»Gitarre spielen zu viele, das gibt nicht viel her«

Der Straßenmusiker Koji Matsumoto ist seit Jahren auf der ganzen Welt unterwegs. Er weiß, wo die Passanten spendabel sind und wie man mit einem Rucksack als Wohnungsersatz auskommt.


SZ-Magazin: Herr Matsumoto, wie viel Geld verdient ein Straßenmusiker?

Koji Matsumoto: Auf der Straße zu spielen ist wie angeln. Man weiß vorher nie, wie viel man fangen wird.

Also gut, was war Ihr bester Fang?
600 Euro in 40 Minuten.

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Wo verdient man so viel Geld in so kurzer Zeit?
Nach einem Konzert von Metallica in Perth, Australien. Ich spielte vor dem Ausgang, als die Zuschauer aus dem riesigen Stadion strömten. Sie warfen mir von Weitem Geld zu. Aber so etwas mache ich nie wieder. Nach dem Konzert einer anderen Band zu spielen ist unanständig und verletzt meine Straßenmusiker-Ehre.

Wieso das denn?
Es war nicht meine Show. Die Leute kamen, um Metallica zu hören. Ich habe der Band Energie gestohlen. Wie ein Parasit, wie ein Pilz, der einem Baum Energie raubt.

Was sind andere gute Plätze für einen Straßenmusiker?
Jede Stadt hat eigene Gesetze, ebenso jedes Instrument. Fußgängerzonen und ruhige Einkaufsstraßen sind ganz gut, aber Didgeridoo kann ich auch an lauten Straßen mit viel Verkehr spielen, ich finde damit überall genügend Aufmerksamkeit, der Autolärm stört kaum. Sobald einmal ein, zwei Passanten stehen bleiben, dauert es nicht lang, bis mehr kommen. Ich spiele auch noch Halo, das ist eine Art Drum, die man sich um den Hals hängt. Schon mal gesehen?

Sieht aus wie ein kleines Ufo.
Wer das noch nie gesehen hat, hält automatisch an. Für das Halo eignen sich ruhigere Orte, wo die Leute sich auch um mich setzen können. Zum Didgeridoo sollte man etwas Abstand halten: Wer den Klang nicht mag, wird schnell nervös und gereizt.

Mögen viele Leute Ihr Didgeridoo nicht?
Leider, einige mögen den exotischen Klang nicht und verstehen das Instrument nicht. In der Schweiz warf mir mal eine Dame ein Geldstück hin und sagte: Ich gebe Ihnen das nur, damit Sie sofort mit dem Krach aufhören.

Lässt sich mit exotischen Instrumenten mehr oder weniger Geld verdienen als mit einer gewöhnlichen Gitarre?
Gitarre spielen zu viele, das gibt nicht viel her. Niemand dreht sich danach um. Mit dem Didgeridoo verdiene ich sicherlich mehr. Am besten funktioniert allerdings das Halo. Der Sound ist gefälliger. Ich mag mein Didgeridoo dennoch etwas lieber. Keine Ahnung, warum.

Wie lange hören Ihnen die Leute auf der Straße im Schnitt so zu?
Vielleicht drei Minuten, maximal fünf bis zehn. Mein aktuelles Halo-Programm dauert 15 Minuten, das wiederhole ich öfter.

Haben Sie nicht unterschiedliche Stücke für unterschiedliche Länder im Repertoire?
Nein, ich spiele immer ein aktuelles Programm mit aufeinander abgestimmten Stücken, egal wo ich bin. Ich verstehe mich als ernsthafter Musiker, ich versuche nicht meine Musik nach dem Geschmack irgendwelcher Leute auszurichten und mich anzubiedern, um mehr Geld zu bekommen.

Lässt sich sagen, was generell gute Länder und Städte für Straßenmusiker sind?
Australien ist mit Abstand der beste Platz für Straßenmusiker, Italien ist auch gut. Mailand, Melbourne, Amsterdam und Köln sind sehr gute Städte, dabei kenne ich Deutschland sonst kaum. New York ist großartig.

Warum?
New Yorker sind sehr großzügig. Im Schnitt geben sie einen Dollar. Viele spendable Touristen kommen in die Stadt. Ich konnte jeden Tag 100 Dollar verdienen, am Wochenende sogar mehr, vor allem bei gutem Wetter. New York ist auch viel besser als Los Angeles. In Kalifornien ist der öffentliche Nahverkehr mies.

Schon mal auf dem Land gespielt?
Nie. Ich ziehe große Städte vor. Einige sagen, auf dem Land zu spielen sei in Ordnung. Vielleicht probiere ich das nächstes Jahr mal aus.

Wo waren Sie schon überall auf der Welt?
So ziemlich in ganz Europa, den USA und einigen asiatischen Ländern: Thailand, Kambodscha, Laos, Singapur. In Indien war ich zweimal jeweils fünf Monate unterwegs.

Wer ist großzügiger auf der Straße: Männer oder Frauen?
Lässt sich so pauschal nicht beantworten, Männer und Frauen geben ähnlich viel. Was ich sagen kann: Ältere Menschen geben grundsätzlich mehr als jüngere. Und Betrunkene sind auch sehr spendabel. Aber ich mag nicht mehr nachts spielen. Ich arbeite in der Regel von zwölf Uhr mittags bis fünf Uhr nachmittags.

Wie viel Geld brauchen Sie im Monat?

Nicht viel, nur etwas fürs Essen und den nächsten Flug. Ich versuche bei der Übernachtung Geld zu sparen und frage Leute auf der Straße oder Bekannte von Bekannten über Facebook, ob ich bei ihnen schlafen kann.

Haben Sie viele Facebook-Freunde?
Im Augenblick sind es 1300. Manchmal bitte ich die auch, meine Instrumente für mich von der Post entgegenzunehmen und so lange aufzubewahren, bis ich nachgereist komme und sie abhole. Das mache ich wegen des Zolls am Flughafen. Niemand lässt Straßenmusiker gern ins Land reisen. Am schlimmsten sind die Zollbeamten in Kanada. Wenn die an der Grenze vermuten, dass ein Straßenmusiker vor ihnen steht, schicken sie ihn mit dem nächsten Flieger zurück. Ist einem Freund von mir passiert. Der Zoll googelt mitunter den Namen, um irgendeinen Hinweis zu finden. Da gehe ich lieber auf Nummer sicher und schicke mein Didgeridoo per Post voraus und hole es dann persönlich ab.

»Jeder muss seinen Laden zwischendurch mal zusperren, um ihn zu renovieren.«

In welchem Land bereitet die Polizei Straßenmusikern die größten Schwierigkeiten?
In den USA ist sie sehr streng. In New York habe ich gerade eine Strafe aufgebrummt bekommen. 250 Dollar, weil ich den Preis einer CD mit meiner Musik drauf auf ein Schild geschrieben habe. Eine Polizistin sagte mir, ich dürfe zwar CDs verkaufen, nicht aber draufschreiben, wie viel sie kosten, das sei nicht erlaubt. Ich dürfe den Preis nur nennen. Aber wie soll ich Passanten den Preis sagen, während ich ins Didgeridoo blase? Wie albern. Zweimal haben sie mich erwischt, ich müsste eigentlich zur Verhandlung nach New York zurückkehren, aber inzwischen bin ich ja längst in Los Angeles. Ich werde das nicht machen, ein Freund wird das Bußgeld dem Gericht in meinem Namen übergeben. Mal sehen, was passiert. Vielleicht lassen sie mich jetzt nie wieder in die USA einreisen.

Wie lange spielen Sie schon auf der Straße?
Seit acht Jahren. Damals hatte ich eine Sinnkrise und bin mit all meinen Ersparnissen nach Australien gereist. Ich war 27 und hatte als Japanischlehrer an der Universität gearbeitet, das machte mir aber keinen Spaß mehr. In Perth habe ich mir den wunderbaren Sonnenuntergang an der Westküste Australiens angesehen, da verschwand mein ganzes Geld, mit Rückflugticket, meinem Pass, allen Papieren. Ich habe den Strand danach abgesucht, nichts gefunden. Wahrscheinlich hat mir jemand das Geld gestohlen. Ich war total blank, die Leute vom Konsulat halfen mir nicht, aber ein Australier, den ich am Strand kennengelernt hatte, fragte mich, was ich jetzt vorhabe. Ich hatte einmal Bass in einer Schulband gespielt und meinte deswegen spontan: mir ein Instrument suchen und Straßenmusik machen. Der Australier hatte zufällig ein Didgeridoo übrig, das er mir leihen konnte. Anfangs verdiente ich natürlich wenig, aber genug, um zu überleben. Ich übte eine Menge. Von meinem ersten auf der Straße verdienten Geld gab ich dem Australier etwas ab für sein altes Didgeridoo. Inzwischen habe ich in Frankreich ein neues, sehr gutes gekauft.

Hätte der Australier eine Gitarre übrig gehabt, wären Sie heute Gitarrenspieler?
Gut möglich. Aber der Klang des Didgeridoo hat mir schon immer gefallen.

Hatten Sie schon als Kind und Jugendlicher mehr Fernweh als andere?
Überhaupt nicht. Ich bin nicht mal im Urlaub aus dem Land gereist und konnte mir nicht vorstellen, Japan jemals zu verlassen. Das Ausland interessierte mich überhaupt nicht. Englisch war deshalb auch immer mein schlechtestes Fach in der Schule. Ich glaubte einfach nicht, es einmal gebrauchen zu können. Tja, und heute unterhalte ich mich meist auf Englisch.

Haben Sie Familie?
Nur meine Mutter und eine jüngere Schwester. Mein Vater ist gestorben, als ich 18 Jahre alt war. Meine Mutter konnte seine kleine Firma nicht weiterführen, sie macht seitdem alle möglichen Teilzeitjobs. Ich hoffe, sie bald besser finanziell unterstützen zu können. Einmal im Jahr versuche ich, sie zu Hause in Fukuoka im Süden Japans zu besuchen. Kinder habe ich natürlich keine, das geht nicht. Straßenmusiker mit Kindern können nicht reisen, sondern bleiben in der Regel immer an einem Ort. Einen Franzosen mit Kind kenne ich, der ist noch unterwegs, allerdings nicht so viel wie ich.

Haben Sie eine feste Freundin?
Ha, ha, ha. Seit acht Jahren nicht. Wie sollte das funktionieren?

Gibt es keine reisenden Straßenmusikantinnen?
Einige wenige, aber ich glaube, Frauen haben weniger Lust, die ganze Zeit herumzureisen. Man kann ja nicht viel mitnehmen. Die Instrumente und einen Rucksack, da passt nicht viel rein. Ich habe nicht mal ein Handy. Facebook und Skype sind die einzige Möglichkeit, wie ich Freunde erreichen kann.

Männer, die auf der Straße Musik machen, gibt es viele?

Ja. Ich kenne allein zwanzig Japaner, die so um die Welt tingeln. Ich habe auch viele Straßenmusiker aus anderen Ländern kennen gelernt. Sogar einen älteren Mann, der auf die siebzig zugeht.

Gibt es Neid zwischen Kollegen?
Grundsätzlich helfen wir uns gegenseitig aus. Manchmal reklamiert ein Kollege einen Platz für sich und schickt mich mit der Begründung weiter, dies sei schon seit zwanzig Jahren sein Stammplatz. Ich versuche mich in so einem Fall dann zu arrangieren: Spiel du die erste Stunde hier, ich die zweite. Nicht alle lassen sich darauf ein. Aber Eifersucht kommt selten vor.

Wird Ihnen das Reisen nie zu viel?
Doch, dabei spiele ich eigentlich sehr gern auf der Straße. Aber ich muss spielen, um zu überleben. Ich hätte gerne jeden Tag die Wahl, ob ich arbeite oder nicht. Die habe ich im Augenblick nicht. Außerdem ist es auf der Straße schwierig zu üben oder neue Stücke einzustudieren. Jeder muss seinen Laden zwischendurch mal zusperren, um ihn zu renovieren. Irgendwann muss deswegen jeder Straßenmusiker einmal aufhören.

Was kommt danach?
Die meisten bleiben irgendwo hängen und nehmen einen ganz normalen Job an. Ich träume davon, einfach den Ort meiner Musik zu verlegen, von der Straße auf die Bühne, und Konzerte zu geben. Ich möchte Konzertmusiker werden, aber ich suche noch den richtigen Ort, um mich niederzulassen. Irgendwo in Europa wäre schön, ist aber wegen des Visums schwierig. Da müsste ich mir eine europäische Frau suchen. Wien hat mir zuletzt irrsinnig gut gefallen. Dort zu leben könnte ich mir gut vorstellen.

Geht das überhaupt noch: immer in der gleichen Wohnung zu leben, wenn man acht Jahre lang jede Woche den Schlafplatz gewechselt hat?
Ich habe einige schöne Wohnungen gesehen, in denen ich mir das vorstellen kann. Aber ich bin noch nicht so weit.

Sie werden irgendwann aufhören, weil Sie Sehnsucht nach Familie und einer Freundin verspüren?
Nein, Musik ist für mich immer noch die Nummer eins und wird es auch bleiben, wenn ich nicht mehr auf der Straße spiele. Ich möchte mich nur irgendwann als Musiker verändern. Mit meinem Freund Reo Matsumoto probe ich schon. Wir nennen unser Projekt Matsumoto Zoku und spielen unregelmäßig miteinander. Vielleicht ist es ja schon bald so weit, dass ich den Absprung von der Straße schaffe.

Wohin fliegen Sie als Nächstes?
Nach Mailand und von dort weiter nach Ferrara in der Emilia-Romagna. Dort findet jedes Jahr das größte Straßenmusiker-Festival der Welt statt. Mit 800 000 Besuchern. Ich freue mich schon auf die Pasta.

Sehen Sie hier die Bilder des Fotografen Stefan Zahm, der in ganz Deutschland Straßenmusiker porträtiert hat.

Fotos: Daniel Gebhart de Koekkoek