Das Beste aus aller Welt

Wie werden wir in hundert Jahren leben? Angeregt von den Vorhersagen eines legendären Londoner Bürgermeister wagt Axel Hacke einige überraschend detaillierte Prophezeiungen.

Durch Zufall fiel mir zu Jahresbeginn ein Artikel aus der Zeitung Evening Independent vom Dezember 1913 in die Hände, in welchem der damals neu gewählte Londoner Bürgermeister Thomas Vansittart Bowater die Zukunft der Welt in hundert Jahren vorhersagte, für das Jahr 2013 also. Und wie überaus treffsicher war Thomas Vansittart Bowater!

Er sagte, ein Pferd in der Londoner Innenstadt werde bedeutend mehr Verwunderung hervorrufen als ein Flugzeug über St. Paul’s; überhaupt würden Aeroplane selbstverständlich die Ozeane überqueren; ein Tunnel unter dem Kanal werde einen schnellen Trip von London nach Paris ermöglichen; Reisen zum Mond und zum Mars würden als möglich erscheinen. Einzig der Sieg über den Krebs wie überhaupt über den Tod sowie das Verschwinden der Briefmarke gehören zu den nicht wahr gewordenen Prophezeiungen Vansittart Bowaters. Auch haben wir keine großen Netze über die Innenstädte gespannt, um uns gegen aus Flugzeugen herabfallende Dinge zu schützen, wie er in seinem Ausblick wähnte.

Die Frage ist nun: Wie geht es weiter? 2013 ist erreicht, wie wird die Welt (insbesondere Deutschland, insbesondere München) in weiteren hundert Jahren aussehen? 2113?

Meistgelesen diese Woche:

Zunächst: Deutschland wird nach dem durch den Klimawandel bedingten (und umfangreicher als heute erwartet) ausgefallenen Anstieg der Meeresspiegel anders aussehen. Hamburg ist in der Nordsee versunken; von der Stadt kann man nur die Spitze der Elbphilharmonie sehen. Dennoch ist die Stadt bewohnt, Leben unter Wasser ist 2113 kein Problem mehr, Helmut Schmidt wird dann dort sogar rauchen können. Etwa von Essen über Uelzen nach Berlin wird die Küstenlinie verlaufen, Salzgitter wird einer der bekanntesten Badeorte Europas sein, Kassel Sitz des Bundesverbandes deutscher Olivenbauern.

Erdöl gibt es nicht mehr, Strom ist teuer, Reisen finden überwiegend virtuell statt, das heißt: Wer reisen will, mietet am Ziel einen künstlichen Stellvertreter, dessen Erleben ihm online nach Hause übermittelt wird. (Was kein Problem ist, denn alles, was heute auf Bildschirmen zu sehen ist, wird dem Menschen direkt ins Gehirn gepustet.) Dennoch wird der Berliner Flughafen eröffnet, allerdings erst 2114. Angesichts der Tatsache, dass es keine Flugzeuge mehr gebe, könne man Probleme mit der nicht funktionierenden Entrauchungsanlage in Kauf nehmen, teilt die Regierende Bürgermeisterin mit. Auf den sinnlos gewordenen Autobahnen finden permanente Radrennen mit achtbeinigen Retortenradlern statt, sogenannten Armstrongs.

Münchens nördliche Stadtgrenze wird nach anhaltender Zuwanderung kurz vor Regensburg verlaufen, Ingolstadt ist ein Stadtteil, Augsburg ebenso. Das Zentrum wurde zu einer Luxus-Shopping-Mall umgestaltet, die Mehrheit der Einheimischen arbeitet als Schaufensterpuppen für die Einkaufsroboter von Chinesen, Arabern und Russen. Große Teile der Innenstadt sind so wertvoll geworden, dass sie nachts in Safes aufbewahrt werden müssen.

Männer werden 2113 im praktischen Sinne weitgehend nutzlos sein. Die Welt wird von Frauen beherrscht, Sex findet auf einer körperlosen Ebene statt, Fortpflanzung und Schwangerschaft sind in Spermienbanken und Leihmutterschaftshäuser verlagert; den Frauen fehlt angesichts ihrer Verpflichtungen in Politik und Wirtschaft die Zeit für all dieses. Wie sie einst in Hauswirtschaft ausgebildet wurden, besuchen Männer Partnerschaftsakademien, in denen sie Emotionalität, Nachgiebigkeit, Empathie und anderes Nützliche lernen. (»Das wirst du brauchen, wenn du eine Frau finden willst, die dich ernährt.«)

Die gute Nachricht: 2113 wird man »50 Jahre Sieg über den Haarausfall« ebenso feiern wie den 125. Geburtstag des legendären Fußballtrainers Mesut Özil, der ab 2028 Eintracht Braunschweig zu einer unvergleichlichen Serie von 58 deutschen Meisterschaften in Folge führte.

Illustration: Dirk Schmidt