Zeichen einer anderen Zeit

Ach, diesen altmodischen Kram namens Teletext gibt’s immer noch? Ja, und zwölf Millionen Zuschauer täglich halten ihn für das bessere Fernsehen - mit gutem Grund.

Das Fernsehen ist ein Zombie: Es läuft, aber es ist tot. Bill Gates hat längst sein Ende vorausgesagt, deutsche Trendforscher widersprechen nur vage, wenn sie »Connected TV« oder »Social TV« prognostizieren, also: mehr Verbindung von Fernsehen und Computer, mehr Technikplunder. Dabei gibt es die Zukunft des Fernsehens schon seit vierzig Jahren, sie könnte einfacher nicht sein, und sie heißt: Teletext.

Wer spät abends nach Hause kommt und sich mit einem kalten Teller Abendessenrest noch kurz vor den Fernseher setzt, will Teletext. Auf einen Blick erfahren, was in der Welt und im Sport passiert ist. Fernsehen wäre da schon zu viel, zu laut, zu beliebig, darum gleich Ton weg und auf den Videotext gehen, wie der Teletext oft fälschlich genannt wird. Täglich nutzen ihn laut ARD-Angaben mehr als zwölf Millionen Zuschauer, die meisten davon sind Spätheimkehrer, die sich vorm Zubettgehen noch kurz was erzählen lassen wollen, auf 25 Zeilen à 40 Zeichen pro Seite.

Es gibt viele Gründe, warum das die Zukunft des Fernsehens ist. Der erste ist ein emotionaler: Teletext ist das letzte TV-Angebot, das man absichtlich wählt, statt es wie die meisten Sendungen dumpf über sich ergehen zu lassen. Teletext ist ein kollektiver und auf 999 Seiten in Endlosschleife auch abgeschlossener Raum der Stille, ein Refugium im verpixelten Retro-Chic.

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Zweitens ist der Teletext technisch ausgereift, was man von TV-Zukunftsexperimenten wie dem ARD-Quizduell nicht behaupten kann. Seine Technik kommt aus der Steinzeit des Fernsehens, er läuft nämlich in der sogenannten Austastlücke: Das ist die Zeit, die der Elektronenstrahl in der Bildröhre braucht, um sich vor dem jeweils nächsten Fernsehbild kurz zu sammeln. Anfang der Siebzigerjahre kamen Ingenieure der BBC auf die Idee, die Lücke zu nutzen. Eigentlich suchten sie eine Möglichkeit, Untertitel für Hörgeschädigte zu übertragen, daraus wurde (1974 in Großbritannien, 1980 in Deutschland) ein ganzes Medium: Untertitel für Fernsehgeschädigte. Zwar wäre es beim digitalen Fern-sehen möglich, aufwendigere Inhalte zu liefern - aber warum was ändern, was beliebt ist und gut läuft?

Drittens ist Teletext, auch wenn er das gar nicht unbedingt sein will, aufklärerisch: Durch die Verknappung seiner Überschriften reduziert er die Welt der Politik auf genau jene Inhaltsleere, die in den Fernsehnachrichten durch Bilder einfahrender Staatskarossen verschleiert wird: »Merkel: EU für Wachstum und Jobs«, mehr geht nicht auf 32 Zeichen, und es ist gerade genug.

Viertens hat er im Gegensatz zu allem, was an Fernsehzukunft sonst auf uns zukommen könnte, einen besonderen Charme: Wenn die Ex-Freundin von George Clooney ein Kind erwartet, klimpert’s im Teletext angenehm surreal »S. Keibler: Glückliches Bäuchlein«. Promis tauchen als N. Kidman, T. Swift oder A. Jolie auf, wie zweitrangige Teilnehmer irgendeines Vereinstreffens. Und die bei den Privaten eingeblendeten Einzeiler-Anzeigen ergeben poetische Mini-Dramen: Erst »Scheidung ganz ohne Stress«, dann »Zahncheck in Budapest 199 EUR« und schließlich »Singles in deiner Nähe«.

Fünftens hat der Teletext vollzogen, was das Vordergrundprogramm begonnen, aber nicht zu Ende gedacht hat: die Überwindung des Personals. Nur hier ist die friedliche Utopie vom Fernsehen ohne Moderatoren, ohne Showmaster und ohne Jürgen Trittin (meist eingeladener Talkshow-Gast 2013) verwirklicht.

Wenn also das nächste Mal ein Intendant behauptet, die Stärke des Fernsehens seien Hintergrundinformationen: einfach Ton aus, »Text« drücken und sich wunderbar beschränken auf das, was da im Hintergrund geboten ist.

(Foto: Ulrike Riep)