegt einen einwöchigen Sennerei-Kurs zum Beispiel am Bildungszentrum Inforama in Hondrich im Berner Oberland. Adressen: Almwirtschaftlicher Verein Oberbayern, www.almwirtschaft.net, Tel. 08025/50 44; Alpwirtschaftlicher Verein Allgäu, www.alpwirtschaft.de, Tel. 08323/48 33; Zalp, www.zalp.ch, Tel. 0041/55/622 39 22; Inforama, www.inforama.ch, Tel. 0041/33/650 84 25.

Fotos: Tanja Kernweiss