Das Kaffee-Prinzip

Eine Frau, die aus Prinzip nur Transfair-Kaffee kauft, lässt sich von ihrem Freund überreden, diesmal den normalen Kaffee zu nehmen. Muss Sie ein schlechtes Gewissen haben?

»Meine Freundin kauft aus Überzeugung ausschließlich Transfair-Kaffee. Als wir nach dem letzten Einkauf im Supermarkt schwer beladen waren und nicht zu dem Geschäft mit Transfair-Kaffee laufen wollten, überredete ich sie, dass wir diesmal normalen Kaffee kaufen. Muss sie jetzt ein schlechtes Gewissen haben, weil sie gegen ihre Prinzipien verstoßen hat?« Marco G., Tübingen

Vielleicht klingt das jetzt für manche überraschend, aber ich bin kein großer Freund davon, dass Menschen sich Prinzipien für ihr Leben aufstellen, um dann prinzipiell, im Sinne von immer und ausnahmslos, so zu handeln. Das Problem ist die Ausschließlichkeit, die sich daraus ergibt. Aussagen mit »immer« und »nie« sind der Mannigfaltigkeit des Lebens abhold.

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Deshalb muss Ihre Freundin auch kein schlechtes Gewissen haben, weil sie gegen ihre Prinzipien verstoßen hat. Natürlich ist es gut, fair gehandelten Kaffee zu kaufen, weil dadurch das sonst nicht sehr gute Leben der Kaffeebauern verbessert und etwas für Nachhaltigkeit getan wird. Insofern könnte man vertreten, jeder sollte ein schlechtes Gewissen haben, wenn er oder sie konventionellen Kaffee kauft. Wie auch bei vielen anderen Produkten. Aber eben nicht, weil er oder sie gegen seine oder ihre Prinzipien verstößt, sondern wegen der Kaufentscheidung, die man un- abhängig von etwaigen Prinzipien des Käufers bewertet.

Es ist besser, einmal mehr das Richtige zu tun, als einmal weniger. Aber wenn man denjenigen, die sich bemühen, richtig zu handeln, und das auch meist tun, deswegen ein schlechtes Gewissen macht, weil sie es einmal nicht tun, erwiese man der ganzen Sache einen schlechten Dienst. Man sollte das allgemeine richtige Handeln in den Vordergrund stellen und nicht die Ausnahme. Es wäre doch auch ein eigenartiges, eher ungerechtes Ergebnis, wenn derjenige, der sonst immer alles richtig macht, ein schlechteres Gewissen haben müsste, wenn er oder sie es einmal nicht tut, als derjenige, der nie richtig handelt.

Apropos: Warum fragen Sie eigentlich nach dem Gewissen Ihrer Freundin und nicht nach Ihrem eigenen, der Sie Ihre Freundin zu einem Verhalten überredet haben, von dem Sie annehmen, es könnte Anlass für ein schlechtes Gewissen bei ihr sein?

Literatur:

P. Aubenque, G. Wieland, H, Holzhey, P. Schaber, Prinzip, in: Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Hrsg.) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7, Schwabe & Co, Basel 1989, Spalte 1336 – 1373

Friedrich Kambartel, Prinzip, in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart 1995/2004 Band 3, S. 341 f.

Odo Marquard, Abschied vom Prinzipiellen, Reclam Verlag, Stuttgart 1986

Illustration: Serge Bloch