Feiern statt beten?

Am Karfreitag steigt die Party der Schwägerin. Darf man aus religiösen Gründen absagen?

»Meine Schwägerin feiert am Karfreitag ihren 50. Geburtstag mit einer großen Party. Ich bin zwar kein Kirchgänger, dennoch ist für mich der Karfreitag ein stiller Feiertag, an dem ich gedenken und nicht groß feiern möchte, auch aus Respekt vor dem lieben Gott. Andererseits möchte ich auch meine Schwägerin nicht vor den Kopf stoßen, wird sie doch nur einmal 50.« Johanna M., Kassel

Bei dieser Frage muss man mehrere Ebenen sehr genau voneinander trennen. Zunächst, ob es überhaupt in Ordnung ist, dass Ihre Schwägerin am Karfreitag eine große Party feiert. Das ist ganz klar zu beantworten: Ja, es ist vollkommen in Ordnung. Vermutlich ist Ihre Schwägerin nicht übermäßig oder überhaupt nicht christlich, dann kann man ihr keine innerreligiösen Vorschriften und Werte überstülpen. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, und die negative Religionsfreiheit, also das Recht, keine Religion ausüben zu müssen, halte ich für mindestens ebenso wertvoll und wichtig wie die positive Religionsfreiheit, also das Recht, Religion ausüben zu dürfen. Und selbst wenn Ihre Schwägerin eine Christin ist, muss sie ihr Vorhaben mit ihrem Glauben ausmachen. Mit allgemeiner Moral hat das nichts zu tun.

Schwieriger wird es schon mit der Art der Feier. Ein großes Freudenfeuerwerk oder ein Umzug mit Blaskapelle bärgen Probleme. In Deutschland sind derzeit etwa sechzig Prozent der Bevölkerung Mitglied in einer christlichen Kirche, woraus man auf eine sicher deutlich geringere, aber relevante Zahl von praktizierenden Christen schließen kann. Auf deren Gefühle sollte man Rücksicht nehmen – ebenso wie umgekehrt Gläubige auf die Gefühle derjenigen, die damit nichts am Hut haben, weshalb es zu keinem totalen Feierverbot für Nichtchristen führen darf.
Und damit wären wir beim dritten Teil: Entsprechendes gilt im Hinblick auf die möglichen Gäste. Wer seine Party in einem Land mit relevantem Anteil von christlichen Gläubigen auf Karfreitag legt und nicht von vornherein weiß, dass der Kreis der Eingeladenen anderen oder keines Glaubens ist, muss damit rechnen und nimmt es offenbar in Kauf, dass manche dann nicht kommen wollen. Sie können also jederzeit absagen: Ihre positive Religionsfreiheit.

Meistgelesen diese Woche:

Quellen:

Bundeszentrale für politische Bildung. Zahlen und Fakten. Die soziale Situation in Deutschland. Kirche. online abrufbar

Darin zur Frage, wie kirchenverbunden oder religiös praktizierend die Mitglieder der Kirche sind: „Bei den Angaben zur Religionszugehörigkeit ist zu bedenken, dass die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft für die einzelnen Menschen eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben kann. Im Extremfall ist für die einen die Zugehörigkeit lebensbestimmend, andere sind Mitglied einer Kirche ohne überhaupt an einen Gott oder eine spirituelle Kraft zu glauben. Beispielsweise bezeichneten sich im Jahr 2009 laut einer Allensbach-Umfrage 17 Prozent der deutschen Katholiken als 'Gläubige Kirchennahe', 37 Prozent als 'Kritische Kirchenverbundene' und 46 Prozent als 'distanziert, unsicher oder nicht religiös'.“

Dipl.-Geograph Joachim Eicken, Dr. Ansgar Schmitz-Veltin, Statistisches Amt der Landeshauptstadt Stuttgart Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in Deutschland Statistische Anmerkungen zu Umfang und Ursachen des Mitgliederrückgangs in den beiden christlichen Volkskirchen Statistisches Bundesamt • Wirtschaft und Statistik 6/2010, S. 576-589, online abrufbar

Evangelische Kirche in Deutschland:
EKD-Statistik Christen in Deutschland, online abrufbar

Deutsche Bischofskonferenz:
Zahlen zur Katholischen Kirche in Deutschland

In rechtlicher Hinsicht genießt die negative Religionsfreiheit in Deutschland sogar Verfassungsrang:

Artikel 136 Weimarer Reichtsverfassung
(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
(2) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.
(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Dieser Artikel gilt laut Artikel 140 des Grundgesetzes auch heute noch:

Artikel 140 Grundgesetz Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

Illustration: Serge Bloch