Kurswechsel

Der arabische Frühling hat viel verändert – aber eigentlich nur für die Männer. Die Libanesin Joumana Haddad fordert eine echte Revolution: die Befreiung der Frauen.

SZ-Magazin: Frau Haddad, es heißt, Sie seien die meistgehasste Frau des Libanon …
Joumana Haddad:
Ja, das sagt man. Aber es stimmt nicht wirklich, und ich hoffe auch, dass ich nicht wirklich die meistgehasste Frau des Libanon bin. Natürlich habe ich viele Feinde, das bringt die Arbeit mit sich, aber es gibt auch viele Menschen, die meine Arbeit schätzen. Und ich möchte – wie alle – geliebt werden. Aber es ist schon richtig: Es macht mir nichts aus, gehasst zu werden, wenn das der Preis ist, den ich zahlen muss, um zu tun, was ich tun muss, und um zu sagen, was ich sagen muss.

Treibt Wut Sie an?

Ja. Wut und Empörung. Es geht darum, nicht wie so viele Leute hier gleichgültig zu werden. Sie schwimmen mit dem Strom und kümmern sich nicht darum, was anderen passiert. Sie kümmern sich nicht darum, was mit den eigenen Rechten geschieht. Mich kümmert es. Und ich finde, jeden sollte es kümmern, auch wenn es bedeutet, dass man morgens aufwacht und in den Krieg ziehen muss. In diesem Teil der Welt zu leben heißt ständig kämpfen zu müssen.

Seit Jahren fordern Sie von den arabischen Frauen, sich zu erheben, zu emanzipieren. Aber die arabischen Völker haben sich ja erhoben. Etwa ohne die Frauen?

Kurz nachdem die Revolutionen im Januar 2011 ihren Lauf nahmen, habe ich Artikel darüber geschrieben, dass Revolutionen oft einen weiteren Niedergang der Frauenrechte mit sich bringen. Damals warf mir fast jeder – hier und in Europa – vor, ich sei eine unverbesserliche Pessimistin. In Italien nannte man mich eine Krähe. Ich habe damals nicht die Diktaturen verteidigt. Diktaturen müssen fallen. Ich habe nur gesagt, dass wir zwischen zwei Monstern wählen müssen: der Diktatur und dem religiösen Extremismus, der für Frauen fast noch gefährlicher ist als die Diktatur. Weil er patriarchalisch und frauenfeindlich ist.

Und doch gingen die Bilder demonstrierender Frauen um die Welt.

Ja, natürlich. In Ägypten und Tunesien haben wir gesehen, dass die Frauen Teil der Revolutionen waren, doch in der postrevolutionären Periode, als sich neue Strukturen geformt haben, als gewählt wurde, waren die Frauen fast verschwunden. Es schien beinahe so, als wären sie nur benutzt worden, um den Revolutionen Glaubwürdigkeit zu schenken, gerade im Westen. Als es um Veränderung ging, wurden die Frauen wieder außen vor gelassen, weil man sie nicht mehr brauchte. Was mich aber noch wütender macht, ist die Tatsache, dass die Frauen das akzeptiert haben. Nehmen wir Ägypten: Von den wenigen Kandidatinnen, die es bei der Parlamentswahl gab, warb die eine mit dem Konterfei ihres Mannes, eine andere mit dem Bild einer Rose.

Sie sehen keine Verbesserung?
Nein. Dieser sogenannte arabische Frühling ist eher ein letzter Winter. Hoffentlich. Wenn die Menschen, die jetzt die islamistischen Parteien wählen, irgendwann erkennen, dass das nicht die Veränderung ist, für die sie gekämpft haben. Aber man kann in der arabischen Welt nicht vom Autoritarismus zur Demokratie übergehen, ohne eine Phase des religiösen Extremismus zu durchlaufen. Denn all die Menschen, die unter den Diktaturen verfolgt wurden, haben Trost in religiösen Figuren gefunden. Die islamistischen Parteien wussten, wie sie sich selbst als Retter zu inszenieren hatten. Jetzt müssen sie sich bewähren, und sie werden dabei nicht gut wegkommen.

In den Siebzigerjahren waren verschleierte Frauen im Straßenbild Kairos die Ausnahme, in alten Filmen aus Ägypten gibt es Kuss- und selbst Bettszenen. Warum hat die Religion wieder so viel Bedeutung?
Ja, die Frauen trugen Miniröcke. Das ist heute alles anders. Als ich 2011 in Kairo war, wollte ich Frauen ohne Kopftuch finden. Es war schwierig. Man darf aber nicht vergessen, dass Frauen ohne Kopftuch oft belästigt werden, darum verschleiern sie sich erst recht. Einer Studie zufolge werden 98 Prozent der Frauen in Ägypten belästigt.

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Sexuelle Freiheit

Ist Sex eines der großen Probleme der arabischen Welt?
Ja, die sexuelle Spannung und Frustration sind riesig. Sex, Religion und Politik, alle drei gehören hier eng zusammen. Wenn man über sexuelle Tabus und Frustration redet, ist es unmöglich, nicht über Religion zu reden. Wenn man über Religion redet, muss man auch über Politik sprechen. Ich werde oft gefragt, warum ich für die sexuelle Befreiung kämpfe – es gebe drängendere Probleme. Aber wenn ich für sexuelle Rechte kämpfe, kämpfe ich auch gegen Machtmonopole, gegen Korruption, für Säkularismus. Denn in der Religion haben die Probleme der arabischen Welt ihren Ursprung. Ihre Macht muss verringert werden, in der Politik wie im Privaten.

Ist nicht im Vergleich zu anderen Ländern der Region der Libanon relativ liberal?
Selbst im Libanon, der gern als offen und modern dargestellt wird, dominiert Religion alles. Es gibt keine Zivilgesellschaft. Ich muss mich als ehemalige Christin an die christlichen Autoritäten wenden – obwohl ich Atheistin bin, aber so etwas gibt es hier nicht: eine Atheistin. Wenn eine meiner muslimischen Freundinnen heiratet oder sich scheiden lässt, gelten für sie andere Gesetze als für mich. Jede Person wird gesetzlich über die Religionszugehörigkeit definiert. Und die Illusion von Freiheit im Libanon führt dazu, dass keine Wut aufkommt und somit keine Veränderung.

Sie halten die Freiheit für eine Illusion?
Die Frauen sagen: Ach, was soll’s, ich kann anziehen, was ich will, ich kann bis vier Uhr morgens tanzen gehen, was interessiert mich, dass ich auf gesetzlicher Ebene diskriminiert werde, dass ich nicht wie ein Bürger männlichen Geschlechts behandelt werde, dass es kein Gesetz gibt, das mich vor häuslicher Gewalt oder Ehrenmorden schützt. Viele Männer vergewaltigen ihre Frauen, doch da die Frauen ihr Eigentum sind, ist das legal.

Sie könnten aber nicht tun, was Sie tun, wenn Sie nicht Libanesin wären.
Natürlich, aber ich hatte das Glück, privilegiert aufzuwachsen. Die meisten Frauen hier werden immer noch dahingehend erzogen, einen guten Ehemann zu finden. Ein guter Ehemann ist ein reicher Ehemann. Vor ein paar Tagen brachte ich meinen zwölfjährigen Sohn auf den Geburtstag eines Freundes. Da standen zwei Mädchen und schauten einem Porsche hinterher. Die eine sagte zur anderen: »Wenn ich groß bin, werde ich meinem Mann sagen, dass er mir so ein Auto kaufen soll.« Ich habe sie gefragt: »Warum glaubst du nicht, dass du groß wirst, studierst, Geld verdienst und dir selbst einen Porsche kaufst?«

Müssen nicht vor allem die arabischen Männer umdenken?
Auf jeden Fall. Das ist das Thema meines nächsten Buches. Die Männer der arabischen Welt verwechseln oft Kraft und Potenz mit Aggressivität und Unterdrückung. Aber das ist auch etwas, was ich den Feministinnen der Sechziger vorwerfe: Sie haben den Veränderungsprozess des Mannes angehalten. Weil für sie die Befreiung der Frau eine Schlacht gegen die Männer war.

Sie sind keine Feministin?

Eine Postfeministin, im Sinne des Feminismus der Neunziger, der ein paar strukturelle Fehler des Feminismus der Sechziger überdacht hat.

Zum Beispiel?
Weiblichkeit als Zeichen von Schwäche abzulehnen, was ja nichts anderes ist als eine patriarchalische Sicht der Dinge. Ich liebe es, meine Weiblichkeit als Stärke zu zelebrieren. Es darf nicht darum gehen, dass Frauen die Plätze der Männer einnehmen, und schon gar nicht um ein Matriarchat – das wäre genauso schlimm wie das Patriarchat. Die Frauen der arabischen Welt müssen verstehen, dass sie alleine nichts verändern können. Sie brauchen die Männer dazu. Ich kann diese Beschwörung der Frauensolidarität nicht mehr hören. Warum sollen wir solidarisch sein, nur weil wir alle eine Vagina haben? Neulich haben sich auf einer Demonstration alle Schnurrbärte angeklebt. Wenn ich demonstriere, mache ich das in High Heels.

Möglicherweise irritiert Ihr Selbstbewusstsein die Frauen?

Vielleicht. Außerdem lehnen sie meinen Kampf gegen die Verschleierung ab. Sie sagen, es sei ihre Wahl. Aber das ist keine Wahl, wenn deine Religion es dir vorschreibt; es ist keine Wahl, wenn die Konsequenz darin besteht, von der Familie geächtet zu werden. Viele verschleierte Frauen reden von einem islamischen Feminismus. Eine absurde Idee! Man kann nicht islamisch und Feministin sein.

Weil der Islam schuld ist an der Unterdrückung der Frauen in der arabischen Welt?

Teils. Aber ich sage auch zu christlichen Frauen: Du kannst keine Feministin sein, wenn du akzeptierst, dass eine Frau nicht Priester werden kann. Und akzeptierst, nur Sex zu haben, um Kinder zu kriegen. Ich könnte das ewig weiterführen. Sie ist überall, diese patriarchalische Perspektive. Aber die Frauen hier haben Angst, das zu Ende zu denken, weil sie dann die Religion als Ganzes ablehnen müssten.

Wird die heranwachsende Generation nicht aufgeklärter sein?

Schön wäre es. Ein libanesischer Dokumentarfilmer hat neulich Männer an hiesigen Universitäten gefragt, ob sie eine Frau heiraten würden, die nicht Jungfrau ist. Da sind Männer um die zwanzig. Neunzig Prozent haben Nein gesagt.

Sie sind dennoch eine Optimistin?
Nein, ich bin eine Kämpferin. Das ist ein Unterschied.

Welchen Preis zahlen Sie für Ihren Kampf?

Die Todesdrohungen und Verurteilungen sind eigentlich nichts im Vergleich zu dem, was ich gewinne. Irgendwann trifft man die Entscheidung, sich nicht an dem zu messen, was andere über einen denken, sondern daran, wie viele seiner Ziele man erreicht hat. Wie sehr man mit sich selbst im Reinen ist.

Sie haben 2009 ein Magazin gegründet: Jasad, arabisch für Körper. Wie kam es dazu?

Ich behandele die Themen Sexualität, Religion und Körper schon lange als Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Ich fand es wichtig, ein Magazin gegen all die Tabus, denen sich die Leute hier blind unterordnen, zu machen. So kam es zu Jasad. Am Anfang war es schwierig, Leute zu finden, die unter ihrem Namen veröffentlichen wollten. Man hat mir gedroht, mich mit heißem Öl zu überschütten.

Wie haben Sie Jasad finanziert?

Aus eigener Tasche. Ich hatte gehofft, Geld von europäischen Kulturstiftungen zu bekommen, aber sie haben abgelehnt. Nach dem Streit um die dänischen Karikaturen und dem Tod Theo van Goghs hatten sie Angst vor religiösen Extremisten.

Woher rührt eigentlich diese Angst vor dem Körper, die so weit führt, das Haar zu verschleiern?

Das frage ich mich auch immer: Was ist mit dem Haar? Welches Geschlechtsteil ist dort versteckt? Ich sollte es wissen. Die Frau ist die Verführung und muss sich verschleiern, um den Mann nicht in Versuchung zu führen. Weil die Männer sich nicht kontrollieren können und vor sich selbst geschützt werden müssen. Eigentlich sollten die Männer an die Leine genommen werden und nicht ihre Frauen verschleiern.


JOUMANA HADDAD

Die libanesische Poetin, Journalistin und Übersetzerin Joumana Haddad kämpft für die Rechte der Frauen im Mittleren Osten. Sie wurde 1970 in Beirut geboren und als Christin erzogen. Ihre Kindheit und Jugend waren vom libanesischen Bürgerkrieg geprägt. Schon mit zwölf las sie Balzac und de Sade. Sie spricht sieben Sprachen, hat die Welt bereist, große Dichter interviewt und 2009 das Hochglanzmagazin Jasad gegründet, in dem kein Thema tabu ist, ob Jungfräulichkeit, Selbstbefriedigung, Fetischismus oder Homosexualität. 2010 erschien ihr autobiografischer Essay Wie ich Scheherazade tötete.

Fotos: Andrew McConnell