»Es kann immer was passieren«

Geld oder Liebe? Frauen sollten sich für beides entscheiden, fordert die ehemalige Familienministerin Renate Schmidt - und sich wirklich nur auf sich selbst verlassen.

Renate Schmidt lebt mit ihrem zweiten Mann in Nürnberg. Ihr erster Mann, der Vater ihrer Kinder, starb mit 43.

SZ-MAGAZIN: Sie mussten 1960 mit 17 die Schule verlassen, weil Sie schwanger waren. 2002 wurden Sie Bundesfamilienministerin. Sie haben trotz ungünstiger Voraussetzungen viel erreicht. Macht Sie das Frauen gegenüber ungnädig, die über Chancenungleichheit und Überforderung klagen?
Renate Schmidt: Manchmal geht mehr, als man glaubt. Weil mein Mann noch studierte, bin ich in den Beruf gegangen, um Geld für unsere kleine Familie zu verdienen. Ich habe damals, 1961, als einzige Frau bei Quelle Programmieren gelernt. Und ich hatte Spaß an diesem Beruf. Als mein Mann fertig studiert hatte, gab es einen großen Krach, unseren zweiten: Mein Beruf, der uns fünf Jahre lang gut über die Runden gebracht hatte, sollte plötzlich zweitrangig sein. Ich wollte aber in diesem Beruf bleiben. Also überzeugte ich ihn, dass ich auch weiterhin das Geld verdienen würde.

Was war der erste große Krach mit Ihrem Mann?
Den gab es am Anfang unserer Ehe. Wir wohnten in einer winzigen Eineinhalbzimmerwohnung, durch die ich am Samstag mit dem Staubsauger rannte, nach einer 48-Stunden-Woche. Mein Mann las Zeitung und hob gnädig die Füße, als ich mit dem Staubsauger zu ihm kam. Da bin ich explodiert. Ich habe darauf bestanden, dass wir den Haushalt gemeinsam machen.

In Ihrem Buch Ein Mann ist keine Altersvorsorge, das Sie zusammen mit der Finanzberaterin Helma Sick geschrieben haben, ärgern Sie sich darüber, dass junge Frauen zu wenig aus ihren Chancen machen.
Die Frauen machen sehr gute Abschlüsse – und nutzen sie nicht. Weil sie die Macht im Bereich Familie nicht hergeben. Dafür verzichten sie auf Macht an anderen Stellen. Sie fühlen sich von vornherein zuständig für die Kinder, für die Organisation von Familie. Klar wünschen sie sich Männer, die mehr mitmachen, als es noch in meiner Generation üblich war. Aber sie müssen dann auch loslassen. Wenn ich sage, ich fühle mich nicht zuständig für saubere Fenster, muss ich akzeptieren, dass mein Mann die Fenster so putzt, wie er sie putzen will.

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Wie bald sollten Frauen nach einer Geburt in ihren Beruf zurückkehren?
Die erste Zeit bei einem Kind zu Hause zu bleiben, ist ja logisch – besonders wenn sie stillen. Aber irgendwann sollten diese Frauen unbedingt wieder in den Beruf einsteigen. Und versuchen, bald auch wieder auf Vollzeit zu gehen, weil sie sich sonst ihre Rentenansprüche kaputtmachen. Wir haben heute in Deutschland eine Frauenerwerbsquote von 69 Prozent, damit liegen wir nur knapp hinter Schweden, Dänemark und den Niederlanden. Allerdings: Die Arbeitsstunden, die von Frauen geleistet werden, haben sich seit 1995 so gut wie nicht erhöht. Es gibt heute viel mehr Minijobberinnen und teilzeitbeschäftigte Frauen. Teilzeit ist so viel schlechter bezahlt. Diese Frauen werden die nächste arme Rentnerinnengeneration.

Bis zur Rente denken die meisten Frauen wahrscheinlich einfach nicht, wenn sie Kinder kriegen. Der Mann in Vollzeit, die Frau in Teilzeit, so leben laut Statistik drei von vier berufstätigen Paaren, es scheint also ein praktikables Modell zu sein. Und den Frauen auch irgendwie zu gefallen.
Meist ergibt es sich nur so. Häufig verdient der Mann mehr, was sowohl an der ungleichen Entlohnung liegt, aber auch an der Partnerwahl: Frauen suchen immer noch besser verdienende Männer. Also ist schon die gleiche Aufteilung der Elternzeit ein Problem, weil eine lange Auszeit des Mannes ein geringeres Familieneinkommen bedeutet. In der Zeit, in der sie in Elternzeit ist, macht er Überstunden, um das fehlende Einkommen aufzufangen. Sein Einkommen steigt weiter, vielleicht wird er sogar befördert. Dann rechnet es sich immer weniger, dass er die Hälfte der Erziehungsarbeit übernimmt. Männer wünschen sich zwar heute erwerbstätige Frauen, das zeigt eine Untersuchung der Soziologin Jutta Allmendinger am Wissenschaftszentrum Berlin. Weil sie das von der Sorge befreit, dass es die ganz große Katastrophe wäre, wenn sie arbeitslos würden. Allerdings wollen sie sich nicht um den Haushalt und die Kinder kümmern. Also ist eine Teilzeitstelle für die Frau vermeintlich genau das Richtige.

Dass Frauen im Beruf zurückstecken ist auch die Kapitulation vor der Vielfachbelastung?
Sicher. Aber noch einmal: Die Frauen machen die Abstriche eher im Beruf, statt sich hin und wieder zu fragen, ob es nicht auch in Ordnung wäre, eine etwas schlechtere Mutter zu sein. Dafür lasse ich aber auch zu, dass mein Mann ein besserer Vater ist und ich eine schlechtere Hausfrau bin. Bei mir zu Hause muss man auch nicht vom Boden essen können, wir haben nämlich einen Tisch dafür.

Oft muss man dann aber mit bösen Kommentaren leben – vor allem von anderen Müttern.
Kritik hält man gut aus, wenn man zu dem steht, was man tut. Wir haben uns nach der Geburt unseres dritten Kindes entschieden, dass ich weiter erwerbstätig bin und mein Mann Hausmann wird. Ich habe ihn machen lassen. Er hat mit den Kindern Kaulquappen gefangen, ihnen ein Aquarium gebaut und beobachtet, wie aus den Kaulquappen kleine Frösche wurden. So etwas hätte ich nicht gekonnt, ich hätte mich gegraust vor den Kaulquappen. Als ich hauptberuflich in die Politik ging und die ganze Woche in Bonn war, bekamen wir immer mehr Anerkennung für unser Modell, weil die Leute sahen, dass die Kinder nicht vor die Hunde gingen, sondern warm angezogen waren und wohlgenährt in die Schule kamen. Mit gemachten Hausaufgaben.

Sie empfehlen einen Ehevertrag. Aber wer will schon bei der Hochzeit an eine Scheidung denken?
Trotzdem! Es kann immer was passieren. Mein erster Mann ist mit 43 Jahren gestorben. Wäre ich nicht voll im Beruf gestanden, hätte ich das mit drei Kindern finanziell nicht gepackt. Man muss auch solche Fälle mitdenken, man kann nicht davon ausgehen, gemeinsam das Rentenalter zu erreichen. In Großstädten scheitert nahezu die Hälfte der Ehen, außerhalb der Ballungsgebiete sind es 20 bis 30 Prozent. Und der höhere Sinn eines Ehevertrags ist die Kommunikation miteinander, über die Verliebtheit hinaus. Zu formulieren: So stelle ich mir unser Leben vor. Männer denken, ihre Interessen sind auch die Familieninteressen. Frauen dagegen verinnerlichen die gemeinsamen Interessen und stellen ihre eigenen Wünsche meist hintenan. Für so einen Ehevertrag muss man nicht zum Anwalt, man kann ihn auch nur für sich machen und nach fünf Jahren draufschauen: Haben wir neben gemeinsamen Zielen auch unsere persönlichen Wünsche erfüllt?

Hatten oder haben Sie selbst einen Ehevertrag?
Nein, das machte bei meiner ersten Ehe und unserer Einkommenssituation keinen Sinn, und bei meiner zweiten Eheschließung waren keine Kinder im Spiel. Unsere finanziellen Verhältnisse waren geklärt, wir waren beide etabliert und unabhängig.

»Wir müssen der Wirtschaft klarmachen, dass sich Teilzeitarbeit für sie lohnt.«

Renate Schmidt ist 71, hat drei Kinder und war praktisch immer berufstätig. 1972 trat sie in die SPD ein, amtierte von 1990 bis 1994 als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und von 2002 bis 2005 als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Was, wenn man doch im klassischen Modell Zuverdienerin mit Familienverantwortung gelandet ist?
Die Frauen sollten aufmüpfiger sein. Sie könnten sagen: Du, ich möchte wieder ganztags berufstätig sein, finden wir da eine Lösung? Wenn du denkst, wir packen das nicht, reduzieren wir doch beide unsere Arbeitszeit um fünf Stunden in der Woche, dann haben wir zehn Stunden für Haushalt und Familie zusätzlich. 75 Prozent der Männer wünschen sich mehr Zeit mit ihren Kindern und würden gern mehr Elternzeit nehmen. Dass es darauf genauso einen gesetzlichen Anspruch wie auf Teilzeit gibt, das wissen viele Männer nicht.

Gerade haben Sie sich gegen Teilzeitarbeit ausgesprochen – was spricht jetzt für dieses Modell bei Männern?
Wir müssen der Wirtschaft klarmachen, dass sich Teilzeitarbeit für sie lohnt. Weil Menschen in Teilzeit meistens mehr leisten als die Stunden hergeben: Untersuchungen zeigen, dass es im Schnitt 25 Prozent Rendite bringt, wenn Unternehmen in familienfreundliche Maßnahmen wie flexible Arbeitsmodelle investieren. 25 Prozent! Aber die meisten Unternehmen wünschen sich immer noch einen rundum verfügbaren Mitarbeiter, dem zu Hause jemand den Rücken freihält. Als ich 2002 als Familienministerin begann, bot ein Prozent der Unternehmen familienfreundliche Leistungen an, heute sind es rund 15 Prozent – eine ungeheure Steigerung. Gleichzeitig machen 85 Prozent immer noch nichts. Viele versuchen sogar, gesetzliche Regelungen zu umgehen: Da wird einer Mitarbeiterin nach der Elternzeit ein Auflösungsvertrag vor die Nase gehalten; ihrer Bitte, die nächsten Jahre in Teilzeit zu arbeiten, wird nicht entsprochen. Obwohl sie ein Recht darauf hat.

Die Politik unterstützt nach wie vor das Einverdienermodell, zum Beispiel durch das Ehegattensplitting.
Die Politik ist ausgesprochen widersprüchlich. Das Ehegattensplitting belohnt es, wenn die Frau zu Hause bleibt. Bei einer Scheidung wird sie durch das neue Unterhaltsrecht bestraft. Dass Frauen nach einer Scheidung schnell wieder auf eigenen Beinen stehen sollen, ist zwar ein moderner Gedanke, ignoriert aber, wie normgebend Regelungen wie das Splitting sind. Mitte der Achtzigerjahre zeigte eine schwedische Ökonomin: Wenn ein ähnliches Einkommen für beide Partner steuerlich am attraktivsten ist, gleichen sich ihre Arbeitszeiten an. Die Menschen verhalten sich so, wie es für sie finanziell vorteilhaft ist.

Sie selbst haben immer gegen das Ehegattensplitting argumentiert, konnten es aber als Familienministerin nicht abschaffen.
Als ich 2002 Ministerin wurde, hatte das Bundesverfassungsgericht gerade vier Jahre vorher entschieden, dass die Abschaffung gegen den im Grundgesetz festgeschriebenen besonderen Schutz der Ehe und Familie verstoßen würde. Ich glaube, heute hätte man bessere Chancen, wenn der Sinn von Artikel 6 zeitgemäß durchdekliniert würde. Familie bedeutet nicht mehr nur Ehe, sondern vor allem Verantwortung für Kinder und Angehörige.

Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete Ihr Ressort mal als »Familie und Gedöns«. Vermutlich haben Sie von ihm nur wenig Rückendeckung für Ihre Politik bekommen.
Im Gegenteil! Der war der Einzige, der 2001 auf dem SPD-Parteitag die 90-minütige Debatte zu meinem familienpolitischen Leitantrag – unter anderem die Neugestaltung des Ehegattensplittings – vom ersten bis zum letzten Wort verfolgte. Die anderen Parteivorstandsmitglieder waren mal hier, mal dort. Schröder saß an seinem Platz und hörte genau zu. Und auf einer Kabinettssitzung im Frühjahr 2003 verdonnerte er den damaligen Finanzminister Eichel, sich meine Argumente für einen höheren Freibetrag für Alleinerziehende anzuhören und gemeinsam eine Lösung für die Finanzierung zu suchen.

Aber getan hat sich wenig.
Ich konnte immerhin 2004 den Alleinerziehendenfreibetrag einführen, habe den Ausbau der Kinderkrippen begonnen und das Elterngeld entwickelt. Veränderungen sieht man oft erst im Rückblick: Ich bin 1961 in den Beruf eingestiegen, da hätte mein Mann mein Arbeitsverhältnis kündigen können – das war sein Recht damals. Der Unterschied zwischen Frauen- und Männereinkommen war riesig, so etwas wie Gleichbehandlung kam niemandem in den Sinn. Teilzeitbeschäftigung war ein Fremdwort, der Anspruch darauf utopisch. Es gab sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt eines Kindes Mutterschutz, das war’s. Keine Freistellung bei Erkrankung eines Kindes. Jetzt bekommen wir eine Quote, das Elterngeld plus, die Familienministerin denkt laut über eine 32-Stunden-Woche für Eltern nach. Also: Ich bin optimistisch.

Fotos: Julian Baumann