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Heute finden Archäologen bei Ausgrabungen alte Faustkeile, Schwerter und ähnliche Dinge. Wenn in vielen Jahren aber in London gegraben wird, wird man überall kleine Bagger finden. Unser Kolumnist weiß, warum.

Wenn in absehbarer Zeit die Stadt London, wie das gesamte südliche England, vom steigenden Meeresspiegel bedeckt sein wird, und wenn dann in noch nicht absehbarer Zeit, in einigen tausend Jahren nämlich, angesichts der Unbewohnbarkeit der Erde aus einem fernen Sonnensystem angereiste Unterwasserarchäologen dort am Meeresboden mit Ausgrabungen beginnen, dann werden sie, wo eine der reichsten Städte Europas war, im saftigen Nordseeschlick auf die Stadtteile Notting Hill, Belgravia oder Mayfair stoßen, mit einst hübschen viktorianischen Häusern.

Sie werden daraufhin in den schmatzenden Sedimenten weiterbuddeln und sehen, dass unter diesen Häusern ungewöhnlich tiefe Keller lagen. Anhand der Einrichtungen werden sie entdecken, dass, je tiefer ein Keller, desto reicher der Hausbesitzer war. Es war nämlich, so werden sie in Erfahrung bringen, in den Anfangsjahren des dritten Jahrtausends nicht möglich, diese Häuser aufzustocken oder nach vorne beziehungsweise hinten zu erweitern. Wer eine Sauna oder ein Heimkino wollte, musste in die Tiefe graben. Daher die Keller.

Unter den allertiefsten Untergeschossen aber und unter festen Betondecken werden diese Archäologen etwas äußerst Seltsames sehen: Bagger. Kleine Bagger. Hunderte, vielleicht gar Tausende kleine Bagger.

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Es wird große Unterwasserarchäologenkonferenzen geben: das Rätsel der Bagger! Handelte es sich um ein esoterisches Ritual? Sollten die Bagger feindliche Kräfte aus dem Erdinneren abwehren? Waren sie Friedhofsbeigaben von Londoner Luxusrussen, die für den Fall des Lebendigbegrabenseins eine Maschine zur Hand haben wollten, um sich ans Tageslicht schaufeln zu können? Hatten hier Londoner Spekulanten für den Fall eines weltweiten plötzlichen Baggermangels Vorräte angelegt, die sie zu Höchstpreisen auf den Markt werfen wollten?

Es wird auf einer dieser Konferenzen ein Fachmann auftreten, der mit Exkavationsarbeiten betraut war, welche München betrafen. München war, wird er erklären, Ende des Jahres 2014 von den urplötzlich, aus unerklärlichen Gründen und sehr rasch nordwärts gewanderten Alpen niedergewalzt worden; die Stadt wurde von den Gebirgsmassiven, die erst bei Kassel haltmachten (wo sie sich mit hessischen Mittelgebirgen vereinigten), mehr oder weniger in den von einem feuchten Sommer komplett durchweichten Erdboden eingearbeitet. Entsprechend schwierig waren die Ausgrabungen, bei denen man aber das von der Alpenwalze zerdrückte und nur noch zwei Zentimeter hohe Büro eines Autors entdeckte, der Kolumnen schrieb und sich in einem seiner letzten, nun entdeckten Texte mit dem Rätsel der Bagger beschäftigt hatte.

Dieser Verfasser hatte im New Statesman gelesen, dass man, wenn man im engen inneren London die Keller unter die Häuser Notting Hills, Belgravias oder Mayfairs grub, kleine wendige Bagger benutzte, die von der Straße notfalls durch das Wohnzimmer in den Garten rollten und dort ihrem Werk nachgingen, bis sie sehr tief im Londoner Untergrund standen und der Bauherr sich mit der Frage beschäftigen musste, wie man den Bagger aus der fünf Stockwerke tiefen Grube herausbekam. Mit einem Kran, für dessen Errichtung die Straße tagelang gesperrt werden musste – was fast mehr kostete als der Kran selbst? Es war unter diesen Umständen billiger, den Bagger unter einer Betondecke zu begraben als ihn zu befreien; der kompostierbare Bagger war ja nicht erfunden.

Es wird dann so gewesen sein, dass man auf einer dieser Archäologenkonferenzen, nachdem das Bagger-Rätsel mit Hilfe dieser Geschichte hier gelöst worden sein wird, den Jahren 2010 bis 2015 einen Namen geben konnte, den man ebenfalls dieser Kolumne entnahm: die Einwegbagger-Zeit. Sie stand ganz am Ende der Menschheit und leitete ihre letzte, schon surreale Phase ein.

Illustration: Dirk Schmidt