Befehl von oben

Amerikanische Wissenschaftler haben einen Minicomputer entwickelt, mit dem sie Kakerlaken fernsteuern können. Lässt sich diese Erfindung auch auf andere Lebewesen übertragen? Oder sitzt schon längst bei uns allen jemand an der Fernbedienung?

Schwer ist es, den Rankenfüßer Sacculina zu lieben – das liegt an seiner Lebensweise. Dieses Tier, ursprünglich ein Krebs, dringt auf raffinierteste Weise ins Innere von Krabben ein, wird dort (ich drücke mich laienhaft aus) zu einer mikroskopisch kleinen Schnecke und beginnt sich, schleimig-weich, im Krabbeninneren auszudehnen, die Krabbe zu erobern, schlingt sich mit glibberigen Rankenfüßen sogar um die Augenstiele des nun bewohnten Tieres, bis dessen Schale vollständig ausgefüllt ist. Die Krabbe sieht noch aus wie eine Krabbe, verhält sich auch wie eine solche, aber sie ist keine mehr. Sie frisst noch Muscheln und Mollusken, aber nur, um ihren Mieter zu ernähren. Sie vermehrt sich nicht mehr, denn das würde Sacculina stören (Sex lenkt vom Fressen ab), und Sacculina will essen, also hat sie ihren Hausherrn kastriert.

Die Krabbe ist ein Zombie, beherrscht vom Parasiten. Diese Parasiten – Bandwürmer und Blutegel, Trichinen und Toxoplasmen – sind das Faszinierendste, das die Natur hervorgebracht hat, ekelhaft, grausam und ungeheuer interessant, weil sie mit kaum ausdenkbarer Raffinesse sich andere Lebewesen untertan, ja: zu eigen machen.

Aber nun: der Mensch. Zwar hat er den Wolf zum Hund gemacht, doch drang er je ins Innere anderer Wesen ein? Saß er je an den Hirnsteuerknüppeln eines Tieres, beherrschte er dessen Nervenbahnen, befehligte er es von innen heraus wie Sacculina seinen Krabbensklaven?

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Ich weiß es nicht. Doch weiß ich, dass Hong Liang von der Texas A&M University Kakerlaken in Roboter verwandelt hat. Hong Liang und seine Leute verdrahteten Miniaturcomputer so mit dem Nervensystem der Schaben, dass sie diese lenken konnten, der Kakerlak ging, wohin Hong Liang befahl, auf dem Rücken einen Chip und eine Batterie tragend. Die Befehle der Schabenforscher gingen dem Tier direkt in die Beine.

Man hat solche Versuche schon auf andere Weise gemacht: Isao Shimoyama von der Universität Tokio stimulierte vor Jahren die Fühler von Kakerlaken so, dass sie dachten, sie hätten ein Hindernis berührt – also änderten sie die Richtung. Bloß kapierten die Tiere bald, dass da in Wahrheit kein Hindernis war und ignorierten die Impulse. Bausätze für so etwas kann man bei der Firma Backyard Brains im Internet erwerben, eine kleine Herde von drei Schaben kostet extra, falls die Vorräte im eigenen Badezimmer zur Neige gehen. So kann jeder zum Schabenmeister werden: Parasitus Rex in Giesing, Bad Schwürbelbach oder irgendwo in einer Jurte in den Weiten Kakerlakistans.

Der Nutzen menschlichen Parasitentums für den Menschen liegt auf der Hand: Man könnte die Schaben zum Beispiel nach Erdbeben Verschüttete suchen lassen, solche Sachen. Auch mag der Kakerlak nur ein Anfang sein, wer ihn steuern kann, schafft das mit Geziefer und Ungeziefer aller Art, in Berkeley / Kalifornien befehligte man schon Afrikanische Rosenkäfer auf diese Weise, in New York computergesteuerte Ratten.

Wann wird der Erste unserer Söhne, die Erste unserer Töchter ihren Hamster per Remote Control über die Sofalandschaft wandern lassen, wann ein König der Dompteure einen Tiger aus dem Käfig heraus durch die offenen Reihen des Publikums lenken, ein Schauder ohnegleichen, beherrscht vom Mann am Tigerpult? Wird es uns möglich sein, Nachbars Hund durch eine unauffällige Operation zu unserem Sklaven zu machen? Könnte es sein, dass man uns mit einer Armada feindlicher Wespen angreift, Schwärme von Millionen ferngesteuerter Tiere, die Stachel gezückt? Dass die Stubenfliege eine Kamera auf dem Rücken trägt, Bilder sammelnd für die Dokumentation unseres verlotterten Lebens?

Warum noch Roboter bauen, wenn der Mensch jedes Wesen zu seinem Wirt machen kann? Am Ende auch den Menschen selbst? Erst heute Morgen sah ich wieder einen dieser Männer, aus deren Ohren Kabel kommen, und viele andere, die aus kleinen Kästen, aufmerksam lauschend, ihre Tagesorder zu empfangen schienen.

Illustration: Dirk Schmidt