Kriech und Frieden

Was, wenn Haustiere alt werden? Oder krank? Oder einfach nur: lästig? Sieben Geschichten über den Versuch, gemeinsam weiterzumachen.

Könnte man hier Worte flüstern statt schreiben, würde ich es jetzt tun. Ich würde die Menschen auf dieser und den folgenden Seiten leise fragen: Gell, manchmal ertappt ihr euch dabei, wie ihr heimlich diesen einen Gedanken, den ihr gar nicht denken wollt, denkt: »Ach, das Leben könnte so schön und einfach sein, wenn dieses Tier nicht mehr da wäre. Ausgehen könnte man mal wieder und wegfahren, viel Geld sparen und viel Arbeit und das Leben genießen, ohne immer angehängt zu sein wie mit einem Kleinkind.« Ich glaube, all diese Leute würden nicken. Alle. Sie kennen diese dunklen Gedanken, wenn das Tier alt wird oder krank oder kauzig oder mühsam - wenn die Katze die Blase nicht mehr kontrollieren kann und der Hamster nicht mehr im Rad rennt, weil er am Ende seines kurzen Lebens kaum noch Puste hat; wenn sich im Hund so viel Wasser staut, weil sein Herz keine Kraft mehr hat zu pumpen, ach, und so weiter und so fort, ist das alles traurig. Zum Glück aber wischen alle diese Tierbesitzer diese dunklen Gedanken jedes Mal schnell weg und rufen stattdessen laut und voller Inbrunst: »Was für ein Quatsch, was für ein Käse! Ich liebe mein Tier! Je älter und gebrechlicher es wird, desto mehr. Nie, nie, nie soll es sterben! Was würde ich denn nur machen ohne es!« Ja. Ja, stimmt auch, ist alles richtig. Nur manchmal, manchmal wird der Alltag mit einem Tier mühsam. Das muss man doch auch mal sagen dürfen. Darüber, über dieses manchmal eben, erzählen sieben leidgeprüfte Tierliebhaber.

Es gibt Schildkrötem, wie jene beiden von Frau König, die lieben Decken und Kissen. Und Frau König spricht mit ihnen. Sieht man das?

Meistgelesen diese Woche:

Barbara, Susi, Schildkrötchen

Barbara König, Rentnerin aus Hilkenbrook im Emsland, und die beiden Landschildkröten Susi und Schildkrötchen.

»Schildkröten sind gar nicht pflegeleicht. Wenn sie nicht gerade Winterschlaf halten, muss man sich intensiv mit den Tieren beschäftigen: Frischen Salat oder Tomaten füttern, den Schlafplatz sauber halten, genauso wie die Terrasse, wo sie sonnenbaden. Und ihnen zuhören. Das klingt vielleicht ein bisschen verschroben, ist aber so. Ich rede mit meinen Schildkröten. Und sie hören auf mich und folgen mir. Beispielsweise wenn ich ihre Lieblingsdecke in die Sonne lege. Pro Tag rechne ich mindestens anderthalb Stunden für meine Krötchen ein. Ich finde es verantwortungslos, wenn sich Menschen langlebige Haustiere anschaffen und gleichzeitig keinen Gedanken daran verschwenden, was das bedeutet. Das trifft besonders auf Schildkröten zu. Ich schätze meine beiden so zwischen 50 und 60. Genau weiß ich es nicht, da sie mir vor 47 und 35 Jahren zugelaufen sind. Aber Landschildkröten können auch mal 100 werden. Meine größte Sorge ist, dass sie mich überleben. Das darf nicht sein, sie müssen vor mir sterben. Aber gleichzeitig wünsche ich ihnen natürlich ein langes Leben. Ach, ich weiß oft nicht weiter. Jetzt habe ich verfügt, dass dann jemand aus dem Freundeskreis sich um sie kümmert. Ob die genauso liebevoll mit ihnen sind, kann ich nicht sagen. Ich kann es nur hoffen.«

Normalerweise darf Angelina nicht aufs Sofa, da ist Frau Ziegler streng. Nicht ganz so streng ist sie beim Füttern. Da fällt schon ab und zu mal ein Stückchen Wurst vom Abendbrottisch.

Vera und Angelina

Vera Ziegler aus Schweinfurt und ihr Westie Angelina, 4.

»Wir haben Angelina nur für unsere Tochter angeschafft. Die hat sich immer einen Hund gewünscht, wir haben erst mal Nein gesagt. Stattdessen gab’s Vögel, einen Hamster, ein Kaninchen. Aber sie wollte eben einen Hund. Das ist irgendwie mehr ein Familienmitglied. Gut, sie war eine Nachzüglerin, ihre beiden Schwestern sind viel älter. Als unsere Tochter dann zehn war, haben wir ihrem Mosern nachgegeben, und sie hat Angelina bekommen. Davor haben wir sogar einen Hunde-Gassi-geh-Plan aufgestellt: Sie wollte morgens vor der Schule und nachmittags gehen. Schon ein Jahr später habe ich von ihr zum Muttertag einen Gutschein über zweimal Gassi-Gehen bekommen. Das sagt eigentlich schon alles.

Nur wenn Freundinnen da waren oder zum Angeben war der Hund noch gut. Inzwischen ist unsere Tochter in der Pubertät, ihr Interesse an Angelina ist noch geringer geworden. Dafür muss ich mich jetzt kümmern. Ich habe noch Glück, Angelina ist ein lieber Hund, der nicht hochspringt, nicht trödelt, nicht alt oder krank ist. Trotzdem: Diese Angebundenheit nervt. Ja, ja, klar kann Angelina nichts dafür, aber ich auch nicht. Ich hab sie krass gesagt an der Backe. Wenn ich meinen Mann mal auf Tagungen begleiten möchte, hab ich riesige Probleme, den Hund unterzukriegen.

Eine Bekannte hat zwei Katzen, wenn sie Angelina nimmt, schläft sie extra beim Hund im Wohnzimmer, weil die Katzen sonst die Angelina niedermachen. Meine älteren Töchter wohnen sehr weit weg, die können Angelina auch nicht nehmen. Selbst wenn ich mal in der Stadt bin, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Angelina nicht länger als zweieinhalb Stunden allein lassen möchte. Und das geht jetzt bestimmt noch die nächsten zehn Jahre so, wenn man die Lebenserwartung realistisch einschätzt.«


Delish und Kaisa

Delish ist ein sogenanntes Don-Pferd, ursprünglich das Pferd der Donkosaken aus der russichen Steppe. Die ersten Jahre ist Delish halb wild aufgewachsen, aber das ist lang her.

Cornelia und Delish

Cornelia Ritter, Stewardess aus München, und ihr Pferd Delish, 30.

»Seit ich Delish kenne, ist er krank: Anfangs hatte er Lungenprobleme, weil der Vorbesitzer das Heu nicht nass gemacht hatte, später litt er unter einer ganz üblen, langwierigen Fußverletzung. So übel, dass ich das bandagierte Tier dreimal am Tag spazieren führen musste, mindestens ein dreiviertel Jahr lang. Ich habe ihn wieder hinbekommen, aber reiten kann ich ihn seitdem so gut wie gar nicht mehr. In dieser Zeit bin ich oft den ganzen Vormittag im Stall geblieben. Das ging nur, weil ich als Stewardess Schicht arbeite. Viele haben die Zeit oder Geduld gar nicht und bringen ihre Pferde gleich zum Schlachter. Sind ja Lebensmitteltiere. Das kommt für mich aber nicht infrage. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich mir wünsche, er würde ganz natürlich sterben. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Er kann nämlich kaum noch kauen. Obwohl ich Prebiotik-Müsli oder zerhäckseltes Heu füttere, könnte er durch unzerkautes Futter eine Kolik ent-wickeln. Wenn Delish nicht mehr laufen kann, total eingefallen ist und sich zurückzieht, werde ich ihn einschläfern lassen. Gerade verdränge ich das aber, schließlich habe ich ihn immer wieder aufgepäppelt.«


Martin und Kaisa

Martin Menter, Falkner aus der Nähe von Ulm, und sein Adlerweibchen Kaisa, 16.

»Kaisa wird mit den Jahren immer aggressiver. Sie hackt und beißt, und wenn sie mir auf der Hand sitzt, quetscht sie richtig meinen Arm. Weil Adlerkrallen nun mal nicht steril sind, hat man ruckzuck eine Blutvergiftung. Ich bin der Einzige, der noch mit ihr umgehen kann. Selbst meine Frau traut sich nicht mehr zu ihr. Die Kaisa hat sie mal angefallen und sich in ihrem Arm so festgekrallt, dass meine Frau Stichverletzungen und Prellungen hatte. Christine hat das weggesteckt, sie kennt ja meine Leidenschaft für die Tiere! Ich habe mehrere Greifvögel. Kaisa kam 2003 von einer Wanderfalknerin zu mir. Halb tot. Ich hab sie trotz ihrer chronischen Fußverletzung wieder hinbekommen. Die Falknerin hatte ihr das falsche Futter gegeben. Adler fressen nun mal Hühner, Kaninchen, Mäuse oder Ratten - und kein Putenfleisch vom Metzger.

Klar geht die Haltung ins Geld, Kaisa verschlingt täglich circa anderthalb Kilo rohes Fleisch, außerdem muss sie viel bewegt werden. Freizeit habe ich nicht. Meine Greifvögel sind meine Freizeit. Ich war noch nie im Urlaub und kann nicht mal zwei oder drei Tage wegfahren. Einen Adler kann man nicht von Fremden betreuen lassen. Ich muss mich um Kaisa kümmern, bis sie stirbt. Jetzt ist sie 16. Eigentlich werden Adler 30 bis 40 Jahre alt, das schafft die Kaisa aber nicht - wegen ihres Fußgeschwürs. Ich habe mich damals so gefreut, als sie zu mir kam, jetzt aber ist es nur noch anstrengend.«


Delish und Kaisa

Renate und Polly

Renate Lausmann, Krankenschwester aus Bad Krozingen bei Freiburg, und ihr Border Terrier Polly, 14.

»Pollys Zipperlein halten mich ganz schön auf Trab. Sie ist jetzt 14, eine alte Dame. Wegen ihrer schlechten Leber- und Nierenwerte fahre ich alle 14 Tage zur Tierärztin, wo sie Aufbauspritzen bekommt. Die Tierärztin kostet mich jeden Monat 150 Euro. Hitze verträgt Polly auch nicht mehr. Bei uns im Rheintal ist es aber oft wärmer als anderswo, also gehe ich mit ihr morgens um halb sechs spazieren und trage sie immer über den heißen Asphalt und später die Treppen hoch. Ich glaube, auch an ihrem leichten Schlaganfall vor drei Monaten war die Hitze schuld. Gott sei Dank ist nichts zurückgeblieben. Na ja, und natürlich ist sie ganz grau und schläft viel. Aber ich kenne das und bin darauf eingestellt, weil meine Hunde bislang immer alt wurden. Die habe ich dann zum Schluss einschläfern lassen - und jedes Mal geheult. Trotzdem: So was wie Chemotherapien oder monatelange Infusionen für Hunde? Das ist nur Egoismus und Tierquälerei. Ich habe 35 Jahre als Krankenschwester gearbeitet und außerdem meinen Mann früh verloren und bin überzeugt: Tiere haben den Vorteil, dass wir ihnen ein langes Leiden ersparen können.«

»Kranke Tiere brauchen einen langen Namen«, sagt Lidja Miscevic, darum hat ihr Kaninchen gleich drei davon.

Lidja und Jannik

Lidija Miscevic, Einzelhandelskauffrau aus Dortmund, und ihr Kaninchen Jannik Jodokus Quack, 9.

»Mit seinen neun Jahren ist er ein echter Kaninchengreis. Wegen seiner schlechten Zähne muss ich seine Möhren raspeln, ihn kalziumarm und phosphorarm und trotzdem ausgewogen ernähren. Bei Wind und Wetter pflücke ich auf der Wiese Kräuter, die gut für ihn sind. Jannik hat ein Gehege, läuft aber auch frei in der Wohnung herum. Doch seit er altersblind ist, darf ich keine Stühle verstellen oder mal einen Putzeimer stehen lassen. Da rennt mein alter Mann dagegen. Dass er Arthritis hat, ist für ein Kaninchen in seinem Alter normal. Deshalb braucht er Schmerzmedikamente, Antibiotika oder Entzündungshemmer. Ich kann Jannik keine 24 Stunden allein lassen. Ich arbeite in einem Möbelhaus; wenn ich fertig bin, kann ich nicht erst einkaufen, sondern fahre sofort nach Hause, um nachzuschauen, ob es ihm gut geht. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass Jannik morgens einfach tot im Gehege liegt, weil er einen Herzinfarkt hatte. Das wäre für ihn das Beste - und auch für mich. Denn natürlich mag ich meinen kleinen Kumpel nicht gehen lassen. Aber es gibt diesen Punkt, da darf man nicht mehr an sich selbst denken. Leider gibt die Medizin für Tiere inzwischen sehr viel her. Da muss man auch mit sich selbst kämpfen, damit man das Tier nicht unnötig quält. Um das zu verhindern, werde ich Jannik wohl einschläfern lassen. Der
Tod ist das letzte Geschenk, das ich ihm machen kann.«

Kurz nur, ganz kurz, kann Daniel die beiden Katzen mit Mini-Salami füttern. Dann muss er schnell weg von ihnen, seine Allergie gegen Katzenhaare quält ihn zu sehr.

Daniel, Samy und Milo

Daniel Grohotolski, Kommunikationsdesigner aus München, und die Katzen Samy, 6, und Milo, 7.

»Ich bin extrem allergisch auf die Katzen meiner Freundin. Als ich das erste Mal in ihrer Wohnung war, fing ich sofort zu niesen an. Und mir war ganz unwohl. Übernachten war dann echt anstrengend. Ich musste die ganze Zeit husten. Asthma. Jetzt sind wir fast zwei Jahre zusammen. Und so gut wie immer in meiner Wohnung, weil meine Freundin Samy und Milo nicht weggeben will. Wenn wir doch mal Sachen von ihr holen, warte ich vor der Tür oder bin im Bad. Da sind weniger Katzenhaare. Ohne Tabletten geht es maximal zehn Minuten. Und selbst mit Antihistaminen halte ich höchstens eine halbe Stunde bis Stunde aus, das hängt von der Tagesform ab. Klar nervt die Situation. Ich möchte mit meiner Freundin zusammenziehen. Ich verlange jetzt nicht, dass sie ihre Katzen für mich aufgibt, trotzdem wäre es besser, wenn die beiden nicht da wären. Ich fange jetzt erst mal eine Desensibilisierung an. Wenn die nichts bringt, weiß ich keinen Ausweg. Bei guter Pflege können Samy und Milo noch zehn Jahre leben.«

Fotos: Gianni Occhipinti und Julian Baumann