Gestrandet

Krampfadern und Bauchspeck kann man in Bikini und Badehose nicht kaschieren. Der junge Fotograf Tadao Cern zeigt mit seiner Serie "Comfort Zone", wie entspannt und frei sich Menschen am Strand bewegen. Und wie sehr sie sich dort von den alltäglichen Konventionen und Ansprüchen lösen.

Name: Tadao Cern
Geboren: 1983 in Siauliai in Litauen
Ausbildung: Master in Architektur an der Technischen Gediminas-Universität Vilnius
Website: www.tadaocern.com

SZ-Magazin: Herr Cern, ein bisschen unbehaglich, das Gefühl, Menschen in einem so intimen Moment im Urlaub zu beobachten, oder?
Tadao Cern: Ich war eher fasziniert, wie sehr ein solch anonymer Urlaubsort - eine Comfort Zone -  das Verhalten der Menschen beeinflussen kann. Im Alltag versuchen wir permanent unsere Defizite, physische wie psychische, zu verstecken. An einem Strand jedoch vergessen wir all das. Wir bewegen uns freier und interessieren uns nicht mehr für das Bild, das andere von uns haben könnten. Ich habe mich gefragt, ob es an der einfachen Tatsache liegt, dass alle am Strand so denken - und wenn ja, dann würde ich mir wünschen, diesen Gedanken mit über die Grenze dieses Ortes hinaus zu tragen. Eigentlich wollte ich selbst bloß Urlaub am Meer machen, weil ich seit Ewigkeiten nicht mehr dort gewesen war. Die Idee der Fotoreihe kam mir erst, als ich die vielen Charaktere dort liegen sah, leider ohne passendes Equipment.  

Sie kamen eine Woche später wieder, wie sind Sie technisch vorgegangen?
Die Kamera habe ich an einem langen Eisenträger befestigt, den ich mir über die Schulter legen konnte. Das Fotoshooting war eher mit einem Oberflächenscannen zu vergleichen. Ich habe einfach überall drauf gehalten mit dem Ziel, irgendwie die perfekte Position zu finden, um die Bilder ein bisschen surreal wirken zu lassen. Als würde man über die Menschen fliegen, ohne dass sie einen überhaupt registrieren.  Ich will das Gefühl vermitteln, der Betrachter würde genau auf sie draufschauen -  ohne, dass ihm irgendwelche Details verborgen bleiben. Ein großartiges Gefühl, oder?

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Und in Wirklichkeit, haben die Schlafenden Sie registriert?
Nein, diese Menschen hatten keine Ahnung, dass ich sie fotografiere. Ich habe versucht, jegliche Konfrontation mit ihnen zu vermeiden. Genauso wie ich es überall in öffentlichen Räumen tue, wenn ich Aufnahmen machen will. Die Situationen sollten ehrlich und natürlich sein. Hätte ich die Menschen um Erlaubnis gefragt, oder hätten sie Notiz von mir genommen, die Bilder wären viel gestellter geworden.

Und das gab nie Ärger?
Es ist erlaubt in der Öffentlichkeit Fotos zu machen. Das weiß natürlich nicht jeder, also reagieren manche nervös oder empört. Ich versuche entweder schnell und leise weiter zu gehen, oder antworte ihnen, dass ich Naturbilder mache. Was im Grunde der Wahrheit entspricht. Trotzdem war es manchmal frustrierend und anstrengend. Ich habe mich außerdem auf Urlauber beschränkt, deren Gesichter uns verborgen bleiben. Ich wollte sie ja nicht demaskieren, sondern zeigen, wie sich Menschen in ihrer Comfort Zone zeigen und was sie mit sich an den Strand nehmen. Die meisten tragen einen Sonnenschutz über dem Gesicht. All die Details an ihnen und um sie herum zeigen uns genug und lassen uns uns selbst in diesen Menschen wiedererkennen.

Welches Foto hat für Sie die größte Bedeutung?
Ich mag das Bild der beiden alten Frauen sehr gerne, weil es so viele Details, so viel Stil und auf seine Weise Schönheit enthält. Roter Lippenstift, wie ihn die Eine trägt, ist ein fantastisches Detail, das viel verrät. Dieses Bild übermittelt mir sehr viel Eleganz. Es war das erste Foto, das ich an diesem Strand aufgenommen hatte und mich motivierte, eine ganze Reihe daraus zu machen.

Haben Sie ihren erlernten Beruf als Architekt je ausgeübt?
Ich habe drei Jahre als Architekt gearbeitet. Diese Zeit hat mir enorm viel gegeben und ich bin mir sicher, dass sie meine Fotografie beeinflusst hat. Und ich denke auch, dass ich irgendwann auf irgendeine Art und Weise wieder zur Architektur zurückkehren werde. Aber momentan macht mir die Arbeit zu viel Spaß. Mein Projekt Blow Job beispielsweise ist von einer witzigen Idee zu etwas geworden, das mein ganzes Leben verändert hat.

Fotos: Tadao Cern