Das Beste aus aller Welt

Unser Kolumnist Axel Hacke versucht die Bestimmungen für Fahrradbeleuchtung zu verstehen. Und begegnet dabei einem Monster.

Nach langem Überlegen habe ich beschlossen, den Staat für ein Kunstwerk zu halten: ein ambitioniertes Projekt der Menschheit, die sich zum Ziel gesetzt hat, neues Leben zu erschaffen, also Wesen, die aus Menschen zusammengesetzt und doch (oder eben dadurch) quasi übermenschlich sind. Wir nennen solche Kreaturen »Verteidigungsministerium« oder »Bundesbank« oder »ARD und ZDF«, bestehend aus Tausenden und Abertausenden von Bürgern, die aber in diesen Organismen nur die Funktion von Körperzellen haben; sie sind also nicht unabhängig lebensfähig, sondern nur noch als Bestandteil von etwas Größerem.

Der Mensch hat so etwas ganz und gar Neues in die Welt gesetzt: Monstren, die zum Beispiel »Drohnen« kaufen oder komplizierte Transaktionen auf den internationalen Finanzmärkten abzuwickeln in der Lage sind oder ein »Fernsehprogramm« machen können, ohne dass wir Einzelne noch irgendeinen Einfluss darauf hätten, ja, ohne dass wir überhaupt verstünden, was sie tun, oder einen Sinn darin zu erkennen fähig wären. Das liegt längst außerhalb unserer Sphäre. So wie der Mensch nach der Schöpfung dem Einfluss Gottes entglitten ist, bewegen sich »Verteidigungsministerium«, »Bundesbank« sowie »ARD und ZDF« in einer eigenen neuen Welt des Handelns.

Interessant ist, dass wir just in diesen Jahren der Entstehung eines neuen Wesens dieser Art beiwohnen können. Es geht um Beleuchtung von Fahrrädern, ein Thema, das zunächst unkompliziert erscheinen mag. Aber auch die Bundesagentur für Arbeit hat mal klein angefangen.

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Ein Fahrrad scheint einfach zu illuminieren, man braucht einen Dynamo zur Stromerzeugung und zwei Lampen, je eine vorn und hinten, fertig. Oder zwei Lampen mit Batterien, auch fertig. Aber hier beginnt das Wirken des Monsters: Die Lampen mit Batterien sind verboten. Warum? Wer bin ich, dass ich so etwas wüsste? Es ist ja auch so, dass trotzdem nahezu jeder Radfahrer diese Lampen benutzt. Hielte also ein Polizist einen solchen Radler bei Tag oder in der Nacht an, dieser müsste ein Verwarnungsgeld entrichten. Kaum ein Beamter tut das, aber er könnte! So leben wir unter gleichgültigen Blicken des Monsters dahin.

Aber nun Folgendes: Seit Jahren, ja, seit Jahrzehnten beschäftigt es (das Monster) sich damit, das Fahrradbeleuchtungswesen zu reformieren. Immer neue Regelungen wurden in seinem Inneren entworfen, einmal sogar - das war 2006 - eine Fahrrad-Ausrüst-Verordnung (kurz: FAusrüstV), die das Monster aber selbst wieder verwarf. Seltsame Vorschriften gibt es jetzt, zum Beispiel, wie genau die vordere Lampe den Radlweg fünf Meter im Voraus zu beleuchten hat. Zwar weiß man, dass nicht mal annähernd ein Prozent der Radunfälle mit mangelnder Beleuchtung zu tun haben, dass hier also im Grunde gar kein Problem existiert, das zu beheben wäre. Aber dies ist nicht die Ebene, auf der das Monster denkt und handelt. Wie das Krokodil von Zeit zu Zeit ein Zebra oder eine Antilope verzehren muss, um weiter Krokodil sein zu können, so muss das Monster nun mal etwas regeln, sonst ist es vorbei mit dem Monstersein.

Vor Kurzem hat also der Bundesrad, nein, wie albern: der Bundesrat (eines der kleineren Ungeheuer unter den von Menschen geschaffenen Existenzformen) die Dynamo-Pflicht am Fahrrad abgeschafft. Allein: Er erlaubte nun nicht einfach alle, sondern nur fest mit dem Rad verbundene Akku-Lampen. Die meisten, ja, fast alle unserer Lampen sind aber bloß lose ans Rad gesteckt, das hatten die Gesetzes-Autoren irgendwie vergessen. Also radeln wir weiter gut beleuchtet im Schatten der Illegalität, und im Inneren des Monsters jagt gewiss eine Konferenz die nächste, um Korrektur-Verordnungen zu ent- und verwerfen, auf dem Weg zu neuen großen Menschheitsschöpfungen, warum nicht einer »Leitenden Bundesbehörde für Fahrradbeleuchtung«, ja, vielleicht gar einer Europäischen Konvention über Zweiradlampen?

Illustration: Dirk Schmidt