Der weise Riese

Als Kind sezierte er Rinder, als Teenager seine erste Leiche, als Bestsellerautor die menschliche Seele. Ein Interview mit dem Neurologen Oliver Sacks, in dem es um Leben und Tod geht.

Professor Oliver Sacks (Foto: afp)

Frühsommer in New York. Über Lower Manhattan scheint die Sonne, aber im Büro von Oliver Sacks herrschen klamme 16 Grad Celsius. Der Doktor hat es gern kühl und scheut auch sonst nicht den Ruf, ein bisschen exzentrisch zu sein. Nun sitzt er in Regenbogen-Ringelsocken vor seinem Schreibtisch, auf dem verschiedene Metallklumpen liegen: Zink, Kupfer, Wolfram und Iridium – das dichteste aller Elemente. Als Kind wäre er am liebsten Chemiker geworden, dann widmete er sich der Neurologie und schrieb Weltbestseller über Menschen wie den Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte. Nun wurde er 80, Zeit für eine Bilanz.

SZ-Magazin: Professor Sacks, seit mehr als einem halben Jahrhundert arbeiten Sie als Neurologe. Können Sie sich noch erinnern, wann Sie zum ersten Mal ein Gehirn seziert haben?

Oliver Sacks: Ja, beim Abendessen. Als wir Kinder waren, servierte meine Mutter uns zu Hause Kalbshirn. Sie zerlegte es vorsichtig mit dem Messer und ließ uns die Windungen des Kleinhirns bewundern. Dann forderte sie uns auf, den Geschmack des Kleinhirns mit dem der Hirnrinde zu vergleichen. Ich habe die Neuroanatomie zuerst mit dem Geschmackssinn studiert.

Ihre Eltern waren beide Ärzte. War Ihre Berufswahl damit vorgegeben?

Meine Mutter war eine der ersten Chirurginnen in England. Schon als ich ein Baby war, nahm sie mich zu ihren Vorlesungen mit und stillte mich vor ihren Studenten. Dabei war sie privat eine sehr zurückhaltende Frau, fast krankhaft schüchtern. Doch wenn sie vor Publikum sprach, war sie eine mitreißende Rednerin. Sie interessierte sich besonders für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Als ich zehn oder elf Jahre alt war, brachte sie ab und zu tote Föten von Fehlgeburten mit nach Hause, die ich studieren sollte.

Das klingt eher abschreckend.
Ach, wissen Sie, ich habe in meinem Leben viele Dinge auf sehr direkte Art gelernt. Als ich 14 Jahre alt war, nahm mich meine Mutter in die Anatomie mit und ließ mich den Leichnam eines gleichaltrigen Mädchens sezieren.

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In einem Alter, in dem andere pubertierende Jungen den Körper des weiblichen Geschlechts entdecken, hatten Sie Ihr erstes Rendezvous mit einer Mädchenleiche?
Ich war schockiert, als ich entdeckte, dass unter dem Tuch ein gleichaltriger Leichnam lag. Es war eine schauderhafte Erfahrung, die einem 14-Jährigen eigentlich erspart bleiben sollte. Also habe ich versucht, mich auf das Bein zu konzentrieren. So wurde ich schon sehr früh dazu gezwungen, meine Erfahrungen zu depersonalisieren. Der Schriftsteller Gustave Flaubert wurde übrigens schon im Alter von acht Jahren von seinem Vater in das Sezieren von Leichnamen eingeführt. Ich war also vergleichsweise spät dran, und Flaubert scheint es nicht geschadet zu haben.

Liegt es auch an dieser frühen traumatischen Erfahrung, dass Sie nie geheiratet haben und zölibatär leben?
Das ist ein zu großes Thema und gehört nicht hierher.

Haben Sie Haustiere?

Das einzige Haustier, das ich je hatte, war ein Tintenfisch, als wir nach dem Krieg mit der Familie Urlaub am Meer machten. Ich setzte ihn in die Hotelbadewanne und fütterte ihn mit lebenden Krabben. Wenn ich zu ihm ins Badezimmer kam, erkannte er mich und signalisierte mir seine Gefühle, indem er seine Farbe änderte. Ich glaube, er hat mich gemocht, und ich wollte ihn unbedingt mit nach London nehmen und ein großes Aquarium für ihn bauen. Aber vor unserer Abreise fand ihn das Zimmermädchen, bekam einen hysterischen Anfall und erstach meinen Kraken mit ihrem Besenstiel. Ich fand ihn tot auf dem Boden in einer Tintenlache liegend, und in meiner Trauer sezierte ich ihn.

Hunde und Katzen sind Ihnen zu langweilig?
Auf meinen Reisen durch Südamerika habe ich mich in das brasilianische Wasserschwein verliebt, das schwerste Nagetier der Welt. Aber Sie können kein hundert Pfund schweres Wasserschwein in einem New Yorker Apartment halten. Allerdings habe ich gerade ein bezauberndes Buch über Schnecken gelesen und werde mir jetzt eine Schnecke als Haustier zulegen.

Was fasziniert Sie an Schnecken?
Ihre Sauberkeit, ihr kompaktes Leben. Die Tatsache, dass Schnecken Zwitter sind. That’s fun. Wenn sich zwei Schnecken begegnen, entscheiden sie, wer das Männchen und wer das Weibchen sein soll. Das können wir Wirbeltiere nicht. Ich schreibe momentan auch etwas über Würmer. Mein Lieblingsbuch von Darwin ist sein letztes Werk, das er über Würmer geschrieben hat. Er interessierte sich für die Psychologie der Würmer und wollte herausfinden, wie sie auf Musik reagieren. Ja, ich glaube, ich werde mir demnächst eine Schaufel Würmer besorgen.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich Zuneigung ohne Verantwortung wünschen. Interessieren Sie sich deshalb für das Liebesleben der Würmer?
Leider können Würmer und Schnecken keine Gefühle erwidern. Ich habe mich natürlich gefragt, welches das niedrigste Tier ist, mit dem man eine Beziehung auf Gegenseitigkeit haben könnte. Vermutlich mit einem Reptil, vielleicht einem Iguana. Robin Williams besitzt einen Iguana. Robin kann übrigens nicht nur Menschen wunderbar nachahmen, sondern auch Reptilien. Er hat ein ungeheures Wissen über Reptilien, er weiß, was es bedeutet, ein Iguana zu sein.

Sie sind berühmt geworden durch die neurologischen Fallgeschichten Ihrer Patienten, die Sie in Büchern wie Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte und Zeit des Erwachens beschreiben, das mit Robin Williams in der Hauptrolle verfilmt wurde. Was interessiert Sie an Tieren?

Wir Menschen müssen unsere Animalität respektieren. Ich schreibe gerade ein Buch über Niesen, Husten und Jucken, also Verhaltensweisen, die wir mit Tieren gemeinsam haben. Ich werde mir zum Beispiel bewusst, dass ich ein Tier bin, wenn mein Rücken juckt und ich ihn wie ein Rindvieh an einem Baum reibe. Ich halte es für sehr gefährlich zu vergessen, dass man ein Tier ist. Man muss versuchen, ein gesundes Tier zu sein. Es ist nicht gut, sich zu sehr in abstrakten Gedanken zu verlieren.

Vom Rückenkratzen abgesehen: Wie wird der Mensch ein gesundes Tier, Herr Doktor?

Das Tier isst vernünftig, was ich nicht tue. Ich schwanke immer zwischen Gier und Unterernährung und bin nicht das beste Beispiel für ein gesundes Tier. Ein gesundes Tier sollte sich nicht zu sehr seiner selbst bewusst sein. Ich habe mal eine 90-jährige Patientin gehabt, die an Neurosyphilis litt und deren Sexualtrieb plötzlich wieder auflebte. Sie hat mich ein wenig an die Heldin von Thomas Manns Die Betrogene erinnert. Ich verschrieb der Dame Penicillin, was ein Fortschreiten der Syphilis verhinderte, ohne die sexuelle Enthemmung rückgängig zu machen. Sie fand diesen Zustand ideal. Ohnehin ist es empfehlenswert, ab und zu mal Urlaub von seinen Großhirnlappen zu nehmen.

Und sonst?
Tägliche Bewegung ist natürlich sehr wichtig. Ich bin jetzt 80 Jahre alt und an Land mittlerweile etwas behindert. Das Gehen fällt mir schwer, dafür schwimme ich jeden Tag ausgiebig. Ich liebe Schwimmen.

»Behinderungen sorgen oft dafür, dass andere Fähigkeiten überdurchschnittlich entwickelt werden.«

Der verrückte Professor
Oliver Sacks, der mit seinen Büchern über neurologische Fallstudien Weltruhm erlangte, wurde 1933 in eine weit verzweigte jüdische Familie in London geboren. Sein Onkel besaß eine Glühbirnenfabrik, in der Lampendrähte aus Wolfram hergestellt wurden. In seinen Memoiren »Onkel Wolfram« setzte Sacks ihm ein Denkmal und beschreibt seine frühe Begeisterung für Chemie. Später studierte er Medizin, wurde Neurologe und wanderte in den Sechzigerjahren nach New York aus, wo er jahrzehntelang an einem Krankenhaus in der Bronx praktizierte. Dort behandelte er auch Überlebende der Schlafkrankheit, die seit den Zwanzigerjahren vor sich hin dämmerten. Sein Buch »Zeit des Erwachens«, das vom Schicksal dieser Patienten erzählt, wurde ein Bestseller und mit Robin Williams in der Hauptrolle verfilmt. Sacks ist begeisterter Schwimmer und hat eine besondere Vorliebe für Kopffüßer: Auf seinem Briefpapier prangt ein großer Tintenfisch.

In Ihren Memoiren Onkel Wolfram beschreiben Sie, dass Sie Ihrem Vater nie näher waren als beim gemeinsamen Schwimmen.
Mein Vater war ein fabelhafter Schwimmer. Er hat uns Kinder ins Wasser geworfen, als wir noch Babys waren. Schwimmen ist ein Urinstinkt, den ich von Geburt an hatte, während ich das Laufen erst lernen musste. Es gibt mir so ein biologisch-mystisches Gefühl, an meine Wurzeln zurückzukehren. Wenn ich schwimme, gerate ich in eine Art Trance und bin befreit von den Sorgen des Alltags. Dabei kommen mir manchmal die besten Ideen. Ich schreibe oft im Wasser oder sogar unter Wasser. Mein Buch Der Tag, an dem mein Bein fortging entstand am Ufer eines wunderbaren kleinen Sees. Ich schrieb mit Tinte und Füllfederhalter und tropfte nach dem Schwimmen auf das Papier. Als mein Verleger das Manuskript erhielt, sagte er: Seit dreißig Jahren hat kein Autor mehr ein handgeschriebenes Manuskript eingereicht, und Ihres sieht aus, als sei es in die Badewanne gefallen.

Inzwischen schreiben Sie nicht nur über Ihre Patienten, sondern auch über sich selbst. Vor acht Jahren wurde hinter Ihrem rechten Auge ein bösartiger Tumor gefunden. In Ihrem Buch Das innere Auge beschreiben Sie die Folgen, die der damit einhergehende Verlust des räumlichen Sehens für Sie hatte.

Ich konnte Menschen mit meinem rechten Auge nur noch als seitlich gekrümmte Schemen wahrnehmen. Die Strahlentherapie gegen den Krebs machte die Netzhaut dann so zerbrechlich, dass Blut in das Auge drang. Seit 2009 konnte ich damit überhaupt nichts mehr sehen. Ich ließ fünf Operationen über mich ergehen und hoffte, das Blut würde sich wieder auflösen. Aber es kam immer wieder zurück, und nun habe ich ein nutzloses rechtes Auge voller Blut. Ich bin ein Einauge, das sein Leben lang eine besondere Leidenschaft für Stereoskopie gehabt hat. Ästhetisch habe ich räumliche Tiefe immer geliebt, nun ist die visuelle Welt viel weniger schön für mich und beim Spazierengehen brauche ich einen Stock, um nicht über die Bordsteinkanten zu stolpern.

Es heißt, dass Sie außerdem an Gesichtsblindheit leiden.
Kaum ein Tag vergeht, an dem es deswegen nicht zu peinlichen Missverständnissen kommt. Ich kann mir keine Gesichter merken – schlimmer noch: Oft glaube ich, jemanden zu erkennen, und falle Leuten um den Hals, denen ich noch nie zuvor begegnet bin. Vor Kurzem küsste ich auf einer Party die Gastgeberin und bedankte mich für die Einladung, worauf sie mir sagte: Wir kennen uns nicht, die Gastgeberin steht dort drüben.

Zu Ihren zahlreichen Auszeichnungen gehört der »Kaiser-ohne- Kleider-Preis«, den Sie hier im Regal stehen haben. Wofür bekommt man so etwas?
Vor ein paar Jahren schrieb mir eine Atheisten-Gesellschaft, die mich zu einem Vortrag einladen und mir den Preis verleihen wollte. Ich zögerte erst, weil ich religiösen Glauben oder Unglauben für eine Privatsache halte. Dann bin ich doch hingegangen und habe über den negativen Einfluss gesprochen, den Religion heute auf Wissenschaft, Medizin und Politik ausübt. In meinem neuen Buch Drachen, Doppelgänger und Dämonen schreibe ich über Patienten, die ihren epileptischen Anfällen und Halluzinationen religiöse Bedeutung beimessen oder dadurch sogar zum Glauben bekehrt wurden. Auch Gilles de la Tourette, nach dem das Tourette-Syndrom benannt ist, interessierte sich sehr für religiöse Besessenheit.

Sie haben gerade das Verhalten von Tourette-Kranken mit ruckhaften Bewegungen illustriert. Ahmen Sie oft Ihre Patienten nach?
Ja, aber hoffentlich nicht auf ungebührliche Weise. Schon mein Vater war ein fabelhafter Krankheitsimitator und Arzt. Für mich ist das Nachahmen eine Möglichkeit, mich in den Patienten und seine Krankheit hineinzuversetzen und sie besser zu verstehen. Vor vielen Jahren lieh ich mir einmal eine Videokamera, um die ruckhaften Bewegungen eines meiner Patienten zu filmen. Ich habe im Geschäft demonstriert, was ich filmen wollte, und der Verkäufer dachte, ich litte selbst unter Tourette-Syndrom.

Tun Sie aber nicht?

Nein, ich glaube nicht. Aber die abrupten Bewegungen von Tourette-Patienten sind ganz nach meinem Geschmack. Wenn Sie hier in Manhattan eine halbe Stunde durch das Greenwich Village laufen, sehen Sie sofort Leute, die Tourette haben. Diese Menschen führen zwanghafte Bewegungen aus, springen, stürzen oder bellen plötzlich. Da gibt es eine ziemliche Vielfalt. In manchen Kulturen gelten laute Geräusche als Grenzüberschreitung und müssen um jeden Preis unterdrückt werden. Das hat zur Folge, dass zwanghafte motorische Bewegungen umso stärker werden und gefährliche Folgen haben können. In Japan habe ich mal einen Patienten erlebt, der sich ein Auge ausgestochen, seine Zähne ausgeschlagen und sein Trommelfell zerstört hatte. Er war ein intelligenter Mensch und liebevoller Ehemann und Vater, aber weil er nicht schreien durfte, verstümmelte er sich umso schlimmer.

Reden ist Silber, Schreien ist Gold?
Vielleicht schon. Auf einer Tourette-Konferenz habe ich einmal in einem Hotel übernachtet, dessen Geschäftsführer eine Tochter mit Tourette-Syndrom hatte. Als ich nachts auf mein Zimmer ging, hörte ich plötzlich unvorstellbare Geräusche, ein Schreien, Brüllen, Kläffen und Heulen, das man sich in seinen wildesten Träumen nicht ausmalen kann. Also dachte ich mir, warum machst du nicht selbst ein paar Geräusche? Plötzlich lag so eine freizügige Atmosphäre in der Luft, die mich geradezu drängte, drauflos zu brüllen. Also habe ich ein bisschen geschrien und ich muss Ihnen gestehen: Ich habe es ziemlich genossen und mich danach besser gefühlt. Ich glaube, es war das einzige Mal in meinem Leben, das ich geschrien habe.

Sie haben zahlreiche Bestseller geschrieben, viele Ihrer Bücher wurden verfilmt oder kamen auf die Theaterbühne. Der Komponist Michael Nyman machte aus Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte sogar eine Oper, und vor drei Jahren inszenierte der Komponist Tobias Picker Ihren mit Robin Williams verfilmten Bestseller Zeit des Erwachens als Ballett.

Picker ist selbst Tourette-Patient und hat beim Lesen alle Stellen in meinem Buch unterstrichen, in denen es um Musik oder Bewegung geht. Ich habe mit Ballett nicht viel am Hut, aber so etwas hätte ich nicht für möglich gehalten.

In Ihren Fallgeschichten kommt es ja oft vor, dass die Patienten ihren neurologischen Krankheiten auch etwas Positives abgewinnen können. Was halten Sie davon, dass der deutsche Software-Konzern SAP jetzt sogar Stellen für Autisten ausschreibt, die dort als Programmierer eingesetzt werden sollen?
Ich finde es großartig, dass SAP und andere Firmen Autisten einstellen. Menschen mit Asperger-Syndrom haben normale oder sogar überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten und können einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Taubstumme haben visuelle Fähigkeiten, die wir Normalmenschen nicht haben. Behinderungen sorgen oft dafür, dass andere Fähigkeiten überdurchschnittlich entwickelt werden.

Wovor haben Sie Angst?
Vor dem Stürzen oder Ersticken. Es fällt mir schwer zu schlucken und der Tod könnte mich schnell ereilen. Ich habe kein gutes Gleichgewichtsgefühl, sehe schlecht und mein geliebtes Village ist mittlerweile eine Gefahrenzone geworden.

Gibt es noch einen Wunsch, den Sie sich unbedingt erfüllen wollen?

Ich möchte an einige Orte reisen, bevor sie zerstört werden: nach Madagaskar, nach Mauritius und natürlich auf die Galápagos-Inseln. Darwin ist mein Held, also sollte ich da unbedingt hin. Ich würde gerne mit einer Tiefseekugel auf den Grund des Ozeans tauchen und, was leider nicht möglich sein wird, die Erde vom Weltall aus sehen. Außerdem gibt es noch eine ganze Reihe von Dingen, über die ich schreiben möchte. Momentan arbeite ich gerade an drei verschiedenen Büchern. Ich schreibe jetzt oft über die Toten, die ich gut kannte.

Wie möchten Sie sterben?
Ich möchte meinen Tod bei vollem Bewusstsein erleben und im Gefühl, genug getan zu haben. Mein idealer Sterbefall, wenn es so etwas gibt, ist Alexander von Humboldt. Er hat im Alter von 65 Jahren mit der Arbeit an seinem letzten großen Werk Kosmos begonnen. Als er fast 90 Jahre alt war und beim fünften Band angelangt, schob er das Manuskript zur Seite, legte sich still in sein Bett und blickte durchs Fenster. Hatte er eine Vorahnung? Wir wissen es nicht. Als er ein paar Wochen später starb, fand man kleine Papierfetzen mit Zitaten aus der biblischen Schöpfungsgeschichte unter seinem Kopfkissen: Wie Gott den Himmel und die Erde geschaffen hatte und es gut war und er am siebten Tage ruhte. Wenn ich einmal sterbe, möchte ich das Gefühl haben, dass ich sterben darf, weil ich mein Ding getan und meine Rolle im Leben gespielt habe und nun ruhen darf.

Und was kommt aus der Sicht des Arztes Oliver Sacks nach der Ruhe am siebten Tag?
Nichts. Ich habe noch nie Interesse an der Vorstellung eines Lebens nach dem Tod gehabt.