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Blauer als Blau, gelber als Gelb - geht das überhaupt? Kann man Farben steigern? Jedenfalls wurde jetzt ein Schwarz erfunden, das ist schwärzer als schwarz, weiß unser Kolumnist.

Eine Frage: Kann und sollte man Farb-Adjektive steigern?
Gibt es ein Purpur purpurner als das der Purpurschnecke? Kann etwas orangener sein als eine Orange? Ist das Gelb van Gogh’scher Sonnenblumen gelber als jenes Gelb auf der Landkarte von Belgisch-Kongo, das in Joseph Conrads Roman Herz der Finsternis Charles Marlows Reiseziel ist?
»Ich wollte ins Gelbe«, schrieb er. »Direkt in die Mitte.«
Nein, es ist einfach ein anderes Gelb, oder? Andererseits traf ich einen Blumenhändler, der lila Geranien anbot, dann aber sagte, »warten Sie!«, da hinten im Gewächshaus habe er welche, die seien »noch lilaner«. Und gewiss wäre nie etwas röter als die Rote Karte gewesen, die Luis Suárez hätte sehen müssen, nachdem er seine Zähne ins Schulterfleisch des Italieners Chiellini geschlagen hatte. Auch versichert Alexander Theroux in seinem Buch Blau, es gebe kein blaueres Blau als das des Crater Lake in Oregon, des tiefsten Sees der USA, der nur von Regen und Schnee gefüllt wird und deshalb frei ist von Schwebeteilchen: ein Blau sooo blau … Es sei, so Theroux, »von einer unerträglichen Schönheit, die die schwachen Kräfte des rationalen Denkens weit übersteigt«.
Bei Weiß heißt es, es gebe kein weißeres Weiß als das des Panzers eines südostasiatischen Käfers namens Cyphochilus, der sich gut getarnt auf weißen Pilzen aufhält und so weiß ist, dass die Produzenten von Sunil (»Das strahlendste Weiß meines Lebens«) und Dash (»Wäscht so weiß, weißer geht’s nicht«) vor Neid erbleichen. Aber jeder Kenner weiß: Das weißeste Weiß ist Schaumolweiß, das Frau Blöhmann in Loriots Sketch Eheberatung als Lieblingsfarbe angibt: »Das ist noch etwas weißer als Weiß.« Herr Blöhmann hingegen bevorzugt »ein grünlich-blaues Rotbraun-Grau«.
Gibt es jedoch ein Schwarz schwärzer als schwarz? Yessss! Wobei Schwarz keine Farbe ist, sondern Abwesenheit von Farbe, das nur nebenbei. Die Leute von der britischen Firma Surrey NanoSystems haben ein Material entwickelt, das schwärzer ist als die Gesinnung von Peter Gauweiler, die Lunge von Helmut Schmidt, die Seele eines prorussischen Separatisten und das Kostüm von Audrey Hepburn zusammen, ein Schwarz so schwarz, dass es nur 0,035 Prozent des eintreffenden Lichts reflektiert.
Vantablack heißt das Material und besteht aus einem Gestrüpp hauchdünner Kohlenstoff-Nanoröhrchen, von denen jedes einzelne angeblich zehntausend Mal feiner ist als ein menschliches Haar, ein Gewirr, so dicht, dass jedes Licht darin praktisch komplett verschwindet, es kann nicht mehr hinaus. Jeder mit Vantablack beschichtete Gegenstand erscheint nur noch als Silhouette. Schaut man ihn an, sagt Ben Jensen, der Chefentwickler der Firma, sei es, »als würde man in ein Loch starren, als wäre dort nichts«.
Man muss sich das vorstellen: Menschen gehen ins Büro mit Licht verschluckenden Aktenköfferchen, die wie rechteckige Löcher in der Welt sind! Trüge eine Frau ein kleines Schwarzes aus diesem Material, »es sähe aus, als würden Kopf und Glieder um ein kleidförmiges schwarzes Loch schweben«, schrieb gerade der Independent.
Es ist beängstigend. Denn ginge die Entwicklung weiter und würde eines Tages ein Schwarz erfunden, das nicht nur 99,965 Prozent oder sogar hundert Prozent des Lichts verschwinden ließe, sondern, sagen wir, 150 Prozent: Dann hätten wir es nicht nur mit dem Verschlucken zufällig anwesenden Lichts zu tun, sondern mit einem aktiven Saugen. Das heißt, eine Kaffeetasse oder ein Kugelschreiber aus diesem Zeug würden nach und nach das gesamte Licht aus der Welt herauslutschen. Alles Gelb, Rot, Grün, Blau, Weiß und Schaumolweiß verschwände, verschwünde oder verschwönde, als hätte jemand die einst von Christian Morgenstern in einem Gedicht erfundene »Tagnacht-lampe« angeschaltet, die nicht, wie andere Lampen, das Dunkel erhellt, sondern den Tag in Nacht verwandelt.
Für diesen Fall sähe ich schwärzest.

Illustration: Dirk Schmidt