»Mein Garten ist Therapie«

Dieter Rams ist nicht nur Deutschlands bedeutendster Designer. Er ist auch: Hobbygärtner. Ein Gespräch über das nervtötende Rasenmähen und die Kunst, sich zu beschränken.

Ein weißer Bungalow mit Flachdach am Rand von Kronberg, einem schmucken Städtchen bei Frankfurt. Hier wohnt Dieter Rams, der bedeutendste deutsche Produktdesigner des letzten Jahrhunderts. Das Haus hat er selbst entworfen und auch fast alles, was darin ist: die Musikabspielgeräte, die Regale, Taschenwecker, Küchengeräte, Tischfeuerzeuge, Sessel, kurz, all seine Ikonen, die er für die Firmen Braun und Vitsœ entworfen hat. Schaut man aus diesem weiß gefliesten Museum nach draußen, sieht man einen japanischen Garten. Auch ein Rams-Werk. Um den soll es hier gehen.

SZ-Magazin: Herr Rams, Ihr Garten wirkt sehr aufgeräumt. Haben Sie viel Arbeit mit ihm?

Dieter Rams: Das hält sich in Grenzen. Meine Frau hat auch immer mitgeholfen. Musste ja alles nebenher gehen. Ein Garten mit einem riesigen Rasen macht mehr Arbeit. Der muss ständig gemäht werden. Manchmal fallen aber auch größere Dinge an: Neulich musste ich meine Kiefer zurückschneiden, die war zu groß geworden. Die sieht jetzt ein wenig krüppelig aus. Hätte ich damals wissen müssen. Das ist eine Waldkiefer, die werden groß. Als ich mit dem Garten anfing, war die noch ganz klein.

Wann war denn das?
Als ich hier einzog, vor über 40 Jahren. Der Anpflanzplan stammt von mir. Natürlich ist das kein astreiner japanischer Garten, aber er ist inspiriert durch meine vielen Besuche in Japan. Als ich noch für die Firma Braun gearbeitet habe, war ich oft dort, in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Die japanische Kultur hat mich sehr beeindruckt. Und das ist bis heute so geblieben.

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Was fasziniert Sie an Japan?
Die Philosophie hinter der Gestaltung: Die Städte sind sehr gedrängt. Man muss sich begrenzen. Was sich in der Gestaltung niederschlägt. Die ganze Gartenkultur konzentriert sich auf die Tempelbezirke. Daneben fängt meist die Unordnung an, Stromleitungen, Unrat. Die Gärten sind kleine Oasen in der Stadtwüste. Und natürlich liebe ich das japanische Prinzip des Wabi-Sabi, die Zurückgenommenheit, die ihren Ursprung im Zen-Buddhismus hat. Das war immer meine Intention: Dinge zu machen, die nicht überfrachtet sind, sondern sich aufs Wesentliche konzentrieren.

Es gibt auf Youtube Videos, da sieht man Sie Bonsaibäumchen mit einer Art Nagelschere stutzen.
Ja, man muss viel schneiden. Aber das will gelernt sein. Ich hab mir hier Rat geholt von deutschen Bonsai-Enthusiasten. Den Rest mache ich intuitiv. Macht übrigens großen Spaß.

Wie gehen Sie gegen Unkraut vor?
Zupfen.

Sehen Sie diesen Garten als Hobby oder als Designobjekt?
Beides. Das Beschneiden hat was mit Design zu tun. Im guten Sinne, nicht im Sinne von Styling. Die Bonsaikultur ist, wie gesagt, Formgebung, die dem begrenzten Raum geschuldet ist. Den habe ich hier auch. Mein Garten ist relativ klein. Ein großer Baum würde alles sprengen.

Ist Natur etwas für Sie, das gezähmt werden muss?
In meinem Garten schon. Ich hab es nicht gerne, wenn da was wächst, was da nicht hingehört.

Wenn sich im Frühling ein Maiglöckchen zu Ihnen verirrt hat, dann schnippeln Sie es weg?
Kommt drauf an. Um Gotten willen, ich mag Maiglöckchen. Aber es muss eben passen. Ich mag auch Margeriten, aber eben dort, wo sie hinpassen.

Ein wild wuchernder Bauerngarten wäre nichts für Sie?
Nein. In meinem ersten Haus hatte ich einen Garten mit Rasen. Da hab ich schon das Rasenmähen gehasst.

»Ein Gerät muss wie ein englischer Butler sein – zu Diensten wenn man es braucht, ansonsten im Hintergrund«, haben Sie mal gesagt. Gilt das auch für den Garten?
Mein Garten ist sehr speziell auf meine Bedürfnisse hin gestaltet. Für mich ist er Therapie. Und dazu gehört auch, wenn ich daran rumschneide.

Ihr Lieblingsort im Garten?
Früher, als meine Frau und ich noch beweglicher waren, war es der Rand des Pools. Da haben wir unseren Nachmittagstee eingenommen auf einer Sitzgruppe, die ich entworfen habe nach japanischem Vorbild. Sehr niedrig. Den Platz mag immer noch sehr gerne.

Ihr Pool, ist der beheizt?
Muss er ja. Der ist der andere Teil der Therapie. Ich hab es immer schon mit dem Rücken. Das ewige Beugen übers Reißbrett hat seine Spuren hinterlassen. Im Pool mache ich Übungen, auch im Winter. Mein Physiotherapeut bei Braun hat schon in den Sechzigerjahren zu mir gesagt: Wenn du nichts tust, sitzt du in ein Paar Jahren im Rollstuhl. Also habe ich mir einen Pool angeschafft. Gymnastik oder diese Muckibuden, das ist mir unangenehm.

Dafür sind Sie gern geritten, oder?
Auch so eine Idee von diesem Therapeuten. Meine Frau ist eine gute Reiterin, als sie 1962 länger in Südafrika war, hat man mich überredet, auch damit anzufangen: Es wäre doch toll, wenn die zurückkäme und du könntest reiten! Ist auch gut für deinen Rücken! Im Dressurreiten war ich nicht schlecht, behauptet meine Frau. Aber die Springerei ist mir nicht bekommen. War nicht gut für meinen Rücken. Nachdem ich mal vom Pferd gefallen bin, habe ich aufgehört.

Gibt es Tiere in Ihrem Garten?

Eichhörnchen, Mäuse und natürlich die ganze Vogelwelt. Früher hatten wir auch noch unsere Katze Franziska. Als sie mit 20 Jahren starb, waren wir sehr traurig. Danach haben wir uns keine mehr zugelegt. Franziska ist immer auf meinen Zeichentischen gelegen und hat mir bei der Arbeit zugeschaut. Die war nicht verschmust, aber unglaublich interessiert. Ich hab immer gedacht: Die versteht alles.


Der garten der Kindheit

Wie sah der Garten Ihrer Kindheit aus?
Meine Großeltern, die zwei Weltkriege durchmachen mussten, hatten einen großen Nutzgarten. Der war damals lebensnotwendig. Dort gab es einen riesigen Quittenbaum. Aus den Früchten hat die Großmutter unglaublich tolles Quittengelee gemacht.

Hatten Ihre Eltern keinen Garten?
Meine Eltern haben sich sehr früh getrennt, da war ich noch klein. Mein Vater war damals zuständig für die Funkstationen, die noch vor dem Krieg hier im Taunus errichtet wurden. Jedenfalls war er immer in den Bergen unterwegs. Ob das nun zu der Trennung geführt hat, weiß ich nicht, aber es hing alles miteinander zusammen.

Welche Bilder haben Sie im Kopf, wenn Sie an Ihre Kindheit denken?
Keine guten. Ich wurde zwischen Familienmitgliedern hin- und hergeschoben, wechselte oft die Schule und kam dann aufs Internat. Die hießen damals Adolf-Hitler-Schulen. Ich war immer Pazifist, und das hat mir alles nicht gepasst damals, es war ja alles ein Muss. In die HJ musste man, ich habe das widerwillig mitgemacht. Irgendwann haben sie mich rausgeworfen.

Warum?
Wegen Renitenz vermutlich. Mein großer Halt war mein Großvater. Ich habe mich oft in seiner Werkstatt verkrochen.

Was war er von Beruf?
Er war Schreinermeister. Er hatte sich hauptsächlich auf Oberflächen spezialisiert, auf Lackarbeiten. Wenn in Wiesbaden jemand einen Flügel oder ein Klavier aufzuarbeiten hatte, machte das mein Großvater. Dieser Sinn für die Oberfläche ist mir geblieben.

Was ist Ihre liebste Erinnerung an Ihren Großvater?
Sein Daumen. Als Kind wollte ich immer seinen rechten Daumen sehen, er war doppelt so dick wie der linke. Das kam vom Polieren. Der Lack wurde noch von Hand eingearbeitet, Schicht für Schicht.

Sind Sie bei ihm in die Lehre gegangen?
Nein. Aber ich habe viel bei ihm gelernt, polieren zum Beispiel.

Aber er hat Sie geprägt?
Sehr. Einmal entdeckte ich in der Schublade seiner Hobelbank Prospekte von den Deutschen Werkstätten in Hellerau und über Bruno Paul, der den Deutschen Werkbund mitgegründet hat. Das hat mich sehr interessiert. Kurz danach fing ich an zu studieren. Architektur und Innenarchitektur an der Werkkunstschule in Wiesbaden. Da war ich 16.

Ihre Wohnung sieht aus wie ein Museum Ihrer Produkte. Ist das nicht ein wenig selbstverliebt?
Ich mag die Architekten nicht, die minimalistische Stadthäuser bauen und dann selbst in einem alten Bauernhaus auf dem Land leben. Als Designer muss ich doch mit den Entwürfen leben, um auszuprobieren, ob sie funktionieren, oder um festzustellen, hier und da könnte ich es noch besser machen. Das merke ich doch erst, wenn ich es benutze

Hat Ihre Frau nie rebelliert gegen so viel Rams?
Ach, nein, rebelliert hat sie nicht, doch sie hat schon ihre eigenen Vorstellungen. Aber man gewöhnt sich mit der Zeit aneinander. Eigentlich hat sie den gleichen Geschmack wie ich. Sie hat ihr eigenes Reich, ihre eigenen Zimmer und die sehen nicht viel anders aus als der Rest des Hauses.

Die weißen Bodenfliesen im ganzen Haus haben Ihre Frau nie gestört?
Ich glaube nicht. Aber Sie haben recht, als wir 1971 hier einzogen, war das schon außergewöhnlich. Die Handwerker haben immer gesagt, bei uns sähe es aus wie in einer Molkerei.

Ganz unrecht haben sie nicht.
Ich wollte es eben schön hell haben.

Gemütlich sieht anders aus.
Darum liegen ja die braunen Teppiche drauf.

Wie würden Sie sich heute einrichten?
Genau so.

Und wenn Sie noch mal einen Garten anlegen könnten?
Sähe er so aus wie meiner. Ich liebe meinen Garten sehr. Wenn ich wieder auf die Welt kommen sollte, möchte ich nicht Designer werden, sondern Landschaftsarchitekt. Man muss nicht beim Topf oder bei der Gabel anfangen, man muss bei der Landschaft anfangen.

Um was zu erreichen?
Um andere Strukturen zu erreichen. Ein anderes Denken.

Fotos: Sandra Stein