Die Gewissensfrage

Darf man als junge Mutter Betreuungsgeld beantragen, obwohl man diese Förderleistung im Prinzip ablehnt?

»Ich halte das Betreuungsgeld, das es ab August 2013 geben wird, für eine ungeeignete Maßnahme zur Förderung von Familien, eigentlich gehört es sofort wieder abgeschafft. Nun ist das Gesetz aber Tatsache, und ich hätte für meinen 2012 geborenen Sohn Anspruch darauf. Darf ich es beantragen, obwohl ich es von der Idee her ablehne?«  Karin M., Freiburg

So ungeeignet und kontraproduktiv es sein mag, das Betreuungsgeld wurde in einem demokratischen Verfahren beschlossen und ist deshalb nun einmal ein Instrument der Familienförderung, zu dem sich unsere Gesellschaft, vertreten durch Regierung und Parlament, entschieden hat. Insofern spricht zunächst wenig dagegen, es auch in Anspruch zu nehmen.

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Allerdings kommt auf einer zweiten Ebene etwas ins Spiel, was vermutlich auch Ihre Bedenken hervorruft: die Integrität der Person. Die wäre tatsächlich gefährdet, wenn Sie das Betreuungsgeld aus prinzipiellen Gründen ablehnen, es aber doch annehmen: Sie würden dann gegen Ihre eigenen Überzeugungen handeln, Ihre Persönlichkeit in Widersprüche verwickeln und somit beschädigen.

Bei Ihnen scheint es jedoch anders zu liegen, und das leitet über zu einer dritten Ebene. Das Betreuungsgeld wurde zwar aus ideologischen Gründen eingeführt – es geht nicht in erster Linie darum, Kinder zu fördern, sondern ein bestimmtes Familienbild –, Sie lehnen es aber nicht aus ideologischen Gründen ab, sondern weil Sie andere Maßnahmen der Familienförderung für sinnvoller halten. Diesem Ziel ist jedoch nicht besser gedient, wenn Sie auf das Geld verzichten. Logisch wäre daher vielmehr, das Geld zu beantragen und ganz gezielt entweder für Ihren Sohn einzusetzen – oder aber in dem Sinn, den Sie beim Betreuungsgeld vermissen. Als dessen Hauptproblem sehe ich die Gefahr, dass Kinder, deren Eltern dazu selbst nicht ausreichend gewillt oder in der Lage sind, zu wenig frühkindliche Förderung erhalten. Deshalb wäre eine konsequente – und auch für unsere Gesellschaft gute – Möglichkeit, das Geld anzunehmen und Projekten oder Organisationen zukommen zu lassen, die sich um die Förderung sozial benachteiligter Kinder kümmern. Gewissermaßen eine Gesetzeskorrektur auf individueller Ebene.

Literatur:

Arnd Pollmann, Integrität, Aufnahme einer sozialphilosophischen Personalie, transcript Verlag, Bielefeld 2005

Illustration: Serge Bloch