Freut euch nicht zu früh

Nach der Finanzkrise vor fünf Jahren versprachen die mächtigsten Politiker der Welt, sie hätten die Lage jetzt im Griff. Doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Seitdem ist alles schlimmer geworden. Die nächste Krise wird noch viel gefährlicher.

Natürlich treffen sie sich nicht im Büro. Es ist ein Gespräch unter Vertrauten, inoffiziell. Also ein Hotel, eines, dessen Café eine Empfangsdame bewacht. »Sie haben reserviert?« Ein Tisch in einer Nische, Blick auf die Londoner City, die wichtigste Finanzmeile der Welt. Um die Ecke thront die Bank of England; vorne, in den Gassen, treiben die Menschen dem Wochenende entgegen, die Händler in Grau, die Analysten in Blau. Die Restaurants sind voll, vor den Bars drängen sich die Menschen. Gelächter, Musik, Champagner. Weihnachten rückt näher, Boni-Zeit. Allein die Bank Barclays schüttet fast drei Milliarden Euro aus. Cheers.

Die drei Männer im Hotel plaudern ein wenig. Auf der einen Seite ein älterer Herr, graues Haar, Hemd mit Seidenschimmer, Union Jack auf den Manschettenknöpfen. Er ist eine Instanz in der Wirtschaftswelt, seine Worte bewegen Märkte und Milliarden. Auf der anderen Seite zwei jüngere Manager, die auch mal zum Empfang des Notenbankchefs gehen oder mit Angela Merkel telefonieren. Sie freuen sich, den Alten zu treffen. Was hat er zu erzählen, wie sieht er die Lage?

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Die beiden sind sich nicht ganz einig: Der eine fürchtet schwere Zeiten, vielleicht sogar eine neue Bankenkrise, der andere widerspricht. Die Zahlen sind doch gut. Es herrscht sogar ein neuer Geist in der City, sagt er. Die jüngsten Skandale? Einzelfälle. Er redet etwas hastig; ein wenig, als wolle er sich selbst beruhigen.

Der Alte hört geduldig zu. »Sie fürchten also«, sagt er nach einer Weile, »dass uns wieder eine solche Finanzkrise trifft?« Die beiden schauen ihn an.

Eigentlich müsste der Alte jetzt sagen, was er immer sagt, in Interviews, in offiziellen Gesprächen: »Wir sind in der Phase der Erholung.« Und er müsste hinzufügen: »Der Patient hat das Schlimmste überstanden.« Schließlich ist er Wortführer einer Institution, die allein mit ihren Worten die Welt erschüttern kann. Oder beruhigen.

Aber der Alte sagt sie nicht, diese vertrauten Sätze. Er lächelt nur bitter. »Nun, ich fürchte, nach unserem Gespräch werden Sie noch mehr Angst haben.« Stille.

Noch mal eine Finanzkrise? Noch mal einen Absturz der Wirtschaft. Millionen Arbeitslose. Firmenpleiten. Kurzarbeit. Banken retten, mit Billionen Steuergeld.

Genau fünf Jahre ist es her, dass die großen Nationen der Welt ein Versprechen gegeben haben, hier in London, Anfang April 2009, beim G20-Treffen, dem »entscheidendsten Gipfel«, wie Angela Merkel damals sagte. Es war die Konstitution einer Weltregierung, der Versuch, die Wirtschaft zu retten. Und die Banken zu fesseln, die Auslöser der Jahrhundertkrise.

Zwei Tage lang tagten die Regierungschefs. Ließen sich berichten, was ein Bankenversagen bedeutet. Erschraken, als ihnen der Präsident der Weltbank beim Arbeitsessen erklärte: »Zum ersten Mal seit 1945 schrumpft die Weltwirtschaft, um 1,5 Prozent. Die Kindersterblichkeit wird steigen. 200 000 Babys, die sterben müssen.«

Und sie begannen zu streiten. Wer trug die Schuld? Und Barack Obama stand auf und sagte: »Es stimmt, dass die Krise in den USA begonnen hat, ich übernehme die Verantwortung.« Und sie überlegten, was zu tun sei. Sie gaben eine Billion für die Wirtschaft. Und zur großen Überraschung kamen sie in einer Frage überein: Sie wollten den Banken Fesseln anlegen, auch Großbritannien und die USA, die das bisher ablehnten. Am Ende sprachen sie von einem historischen Tag. Nie mehr, sagte Obama, werde es eine solche Finanzkrise geben. Der damalige britische Premier Gordon Brown verkündete: »Wir räumen bei den Banken auf.« Und Angela Merkel antwortete erleichtert auf eine Frage: Ja, das Monster, »es wird gebändigt«.

Peer Steinbrück war damals mittendrin in den Streitereien, und auch er glaubte, der Gipfel würde unsere Zukunft sicherer machen. Er sitzt im Winter 2013 in seinem kleinen Bundestagsbüro und sagt: »Ich war danach regelrecht euphorisch. Ich fand das einen entscheidenden Durchbruch.« Sogar die genauen Worte weiß er noch, mit denen er als Finanzminister vor die Presse ging: »Jeder Akteur soll kontrolliert werden, jedes Produkt, jeder Marktplatz.« Schluss mit der Zockerei.

Er springt auf, eilt zum Regal. Sein Buch über die Finanzkrise, sein Bestseller, wie er sagt. Er fängt an zu lesen, Passagen der schwersten Zeit seines Politikerlebens.

Einmal, auf einer der Sitzungen, schob ihm Frankreichs Finanzministerin einen Zettel zu: »Im Kommunismus verstaatlicht man Banken, und dann gehen sie pleite. Im Kapitalismus gehen Banken pleite, und dann verstaatlicht man sie.«

Und einmal, da wurden ihm die Knie weich, ein Mitarbeiter musste ihm einen Stuhl reichen. Als Steinbrück auf einer Reise nach St. Petersburg am Telefon erfuhr, dass die Bank HRE weitere Milliarden brauchte. Woher nehmen?

Und dann dieser Sonntag, der 5. Oktober 2008. Die Deutschen hatten begonnen, ihr Geld abzuheben, in den Automaten wurden die großen Scheine knapp. Ein Ansturm drohte: Schlangen vor den Banken, Bilder, wie sie Deutschland gesehen hatte, kurz bevor Hitler die Macht ergriff. »Da wussten wir, dass wir handeln müssen.« Die Bundeskanzlerin und er traten vor die Kameras: »Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.«

Ein Bluff! Der Staat hätte das Geld so schnell nicht gehabt. »Sie kommen manchmal in Ihrem politischen Leben an einen Punkt, wo Sie so etwas machen müssen.«

Und so war er eben aufgekratzt, nach dem Gipfel in London. Was für Versprechen: eine strenge Aufsicht für Banken und Hedgefonds; eine Grenze für die Millionen-Boni der Banker; ein weltweites Frühwarnsystem, das Stopp ruft, wenn sich irgendwo Gefahren entwickeln.

»Es wirkte wie ein Aufbruch«, sagt Steinbrück. »Aber vieles ist bis heute nicht realisiert.« Und die grundlegende Frage nicht beantwortet: »Wer entscheidet? Die Politik oder völlig entgrenzte Finanzmärkte?«

Diese Broker! Wenn er sie schon sieht, freitags, in der Blue Hour in den Frankfurter Bars: kalt, maßlos, nicht von dieser Welt. »Spricht man sie drauf an, dass ihr Tun erhebliche Risiken hat, reagieren sie völlig verständnislos.«

London, Stadtteil Mayfair, am frühen Mittag, Dezember 2013, im »PunchBowl«, bis vor Kurzem der Pub von Guy Ritchie, Madonnas Ex-Mann. 250-jährige Geschichte, dunkles Holz, Stammgäste wie Jude Law. Igor wartet schon, er ist Banker, Investor. Was wollen Sie trinken? Cappuccino? Er schaut mitleidig. Ale oder Lager? Ale.

Vor einem Jahr ist er ausgestiegen. Er hatte genug. Genug Geld. Genug vom Bankerleben. Er war kein Händler, kein Zocker, aber Investmentbanker. Ein schöner Beruf, sagt er, mittendrin im Milliardenspiel: Firmenkäufe, Börsengänge, großes Rad, große Risiken, eben nichts für Cappuccino-Trinker.

Dieser Beruf wurde ihm verleidet. Zuerst, kurz vor der Finanzkrise, gab ihm seine Bank weniger Geld für seine Geschäfte, sie gab es lieber den Zockern. Dann, während der Finanzkrise, gab sie ihm weniger Geld, weil die Zocker es eben verzockt hatten. Und nun, nach der Finanzkrise, kriegen es wieder die Zocker. Das Spiel geht von vorne los. Er hat Freunde, sagt er, da verstehe nicht mal er, was die machen. So was kann keiner kontrollieren. Oder verbieten.

»Es ist doch ganz einfach. Es gibt Menschen, die spielen Poker. Du verbietest Poker, dann spielen sie Black Jack. Du verbietest Black Jack, dann spielen sie eben Roulette.« Noch ein Ale?

Da sitzt nun dieser Investmentbanker, der so gar nichts mit dem Bild gemein hat, das Steinbrück von ihnen hat, im verwaschenen Polo-Shirt, er schlürft sein Bier und macht sich seine Gedanken. »There is no silver bullet«, sagt er immer wieder mit seinem russischen Akzent. Keine Silberkugel, die den Werwolf töten könnte. Das Monster. Er selbst nennt es so, nach mehr als 15 Jahren im Geschäft.

Was ist der Sinn einer Bank, fragt er auf einmal. – Nun, sie verhilft Menschen zu Geld. Dass sie ihr Haus bauen können, ihr Geschäft aufbauen, ihre Zukunft gestalten. – Das war ihr Sinn, sagt Igor.

Er ist nun Investor. Tut, was Banken immer weniger tun: Firmen Geld geben. Ihm nutzt der Wandel im System.

Aber woher kommt dieser Wandel? Und wie ticken diese Händler, von denen alle sprechen? Was macht sie gefährlich?

Einer von ihnen, Kweku Adoboli, sitzt seit mehr als einem Jahr in einer Gefängniszelle, auf der Isle of Portland, im Süden Englands. Ab und an kommt Paul, sein Anwalt, zu Besuch. Und ab und an schreibt er Freunden bittere Briefe, mehrfach angefangen. Es geht ihm nicht gut, sagen sie.

2,3 Milliarden Dollar hat Adoboli verzockt. Er belegt Platz drei in der Weltrangliste der Schurkenhändler.

Die neuen Gesetze, die strengere Aufsicht, sie haben seine Tat nicht verhindert. Fast hätte Adoboli die UBS, die größte Schweizer Bank zerstört, die Finanzwelt in ein Desaster gestürzt. Im Sommer 2011, lange nach dem G20-Gipfel, in einer Zeit also, in der die Gefahr angeblich gebannt war. Ein ungeheuerlicher Fall. Viel sagt er aus über das Hier und Jetzt der Hochfinanz und das Elend, das bevorsteht.

Als die betrügerische Laufbahn des Kweku Adoboli beginnt, ist er keine 30 Jahre alt. Er handelt mit einem jüngeren Kollegen Aktien im Wert von 50 Milliarden Dollar. Arbeit von 6 bis 22 Uhr, die Zeiten sind hart, die Banken müssen das Geld zurückholen, das sie in der Krise verloren haben. Oft gelingt ihm das nicht. Er sitzt vor seinen Bildschirmen, vor den Kurven und Zahlen, alle Sekunden ein Reiz, E-Mail, Instant-Message, Kundenorder, Handelswarnung, und er verliert und verliert. Und eines verflixten Tages kommt der Anruf eines Kunden. Er erwartet einen Einbruch an der Börse, möchte Wertpapiere verkaufen. Nun müsste Adoboli, um die UBS abzusichern, einen Kunden finden, der das Gegenteil glaubt und kauft. Ein Gegengeschäft. Er findet ihn nicht. Die Bank verliert 400 000 Dollar. Aber Adoboli will das nicht. Also erfindet er ein Gegengeschäft, bucht es einfach ins System. Keiner merkt es. Kurz darauf gewinnt er das Geld zurück. Uff.

Es ist der Tag, an dem der Händler etwas Fatales lernt. Früher standen Leute wie er noch auf dem Parkett. Und jeder alte Händler kann Geschichten erzählen von einem Unglücksraben, der neben ihm stand und zu viel wagte. Der kaufte, weil der Preis verlockend fiel, und darauf setzte, dass der bald wieder steigt. Manchmal jedoch sackte der Kurs kurz vor Börsenschluss in ein Loch und blieb darin, bis die Glocke erklang. Seine Verluste konnte dann niemand irgendwo hinbuchen wie Adoboli. Es wurde abgerechnet. Auf dem Parkett. Cash. Und fehlte einem dazu das Geld, verlor er noch am Abend seinen Sitz. Und sein Vermögen. Und alle sahen es: Wehe, du kannst für deine Fehler nicht zahlen.

Adoboli hat das nie gelernt. Seine ganze Generation hat das nicht gelernt. Möchte man das Unglück der Hochfinanz in einem Satz zusammenfassen, hier ist er: Die Banker haben verlernt, für ihre Fehler zu zahlen, Verantwortung zu übernehmen.

Von diesem unheilvollen Tag an schafft sich Adoboli seine Welt selbst. Er schiebt Verluste in die Zukunft, Gewinne in die Vergangenheit, er schreibt sie ins System, und sie sind Wirklichkeit. Man muss sich nur auskennen in den IT-Netzen der Banken, die in der Globalisierung zu Großbanken wurden. Die also eine Bank nach der anderen dazugekauft und deren IT hinzugefügt haben, zu einem wirren Geflecht. Leicht lässt sich da eine Million verstecken oder zehn oder 100 Millionen – Adobolis Tageslimit.

Er hält sich nicht dran. Hat nicht sein Vorstandschef Oswald Grübel die Richtung vorgegeben? »Nach meinem Geschmack sollten wir mehr Risikofreude an den Tag legen«, hat dieser gesagt. Kurz nach dem Londoner Gipfel. Adoboli hat Freude am Risiko. Und macht ja erst mal Gewinne. »Bei dir scheint immer die Sonne«, lobt sein Abteilungsleiter. Er habe eben einen Regenschirm, antwortet Adoboli. Seine Luftbuchungen: Regnet es Verluste, bleibt er trocken. Angst, der Chef könnte ihn melden, hat er nicht.

»Mir haben viele Händler gesagt: ›Der Feind sitzt neben dir.‹ Jeder gegen jeden, oft im gleichen Markt.«


Wir Europäer denken ja, eine Grossbank sei gebaut wie eines unserer Unternehmen:
eine Pyramide. Oben der Chef, er verdient am besten, unten die Angestellten. Gemeinsame Kultur, die Informationen laufen von oben nach unten und zurück.

Eine Großbank aber, auch wenn sie in Frankfurt oder London sitzt, ist nicht europäisch. Sie ist ein Geschöpf der Globalisierung. Sie ist keine Pyramide, sie ist ein Archipel, viele einzelne Inseln, unter der Oberfläche verbunden. Kaum Wir-Gefühl, viele Informationen bleiben auf den Inseln.

Auch verdient nicht der oberste Chef am meisten. Es sind die Investmentbanker. Geld ist für sie nicht nur Geld, es ist Lob, Status. Dein Bonus ist hoch? Also bist du ein Star. Alle kommen zum Schwätzchen, wollen Tipps, Freunde sein. Adobolis Abteilung hat viele Freunde in diesen Zeiten. Sechs Millionen Gewinn 2009, elf Millionen 2010, dann allein im ersten Halbjahr 2011 64 Millionen. Was soll da einer petzen?

Aber eines Tages rutscht Europa in die Krise. Adoboli wettet auf Erholung. Er verliert, er verliert, er verliert. Und nach drei Monaten lernt auch er endlich seine Lektion. Am Morgen des 14. September 2011 geht er in die Kirche und betet; am Mittag schreibt er eine E-Mail, die seine Bank, ganz London erschüttert: »Es tut mir leid, dass ich Ihnen dieses Schlamassel hinterlasse.«

Er bekommt sieben Jahre Haft. Von seinen Kollegen will keiner was gewusst haben, sie weichen aus, lügen, selbst als ihnen vor Gericht Mails vorgelegt werden, in denen sie über Adobolis Regenschirm schreiben. Warum er ihn denn nicht gestoppt habe, wird sein Abteilungsleiter gefragt. Die Antwort: »Weil ich blöd bin.« Wirklich? Er wird nie verurteilt.

Lange kommt von Joris Luyendijk keine Antwort, nicht auf Mails, nicht auf Twitter. Er lebt gerade ein Leben ohne E-Mail, sagt er. Nichts soll ihn ablenken. Er muss arbeiten. Sein Büro im Londoner Norden ist derart mit Akten vollgestellt, er setzt sich lieber ins Atelier seiner Büro-Nachbarin, einer Künstlerin, auf dem Boden Tennisbälle und Stangenskulpturen: weniger Chaos.

Luyendijk ist Anthropologe. Seit zwei Jahren sorgt er in der City für Gerede. Er, der sich bisher mit Ägypten beschäftigte, mit der Rolle der Frau im Islam, hat ein neues Forschungsobjekt: Banker. Zwei Jahre hat er sich unter sie gemischt. Nie hätte er gedacht, dass ihn das erst so faszinieren und dann so entsetzen würde.

Der Fall Adoboli, sagt er, ist für ihn logisch. »Er ist das Produkt des Systems.« Wie ist denn das System?

»Ein amerikanisches System: Wettbewerb. Mir haben viele Händler gesagt: ›Der Feind sitzt neben dir.‹ Jeder gegen jeden, oft im gleichen Markt. Bei einer Bank werfen sie jedes Jahr fünf Prozent der Leute raus. Die Schlechtesten. Jedes Jahr. So werden Menschen atomisiert.«

Was bedeutet das für die Kultur?

»Keine Sicherheit heißt keine Loyalität. Ich war in Banken, da waren plötzlich ganze Flure leer. Die Personalabteilung kommt rein, und es geht bumm, bumm, bumm. Und Leute wie Adoboli, die Geld bringen, werden gefeiert.«

Und keiner schaut, ob es saubere Gewinne sind?

»Niemand will es wissen. Leute aus dem Backoffice, dem Controlling, haben mir gesagt: Die Chefs tun alles, um nichts mitzukriegen. Sobald sie etwas wissen, sind sie verantwortlich.«

Aussteiger sagen, bei den Banken liefen noch viele Adobolis rum.

»Es wäre nun aber falsch zu sagen: Findet die, räuchert sie aus, und das Problem ist gelöst. Als Sozialwissenschaftler schaue ich auf die Strukturen. Nicht das Individuum, die Struktur schafft diese Skandale. Es ist ein Wunder, dass es nicht mehr solche Fälle gibt. Aber sie werden auch gar nicht richtig verfolgt.«

Der Menschenforscher redet noch lange über die Struktur, in der er die nächste Katastrophe für die Menschheit angelegt sieht. Man muss da was tun, sagt er beim Rausgehen in den Londoner Regen. »Ich will meine Mitbürger warnen. Sie müssen wissen, was hier geschieht. Ich denke, ich werde in die Politik gehen. Ich kenne Banker, die haben sich hier in der letzten Krise Waffen gekauft.« Sie wollten sich verteidigen können, wenn es zum Zusammenbruch kommt, zu leeren Supermärkten und Plünderungen.

Banker sollen ja das Risiko suchen, es gehört zu ihrem Beruf, Kredite gehen verloren, die Börse ist ein Auf und Ab, ein guter Banker muss verlieren können. Die Bankenchefs kennen aber das Risiko nicht mehr, das Gefühl der Niederlage. Ihre Lektion aus der letzten Krise: Wir werden gerettet. Oder wie es im Krisenjargon heißt: »Too big to fail.« Nie darf eine Großbank untergehen, denn sie würde die anderen mitreißen.

Nun sind die großen Banken seit dem Londoner Gipfel aber noch stärker geworden, die kleinen wurden aufgekauft. Diese Banken können die Staaten weiter erpressen. Das Geschäft etwa von Barclays ist größer als Englands Bruttoinlandsprodukt.

Und diese Großbanken fangen wieder an zu zocken. Ausgerechnet mit dem Geld, das die Zentralbanken wegen der letzten Krise in die Wirtschaft gebracht haben. Dieses Kapital dreht sich, schneller und schneller; da die Zinsen niedrig sind, wollen die Leute es anlegen, sie kaufen alles, zu fast jedem Preis.

Blasen wachsen. Wie 2008 bei den Immobilien. In den USA steigen derzeit die Preise von Bürogebäuden zweistellig. In Deutschland sind die Wohnimmobilien 20 Prozent überbewertet. Die Bundesbank warnt, dass die Banken sorglos Kredite vergeben könnten, einer der Hauptgründe der letzten Krise.

Und seit einigen Monaten sind Firmenanleihen das große Ding, Schulden von Firmen, auch Mistfirmen, in Pakete verpackt, wie wir es aus der letzten Krise kennen. Solche Papiere haben früher Spezialisten gekauft. Heute Stiftungen, Pensionsfonds und Omis aus Bottrop. Ein Milliardengeschäft.

Dort mischt immer mehr eine neue Weltgefahr mit, die Schattenbanken: Hedgefonds und andere Finanzfirmen. »Sie werden längst nicht so kontrolliert wie nötig«, sagt Peer Steinbrück. Oft haben sie ihren Sitz auf den Cayman-Inseln und spekulieren mit Summen, so groß wie Deutschlands Bruttoinlandsprodukt der nächsten 20 Jahre.

Viele Mitarbeiter dieser Schattenbanken waren in der letzten Krise noch Händler bei Investmentbanken. Er war vorher bei Lehman in London, erzählt einer von ihnen bei einem Gespräch im Januar. Damals rief ihn der Chef, Dick Fuld, in sein Büro. Der hatte genau eine Frage: »How can you make me a billion dollars?« Wie machst du mir eine Milliarde? Dann wackelte der Junge raus, und versuchte, wenigstens Millionen zu machen. Bis zu dem Tag im Herbst 2008, als die Bank Lehman die Weltwirtschaft in die Krise riss.

Er war gerade auf einer Banker-Hochzeit in New York, ein wunderbarer Tag. Bis auf einmal die Handys klingelten. Immer mehr Leute gingen aus der Kirche. Limos fuhren vor, brachten die Chefs zur Krisensitzung der Notenbank. Der Händler verlor sein gesamtes Vermögen. Es ist nur Geld, sagt er. Er verdient im Jahr so viel wie seine Mutter, eine Lehrerin, in ihrem Leben.

Seine Freundin fragte ihn damals: »Was heißt das für uns?« Seine Antwort: »Frag lieber: Was heißt das für die Welt?«

Die Wochen danach blieb er in New York, arbeitete wie irre. Den Schaden begrenzen, für die Kunden etwas zurückgewinnen. »Während um dich die gesamte Industrie zusammenbricht. It was fascinating. A great time.«

Das schweißt zusammen. Er ist mit seinem Team von damals zusammengeblieben. Vereint sind sie zu einem Hedgefonds gewechselt. »Wir machen das Gleiche wie zuvor«, sagt er. Handel. So komplex und schnell, dass seine Sprache sich im Laufe der Jahre angepasst hat. Doch bei den großen Fragen, da ist er sehr klar.

Hat der Gipfel etwas verändert?
Er schüttelt den Kopf: »Haben die Regulierer und die Spitzenpolitiker die Kontrolle? Nein, ganz sicher nicht.«

Aber die Banken sind sicher heute?
»Sie sind sogar ein größeres Risiko.«

Fürchtet er, wieder zu erleben, was er bei Lehman erlebte?
»You know«, zitiert er Mark Twain, »history never repeats itself but it rhymes.« Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.

Genau das sagen auch andere kluge Köpfe, und weil sie keine Banker sind mit Schweigeklauseln, auch offen: »Das Finanzsystem ist heute nicht sicherer als vor Lehman. Die Situation ist sogar schlimmer«, sagt Didier Sornette, Risiko-Forscher an der ETH Zürich.

»Mit Blick auf die nächsten fünf Jahre müssen wir davon ausgehen, dass sich eine ähnliche Katastrophe, möglicherweise eine schlimmere, ereignen wird«, sagt Simon Johnson, Wirtschaftsprofessor am MIT in Boston.

Und der langjährige Chef der britischen Finanzaufsicht, Lord Adair Turner, sagt: »Schattenbanken könnten die Krise von 2015 oder 2020 kreieren.«
Wie kann das sein? Wieso wurde nicht erreicht, was Brown, Obama und Merkel vor fünf Jahren versprochen haben? Wer hat das Aufräumen verhindert? Und warum?

Allein in den letzten zwei Jahren hatte er 200 Gespräche mit diesen Typen. In sein Büro sind sie hineingerauscht, haben ihn gleich geduzt: »Hey, Markus.« Haben ihm ungebeten fertig formulierte Gesetzestexte zur Regulierung vorgelegt: Bräuchte er nur zu übernehmen. Und einer, den er nicht kannte, hat bei seiner Sekretärin angerufen mit dem Satz: »Machen Sie einen Termin, Herr Ferber ist informiert.« Es ist die Pest, sagt Markus Ferber, EU-Abgeordneter, 49, CSU, verantwortlich für die neuen Gesetze an den Finanzmärkten.

Seit Jahrzehnten ist er im Geschäft, solch einen Sturm hat er noch nie erlebt. Die Banken kämpfen gegen den Wandel, mit ihrer Lobby, der stärksten auf der Welt. »Die Banker sind am innovativsten von allen darin, Lücken im Gesetz zu finden«, sagt Ferber. In der Nähe des Frankfurter Flughafens gibt es einen Internetknoten, den einst die Army nutzte. Genau da siedelten sich Händler an, die damit ein paar unfaire Millisekunden schneller waren als die Konkurrenz.

Das immerhin, sagt Ferber, hat er verboten. Auch sonst haben er und seine Kollegen einiges erreicht: gefährliche Produkte verboten, Boni begrenzt und Banken verpflichtet, mehr Eigenkapital zu halten. Schöne Erfolge, im Kleinen.

Im Großen haben die Regulierer verloren. Weiter haben sie keine Kontrolle über die Finanzwetten, deren Wert zehn Mal so hoch ist wie alles, was die Welt im Jahr an Waren herstellt. Die Banken haben gesiegt. In Europa, wo die Regierungen genug andere Sorgen haben. In den USA, wo es vier lange Jahre dauerte, bis die Volcker-Regel kam, der Kern der Reform. Als das Gesetz vor drei Monaten vorgestellt wurde, kommentierte die Financial Times: »Die Veröffentlichung einer wirkungslosen Richtlinie sollte nicht fälschlicherweise für einen echten Fortschritt gehalten werden.«

Ferber und seine Mitstreiter können nicht zufrieden sein mit ihrem Kampf, der niemals endet. Aber manchmal, sagt er, macht der auch Spaß. Einmal kam der Cheflobbyist von Goldman Sachs vorbei. Mit Schwung auf den Stuhl, Lächeln. Nein, was die Europäer vorhätten, gehe gar nicht. Überhaupt sei Goldman an der Finanzkrise unschuldig. Da sagte Ferber: »Und warum habt ihr Produkte entwickelt, die ganze Staaten in den Abgrund treiben? Wissen Sie, für mich sind Sie Darth Vader.«

»Es waren nicht die Staaten, welche die Krise ausgelöst haben. Das war die Finanzbranche!«

»Halt, Einspruch!« Immer diese Angriffe: Kampflobbyisten, Zocker, Casino-Banker. Jürgen Fitschen hat diese Vorwürfe satt, er will widersprechen, ist deswegen an diesem Februartag ins Deutsche Theater in Berlin gekommen, wo ein Wirtschaftsbuch vorgestellt und mal wieder gegen seine Zunft gewettert wird.

Fitschen ist einer der beiden Chefs der Deutschen Bank. Er ist also mehr als ein Banker, er lenkt nicht nur sein Institut, er beeinflusst auch die Geschicke des Landes, ist die wichtigste deutsche Stimme in der Weltfinanz.

Die Politik war froh, als er vor gut zwei Jahren neben Anshu Jain an die Spitze der Bank kam. Fitschen schien wie geschaffen, Vertrauen zurückzugewinnen: der Scheitel gerade, die Sprache bodenständig. Er ist in Harsefeld geboren, in der norddeutschen Tiefebene, 12 000 Einwohner. Seine Eltern betrieben einen Hof und das Gasthaus »Linde«, seine Mutter, Spitzname Tante Ilse, war berühmt für ihre Kohlrouladen. Als Fitschen in Harsefeld seinen 60. Geburtstag feierte, kamen die alten Tischtenniskameraden.

In der Bank war er lange verantwortlich für die Firmenkunden, ein Geschäft, das an das alte Bankierswesen erinnert: den Unternehmen Geld geben, das sie brauchen, um Deutschlands Wohlstand zu sichern.

Fitschen rief dann auch den Kulturwandel bei der Deutschen Bank aus. Aufrichtig sollen alle Mitarbeiter sein. Den Kunden dienen. Langfristig denken, nicht nur an das schnelle Geld.

Ein neues Modell, ein Gegenentwurf zum Schrecken des Anthropologen Luyendijk: no loyality, atomisierte Menschen, Informationen, die auf der Insel bleiben.

Doch die Deutsche Bank stolpert weiter von Skandal zu Skandal, und selbst wenn dies meist Altsünden sind, die hochkommen, nimmt ihm bisher kaum einer den Wandel ab. Mal kritisiert ihn die Finanzaufsicht in einem bitterbösen Brief, der nach draußen gespielt wird; mal greift Finanzminister Wolfgang Schäuble Fitschen offen an: »Die Kreativität der Banken, die Regulierung zu umgehen, ist weiterhin groß«, sagte der. »Ich weiß ja, dass die Banken meinen, es reiche nun. Aber da sage ich zum Beispiel vor einigen Tagen zu Jürgen Fitschen: Es waren nicht die Staaten, welche die Krise ausgelöst haben. Das war die Finanzbranche! Deshalb kann es kein Ende der Regulierung geben.«

Was war Fitschen wütend! »Die aktuellen Schlagzeigen«, schimpfte er, »haben mit Dingen zu tun, die vor vielen Jahren passiert sind. Wenn man mit solchen Parolen so populistisch Dinge kommentiert, ist das unverantwortlich.« Es war die falsche Antwort.

Und auch an diesem Februartag in Berlin, wo Fitschen reden möchte, nicht streiten, die Menschen für sich einnehmen, da gibt er die falschen Antworten.

Ja, sagt er, mehr Regeln sind gut. Aber nicht nur für uns. Auch für die Amerikaner und Briten.

Und ja, sagt er. Wir müssen uns wandeln. Aber eben nicht nur wir.

Er schaut nur auf die anderen, auf die Briten und Amerikaner, auf Goldman, Barclays und JP Morgan. Wie soll sich was ändern, wenn einer der mächtigsten Deutschen und der wichtigsten Banker der Welt nicht mehr zu bieten hat?

Wie soll das ein Mensch verstehen, etwa einer aus Harsefeld, der einfach nur wissen will, was Fitschen denn nun tun will?

Vielleicht hätte Fitschen besser erklärt, was tatsächlich eine Gefahr ist: Verliert die Deutsche Bank ihr Gewicht in der Welt, herrschen in der Hochfinanz nur noch Briten und Amerikaner, dann hat sich das alte Modell endgültig durchgesetzt.

Und vielleicht hätte Fitschen bei dem Streit Wolfgang Schäuble nicht angreifen sollen, sondern einfach darauf hinweisen, dass er nicht die ganze Wahrheit sagt: Von wegen »Es waren nicht die Staaten, welche die Krise ausgelöst haben!«

Wer verstehen will, warum wir der Katastrophe entgegentreiben, sollte den Blick abwenden von den Banken. Es ist so, wie Lenny Fischer sagt, das einstige Wunderkind im Vorstand der Dresdner Bank: »Wir Banker sind weder klug noch machtvoll genug, solch eine Krise alleine anzuzetteln.« Unser Finanzsystem wurde von Bankern ausgenutzt, geschaffen wurde es von der Politik.

Vor 30 Jahren haben die Regierungen in den USA und Großbritannien entschieden, dass ihre Industrie der Zukunft nicht mehr die Autos oder Minen, sondern die Banken sind. Seitdem haben sie alles getan, ihre Fesseln zu lösen. Haben jede Pleite von ihnen ferngehalten. Der Finanzmarkt hat sich nicht selbst entgrenzt, hat sich nicht alleine zum Monster entwickelt, wie Steinbrück und Schäuble und so viele sagen. Die Politik hat ihn dazu gezüchtet.

»Im Grunde«, sagt Fischer, »müssen Sie alle vier, fünf Jahre eine Bank pleitegehen lassen, dass die Banker merken: ›Mist.‹ Und Sie müssen auch Großbanken pleitegehen lassen. Sonntags gehen sie pleite und montags machen sie als staatliche Banken wieder auf. Die Einlagen sind gesichert, die Aktionäre verlieren ihr Geld, die Manager alle Ansprüche. Ein paar Banker werden ärmer, das System bleibt gesund.«

Aber die USA und Großbritannien haben erst in zweiter Linie Interesse am System; sie wollen vor allem eines: ihre Banken schützen und deren Weltherrschaft. Wir erleben den Wettstreit der Kulturen. Hier das europäische System, dort das anglo-amerikanische. Es ist kein Zufall, dass Markus Ferber, der gequälte Regulierer sagt: »Die Briten torpedieren einfach alles.« Die Londoner City ist das Herz der britischen Wirtschaft, wichtiger als für Deutschland die gesamte Autoindustrie.

Und die USA? »Obama war bereit, die Wall Street viel stärker an die Kette zu legen«, sagt Steinbrück. »Aber er ist gegen die massiven Interessen nicht durchgekommen.« Gegen die mächtigste Lobby der Welt. Größter Finanzier im Wahlkampf.

Obama kann es verschmerzen. So eine Finanzkrise trifft sein Land zuletzt. Hat es halt noch mehr Schulden. Wer soll es zwingen, sie je zurückzuzahlen? Das trauen sich nicht mal die Chinesen. Es würde die Welt zerstören. Too big too fail.

Und so ist der Londoner Gipfel von 2009, der »entscheidendste Gipfel«, gescheitert, weil drei Sätze damals falsch waren:
1) Dass die USA Verantwortung tragen.
Sie müssen es nicht.
2) Dass die Briten aufräumen.
Sie wollen es nicht.
3) Dass wir das Monster zähmen.
Wir Deutschen können es nicht.

Ja, sie haben allen Grund, nach dem Gespräch mehr Angst zu haben als vorher, die beiden Manager, die den Alten getroffen haben, zum Gespräch im Hotel, nahe der Bank of England. Alle finsteren Themen haben sie durchgesprochen: Too big to fail. Die Verschuldung der Banken. Die neue Spekulation. Die Rolle der Politik.

»Wir sind nicht am Ende der Krise«, sagt der Alte, »wir sind am Anfang. Wir hauen dem Patienten den Defibrillator drauf, die Paddles. Wir haben nicht verstanden, dass er tot ist. Nur noch zuckt.«

Zahlen, Charts, Einblicke, über eine ganze Stunde hinweg, hoch kompliziert und tief beängstigend. Einer der beiden redet manchmal rein, erschreckt stellt er Fragen, eine so naiv, wie ein Unbeteiligter sie stellen müsste: Warum kehrt man nicht zurück zu dem System des 19. Jahrhunderts, von dem der Alte kurz erzählt hat? Warum keine Rückkehr zur unbeschränkten Haftung, zur Bank, deren Eigner, die Aktionäre mit ihrem Vermögen haften? Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.

Der Alte lacht. »Das ist nun mal ein radikaler Ansatz«, freut er sich. »Aber das wird die Politik sich nicht trauen.« Und sie fangen an über die Folgen für die Gesellschaft zu diskutieren. Und sie kommen zu demselben Schluss wie Peer Steinbrück: »Die Gefahr ist«, sagt der, »dass bei der nächsten Krise wieder der Steuerzahler haften wird. Das würde eine echte Belastungsprobe für die Demokratie.«

Zutritt nur mit Einlasskarte, die Stühle sind abgezählt. Doch so viele Menschen drängen heran, die Kontrolleurin macht die Tür frei. In der Halle des Wiener Palais Epstein stehen die Menschen am 18. Februar bis vor die Tür, alle wollen hören, was Andreas Mölzer zu sagen hat. Sein Thema: Europa.

Mit Jeans und Sakko sitzt er auf der Bühne, hört sich an, was seine Vorredner zu sagen haben, über den Abstieg der EU, über die Bankengefahr, die Lobbyisten, eine mögliche Inflation. Wie kommt das alles? Mölzer, der Europa-Abgeordnete, hat ein paar Antworten:

Die EU, sagt er, sei doch eine Diktatur, dagegen sei »das Dritte Reich wahrscheinlich formlos und liberal« gewesen. »Weil es sicher nicht so viele Regeln und Vorschriften, Gebote und Verbote gegeben hat.«

Die EU, sagt er, müsse sich fragen, ob sie ein »Negerkonglomerat« sei, beherrscht von »einer Bande von Lobbyisten«.

»Und wir«, ruft er schließlich, »diese bösen rechtspopulistischen Kräfte, die es nun ja überall gibt, sind die einzige und letzte Hoffnung der europäischen Völker.«

Nicken, Applaus. Von Menschen, die vor Kurzem noch nicht den Weg zu ihm gesucht haben: ein Querschnitt durch die Gesellschaft, Tweed-Sakko und Karohemd, Jeans und Pulli, Pelzhut und Seidentuch.

Im Mai ist Europawahl. Wie geht es weiter mit der EU?

Für Europas Rechtspopulisten sieht es gut aus. Der Front National ist stärkste Partei in Frankreich. Alle haben Zulauf, die Dänische Volkspartei, die Lega Nord in Italien, die Freiheitspartei in Holland, in Deutschland die AfD, die den Satz »Schäuble rettet nur die Banken« plakatiert. Mölzers FPÖ wird wohl jeder vierte Österreicher wählen. Platz zwei, nahe an der eins.

Ja, sie sind die Krisengewinnler, sagt Andreas Mölzer, am nächsten Morgen beim Frühstück.

»Das ist der Fluch der Demokratie.« Er schaut sehr entspannt.

»Das mag man für Populismus halten, aber es ist legitim.« Er lächelt.

»Manche sagen, wir würden Ängste schüren, hetzen.« Er schaut unschuldig.

»Ich brauche keine Ängste zu schüren. Die Bedrohung durch die Bankenkrise ist Realität.«

Er muss los, Flug nach Kärnten, Wahlkampf. Das kleine Bundesland muss vielleicht für das Desaster der Hypo Alpe Adria mitbezahlen, sagt Mölzer. »Dann können Sie dort zehn Jahre lang keine Straße reparieren.« Er weiß, was er den Wählern in seiner Heimat sagen wird.

Nur eine Sache, sagt er, mache ihm Sorgen. »Was passiert, wenn wir wirklich in die Verantwortung kämen? Was dann? Weil, wenn man die Bankenfrage mal betrachtet: Was machen wir dann? Da ist man fast froh, wenn man sagt: Wir sind Gott sei Dank nur in der Opposition.«

(Illustrationen: Paco Roca / Represented by Astiberri)

Illustrationen: Paco Roca