»Auf Sand und Kies klingt's mies«

Nach 300 Zapfenstreichen gibt Volker Wörrlein, der Dirigent des deutschen Stabsmusikkorps, den Taktstock ab und geht in Rente. Ein paar abschließende Einsichten zum richtigen Ton am roten Teppich.

SZ-Magazin: Herr Wörrlein, warum begrüßt eigentlich das Musikkorps der Bundeswehr ausländische Staatsgäste? Es könnten doch auch die Berliner Philharmoniker spielen.

»Beim Zapfenstreich bin ich einsamer Rekordhalter«

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Wie gefällt Ihnen die deutsche Hymne?
Eine Hymne darf nicht zu kompliziert und keine große Kunst sein, deshalb gefällt mir unsere gut. Die kompliziertesten Hymnen kommen aus Südamerika: Die sind lang und haben Fermaten, also Ruhezeichen. Normalerweise spielen wir eine Hymne vor dem Auftritt einmal durch, dann haben wir sie drin – aber die südamerikanischen müssen wir fünfmal spielen, damit man sich daran gewöhnt und keine Fermate verpasst.

Was sagen Sie Ihren Leuten: Wie sollen sie die deutsche Hymne spielen?
Zügig. Es wird nicht schöner, wenn ich etwas langsam spiele – da darf man keine große Oper draus machen. Die Leute müssen mitsingen können.

Hat sich die Haltung der Deutschen zu ihrer Hymne während Ihrer Amtszeit gewandelt?
Seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 ist das Verhältnis entspannter. Die Diskussion, die wir nach der letzten Europameisterschaft hatten, weil ein paar deutsche Spieler nicht mitgesungen haben, ist völlig überdreht. Wer nicht mag, lässt’s sein.

Spielen Sie auch für die Nationalmannschaft?
Bei Länderspielen in Berlin sind wir im Stadion. Seit ein paar Jahren lass ich da meinen zweiten Mann dirigieren, weil der begeisterter Fußballfan ist. Unsere Gage ist der Platz auf der Tribüne. Das Publikum ist erfreulich diszipliniert – sobald der Stadionsprecher die Hymne ansagt, fällt der Geräuschpegel. Aber am Schluss müssen Sie auf Zack sein: Mit dem Wegnehmen des letzten Akkords muss das Kommando kommen: links um. Wenn man nur eine Sekunde zu spät kommt, ist der Lärm wieder so massiv, dass keiner mehr das Kommando hört.

Wie oft haben Sie den Großen Zapfenstreich aufgeführt?

Beim Zapfenstreich bin ich einsamer Rekordhalter: Den habe ich mindestens 300 Mal gespielt.

Wie stehen Sie zum Zapfenstreich?
Ich mache ihn. Gedanklich konzentriere ich mich ausschließlich auf die korrekte musikalische Ausführung.

Dieses Ritual geht auf die Zeit der Landsknechte zurück. Ist es noch zeitgemäß?
Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Trotz aller Kritik ist der Große Zapfenstreich eines der letzten militärmusikalischen Highlights.

Wird das nicht öde – 300 Mal Zapfenstreich?
Den besten Zapfenstreich haben wir zum Abschied von Roman Herzog gegeben. Ich mochte ihn persönlich – da wollte ich etwas Besonderes probieren und habe sechs Fanfaren auf dem Balkon von Schloss Bellevue postiert. Das war ein tolles Bild, aber akustisch nicht ganz einfach. Diese Bläser standen ja weiter weg vom Publikum als das Musikkorps. Deshalb habe ich den Fanfaren die militärische Anweisung gegeben, eine Sekunde früher einzusetzen – das haben wir ja in Physik gelernt, dass der Schall seine Zeit braucht, um eine Strecke zurückzulegen. Es hat ganz gut geklappt, wir sind gleichzeitig fertig geworden.

Wie empfanden Sie den Zapfenstreich zum Abschied von Christian Wulff?
Der war nicht unumstritten. Es war seine Entscheidung, ihn anzunehmen. Die Demonstranten haben einen Höllenlärm gemacht – der Krach war viel lauter, als das im Fernsehen rübergekommen ist. Das war würdelos und grausam. Das war der Veranstaltung nicht angemessen und auch für uns Musiker nicht schön. Wir waren in der Vorbereitung sehr unter Zeitdruck und mussten auch noch von heute auf morgen ein Kirchenlied einstudieren.

Man hat gehört, dass das nicht zu Ihrem Standardrepertoire gehört. Bei Karl-Theodor zu Guttenberg mussten Sie Smoke on the Water spielen.
Ich kannte das Stück gar nicht und hab zu meinen Leuten gesagt: Spielt mir das doch mal vor. Einer, der nebenher Tanzmusik macht, hatte es auf CD – da hab ich gemerkt: Jawoll, das hab ich schon mal im Radio gehört. Die nächste Frage war: Gibt es dazu ein Arrangement? Ich hab einen Verlag zur Hand, den kann ich nachts anrufen, dann hab ich am nächsten Tag die Noten. Innerhalb eines Tages haben wir das dann einstudiert. Hinterher hat uns ein Bild für alle Mühen belohnt: Das Foto, auf dem alle drei richtig fröhlich lachen – der Generalinspekteur, der scheidende und der neue Minister.

Sind Ihnen beim Dirigieren schon mal Tränen der Rührung gekommen?
Dazu bin ich zu lange im Job. Für uns ist das Arbeit, da kommt man nicht in so eine Gefühlswelle.

Welche Musik hören Sie außer Dienst?
Wenn der Tag mit Mozart anfängt, wird er gut. Aber ich höre auch Schlager. Nur mit Techno kann ich nichts anfangen. Und ich mag die Klassiker: Beethoven, Brahms, Bach. In Ansbach, wo ich aufgewachsen bin, habe ich bei den Bachwochen mitgesungen.

Was ist Ihr Lieblingsstück von Bach?
Das Konzert für zwei Klaviere, gespielt von den Pekinel-Schwestern aus der Türkei. Wenn ich den langsamen Satz höre, zerfließe ich und entspanne mich total – das ist göttliche Musik.

Gab’s auch Staatsgäste, für die Sie nicht spielen wollten?
Wir sind Profis. Da interessiert nicht: Wer, was, wann, wie oft? Wenn unsere Regierung sagt: Das ist unser Gast, dann spielen wir. Intern diskutieren wir natürlich über den einen oder anderen, aber im Endeffekt haben wir unseren Auftrag zu erfüllen.

Mussten Sie manchmal einen inneren Widerwillen überwinden?
Musiker sind einfacher zu handhaben als Menschen, die auf der politischen Ebene umeinander schweben. Nur als Erich Honecker von Kohl empfangen wurde, hat es gegrummelt. Da hieß es im Musikkorps: Für den können wir doch nicht spielen.

Mit postsowjetischen Pseudodemokraten haben Sie kein Problem?
Ich erinnere mich an einen Staatsgast, der sollte partout kein großes Protokoll kriegen. Da hat man eine kleine Lösung für den Garten von Bellevue entwickelt – nur mein Spielmannszug wurde eingesetzt.

Kontrollieren Sie vor dem Auftritt, ob die Ausrüstung richtig sitzt?
Natürlich. Wir vertreten die Bundesrepublik Deutschland, da sind Fernsehanstalten dabei, die jeden Atemzug filmen.

Wie gefällt Ihnen der Protokollanzug?

Im Vergleich zu anderen Nationen könnte unsere Uniform farbenprächtiger und eleganter sein. Die Schlichtheit verdanken wir den Anfängen der Bundeswehr. Seitdem hat sich nicht viel verändert.

Haben Sie sich für den Ruhestand musikalische Projekte vorgenommen?
Nein, ich habe seit 25 Jahren Tinnitus, ich bin ein Opfer der Blasmusik. Mit meinem Abschied ist für mich das aktive Musizieren gestorben.

Wie bitte? Sie stehen seit Jahrzehnten mit Tinnitus vor Pauken und Trompeten?
Angenehm ist das nicht, aber als Soldat kann man sich ja zusammenreißen.

Werden Sie mit dem Zapfenstreich verabschiedet?
Der steht mir nicht zu, ich habe nicht die entsprechende Dienstgradhöhe.

Was soll zu Ihrem Abschied gespielt werden?
Ich darf zwei Stücke selbst dirigieren. Eines wird mein Lieblingsmarsch sein, Army of the Nile, von dem englischen Komponisten Kenneth J. Alford. Und weil ich Jagdbeauftragter bin, muss ich natürlich auch noch diese Karte ziehen. Der Jäger aus Kurpfalz wird mein letzter Ton als Militärmusiker sein. Dann ist meine Arbeit getan.

Fotos: Kania