Die Gewissensfrage

Ist es moralisch in Ordnung, wenn man ein Geldgeschenk nicht wie vereinbart für den Kauf einer Jacke verwendet, sondern einem wohltätigen Zweck spendet?

»Meine Tochter, die studiert und nicht mehr zu Hause wohnt, erzählte kürzlich von einer Jacke, die sie gern hätte, und guckte dabei so, wie Kinder eben gucken – kurzum, ich gab ihr die 50 Euro für die Jacke. Als ich ein paar Wochen später nachfragte, meinte sie, sie habe mit dem Geld ›etwas viel Besseres gemacht‹, sie habe es den Maltesern gespendet. Obwohl ich es prinzipiell gut finde zu spenden: Müsste sie mir nicht das Geld zurückgeben?« Karin B., Hamm

Kann es falsch sein, Gutes zu tun? Natürlich ist es gut, Geld für Bedürftige zu spenden. Noch dazu, wenn es – wie hier – lediglich auf Kosten von nicht notwendigem Konsum geschieht: Ihre Tochter scheint nicht frieren zu müssen ohne die neue Jacke, es war vermutlich nur die Lust am Neuen, womöglich sogar am Konsumieren selbst. Und es geht sogar noch einen Schritt weiter: Ich vertrete ja die Auffassung, dass das Ziel jedes Geschenkes sein sollte, den Beschenkten zu erfreuen. Wenn Ihre Tochter nun meint, die Spende habe sie viel zufriedener gemacht als eine weitere Jacke, müssten eigentlich alle zufrieden sein, denn das Endziel Ihres spontanen Geldgeschenks wurde damit ja erreicht.

Meistgelesen diese Woche:

Nun könnte man einwenden, dass Sie das Geld speziell für die Jacke gegeben haben. Zwar schmälert jede Bedingung, die man an ein Geschenk knüpft, das Geschenk, denn der oder die Beschenkte wird in der Freiheit beschränkt, dennoch muss man das einer Schenkenden zugestehen, wenn ihr etwas besonders am Herzen liegt.

Nur ist das hier weniger das Problem: Sie haben gegen eine Spende für gute Zwecke nichts einzuwenden, begrüßen sie sogar. Trotzdem bleibt bei Ihnen – und auch bei mir – ein gewisses Unbehagen. Und wenn man fragt, woher das kommt, landet man meines Erachtens im Zentrum der Moralphilosophie. In gewissem Sinne belegt Ihr Fall, und das ist das Schöne an ihm, dass eine ihrer Kernaussagen auch bei kleinen Begebenheiten im Alltag gilt und wirkt. Auch wenn alles stimmt, was Ihre Tochter sagt – dass sie zunächst die Jacke wollte, aber danach bemerkte, dass sie lieber spenden würde, und es tatsächlich auch tat – ist eines passiert: Sie wurden durch diese unabgesprochene Vorgehensweise abgewertet, von einer gleichberechtigten Akteurin zur Spielfigur. Sonst war alles in Ordnung, ja die Spende sogar besser als der Jackenkauf, aber Sie wurden bei dem Ganzen im Endeffekt zur bloßen Geldquelle. Und damit in der Kantschen Terminologie nicht mehr als eigenständiger Zweck, sondern nur mehr als Mittel gebraucht.

Nun geht es darum, die Abwertung möglichst rückgängig zu machen. Aber wie? Das Geld zurückgeben? Das wäre eine Möglichkeit. Für besser hielte ich jedoch ein offenes Gespräch, bei dem genau diese Punkte angesprochen werden. Denn dabei sind Sie beide dann wieder gleichberechtigte Akteurinnen.

Quellen:

Die Abwertung lässt sich erkennen an der Zweck-an-sich-Formel oder Selbstzweckformel von Kants Kategorischen Imperativs: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.«

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA Band IV S. 429
Eine preisgünstige Ausgabe ist im Reclam Verlag erschienen.

Zur Erläuterung der verschiedenen Formeln des Kategorischen Imperativs sehr empfehlenswert ist Ralf Ludwig, Kant für Anfänger. Der Kategorische Imperativ, dtv 2004

Peter Schaber, Instrumentalisierung und Würde, mentis-Verlag, Paderborn 2010

Illustration: Serge Bloch