Zweite Halbzeit

Nach dem Koma: Vor fünf Jahren konnte die Sportreporterin Monica Lierhaus nicht mehr sprechen, nicht mehr gehen, nicht mehr sehen. Jetzt fliegt sie nach Brasilien zur Fußball-Weltmeisterschaft. Weil sie ihrem alten Leben wieder so nah kommen will wie möglich. Wir haben sie auf den Etappen eines langen Kampfes begleitet.

Kaum ist sie im Fernsehen, fragen sich alle: Warum tut sie sich das eigentlich an? Warum stellt sie ihr Leiden öffentlich aus? Und: Muss ich mir das anschauen?

Jetzt sitzt Monica Lierhaus in der Maske, Jeans, alte braune Turnschuhe, Reißverschlussjacke, vor sich Karten mit Fragen darauf. Sie flüstert die Fragen vor sich hin, immer wieder. Sie übt sie, wie andere Klavier üben. Viele Vokale hintereinander fallen ihr schwer, auch Worte wie Sky-Stiftung.

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Sie hat die Fragen in den vergangenen Wochen mit ihrer Logopädin geübt. Sie hat sie mit Rolf Hellgardt geübt, ihrem Lebensgefährten. Mit ihrer Mutter, mit ihrer Schwester. Sie kann nicht oft genug üben, denn sie möchte so gut sein wie möglich. Und sie wird besser in jedem Interview.

Es ist ihr drittes Gespräch, seit klar ist, dass sie für den Bezahlsender Sky von der Fußball-Weltmeisterschaft aus Brasilien berichten wird. Mit Jürgen Klinsmann und Joachim Löw hat sie zuerst gesprochen. Heute stimmt sie sich mit Lothar Matthäus und Franz Beckenbauer auf die WM ein.

Am Morgen, der Wecker klingelte sehr früh, ist Monica Lierhaus aus dem Bett gesprungen, was sonst nicht ihre Art ist. Aber da wartete ein Tag, auf den sie sich freute. Ein Arbeitstag. Mit dem Flugzeug von Hamburg nach München, mit dem Taxi ins Olympiastadion, dorthin, wo Beckenbauer 1974 den Pokal hochgehalten hatte.

Am Abend spielt Bayern München zu Hause gegen Real Madrid im Champions-League-Halbfinale. Erst fährt Beckenbauer vor, schwarzer Mercedes, Salzburger Kennzeichen, dann Lothar Matthäus, weißer Mercedes, Münchner Kennzeichen. »Schon wieder abgenommen, Franz?«, fragt Matthäus und reibt sich den Bauch. »Wie schaffst du das? Ich nehm immer nur zu.«

»Lothar, Franz, schön, euch zu sehen«, sagt Monica Lierhaus mit zarter, leicht zittriger Stimme.
»Ist lange her«, sagt Beckenbauer.
»Zu lange«, sagt Matthäus. Nicken.
»Bleibt der Bart jetzt, Franz?«, fragt Monica Lierhaus. »Die Frauen mögen ihn«, sagt Beckenbauer. »Und ich höre auf die Frauen.« Dann geht es um das Spiel am Abend: »Die Bayern haben kein Glück gerade«, prophezeit Beckenbauer. »Sie sind nicht tüchtig. Und wer nicht tüchtig ist, hat auch kein Glück.« Die Bayern werden dramatisch verlieren, aber das weiß jetzt noch keiner hier.

Monica Lierhaus, 43, geboren in Hamburg, Abitur, Anglistik- und Germanistikstudium, Volontariat bei Sat.1, war »vor dem Unglück«, wie sich ihre Familie ausdrückt, Sportreporterin beim Fernsehen. Sie war, so sagte es Günter Netzer in seiner Laudatio bei der Verleihung des Ehrenpreises der Goldenen Kamera im Februar 2011 an sie, »das Kronjuwel der ARD, bei den Olympischen Spielen, der Tour de France, der Fußball-Weltmeisterschaft 2006«. Netzer rang um Fassung, konnte kaum weitersprechen: »Nie habe ich einen Satz lieber gesagt als diesen: Willkommen zurück, Monica Lierhaus.«

Über drei Jahre ist das jetzt her. Und zurück ist Monica Lierhaus nicht, das weiß sie selbst am besten. Sie ist nicht so schnell wie früher, nicht so wach, nicht so frisch, nicht so eloquent. Sie ist nicht mehr ganz sie selbst. Aber sie will möglichst nah an das zurück, was sie vorher war. Weil sie ein Ziel braucht, um jeden dieser Tage zu schaffen, die jetzt ihr normales Leben sind und vor denen ihr schon beim Aufstehen graut.

Im Januar 2009 wurde Monica Lierhaus operiert. In ihrem Kopf war ein Angiom entdeckt worden, ein gutartiger Tumor. Wenn ein Angiom im Kopf ist, benötigt es Sauerstoff und Blut, und weil die Adern im Kopf nicht auf den Transport von Extramengen Sauerstoff und Blut ausgelegt sind, geht man davon aus, dass sich bei einem Angiom im Kopf ein Aneurysma entwickelt. Vor der Entfernung des Angioms sollte das Aneurysma verschlossen werden.

Es passierte das Schlimmstmögliche: Während der OP platzte das Aneurysma. Die Ärzte bohrten zwei Löcher in Monica Lierhaus’ Schädeldecke, damit der Druck entweichen konnte, versetzten sie in ein künstliches Koma und verschoben die Entfernung des Angioms auf später.

Als sie im Frühsommer 2009 nach der zweiten Operation aus dem zweiten künstlichen Koma erwachte, war Monica Lierhaus doppelt so hart getroffen wie nach der ersten: Sie konnte sich kaum rühren, nicht mehr sprechen, nicht mehr gehen, nicht mehr sehen, keinen Knopf schließen, keine Schuhe binden, diese Liste ließe sich noch lange fortführen. Die Ärzte prophezeiten ihr ein Leben im Rollstuhl. Ein Leben als Pflegefall.

Eineinhalb Jahre danach verließ Monica Lierhaus die Reha auf zwei Beinen, rechts und links gestützt zwar, aber auf zwei Beinen. Das war ihr Ziel gewesen, und wie eine Soldatin hatte sie darauf hingearbeitet. Brasilien, sagte sie später einmal, sei das nächste Ziel. Und das meinte sie genauso ernst.

Nun fährt sie hin, der Bezahlsender Sky hat sie engagiert. Sie wird nicht moderieren oder Fußballer am Spielfeldrand interviewen, sondern Hintergrundgespräche führen, die aufgezeichnet und geschnitten werden.

Und jetzt tauchen diese Fragen wieder auf: Muss das sein? Warum setzt sie sich dem aus? Und: Darf sie das – diesen Job machen, wenn sie nicht so gut ist wie früher? Werden die Zuschauer nicht viel mehr darauf achten, wie sie spricht, wie sie sich bewegt und welche Fehler sie macht, als auf das, was sie sagt oder gut macht?

Eines Abends sagte Monica Lierhaus zu Rolf Hellgardt, dass sie sich wie ein Monster fühle und nicht mehr rausgehen wolle. Da wusste Hellgardt, dass sich etwas ändern musste.

Es sind Fragen, die sich schon stellten, als Monica Lierhaus Botschafterin der Fernsehlotterie wurde und ihre Verse wie auswendig gelernt aufsagte, starres Gesicht, angestrengtes Lächeln, traurige Augen.

Aber man kann sich auch andere Fragen stellen: Was soll sie sonst machen? Sich den Menschen nicht zumuten, weil ihr Zustand sie verstört? Zu Hause bleiben, dezent, im Kreise ihrer Lieben? Kerzen drehen in einer Behindertenwerkstatt?

Monica Lierhaus kann, sagen ihre Ärzte, noch viel erreichen. Solange sie fleißig ihre Therapien macht – Logopädie, Physiotherapie, Osteopathie, Neuropsychologie, Profi-Reha, das volle Programm, jeden Tag –, entwickeln sich die Synapsen im Gehirn weiter.

Wenn sie aufhört, ist Schluss.

Bei einer ersten Begegnung im August 2013 ist Monica Lierhaus noch weit entfernt vom Ziel Brasilien. Die Wohnungstür in Hamburg-Eppendorf steht weit offen, sie ruft aus der Küche heraus: »Hier bin ich.« Wenn man zu ihr kommt, muss sie einem nicht entgegengehen, mit diesem Gang, roboterhaft, wackelig, jeder Schritt eine Anstrengung. »Monica war immer so stolz darauf, wie sie lief«, sagt ihr Lebensgefährte, der Fernsehproduzent Rolf Hellgardt, später. Sie sagt jetzt: »Ich hasse meinen Gang.« Und haucht noch ein »Ja« zur Bestätigung hinterher.

Überraschend offen ist sie. Und überraschend traurig. Man hatte mit allem gerechnet, mit echter Tapferkeit oder demonstrativer Tapferkeit. Aber nicht mit einer Frau, die zugibt, dass ihr zum Heulen zumute und jeder Tag eine Quälerei ist: »Ich muss ununterbrochen Dinge tun, die ich nicht kann, aber mal konnte. Dinge, die für die meisten Menschen normal sind.« Pause. »Ja«, haucht sie wieder, erschöpft, »so ist es.«

Sie greift nach ihrer Kaffeetasse, die sie nicht voll macht, weil sie so viel
verschüttet. Sie zuckt die Achseln, versucht ein lässiges: »Was soll’s.«

Als sie sich in Bewegung setzt, schaukelt ihr Oberkörper auf der Suche nach Gleichgewicht hin und her. Eigentlich findet der Körper eines Erwachsenen das von allein. Ihrer nicht. Sie muss es ihm befehlen, jedes Mal. Und dann kann er es nicht mal richtig.

»Ich weiß manchmal nicht mehr, was ich am schlimmsten finde«, sagt sie, während sie sich mit beiden Armen abstützt und langsam auf den Stuhl gleiten lässt, »den Gang? Die Gestik, die mir fehlt? Die Rückenschmerzen? Sie sind immer da. Sie sind es, die mich morgens aus dem Bett treiben. Egal, wie fleißig ich bin mit meinem Training, meinen Therapien, sie bleiben da.« Pause. Sie stopft sich ein Kissen in den wehen Rücken. Stille. Von draußen hört man, wie Flaschen aus einem Container in einen Lkw rasseln. Dann haucht sie wieder dieses erschöpfte »Ja«.

Sie könnte schwimmen gehen, sagt sie. In einem großen Becken mit warmem Wasser liegen, das täte dem Rücken gut. »Aber in öffentliche Badeanstalten möchte ich nicht so gern. Da werde ich immer so angestarrt. Das ist ganz fürchterlich für mich.«

In der ersten Zeit nach der Reha wechselten Leute, die sie erkannten, die Straßenseite, wenn sie Monica Lierhaus in Eppendorf begegneten. Sie konnten nicht damit umgehen, wie beeinträchtigt die Frau war, die sie aus dem Fernsehen kannten. Eines Abends sagte Monica Lierhaus zu Rolf Hellgardt, dass sie sich wie ein Monster fühle und nicht mehr rausgehen wolle. Da wusste Hellgardt, dass sich etwas ändern musste.

Er kam auf die Idee, dass sie sich im Fernsehen zeigen sollte. Damit die Leute erfuhren, wie es um sie stand, und sich daran gewöhnen könnten. Und damit sie sich wieder spürte, in einem Umfeld, in dem sie sich immer gern gespürt hatte. So kam es 2011 zum umstrittenen Auftritt mit dem verunglückten Heiratsantrag an ihren Lebensgefährten bei der Goldenen Kamera. Und zur Fernsehlotterie. Die Reaktionen darauf haben sie gekränkt, sagt Monica Lierhaus. Aber das ist alles nichts gegen das, was sie jeden Tag erlebt, mit sich selbst. »Man muss ja weitermachen«, sagt sie matt. »Das Leben ist ein Weitermachen.«

Die Menschen in ihrer Umgebung, die sich um sie kümmern – das sind vor allem Rolf Hellgardt, ihre Mutter Sigrid und ihre Schwester Eva – beschwören ihren Ehrgeiz und ihr Durchhaltevermögen. Von ihrer Urgroßmutter habe sie diese preußische Disziplin, sagen sie. Und das Wissen, dass der Mensch viel aushalten kann.

»Monica ist wie mein Mann«, sagt Sigrid Lierhaus. Sie sitzt in der märzkalten Reithalle des Zentrums für Hippotherapie in Pinneberg und krault Schnucki. Den Schoßhund hat sie seit dem Tod ihres Mannes. »Wenn mein Mann sich in die Ecke gedrängt fühlte, wurde er erst richtig gut. Monica hat ihre Krankheit zwar nie akzeptiert, aber sie läuft zur Hochform darin auf, sie zu bekämpfen.«

Ein halbes Jahr ist seit dem ersten Treffen im August vergangen. Monica Lierhaus, in Reithose und gesteppter Weste, wird auf Pino, einem großen Schecken, durch die düstere Halle geführt. Sie hat abgenommen, ihre Mimik ist lebendiger, ihre Ausstrahlung optimistischer.

»Locker lassen. Arme hoch, Beine hängen lassen, schwer machen«, sagt Petra Heidorn. Die Therapeutin erklärt, dass die dreidimensionale Bewegung des Pferdes dem Bewegungsmuster des Menschen entspricht. Wenn ein Mensch nicht gut oder auch gar nicht gehen kann, hat er auf dem Pferd das Gefühl, es doch zu können. Außerdem lösen das Ruckeln und die Wärme des Pferdes die blockierten Muskeln.

»Letzte Woche«, sagt die Therapeutin, »waren wir draußen, da fing Monica plötzlich an zu erzählen und zu lachen, weil sie so glücklich war, ohne die Schmerzen.«

Sigrid Lierhaus ist froh, das zu hören. Sie begleitet ihre Tochter montags, mittwochs und freitags, Dienstag und Donnerstag übernimmt Eva, die Schwester. Denn Auto fahren kann Monica Lierhaus noch nicht. »Das ist vielleicht das Härteste für Monica, diesen Unabhängigkeitsmenschen«, sagt Sigrid Lierhaus, »dass sie immer Leute um sich haben muss.«

Um die Kraft und den Willen ihrer Tochter zu beschreiben, erzählt sie eine Geschichte aus Monica Lierhaus’ Anfangszeit bei Sat.1, als sie in der Nachrichtenredaktion volontierte. Für einen neunzig Sekunden langen Beitrag fuhr sie zu Manfred Wörners Trauerfeier nach Brüssel. Zur Vorbereitung las sie 180 Seiten über den damaligen Verteidigungsminister. Ihr Bruder Tommy sagte, du hast sie doch nicht alle, das alles für neunzig Sekunden. Doch, sagte Monica, ich muss alles über ihn wissen, um ihm in neunzig Sekunden gerecht zu werden.

»Ach, sie war so süß«, seufzt die Mutter und zieht ein Foto aus dem Portemonnaie: Monica und Eva mit zehn und elf Jahren im weißen Tenniskleidchen, Tennisschläger in der rechten Hand. Sobald Monica sprechen konnte, sagt Sigrid Lierhaus, wollte sie alles allein machen. Sie knotete sich die Socken um die Füße, weil sie nicht reinkam und sich nicht helfen lassen wollte.

Im Tennis war sie nicht so gut wie ihre Schwester. Eva hatte so ein Ballgefühl, »es war eine Wonne, ihr zuzuschauen«. Eva gewann ihre Turniere, ohne zu trainieren. Monica musste sich das alles hart erarbeiten. Aber eines Tages war sie genauso gut wie Eva.

Nach der Reitstunde braucht Monica Lierhaus Hilfe, um vom Pferd zu steigen. Sie wird hektisch. »Langsam, langsam«, sagt Petra Heidorn und hält sie fest. »Ja, danke«, haucht Monica. Es nervt sie, nicht einfach abspringen zu können. Sie schnappt sich ihre mitgebrachten Möhren und geht voraus zum Stall. Sie läuft schnell, rast fast, aber sicherer als vor einem halben Jahr, das starke Schaukeln ist weg. Doch das Bild ist noch lange nicht normal, sagt auch ihre Mutter. »Weiß man aber, wie es vor einem Jahr war, schöpft man viel Hoffnung.«

Vor dem Haus ist ein Parkplatz frei. Sigrid Lierhaus unterdrückt den Impuls, ihrer Tochter die Hand zu geben und sie aus dem Auto zu ziehen. »Manchmal helfe ich ihr, wenn ich sehe, dass sie sich quält, aber dann sehe ich den Blick von Rolf. Und er hat ja recht.«

Eva Lierhaus hört die Tür und kommt ihrer Schwester entgegen. Sie wohnt mit ihrem Mann eine Etage unter Lierhaus und Hellgardt. Wenige Jahre vor dem Unglück hat sie ihrem Mann zuliebe aufgehört zu arbeiten. Ihr Mann ist 26 Jahre älter als sie, Geld gab es auch genug, aber wer weiß, wie viel Zeit wir noch haben, dachten sie.

Dass es dann ihre Schwester war, die sie so brauchen würde, darauf wäre sie nicht gekommen: »Aber ich hätte alles für Monica getan«, sagt sie. »Ich hätte ein Sabbatical genommen, wenn ich noch gearbeitet hätte, hätte meine Wohnung aufgegeben und wäre zurück zu meinen Eltern gezogen. Wie waren immer so eng. Wie Zwillinge. Wir haben die gleichen Sachen angezogen, ich in Rot, Monica in Blau. Und auch wenn ich im Tennis einen Tick besser war, haben wir sensationell zusammen Doppel gespielt. Wir waren unschlagbar, das haben wir sehr genossen.«

Als sie sieht, dass ihre Mutter da ist, zieht Eva Lierhaus sich zurück, »ich hab Zucchini im Ofen«. Monica Lierhaus läuft die Treppe hinauf und gleich in ihr Zimmer, will raus aus der engen Reithose. Ihre Mutter stellt Schnucki einen Napf mit Wasser hin. Auf dem Esstisch verteilt liegen beschriebene Blätter: Fragen für das Interview mit Joachim Löw im April.

Der Heiratsantrag im Fernsehen. »Er konnte sich ja gar nicht wehren. Was hätte er denn sagen sollen?«

In Jeans kommt Monica Lierhaus zurück und setzt sich, geschmeidig fast. Die Rückenschmerzen sind noch da, sagt sie, aber nicht mehr so zermürbend. Sie möchte noch losgehen, Blumen kaufen, nachmittags landet Hellgardt, der geschäftlich in den USA war. »Rolf ist mein Held«, sagt sie und lächelt. »Bei ihm fühle ich mich am sichersten.« Dann entschuldigt sie sich wie einprogrammiert für den Heiratsantrag, den sie ihm auf der Bühne der Goldenen Kamera vor einem Millionenpublikum gemacht hat. »Das war falsch«, sagt sie. »Er konnte sich ja gar nicht wehren. Was hätte er denn sagen sollen?«

Wenn man fragt, warum sie bis heute nicht geheiratet haben, antwortet sie, dass es nicht nötig sei. Eigentlich nie nötig gewesen sei. Von dem Moment an, als sie zusammenkamen, war das fest zwischen ihnen.

Im April steht Rolf Hellgardt vor einem unglamourösen Hotel am Frankfurter Gallus im Wind und telefoniert. Um drei Uhr nachmittags trifft Monica Lierhaus Joachim Löw zum Gespräch in der DFB-Zentrale. Hellgardt begleitet sie zu solchen Terminen, wenn er es mit seiner Arbeit vereinbaren kann.

»Es ist relativ strange«, sagt er, »einerseits ist man mit demselben Menschen zusammen, andererseits auch wieder nicht. Als sie da lag, in der Reha, war der ganze Schutzpanzer weg. Da war sie der pure Mensch, und du denkst, uiuiui, wie gehst du denn jetzt damit um?« Beim Aufwachen hatte sie die Hände zu Fäusten geballt, die Ellbogen angewinkelt, und war so verkrampft, dass es Wochen dauerte, bis die Muskeln etwas nachgaben.

Auch Hellgardt erzählt von der strengen, disziplinierten, perfekten Monica vor dem Unglück, die nach 18 Löchern Golf noch mit dem Hund um die Alster lief, um fit zu bleiben. Jetzt sei sie langmütiger geworden, milder auch. Vor allem mit anderen. Als sie selbst noch hundertprozentig war, erwartete sie von den Menschen um sich herum auch hundert Prozent.

Wenn man ihn nun fragt, wie die Beziehung die letzten fünf Jahre überstanden hat, sagt er: »Wir waren immer sehr verbunden. Aber ich hätte gut auf all das verzichten können. Es ist ja auch ein Wahnsinnseinbruch in unsere Intimsphäre.«

Aber er selbst, sagt er, habe sich auch verändert. Er habe gar nicht gewusst, was ein Mensch aushalten und schaffen kann. »Das macht mich stolz. Das gibt mir Selbstvertrauen, auch wenn es mir vorher daran sicher nicht gemangelt hat. Es ist eine andere Art von Selbstvertrauen. Ruhiger. Ernsthafter.«

Hellgardt bestellt ein Taxi zur DFB-Zentrale. Dort nimmt Monica Lierhaus die Treppe statt den Aufzug. Es trainiert, den schwereren Weg zu gehen. Und es beweist, wie viel besser sie sich schon bewegt.

Im Raum, in dem gedreht wird, steht ein riesiger Tisch, darauf Wasser, Kaffee, Kuchen. Monica Lierhaus würdigt das alles keines Blickes, setzt sich auf den Stuhl, auf dem sie während der Aufnahme sitzen wird, nimmt ihre Karten und liest sie wieder leise durch. Da fällt ihr auf, dass kein kleiner Tisch in der Nähe ist, auf den sie die Karten legen kann, die sie nicht mehr braucht. Und vom großen Tisch sitzt sie zu weit weg. »Rolf«, sagt sie nervös, »warum ist hier kein kleiner Tisch? Können wir nicht einen kleinen Tisch besorgen?«

Hellgardt beruhigt sie mit ein paar Worten. Er kann das gut. Nie hört man einen gereizten Unterton. Selbst wenn er sich manchmal überfordert fühlt, hat er das unter Kontrolle.

»Kann’s losgehen?«, fragt der Produktionsleiter jetzt. »Kann losgehen«, sagt Monica Lierhaus. Hellgardt lächelt ihr aufmunternd zu. Joachim Löw, brauner Pullover, graue Hose, steuert auf sie zu. Vorsichtig umarmt er sie, als hätte er Angst, etwas kaputtzumachen. »Monica, jetzt sehen wir uns also tatsächlich in Rio«, sagt er, während er verkabelt wird. Zur Runde gewandt erklärt er: »Monica und ich hatten nämlich eine Abmachung: dass wir uns zum Finale in Rio sehen.« – »Haben wir so ausgemacht, ja«, sagt sie. – »2010 war das, oder?«, fragt Löw. Sie nickt. Löw hatte sie nach der Reha besucht.

Am Ende des Interviews fragt sie ihn, ob er an das Schicksal glaube. Er sagt nein. Sie fragt nach, irritiert: Kein bisschen? Er überlegt, schüttelt den Kopf: »Nein.« Sie nickt. Ein Nicken, das wirkt wie ungläubiges Kopfschütteln.

Als Löw gegangen ist, applaudieren ihr alle. »War super«, sagt Dominik Böhner, der die Produktion leitet. Sie lächelt still und schaut auf den Boden. Sie will das alles machen und ist doch verlegen.

»Ich kenne Monica noch von Blitz bei Sat.1«, sagt Böhner. »Und ich habe schon lange vorgehabt, mit ihr zu arbeiten. So hat sie eine Aufgabe, die sie motiviert. Und Monica bekommt Leute, die wir sonst nicht hätten.« Dass Löw ihr eine halbe Stunde gewährt, so kurz vor der WM, ist etwas Besonderes. Sky bekommt natürlich Post von Leuten, die sich aufregen, sagt er. Aber auch Post von Leuten, die schreiben, dass Monica Lierhaus ihnen Mut mache. »Man muss sich mal vorstellen, dass sie vor vier Jahren nicht laufen, nicht sprechen und fast nicht denken konnte. Wie sie jetzt drauf ist, das ist doch auch ein Quantensprung zur Goldenen Kamera. Das ist das Schönste an dem ganzen Projekt.«

In der letzten Zeit wechseln die Leute in Eppendorf nicht mehr die Straßenseite, wenn Monica Lierhaus ihnen entgegenkommt. Manche gehen sogar auf sie zu, berühren sie, schütteln ihr die Hand, sagen: »Toll, dass Sie das machen, Frau Lierhaus.«

Fotos: Armin Smailovic