»Ich will, dass man mich liebt«

Malerfürst, Geck, Genie, Poseur - all das wurde Markus Lüpertz schon genannt. Wer ist er wirklich? Ein Gespräch über Eitelkeit, Stil und andere Missverständnisse.

SZ-Magazin: Herr Lüpertz? Herr Professor? Herr Doktor?
Markus Lüpertz: Senator könnten Sie auch noch sagen.

Klingt nach Vielfliegerprogramm.

Der Titel wurde mir zum Ende meiner 23-jährigen Karriere als Rektor und Professor der Düsseldorfer Kunstakademie verliehen.

Machen die verschiedenen Anreden einen Unterschied?
Ich habe Titel immer sehr gern gehabt, weil sie ein gewisses Kompliment bedeuten.

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Welcher Titel würde es für Sie genau treffen?
»Meister« wäre richtig. Leider wird der heute nicht mehr verwendet, schade. Als ich Rektor war, sagten die Leuten immer, es spreche nun »seine Magnifizenz Prof. Dr. Markus Lüpertz«. Da habe ich mich jedes Mal umgedreht und geguckt, wen sie wohl meinen könnten.

Wenn Sie den Begriff »Malerfürst« hören, denken Sie – was?
Über den rege ich mich schon mein Leben lang auf. Den hat die Presse erfunden und mir dann untergeschoben. Interessiert mich nicht.

Was ist mit der Zuschreibung »Dandy«?
Noch so ein Begriff. Wer ihn verwendet, weiß nicht, woher er stammt. Dandy zu sein war im 19. Jahrhundert ein richtig anstrengender Beruf. Die Leute waren nur damit beschäftigt, wie sie aussahen. Das bin ich nicht!

Was sind Sie denn?
Ein gut gekleideter älterer Herr – nach der Arbeit. Denn währenddessen mache ich mich sehr schmutzig. Daher habe ich anschließend das Bedürfnis, mich gut anzuziehen. Ich verstehe nicht, warum das mit all diesen Begriffen belegt und belastet wird.

An wen denken Sie?
An Picasso zum Beispiel. Der war ganz hervorragend gekleidet. Am besten aber Brâncuşi. Der hatte die tollsten Hosen, die ich in meinem Leben gesehen habe. Sehr hoch geschnitten. Die hat er sich machen lassen. Ganz eitler Mann. Großartig.

Wie viel Wahrheit steckt im Knauf Ihres Spazierstocks?
Keine. Ich hatte einen Unfall und muss einen Stock verwenden. Ein Freund, er ist Goldschmied, macht mir diese Knäufe. Je nach Laune ein anderes Motiv. Ich habe so zehn bis zwölf davon.

Welche Knauf-Motive besitzen Sie?
Den Totenkopf, der ist das Vordergründige. Dann gibt es natürlich noch eine Kröte, einen Stein …

Wonach wählen Sie den jeweiligen Stock aus?
Nach der Garderobe. Gehe ich in Beige, nehme ich einen etwas helleren Stock, gehe ich in Schwarz, dann den schwarzen mit Silberknauf.

Wie ist das Gefühl, ohne Spazierstock auszugehen?

Das kann ich gar nicht. Mein Knie ist gebrochen. Und solange ich es mir nicht operieren lasse, brauche ich den Stock, um nicht umzufallen. Es wäre schön, wenn der Stock reine Attitüde wäre. Ich habe keine Lust, mit so einem dicken Ding vom Gesundheitsamt herumzulaufen.

Was steht einer Operation im Wege?
Meine Angst. Nackte Angst.

Wovor?
Vor der Betäubung. Ich hatte einen Freund, den sie nach einem Bandscheibenvorfall operiert haben. Als er wach wurde, war er ein Idiot.

Schon mal jemandem mit Ihrem Spazierstock gedroht?
Nein, das habe ich nicht mehr nötig. Mein Ruf reicht.

In welchen Momenten ist es völlig inakzeptabel, schlecht angezogen zu sein?

Für mich ist gute Bekleidung eine Frage der Selbstdisziplin und der Selbstbelohnung. Ich mache Frühsport, ich dusche, ich kleide mich gut, nachdem ich gearbeitet habe. Aber ich werte das nicht! Das ist meine private Veranstaltung. Ich bin nur verblüfft, wie sehr das beachtet wird.

Und wenn Sie ganz für sich sind?
Es geht mir besser, wenn ich gut angezogen bin. Warum also sollte ich mich freiwillig hässlich machen? Was das betrifft, bin ich ein äußerlicher Mensch.

Der Feind des Stils ist Trivialität oder Formlosigkeit?
Die Trivialität sollten wir nicht verteufeln. Sie hat einen poetischen Aspekt. Wenn man sie richtig einsetzt, bin ich dafür. Es geht darum, das Unernste im Ernsten zu entdecken. Wenn man den Schmerz nicht ironisiert und über das Unglück nicht lachen kann, ist man von der Kunst sehr weit entfernt.

Wo ist man dann?

Es gibt die große Kunst. Und kurz hinter der großen Kunst kommt der Kitsch. Das erleben wir gerade in einem gigantischen Ausmaß.

An wen denken Sie?
An Jeff Koons oder Damien Hirst. Das ist wirklich gigantischer Kitsch. Die beiden sind Zeitkünstler, denn jedes Jahrhundert braucht seine anspruchsvolle Dekoration. Und die machen sie großartig.

»Papa hat sich entschlossen, nur noch wichtige Dinge zu sagen, und alle wichtigen Dinge in Deutschland wurden von Männern mit Bärten gesagt..«

Die Schuhe aus Krokoleder passen zum Teppich - das Krokodil auch.

Zurück zum Stil: Auf welche Frage ist Stil die Antwort?
Stil ist ein Problem für sich selbst, mit dem ich ein Problem habe. In der Malerei muss jedes Bild ein Einzelwerk sein. Obwohl ich auch Serien male, müssen die Bilder divergieren.

Und was ist mit Ihrem Bekleidungsstil?
Ich hoffe, dass meine Kleidung keinem Stil folgt, sondern lediglich einem Anspruch.

Bevorzugter Krawattenknoten?
Ein doppelt geschlagener, damit er etwas dicker wird. Ich weiß nicht, ob es den Knoten offiziell gibt. Auf jeden Fall kein Windsor.

Waren Sie jemals ganz glatt rasiert?
Ja, sicher. Mit großem Vergnügen, da ich mich mit einem Messer rasierte. Das vermisse ich, seit ich Bart trage: Das Wetzen des Messers, das Einseifen und das Rasieren mit der scharfen Klinge waren immer die Kontrolle meiner ruhigen und sicheren Hand.

Wie heißt der Bart, den Sie aktuell tragen?
Spitzbart, glaube ich. Mit dem Bart ist das so eine Sache: Meine Töchter haben mich gefragt, warum ich einen Bart habe. Meine Antwort: Papa hat sich entschlossen, nur noch wichtige Dinge zu sagen, und alle wichtigen Dinge in Deutschland wurden von Männern mit Bärten gesagt.

Der Lieblingsort in der Weberei Ihres Vaters war wo?
Im Aufzug, komischerweise. An der Außenwand des Gebäudes war ein Korb an einem Seil befestigt. Da stiegen mein Bruder und ich immer ein und wurden dann raufgezogen und runtergelassen. Das war unser größtes Vergnügen. Bis der Vater es sah und es verboten hat.

Wie fühlten sich die Stoffe an, die Ihr Vater produziert hat?
Das weiß ich nicht mehr. Ich glaube, es war mittelmäßiges Zeug. Für Müller-Wipperfürth, ein großes Bekleidungshaus. Die haben den Preis immer mehr gedrückt. Deshalb ist mein Vater dann auch bankrott gegangen. Da war er knapp 70. Und er hat mit seinem gesamten privaten Vermögen gehaftet. Zum Schluss besaß meine Mutter eine Zeitungsbude, und da saß mein Vater drin, am Bahnhof. Bis er 86 Jahre alt war.

Der Ring, den Sie an Ihrem linken Mittelfinger üblicherweise tragen: Ist das der Ausgehring?
Nein. Welchen Ring ich trage, hängt von Form und Tageslaune ab. Im Moment trage ich kaum noch Ringe. Ich nehme an, ich werde alt. Ich trug immer wunderschöne Ringe, mehrere zugleich.

Der Totenkopf auf Ihren Ringen und Stöcken – was bedeutet der?
Nichts. Der Totenkopf ist das Motiv des Juweliers. Dem fällt nichts anderes ein. Ich habe damit nichts zu tun. Das ist seine künstlerische Arbeit. Da habe ich mich nicht einzumischen.

Und der Totenkopf auf Ihren Bildern?
Der macht klar, dass es sich um ein Stillleben handelt. Wir müssen endlich lernen, dass die Gegenstände ihre eigene Verantwortung tragen. Ich habe einen Stahlhelm gemalt, weil ich ihn formal interessant fand. Der Stahlhelm erzählt natürlich seine eigene Geschichte, aber das ist das Problem des Betrachters und interessiert mich nicht.

Sollte ein Mann regelmäßig zur Maniküre gehen?
Er sollte.

Gehen Sie?
Nein. Mein Freund Jörg Immendorff machte das immer. Darum habe ich ihn sehr beneidet. Der konnte aber auch mit Gummihandschuhen malen, was ich nie schaffe. Infolgedessen ist es sinnlos, zur Maniküre zu gehen. Denn wenn man das Terpentin an die Finger kriegt wie ich, brechen die Nägel. Es wäre also rausgeschmissenes Geld.

Sie mit nacktem Oberkörper an die Motorhaube eines Rolls-Royce gelehnt: Was erzählt das Bild?
Das war eine zauberhafte Attitüde. Als ich meine erste große Ausstellung in der Mary Boone/Michael Werner Gallery in New York hatte, machten wir einen Katalog. In dem war ein Foto von mir mit nacktem Oberkörper, wie ich neben einer Skulptur stehe. Ich war ein hübscher Kerl. Warum sollte ich das nicht zeigen?!

In welchem Moment Ihres Lebens haben Sie sich das rechte Ohr stechen lassen?
Mit 15. Korken dahinter und mit dem Ohrring durch das Ohr durch. Dann Alkohol drauf.

Ist das heute immer noch derselbe Ohrring?

Nein. Das ist ein Ring von Otto Jakob, einem Schüler, der später Goldschmied geworden ist.

Kommt der Ring jemals heraus?
Der bleibt ständig drin. Ich wundere mich immer, wenn ich darauf angesprochen werde, denn ich habe ihn völlig vergessen.

»Wie soll man denn einen Kampfhund auf die Bekleidung abstimmen? Erklären Sie mir das mal!«

Zu Schwarz trägt Lüpertz am liebsten einen Gehstock mit silbernem Totenkopfknauf .

Haben Sie irgendwelche Tätowierungen?
Ja, aber wenige.

Ein Motiv?
Na, was ist schon das klassische Motiv einer Tätowierung?

Ein Totenkopf?
Ja. Mehr will ich dazu nicht sagen.

Haben Sie einen Kleiderschrank oder ein begehbares Ankleidezimmer?
Ein Zimmer mit Bügeln, auf denen meine Anzüge hängen, und wo die Schuhe stehen.

Wie viele Paare besitzen Sie?
Viele. Ich habe sie – das ist jetzt nicht kokett gemeint – nie gezählt.

Kommt der Schneider mitunter ins Haus?
Auch.

Um was zu machen?

Anzüge und Mäntel.

Welches Kleidungsstück darf Konfektionsware sein?
Der Sommeranzug. Mit diesen leichten Anzügen ohne Futter haben Schneider große Probleme, so meine Erfahrung.

Welcher Provenienz, die Anzüge?
Aus Italien, es gibt ja keine anderen. Ich bin immer enttäuscht, wenn ich in New York amerikanische Anzüge gesucht habe. Sie haben nichts eigenes mehr.

Kann man im Dreiteiler malen?
Der würde mich zu sehr beengen. Außerdem mache ich ihn dreckig und kann ihn anschließend wegwerfen. Aber es gibt ja eine spezielle Malkleidung: die Malerhose, die Jacke, die Schürze, das Schuhwerk. Die habe ich nach ihrer Attraktivität ausgesucht.

Ist diese Malkleidung auch maßgeschneidert?

Nein. Das ginge zu weit.

Es gibt ein Foto, auf dem Sie zwischen Ex-Kanzler Schröder und Kai Diekmann von der Bild-Zeitung stehen. Sie alle drei in Anzügen. Heute trägt Diekmann Zauselbart und Hoodies.

Das hat man davon, wenn man länger in den USA bleibt. Aber er sieht jünger aus. Vielleicht ist das der Grund. Er sieht wie ein Student aus.

Der Kampfhund, der farblich auf die Kleidung abgestimmt gewesen sein soll. Was ist aus ihm geworden?

Alles dummes Zeug. Ich hatte mal einen Hund namens »Botticelli«. Ich wurde immer wieder danach gefragt und habe dann irgendwann diese ironische Bemerkung gemacht. Wie soll man denn einen Kampfhund auf die Bekleidung abstimmen? Erklären Sie mir das mal!

Was ist Ihnen lieber: Wenn die Leute Sie fürchten oder verehren?
Ich will, dass sie mich lieben.

»Lieben« heißt in Ihrem Verständnis – was?
Verehren. Vergöttern. Glauben, was ich sage. Das ist ganz wichtig für die Liebe. Prüfen Sie Ihre Frau: Wenn sie nicht mehr glaubt, was Sie ihr erzählen, dann liebt sie Sie nicht mehr. Davon bin ich fest überzeugt.

Wenn Sie in einen Spiegel schauen, worauf fällt ihr erster Blick?
Das hat mit meiner Tagesform zu tun. Habe ich einen Kater, dann erst mal auf die Augen. Habe ich keinen Kater, schaue ich, wie das ganze Bild zusammenhängt.

Bevor Sie aus dem Haus gehen, fällt Ihr letzter Blick worauf?
Auch das ist von meiner Stimmungslage abhängig: Wenn ich rausgehe, bemühe ich mich, eine gewisse Heiterkeit oder gute Laue zu verstrahlen. Sie werden mich in Gesellschaft selten in trüber Stimmung erleben. Und sollte ich mal schlecht gelaunt sein, was relativ selten geschieht, dann versuche ich, zu Hause zu bleiben.

Und Sie lächeln sich zu.

Ich neige dazu, mir zuzulächeln. Ich habe ein ungestörtes Verhältnis zu mir selbst.

Woran erkennen Sie an einem anderen Mann, dass er gut mit sich umgeht?

An seiner Kleidung. An seinem Gesichtsausdruck. An seiner Haltung und seinem Gang.

Wann werden Sie skeptisch?
Wenn mein Gegenüber heruntergezogene Mundwinkel und hohle Augen hat. Aber der Eindruck kann sich im Gespräch schnell wieder relativieren und auflösen. Ich bin ein sehr kommunikativer Mensch. Deshalb bin ich nie voreingenommen. Ich fälle später mein Urteil. Oder auch nie.

Der einsame, sich selbst vergessende Maler – ein Künstlerbild, mit dem Sie etwas anfangen können?
Nein. Ich kann nicht allein sein. Infolgedessen bin ich von Leuten um mich herum abhängig, von Dingen, anderem. Vom Bild des einsamen Künstlers habe ich natürlich auch einmal geträumt: sich zurückziehen wie Segantini, in einer Berghütte einschneien lassen und dann an einer Blinddarmentzündung sterben. Als ich mich tatsächlich in eine Hütte zurückzog, habe ich mich spätestens nach drei Tagen gefragt: Was mache ich hier eigentlich? Und bin zurück ins Leben.

Hängen der Kleidungsstil eines Künstlers und dessen Wahrnehmung in der Kunstszene zusammen?
Nein. Wie ein Künstler öffentlich erscheint, das bestimmt er ganz alleine. Das hat mit seiner Kunst nichts tun.

Verlangt der Kunstmarkt nach dem maßgeschneiderten Anzug oder etwas Vergleichbarem?
Der Kunstmarkt hat kein Interesse am Künstler. Am besten, er kommt gar nicht vor. Er stört nur das Geschäft. Das beantwortet Ihre Frage, ja?

Markus Lüpertz
wurde 1941 in Liberec/ Böhmen geboren und gilt als einer der wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler. Seine Bilder und Skulpturen - oft archaisch und monumental - kreisen um die Themen deutsche Geschichte und antike Mythen. Lüpertz hat an diversen Akademien gelehrt und pflegt die Pose des Genies und Lebemannes. Er ist verheiratet, hat fünf Kinder und lebt in Teltow bei Berlin.

Fotos: Jonas Unger