Johann König

Seine Berliner Galerie gilt als eine der wichtigsten für Gegenwartskunst in Deutschland: König, 32, gründete sie bereits mit 22 Jahren. Das Besondere: Er ist der Sohn des Kunstprofessors und Kurators Kasper König, der bis 2012 das Museum Ludwig in Köln leitete. Noch viel besonderer: Mit elf Jahren hatte Johann König einen Unfall, durch den er jahrelang fast blind war. Ein Gespräch über das Trotzdem.


SZ-Magazin: Diese Kirche ist ja riesig. Sie ziehen mit Ihrer Galerie Johann König dort ein. Manche bezeichnen Sie als tollkühn. Wie finden Sie das?

Johann König: Hier ist weniger Tollkühnheit gefragt als Ausdauer. Wenn man baut, sind ein langer Atem und Gelassenheit das Wichtigste. Es passieren so viele unvorhergesehene Dinge.

Können Sie sich Ihre Ausdauer erklären?
Nach meinem Unfall musste ich mich entscheiden, ob ich in meinem Leid aufgehe oder ob ich versuche, damit umzugehen. Ich habe mich für die Ausdauer entschieden.

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Sie waren elf und haben mit der Munition einer Startschusspistole gespielt. Waren Sie sich einer Gefahr bewusst?
Überhaupt nicht. Ich hatte nicht mal vor, was zu basteln. Diese Startschusspistole war kaputt. Da habe ich die Munition umgefüllt, denn ich brauchte die Kiste für was anderes, Baseballkarten oder so. Ich habe immer schon Sachen umgefüllt, von einer Kiste in die nächste. Die kleinen Knallkörper waren in Styropor-Kapseln drin, ich habe die Kapseln alle aufgebrochen und die Kügelchen in eine Dose für Anglerblei getan, wo schon Bleikügelchen in derselben Größe drin waren. Ich weiß bis heute nicht, warum die Schachtel explodiert ist. Ob sich was erhitzt hat oder es eine Reibung gab oder sich was verkantet hat. Keiner weiß genau, wie es passiert ist.

Wie kann das sein? Es ist doch sicher alles untersucht worden.
Das Problem ist: Die Munition in diesen Kapseln stammt aus der Waffenproduktion. Und sie ist jedes Mal anders. Man geht von einer Verkettung unglücklicher Umstände aus. Das Schlimmste daran war die Dose aus Hartplastik. Durch die Explosion ist das Plastik gesplittert und durch das Lid in meine Augen rein. Bei einer Streichholzschachtel wäre das nicht passiert. Da wäre die Pappe gerissen.

Wie schnell war Ihnen klar, dass Sie fast blind sein würden?
Direkt nach dem Unfall sagte ich zu meinem Vater: Ich bringe mich um, wenn ich blind bin.

Wie hat er reagiert?
Er hat mich aus dem Zimmer gezerrt und gesagt: die waschen dir die Augen aus und morgen gehst du wieder zur Schule. Obwohl es schlimm ausgesehen haben muss, mein Zimmer voll Blut, meine Hand zerfetzt, im Gesicht hatte ich lauter Verletzungen, wie von einer Schrotkugel. Im Krankenhaus wurde ich notoperiert und habe von da ab nicht mehr viel mitbekommen. Ich wurde 20 Stunden operiert, wieder 15 Stunden, noch mal 20 Stunden. Ich war über ein Jahr im Krankenhaus.

Wie ging es Ihren Augen da?
Anfangs sah ich gar nicht so wenig, aber es verschlechterte sich. Ich bekam eine Spenderhornhaut, sah drei Wochen wieder ganz gut, dann hat das Immunsystem sie als Fremdkörper erkannt und abgestoßen. Das Auf und Ab war schlimm. Ich hatte über die Jahre acht Hornhauttransplantationen, schöpfte immer wieder Hoffnung. Die letzte hat geklappt: Seit vier Jahren sehe ich deutlich besser, vorher war es fast nichts.

Hätten Sie sich ohne die Hoffnung leichter getan?
Zu wissen, ich habe das Potenzial, mehr zu sehen, aber es klappt nicht, war sehr frustrierend. Ich habe nicht akzeptiert, blind zu sein, und mich geweigert, die Blindenschrift zu lernen, obwohl mir das sehr geholfen hätte.

Sind Sie nach dem Krankenhaus wieder zur Schule gegangen?
Ich war auf einer Sehbehindertenschule in Frankfurt, der Albtraum. Eine Sammelstelle für Behinderte, die auch schlecht sehen konnten. Dann lag ich ein halbes Jahr lang viel im Bett und tat mir leid, eine beschissene Zeit. Ich war in einem Alter, in dem ich alles wollte, nur nicht mit meiner Mutter Zeit verbringen. Aber ich war total abhängig von ihr. Und ich hatte das Gefühl, dass sie sich fast eingerichtet hatte in der Kümmer-Rolle. Mein Vater war der, der sagte, so, jetzt mal den Arsch aus dem Bett. Das war gut für mich. Da kam ich an den Punkt, an dem ich mich dagegen entschieden habe, Opfer zu sein und beschlossen habe, nach Marburg aufs Blindeninternat zu gehen.

Was wurde aus Ihren alten Freundschaften?
Vor dem Unfall hatte ich schon eine Freundin – also wir gingen miteinander – und einen besten Freund, wir waren eine richtige Clique. Nach dem Unfall gingen die beiden miteinander. Das war bitter. Aber im Blindeninternat habe ich neue Freunde gefunden. Das Internat war super.

Sie haben noch vor dem Abitur Ihre Galerie am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin gegründet. Wie haben Sie das angestellt?
Ich hätte gern ein Praktikum oder so was gemacht, aber ich wäre keine Hilfe gewesen. Ich habe mich oft damit beschäftigt, was ich werden kann. Habe mich selber unter Druck gesetzt, weil ich wusste: Wenn ich nicht sofort was mache, falle ich wieder in das Selbstmitleidsloch. Ich hatte Angst, ein zweites Mal nicht mehr da rauszukommen. Ich wusste auch, ich verstehe mich mit Künstlern und habe eine Haltung zur Kunst. Ich wollte keine Galerie machen. Aber das war das Einzige, was ich konnte.

Was hätten Sie lieber gemacht?
Ich glaube, am liebsten wäre ich selber Künstler geworden, hab mich aber nicht getraut.

Irgendwas mit Kunst muss man in Ihrer Familie machen, oder?
Ich hatte eigentlich eine Aversion gegen die Kunst. Sie war so dominant, so lebensbestimmend für meinen Vater. Er war ständig weg. Ich habe ihn sehr vermisst. Ich saß in Köln am Fenster und habe die Taxis gezählt und mich gefragt, aus dem wievielten er wohl steigen wird. Und die Museumsbesuche haben mich genervt. Ich habe mir einen Sport draus gemacht, die Aufmerksamkeit so vieler Museumswärter wie möglich auf mich zu lenken.

Wie haben Sie das gemacht?
Ich bin zu nah an die Bilder ran getreten, damit mir die Wärter folgten. Das fand ich lustig.

»Ich habe mich oft gefragt, wie andere Väter das schafften, um fünf zu Hause zu sein.«

Kasper König 1987 in Köln mit Johann. In den Achtzigerjahren kuratierte der Kunstprofessor bedeutende Großausstellungen wie »Westkunst« und »Von hier aus«.

Gingen bei Ihnen zu Hause interessante Künstler ein und aus?
Die finde ich erst im Rückblick bemerkenswert: Von Gerhard Richter hab ich immer Indianderkassetten geschenkt bekommen, Lederstrumpf, so was. Jetzt sind die natürlich toll, weil sie von Gerhard Richter sind. Isa Genzken, seine damalige Frau, hatte so ihre Ausraster, das ist für ein Kind natürlich verstörend.

Welche Ausraster?
Einmal lag mein Vater in der Badewanne und die Isa saß auf dem Klo und hat geraucht und in die Badewanne geascht. Meine Mutter hat ihr ein paar Rühreier gemacht und ins Badezimmer gebracht. Isa hat sich über irgendwas furchtbar aufgeregt und die Eier in die Badewanne geschmissen. Im Nachhinein ist das lustig, aber damals fand ich das nur seltsam.

Kamen Ihre Kindheitsfreunde aus ähnlichen Familien?
Gar nicht. Ich habe mich oft gefragt, wie andere Väter das schafften, um fünf zu Hause zu sein. Ich fand das auch besser. Aber die anderen Kinder fanden meinen Vater und meine Familie besser, glaube ich. In der Grundschule war es oft schwierig. Damals wusste kein Mensch, was ein Kurator ist oder tut. Dann hat mein Vater, der auch in Frankfurt an der Städelschule unterrichtete, Hermann Nitsch dorthin berufen. Da schrieb die Bild-Zeitung vom Blutprofessor. Das war unangenehm.

Wie haben Sie sich der Kunst wieder angenähert?
Als ich älter wurde, fand ich die Partys der Künstler am besten. Ich kannte die ganzen Frankfurter Kunststudenten der Städelschule, die waren ziemlich wild. Und mein Kunstlehrer hat meine Wahrnehmung verändert.

In welcher Hinsicht?
Er war cool, machte selbst Kunst in der Art von Joseph Beuys. Und dann nahmen wir im Kunstunterricht plötzlich Leute durch, die ich mein ganzes Leben schon kannte. Künstler, mit denen ich dreimal Silvester gefeiert hatte. Ist doch komisch: In der einen Stunde liest man Thomas Mann, in der nächsten beschäftigt man sich mit Hanne Darboven oder On Kawara.

Beides ziemlich berühmte Vertreter der Konzeptkunst.
Eben. Da habe ich erst gemerkt, was für eine Relevanz diese Leute hatten, die bei uns zu Hause verkehrten. Ich fand’s immer toll, wenn mein Vater mich zu Jeff Koons ins Studio mitgenommen hat. Wenn was passiert ist. Aber wenn Ellsworth Kelly im Wohnzimmer saß, war mir das egal.

Wie fand Ihr Vater Ihren Plan, eine Galerie zu eröffnen?
Ich habe diese Pläne vor ihm verheimlicht.

Warum?
Weil ich wusste, dass er das unvernünftig finden würde. Rückblickend war es ja auch total verrückt. Mein Onkel Walther hat mir Geld geliehen, das hat mir viel Vertrauen gegeben, weil er ein guter Geschäftsmann mit hohem inhaltlichem Anspruch ist. Ein ganz wichtiger Moment für mich war die Idee von Jeppe Hein mit der Kugel.

Wer ist Jeppe Hein und was hatte er für eine Idee?
Jeppe Hein ist einer meiner jungen Künstler. Er hatte die Idee zu einer Installation: Eine Kugel mit Motor rollte durch die Räume der Galerie, stieß an die Wände und haute die kaputt, wie eine Abrissbirne.

Sie haben die Galerie zerstört?
Genau. Da habe ich gemerkt, ich bin auf dem richtigen Weg. Das war meine dritte Ausstellung. Und endlich ein Erfolg.

Wie kann ich mir Erfolg vorstellen, bei einer zerstörten Galerie?
Ich habe die Kugel dreimal verkauft. Seitdem ist sie 30-, 40-mal ausgestellt worden, auch im Haus der Kunst. Das Unverkäuflichste lief am besten. Aber es war das, was mir am besten gefallen hat. Da wusste ich: Ich muss meiner Intuition folgen.

Können Sie definieren, was für eine Art Kunst Sie ausstellen?
Installativ, relativ konzeptionell. Maschinen, Räume, Erfahrungsräume. Dinge, die man erleben muss und erklären kann. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich so wenig sehe.

Und jetzt die Kirche: Brauchen Sie die große Herausforderung?
Ich bin gespannt darauf, wie es ist, wenn der Umbau der Kirche mal abgeschlossen ist. Meine Freunde glauben ja, ich binde mir gleich das nächste Ding ans Bein. Ich habe schon zu meiner Frau gesagt: Was sollen wir eigentlich mit all der Lebenszeit machen, wenn das fertig ist?

Was ist das Tolle an Kunst?
Die Kunst lässt einen die Welt und das Leben immer wieder anders betrachten und erleben. Oft ist das ganz unbestimmt, subtil. Ähnlich wie Literatur, Musik und Film, aber nicht so narrativ. Allerdings muss man aufpassen, dass dass man sensibel genug bleibt für das, was die Kunst zu bieten hat. Und nicht zu voreingenommen ist, weil man denkt, man kennt sich so gut aus.

Sie sehen heute besser, nachdem endlich eine Hornhauttransplantation geklappt hat. Wie toll ist das?
Es macht das Leben viel einfacher. Ich brauche keine Hilfe mehr. Aber man nimmt Gesundheit nicht wahr, wenn man gesund ist. Erst wenn man nicht mehr laufen kann, stellt man fest, wie toll es war, laufen zu können. Beeindruckende Landschaften zu sehen hat mich aber nicht überwältigt. Da war sogar ein Hauch Enttäuschung dabei.

Fotos: Claudia Klein, Michael Dannemann