Smart an der Schmerzgrenze

Der deutsche Designer Philipp Plein verkauft Kleidung, die er mit Totenköpfen aus Strass verziert. Total daneben? Während andere noch die Nase rümpfen, macht er schon die Millionen.

Gleich im Eingangsbereich wird man nach Art des Hauses empfangen. An der Decke hängt ein großer weißer Kronleuchter mit Totenköpfen auf den Armen, so etwas wie die Erkennungszeichen der Marke Philipp Plein. Darunter mannshohe Vasen, vollgestopft mit Orchideen. An der Wand ein riesiges beleuchtetes Bild des Designers selbst, Arm in Arm mit dem Fotografen Terry Richardson. Beide recken grinsend die Daumen nach oben. Darunter steht: »Expect the unexpected.«

Showrooms sind in der Modebranche normalerweise dazu da, Einkäufern die neue Kollektion zu präsentieren. Es sind funktionale Räume, bessere Messestände. Selbst bei Gucci sieht es aus wie in einer Achtzigerjahre-Hotelsuite voller Kleiderstangen. Allerdings würden die ihre Sachen auch noch im Wohncontainer ohne Probleme loswerden.

Bei Philipp Plein ist das Prinzip Showroom etwas wörtlicher zu verstehen. Seine Räumlichkeiten in Mailand dienen vor allem: der Philipp-Plein-Show. Empfangen wird auf einer ganzen Etage in einem alten Patriziergebäude in der Via Bigli mitten im Zentrum. Gleich ums Eck sind die Boutiquen von Prada, Jil Sander, Burberry. Beste Lage. Der Designer selbst führt durch die Räume. Gestern erst war die Chefin der französischen Vogue da, erzählt er gleich mal vorweg, und nachher kommt »Franca«, Franca Sozzani, einflussreiche Chefredakteurin der italienischen Vogue. Franca macht jetzt auch seine Werbekampagne zur Herbstkollektion. »Styling, Casting, Konzept – alles«, sagt Plein. Sie könnte jede Kampagne machen, sie macht seine. Dabei ist er nicht mal Italiener. »Das ist schon etwas, da kann ich mich sehr geehrt fühlen.«

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Die Herbstkollektion von »PP« gibt es hier natürlich auch zu sehen. Nietenbesetzte Handtaschen, hochgebockte Glitzer-Pumps, Jacken mit viel Leder, viel Pelz. Gesamteindruck: viel mit viel dran. Aber über sein Werk wischt der Hausherr nur so hinweg, die eigentliche Attraktion liegt woanders, über den Dächern von Mailand: eine große Terrasse aus weißen Holzplanken und mit einfahrbarem Glasdach.

Philipp Plein misst mit großer Geste das Panorama ab. »Schauen Sie, so etwas finden Sie höchstens noch im ›Bulgari Hotel‹!« Einem der teuersten Hotels der Stadt. Im Sommer veranstaltet er hier Partys, Filmabende, aber irgendwer hängt auch sonst immer bei ihm ab. Freunde, Kunden, Modeleute können sich hier auf der Massageliege verwöhnen lassen oder ein italienisches Drei-Gänge-Menü genießen. Täglich wechselnd. Alles umsonst. »Die Leute kommen zu uns und sind total beeindruckt: ›Bei Dolce & Gabbana gibt es eine Kantine, bei dir ein richtiges Restaurant, Philipp!‹«, erzählt Plein stolz. Die großen Italiener, geschlagen auf ureigenstem Terrain. Mode, Essen, Terrassen – was auch immer, er spielt jetzt ganz oben mit.

Vor ein paar Jahren war Philipp Plein noch dieser etwas peinliche Ed-Hardy-Verschnitt. Ein junger Modemacher Ende zwanzig, der mit viel Bling-Bling, Sex und Rock ’n Roll versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. 2008 ließ er seine ultrakurzen Kleider und stacheligen Highheels bei Heidi Klums Germany’s next Topmodel vorführen. Das brachte gute Publicity. Kurz darauf verpflichtete er Lindsay Lohan, damals noch Schauspielerin, und Pierre Sarkozy, Sohn des damaligen französischen Präsidenten, als Models für seine Werbeanzeigen. Auch das sorgte für Aufsehen. Für Anerkennung eher nicht.

Dafür brauchte es noch mehr Show. Und vor allem mehr Räume, eigene Läden. In rascher Folge eröffnete Philipp Plein in Monte Carlo, Saint-Tropez, Cannes, Moskau, Kitzbühel, noch mal in Moskau, Seoul, Baku. Plötzlich war da ein junger deutscher Designer mit einem Dutzend Läden wie aus dem Nichts. Alles, wie er versichert, selbst finanziert, ohne Investor. Angeblich hat er nicht einmal einen Dispo-Kredit. Allein in diesem Jahr will er mindestens zehn weitere Geschäfte eröffnen, vier davon in China. Dagegen mutet der einzige verbleibende Shop von »Stardesigner Michalsky« in Berlin fast rührend an.

Auch bei der Eröffnung von Pleins deutscher Dependance auf der Düsseldorfer Kö waren wieder alle da – Hollywoodstar Adrien Brody, Rapperin Eve, Boris Becker –, und alle fragten sich: Wie schafft er das? Und: Ist das nun eigentlich Mode oder nur Marketing? Plein behauptet, Franca Sozzani nenne ihn den »jungen Roberto Cavalli«, aber natürlich ist sie viel zu klug, das auch öffentlich zu tun. Philipp sei einfach Philipp, sagt sie auf Nachfrage, er spiele keine Rolle, mache einfach sein Ding. »Er ist jung, frisch, ein bisschen verrückt. Ich bewundere seinen Enthusiasmus!« Über seine Mode verliert sie kein Wort. Sozzani ist ohnehin eher unverdächtig, seinen Stil persönlich zu tragen, man sieht sie eher in Prada oder Vintage-Mode. »Wie alle, die auch mal etwas riskieren, kann man ihn mögen oder nicht«, findet sie. »Aber ihm ist sowieso egal, was andere denken. Und genau das mag ich wieder an ihm.«

Plein selbst nennt sich »kreativer Unternehmer«, nicht Designer. Er hat nie Modedesign studiert, aber gut zugeguckt. Er weiß, wie das Spiel läuft. »Schauen Sie«, sagt er, »in der Mode gibt es doch schon alles. Und alle machen das Gleiche. Gucci, Dolce – es gibt keinen Unterschied, ich habe das alles analysiert. Ich kann einen Schuh also nicht neu erfinden. Ich kann ihn nur billiger anbieten. Oder veredeln.«

In seinem Fall heißt das: den Absatz großflächig mit Swarovski-Steinen bestücken. Ach was: am besten gleich den ganzen Schuh. Für Männer gibt es in der Sommerkollektion eine Jacke aus Krokoleder, »veredelt mit versetzten Reißverschlüssen und dem Philipp-Plein-Logo auf der Rückseite«. Preis: 49 998 Euro. Wie viel er davon verkaufen wird? Plein schaut die Vertriebsmanagerin an. »Quanta?« »Dreißig Stück«, sagt die junge Frau. Schon zwanzig wären viel in diesem Preissegment. »Wir sind nicht jedermanns Geschmack, aber der Erfolg gibt uns Recht«, sagt Plein.

»Wir merken, wir werden langsam ernst genommen«

Model während der Philipp Plein Modenschau, Herbst/ Winter 2013, in Mailand. (Foto: getty)

Die Leute wollen sich abheben, auch der Banker in Zürich möchte in seiner Freizeit mal verrückt sein. Ende vergangenen Jahres habe er Aufträge im Wert von mehr als hundert Millionen Euro in den Büchern gehabt. Umsätze in den eigenen Läden nicht mitgerechnet.

Die Firma wächst rasant, zweistellig, so soll es weitergehen. Seit 2012 sponsert er die Fußballmannschaft des AS Rom. »Fußballer sind die modernen Gladiatoren«, schwärmt Plein. Er selbst ist also auch Fan? Die Antwort kommt schnell. »Überhaupt nicht. Ich mache nur das, was die anderen machen.« Armani sponsert Chelsea, Dolce den AC Mailand, Plein jetzt halt den AS Rom. »Rom, das ist immer noch sehr international, das versteht sogar der Chinese.«

Philipp Plein wurde in München als Sohn eines Herzspezialisten geboren, besuchte das teure Internat Schloss Salem, studierte danach Jura in Erlangen. Wenn man ihm das weiße Hemd jetzt drei Loch weiter zuknöpfen würde und sich die Lederbändchen mit den silbernen Totenköpfen am Handgelenk wegdenkt, kann man sich den Mann immer noch gut als Anwalt vorstellen. Er referiert gern, gibt sich betont smart, hat eine Vorliebe für lateinische Sinnsprüche. In seinem Wohnhaus in der Schweiz, einem großzügigen Gebäude auf einem ehemaligen Weingut nahe dem Bodensee, steht am Eingang ein Kunstwerk mit der Inschrift »Tempora mutantur, nos et mutamur in illis«, die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihnen. Bei ihm war es nach sechs Semestern so weit: Plein, gerade Anfang zwanzig, wollte jetzt lieber Möbel verkaufen. Von den Eltern bekam er keinen Pfennig, nur die Oma half mit 2000 Mark Startkapital. Davon ließ er Stahlrohrgestelle bauen, Tische, Stühle, und verkleidete sie mit geprägtem Krokoleder, »bevor Armani oder Fendi auf die Idee kamen«. Innerhalb kürzester Zeit machte er die erste Umsatzmillion, seinen ersten Shop eröffnete er im Münchner »P1«.

Zur Mode kam er vier Jahre später und eher zufällig: Für eine Möbelmesse hatten Plein und seine Leute eigentlich nur eine Kleiderstange irgendwie dekorieren wollen. Also hängten sie alte Bundeswehrjacken daran auf und verzierten die Rückseiten mit einem Totenkopf aus Swarovski-Steinen, weil sie das bei ihren Tierfellkissen gerade auch machten. Einkaufspreis: um die zwanzig Euro. Als jemand eines der »Designer-Teile« kaufen wollte, machte Plein daraus 200 Euro. Später gingen sie für bis zu 700 Euro über den Ladentisch. »In diesem Jahr haben wir zwei Millionen nur mit einer einzigen
Jacke gemacht«, erzählt Plein. Danach habe er begriffen, »dass es bei Mode keine Schmerzgrenze gibt«. Man müsse nur eine Nische finden. Und seine hieß von nun an: laut, aber Luxus. Seinen Firmen- und Wohnsitz ließ er in der Schweiz, Design und Showroom verlagerte er nach Italien. Direkt zu den Mitbewerbern. »Cavalli im Damen-, Dolce und Dsquared im Herrenbereich«, sagt Plein. Er hat das alles analysiert. Er lässt jetzt in den besten Fabriken produzieren, Kaschmir, wo auch Chloé und Valentino bestellen, Schuhe, wo Louboutin und Jimmy Choo fertigen lassen. Bis heute sei bei ihm alles »made in Italy«.

Auch seine Kollektion präsentiert er seit ein paar Saisons während der Mailänder Modewoche. Am Tag vor der Schau im Februar sitzt er im Showroom und schmeißt noch einmal das Casting der Models um, weil ihm ein Mädchen nicht gefällt. Das Make-up ist auch noch nicht »Smoky Eyes genug«. Seine Freundin, eine Brasilianerin, die im Juni ein Kind von ihm erwartet, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Er muss sich überall einmischen, »alles kontrollieren, bis er hundert Prozent zufrieden ist«, erzählen Leute, die mit ihm gearbeitet haben.

Die Italiener lieben seine Mischung aus Mode und Party. Viele Redakteure tun das Ganze zwar als »geschmackloses Gedöns« ab, aber es kommen von Saison zu Saison mehr. Plein hat diesmal einen echten Märchenwald in die Location bauen lassen, Urwaldgeräusche am Eingang inklusive, die etwas angezählte, aber immer noch tolle Grace Jones singt vorab auf dem Catwalk. Knapp eine halbe Million lässt er sich das kosten, um mitzuspielen im »Fashion-Zirkus«, dieser Scheinwelt, wie er sie nennt. Bekanntlich sind es zwei verschiedene Paar Schuhe, was die Modekritik zu einer Kollektion sagt und was sich am Ende verkauft. Philipp Plein verkauft, das ist, was für ihn zählt. Aber ein bisschen Anerkennung, findet er, hat er auch verdient. »Wir merken, wir werden langsam ernst genommen«, sagt er.

Er selbst hat sich seinen Namen auf den rechten Arm tätowieren lassen.

In zwanzig Jahren soll man Philipp Plein überall auf der Welt kennen. Dann werde das Label eine richtige Marke sein, inklusive Markenhistorie, die jetzt und hier geschrieben wird. Das sei das eigentliche Ziel, sagt Plein, alles Materielle verliere ja irgendwann seinen Reiz. Zum Beweis erzählt er noch einmal von seinen Anfängen als Jungunternehmer, der im »Autogrill« am Mailänder Dom noch die Mozzarella-Bällchen unter den Salatblättern versteckte, um weniger zu zahlen, und sich von seiner ersten Umsatzmillion dann mit gerade mal 24 einen Porsche kaufte. Drei Monate musste er auf sein Wunschmodell warten, nach sechs Monaten fuhr er es zu Schrott. Nicht seine Schuld, die Versicherung zahlte, ein paar Tage später stand ein neuer Porsche vor der Tür. »Aber die Emotionen waren weg. Verstehen Sie?«, fragt Plein. »Plötzlich war das nur noch ein Gebrauchsgegenstand. Geld ist wie Wasser. Es plätschert rein und wieder raus. Du musst nur schauen, dass genug davon da ist.« Aktuell fährt er Ferrari.

Und was, wenn es mit dem Bling irgendwann vorbei ist? Wenn die Leute keine Lust mehr auf Swarovski-Steine und Nieten haben, das Wasser mal nicht plätschert? »Schauen Sie«, sagt Plein, »ich bin ja nicht bescheuert. Ich bin breit aufgestellt. Wenn heute Russland zusammenbricht, gibt es mich morgen immer noch. Wenn morgen der deutsche Markt wegfällt, hab ich immer noch China.« Aber am Ende sei es doch so: »Jede Frau ist einmal jung, und wenn man jung ist, spielt man Prinzessin, und Prinzessin ist Bling. Sie will die Krone mit Steinchen, das Glitzerkleid, den Zauberstab«, sagt Plein. »Bling liegt in unseren Genen. Bling stirbt nie.«

Philipp Patrick Plein
1978 in München geboren, hat Plein sein Abitur auf dem Schlossinternat Salem gemacht und danach Jura in Erlangen studiert. Seinen ersten Laden eröffnete er in der Münchner Disco »P1«. Weitere Läden folgten in Kitzbühel, Monte Carlo und Saint-Tropez. 2011 war er Juror der ProSieben-Castingshow »Fashion & Fame«.