Originale sind überschätzt – ein Lob der Synchronfassung

Filme nur in der Originalfassung anzuschauen, gehört bei vielen Kinogängern zum guten Ton. Doch synchronisierte Filme sind gar nicht so schlecht wie ihr Ruf.

»Here's looking at you, kid«, lautet der vielleicht berühmteste Satz der Filmgeschichte. Kennen Sie nicht? Doch, doch, es ist der Moment, in dem Humphrey ziemlich tief in Ingrids Augen schaut und sagt: »Ich seh' dir in die Augen, Kleines.« Es gibt Menschen, die das ziemlich schlecht übersetzt finden. Mehr noch: ein Frevel, ein Meisterwerk wie Casablanca überhaupt zu übersetzen. Findet der Original-Purist jedenfalls. Als würde es einem das Herz nur in der Originalfassung zerreißen.

Verständnislos verzieht der Original-Purist das Gesicht, wenn man ihm sagt, man habe die Sopranos auf Deutsch gesehen. Alle 86 Folgen. Er schaut auch Truffaut und Bergman-Filme nur im Original. Bei Kurosawa lässt er Untertitel gelten. Synchronfassungen sind für ihn Fälschungen. Und wir, die wir zu faul sind, uns auf, sagen wir, Tony Sopranos nuschelndes, schnaubendes, fettleibiges New-Jersey-Italo-Englisch einzulassen, wir sind die Ignoranten.

Und hat er nicht recht? Sind wir das der Kunst nicht schuldig? Der Grundirrtum der Puristen ist, dass Filme nicht übersetzbar seien und durch fremde Zutaten entwertet würden. Dieser Logik zufolge dürfte man auch Joyce' Ulysses nur auf Englisch lesen - ein Buch, das mehr unterschiedliche Wörter enthält, als Goethes Wortschatz umfasste. Ohne Übersetzer wäre die Weltliteratur eine Nische für Muttersprachler und Fremdsprachenbegabte. Und eine Welt, in der Filme nur in unsynchronisierten Fassungen existieren, eine sehr kleine. Dabei ist Kino eine demokratische Veranstaltung. Ein Film will gesehen und verstanden werden, am besten überall auf der Welt von möglichst vielen Menschen. Die paar Lackschäden, die beim Übersetzen entstehen: geschenkt.

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Außerdem können wir das inzwischen ziemlich gut. Haben ja mehr als fünfzig Jahre lang geübt. Selbst die Größten haben das anerkannt und die Synchronisierung für den deutschen Markt zur Herzensangelegenheit erklärt: Stanley Kubrick und Steven Soderbergh suchten ihre deutschen Sprecher persönlich aus. Vorbei sind die Zeiten, als Synchronfassungen einer Zensur und Manipulation gleichkamen, weil verstümmelt, herumfantasiert und abgemildert wurde - als sprachliche Anpassung an den herrschenden Konsens.

Der Original-Purist will die Kunst schützen, vor Verfremdung, vor uns Banausen. Dabei ist er nur ein Angeber, der bei Casablanca nicht weint, sondern das Wörterbuch zückt.

Foto: Pari Ducovic