Es ist alles meine Schuld!

Unser Autor ruiniert das Klima. Um zu belegen, was er im Einzelnen falsch macht, hat er einen Tag lang Buch geführt. Lesen Sie seine persönliche CO2-Bilanz gründlich – Sie machen dieselben Fehler.

Der Gipfel meines Umweltengagements liegt über zwanzig Jahre zurück. Damals, als Schüler, wollte ich noch unsere Erde retten, zum Beispiel durch Recycling von Aluminium. Ich hatte gelesen, dass bei der Gewinnung dieses Metalls unglaublich viel Energie verbraucht wird. Deshalb machte ich es mir zur Aufgabe, möglichst viel Alu der Wiederverwertung zuzuführen, und sammelte Kaugummi-Einwickel-Folie, die allerdings neben dem Aluminium aus einer Lage Papier bestand. Wie konnte ich die beiden Komponenten trennen? Nach langem Nachdenken hatte ich die Lösung: Mit Hilfe einer Kerze brannte ich das Papier von der Folie ab.

Wie viel Zeit seitdem vergangen ist, merkt man daran, dass heute niemand mehr im Dienste des Umweltschutzes eine Kerze entzünden würde. Schließlich erzeugt die Flamme Kohlendioxid und trägt so zum Treibhauseffekt bei. Stichpunkt Klimawandel: Rund elf Tonnen CO2 pustet jeder Deutsche pro Jahr im Durchschnitt in die Luft, das sind laut Zielwert der UNO sieben Tonnen zu viel. Nahezu alle unsere Tätigkeiten sind mit dem Ausstoß von CO2 verbunden, selbst im Schlaf belasten wir die Umwelt, solange das Schlafzimmer geheizt ist, und um all dies genauer zu verstehen, überprüfe ich an einem Wintertag meine persönliche CO2-Bilanz, eingedenk jenes Engagements aus idealistischen Jugendtagen. Denn so wie bisher – und das meine ich jetzt generell – kann es nicht weitergehen.

Der Morgen beginnt mit einem Blick auf den Nachtspeicherofen. Dieser mit Strom betriebene Heizkörper lädt sich nachts auf und gibt die Wärme im Lauf des Tages wieder ab. Eine umständliche Heizmethode, die vom Bundesumweltministerium als »extrem klimaschädlich« bezeichnet wird. Dabei wird die Wohnung nicht einmal besonders warm, der Thermostat meldet frostige 17 Grad Celsius. Am Zähler überprüfe ich den Stromverbrauch der zurückliegenden Nacht: genau 50 Kilowattstunden. Dieser Energieaufwand lässt sich in Kohlendioxid umrechnen, und da ich keinen Ökostrom habe, ist das Ergebnis ernüchternd: In der vergangenen Nacht hat meine Heizung 30 Kilogramm CO2 in die Luft geblasen.

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Im Bad schalte ich das Licht an – wenigstens habe ich kürzlich eine Energiesparlampe eingeschraubt –, verstöpsele den Abfluss und schätze nach dem Duschen mit Hilfe eines Messbechers die verbrauchte Wassermenge ab. Es sind nur 22 Liter, davon waren vier Fünftel heiß und ein Fünftel kalt. Um knapp 18 Liter Wasser auf sechzig Grad aufzuheizen, ist zirka eine Kilowattstunde Strom erforderlich, bei deren Erzeugung laut Umweltbundesamt 616 Gramm Kohlendioxid produziert werden.

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Am Kleiderschrank fällt mir eine Studie der britischen Textilfirma Marks & Spencer ein, in deren Rahmen die CO2-Bilanz eines T-Shirts untersucht wurde. Zahlreiche Faktoren gilt es hier zu bedenken: Produktion der Baumwolle, Transport in die Fabrik, Herstellung des T-Shirts, Verschiffung nach Europa. Im Laden angekommen, hat ein T-Shirt bereits drei Kilogramm CO2 verursacht. Doch dann geht es erst richtig los: Erheblich mehr Energie als für Produktion und Transport wird darauf verwendet, das Kleidungsstück zu waschen und zu trocknen. Ich greife zu einem dunkelblauen T-Shirt, das ich vor zwölf Jahren geschenkt bekam und gern trage. Der aufgedruckte Schriftzug ist kaum noch zu entziffern, doch ansonsten ist das Hemd nach mindestens 250 Waschgängen erstaunlich gut erhalten. Analog zur Marks-&-Spencer-Studie überschlage ich den CO2-Effekt meines T-Shirts und komme auf Emissionen von deutlich über einem Zentner Kohlendioxid.

Das Brot, das ich zum Frühstück esse, stammt von der Hofpfisterei, einer Münchner Bäckerei, die engagiertes Umweltmanagement betreibt. 80 Prozent des Getreides wird bei bayerischen Öko-Bauern gekauft, und auf der Homepage kann eine Umweltbilanz heruntergeladen werden, in der die CO2-Emissionen je Kilo Brot zu finden sind. Meine beiden Scheiben »Öko-Sonne« (92 Gramm) waren demnach für 28 Gramm Kohlendioxid verantwortlich. Bei der Schadensanalyse des Käsebelags lasse ich außer Acht, dass mein alter Kühlschrank viel Strom verbraucht, denn der Käse ist schon problematisch genug. Weil Kühe viel fressen und beim Wiederkäuen Methangas abgeben, haben Rindfleisch und Milchprodukte ein hohes Treibhauspotenzial. 72 Gramm Käse – wie auf meinem Brot – sind durchschnittlich für 612 Gramm Treibhausgase verantwortlich, das 8,5-fache des Eigengewichts.

Nach diesen morgendlichen Emissionen müsste ich eigentlich zu Fuß ins Büro gehen. Abgesehen davon, dass mir elf Kilometer zu weit sind, wäre so eine Wanderung nicht unbedingt klimafreundlich, wie der britische Autor Chris Goodall in seinem Buch How to live a low-carbon life betont. »Gehen ist keine CO2-neutrale Tätigkeit, da wir uns mittels Nahrung Energie zuführen müssen, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen.« Stärkt man sich also nach einer Wanderung mit eingeflogenen Mangos und Papayas, kostet das mehr CO2, als durch die vermiedene Fahrt gespart wird. Ich beschließe, mit dem Auto zum Bahnhof und weiter mit der U-Bahn zu fahren. Unten werfe ich eine Tüte Biomüll in die Braune Tonne, deren Inhalt im Lauf der Woche zur Kompostierung ins rund zwanzig Kilometer entfernte Kirchstockach gefahren werden wird.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "So gelange ich mit Emissionen von gut zwanzig Gramm zum Marienplatz.")

Bis zum U-Bahnhof sind es 3,3 Kilometer. Pro Kilometer bläst mein Wagen 175 Gramm CO2 aus dem Auspuff. Doch das ist ein Durchschnittswert. Auf den ersten Kilometern, wenn der Motor noch kalt ist, liegen Treibstoffverbrauch und damit auch Schadstoffausstoß höher. Radio und Heckscheibenheizung tragen ebenfalls dazu bei, dass die Bilanz der kurzen Fahrt bei einem Kilo CO2 oder mehr liegen dürfte. Anders die U-Bahn: Der Zug der neuen, sparsamen C-Reihe ist voll besetzt, pro Person werden nur 4,2 Gramm CO2 pro Kilometer ausgestoßen. So gelange ich mit Emissionen von gut zwanzig Gramm zum Marienplatz.

Im Büro schalte ich den Computer an und starte den Browser. Wie viel Strom verbraucht eigentlich das Internet? Man schätzt, dass 1,8 Prozent des weltweiten Strombedarfs dazu dient, die vielen tausend Rechenzentren zu betreiben und zu kühlen, auf denen Millionen von Webseiten zum Aufruf bereitstehen. Die Umweltbehörde der USA ermittelte, dass der Strombedarf der Webserver in den USA im Jahr 2006 bei 61 Milliarden Kilowattstunden lag. Gleichwohl ist es schwierig, den Stromverbrauch eines einzelnen Surfers herauszufinden. Wie viele Schadstoffe produziere ich mit einer Anfrage bei Google, wie viele mit dem Aufruf von www.sz-magazin.de? Sicher ist, dass alles, was ich im Netz tue, einen Klimaeffekt hat, und dass ich den Stromverbrauch meines Computers noch hinzuaddieren muss. Läuft dieser bei Volllast, so verbraucht er in zwei Stunden und zwölf Minuten eine Kilowattstunde Strom.

Mittags hole ich mir eine Tasse Kaffee aus der Redaktionsküche. Auf der Packung steht, die Bohnen kämen »aus den besten Anbaugebieten der Welt«. Leider liegen
diese fern von Bayern. Für Transport und Verarbeitung ihrer Produkte wendet die Nahrungsindustrie enorme Mengen an Energie auf. In der CO2-Bilanz des Durchschnittsbürgers schlagen die beim Lebensmittelkauf indirekt verursachten Emissionen pro Jahr mit einer Tonne zu Buche. Besonders klimaschädlich sind mit dem Flugzeug angelieferte Waren sowie Tiefkühlkost. Der Kaffee gelangte jedoch per Schiff nach Europa. Rainer Grießhammer, Autor des Ratgebers Der Klima-Knigge, zieht ein überraschendes Fazit: »Zum Erwärmen des Wasser ist mehr Energie nötig als für Herstellung und Transport des Kaffees.«

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Mit einem Glas Bier – von einer bayerischen Brauerei aus heimischen Rohstoffen hergestellt – versuche ich meine Ökobilanz zu verbessern.")

Nachmittags sichte ich die Notizen einer Recherchereise nach Tokio, Gesamtentfernung: 18 470 Kilometer. Mit Hilfe des Emissionsrechners auf www.atmosfair.de berechne ich die Klimawirkung der beiden Flüge. Ich bin für 6,8 Tonnen CO2 verantwortlich. Nun gebe ich auch meine anderen diesjährigen Fernreisen in den Rechner ein und muss erschrocken zur Kenntnis nehmen, dass ich allein durch Flüge im Jahr 2007 eine negative Klimawirkung von mehr als 30 Tonnen Kohlendioxid verursacht habe. 30 Tonnen! Das ist fast dreimal so viel wie der Gesamtjahresausstoß des Durchschnittsdeutschen. Spätestens jetzt ist es nicht mehr zu leugnen: Ich bin ein Klimaschädling.

Abends laufen Fernseher (49 Gramm CO2 pro Stunde) und Spülmaschine (739 Gramm CO2 pro Zyklus). Mit einem Glas Bier – von einer bayerischen Brauerei aus heimischen Rohstoffen hergestellt – versuche ich meine Ökobilanz zu verbessern. Auch ohne am Ende des Tages eine konkrete Summe nennen zu können – das würde wesentlich umfangreichere Berechnungen erfordern –, weiß ich, dass mein persönlicher CO2-Ausstoß weit über dem deutschen, sogar über dem US-Durchschnitt liegt. Und dringend verringert werden muss.

Bücher wie der Klima-Knigge geben hierzu eine Vielzahl von Ratschlägen: moderne Heiztechnik, verbrauchsärmere Haushaltsgeräte, weniger Autofahrten, Kauf von lokalen und saisonalen Nahrungsmitteln. »Ganz ohne Komfortverzicht kann man seine CO2-Emissionen um 30 bis 40 Prozent verringern und dabei sogar noch Geld sparen«, verspricht Rainer Grießhammer. Erst danach sind Änderungen des Lebenstils vonnöten, zum Beispiel die Reduzierung von Flugreisen. Kein angenehmer Gedanke, aber ein notwendiger. Vor allem wenn man das Abstrakte konkret zu fassen versucht. Ich stelle mir vor, was es bedeuten würde, müsste ich meine persönlichen 40 Tonnen CO2 (30 Tonnen Flug- und zehn Tonnen deutsche Durchschnittsemission) auch persönlich entsorgen: Ich hätte jeden Tag zwei Zentner Kohlendioxid zur CO2-Tonne zu schleppen! Vor Schreck mache ich das Licht aus.