Bis zum Abwinken

Wenn alle Uber oder Taxi-Apps nutzen, stirbt eine der prägnanten Gesten der Großstadt aus. Eine modische Hommage an den Straßenrandsport.


Es gibt viele Dinge, die man heute sehr gut im Netz erledigen kann. Das Anhalten eines Taxis gehört nicht dazu. Das ist eine bedeutende Zivilisationsgeste, die wir nicht einfach so auf dem Altar einer App opfern sollten, wie das in letzter Zeit vor allem vom großen Taxi-Konkurrenten »Uber« propagiert wird: Diese Firma macht aus Privatwagenbesitzern Chauffeure, die man sich bestellt – auf Zuruf halten sie nicht.

Ein Taxi aus dem fahrenden Verkehr auf sich aufmerksam zu machen und schließlich von ihm mitgenommen zu werden, ist eine elementare Interaktion mit der Stadt. Eben war man noch statisch, im nächsten Augenblick ist man unterwegs, fließt mit und kommt vorwärts. Weil es nicht geplant ist, nicht reserviert oder eben im Internet bestellt, hat das eigenhändig erwinkte Taxi immer auch etwas von einer Rettung aus Seenot. Man ist irgendwo gestrandet, vom Regen überrascht, verloren in der Nacht. Und braucht nichts als seine Hand, ein bisschen Kleingeld und eben das Glück des Winkenden, um sich ins warme Dunkel von Rücksitzen zu retten. Taxis sind fahrende Wartesäle der Großstadt, Wärme-stuben, Kummerkisten, Kuschelecken. Ganz sicher kann man sagen, dass ohne das gestoppte Taxi so viele Nächte schlechter geworden wären. Schon ihr bloßes Vorhandensein hat etwas Beruhigendes: Man könnte noch weiter, noch tiefer hinein in die Stadt, denn es gibt wache Menschen, die einen am Ende aufgabeln und nach Hause bringen.

Selbst wenn man kein Wort in der Landessprache spricht, Taxistopp funktioniert auf der ganzen Welt, zur Not kommt man damit wochenlang durch. Man muss deswegen auch keine Angst vor New York haben. Wie man sich durch Manhattan zu bewegen hat, war so oft in Filmen zu sehen, es gehört zum Kulturgut der westlichen Welt: Waghalsig auf die äußerste Spur treten, im Strom der Fahrzeuge ein Taxi fixieren, dann brüllen, winken, hüpfen – und in letzter Sekunde lenkt es rüber! Diese Szene hat in so vielen Liebes-, Kriminal- und Katastrophenfilmen die Handlung vorangetrieben, sie verdient einen Oscar für ihr Lebenswerk. Wie viele Verdächtige wären entkommen ohne »Folgen Sie dem Wagen dort!«, wie viele Abschiedsszenen hätten doof ausgesehen, wenn nicht im rechten Moment ein Taxi gehalten hätte. Soll man in Zukunft derlei mit seinem Smartphone herbeifummeln? Bitte nicht.

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(Models: Luana/Viva Models; Luja/M4 Models; Matthew Draving, Musiker; Pheline Roggan, Schauspielerin; Mario Hampel, Real Estate Developer; Larissa B/Ellin Models. Vielen Dank an Mario Hempel und Carol Korting/Leica Fotografie International)

Fotos: Adrian Crispin; Styling: Ann-Kathrin Obermeyer