»Die Kugel traf ihn ins Herz«

Die niederländische Schmuckdesignerin Bibi van der Velden arbeitet mit Mammutstoßzähnen und Käferflügeln. Sie will mit ihrem Schmuck Geschichten erzählen – die meisten vergisst man nicht so schnell. 

Bibi van der Velden interessiert sich nicht nur für Gold als Material, sondern auch für die Bedingungen, unter denen es geschürft wird.


SZ-Magazin: Sind Sie ein altmodischer Mensch?

Bibi van der Velden: Wie kommen Sie darauf?

Ihr Schmuck ist von fast barockem Überfluss und großem Detail­reichtum. Über Ihre Ringe kriechen Schlangen und Leoparden, man kann einen Haken öffnen und einer Waldnymphe ins Auge schauen.
Im Moment ist Schmuck in Mode, der aufgeräumt ist, geometrisch, minimalistisch. Das finde ich schade. Ich versuche, mich von Trends fernzuhalten. Schmuck soll etwas über dich erzählen, zu dir passen, auf einer ­Dinnerparty für Gesprächsstoff sorgen. Manchmal denke ich, dass mir die Geschichte, die ein Ring oder eine Kette erzählt, fast wichtiger ist als das Stück selbst.

Kann man das wirklich: mit Schmuck Geschichten erzählen?
Natürlich. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich nehme immer noch viele Auftragsarbeiten an, und neulich kam ein Mann zu mir, ein New Yorker Jude. Er brachte einen Ring mit, den seine Familie durch das Dritte Reich ­gerettet hatte. Ich habe den Diamanten und das Gold verwendet und einen neuen, sehr detailreichen Ver­lobungsring an­ge­fertigt. Aus zwei ineinander verflochtenen Zweigen wachsen neue Blätter – ein Symbol dafür, wie das Leben seinen Weg findet.

Woher kommt dieses Interesse an dramatischen, schwelgerischen Geschichten?

Das hat viel mit meiner Kindheit zu tun. Ich wurde in New York geboren, erst mit neun kam ich in die Niederlande. Mein Vater war Banker, meine Mutter ist Bild­hauerin. Sie lebten ein nomadisches Leben und zogen durch die USA. Damals war New York City noch sehr rough. Im »Studio 54« fiel besonders mein Vater mit seinen Business-Anzügen auf, und die beiden galten unter all den irre Gekleideten als extracool, glaube ich. Als Aus­gleich besaßen sie ein Baumhaus in der Nähe von New York. Im Wald lebten Luchse, es gab Wasserfälle. Als ich klein war, unternahmen wir eine sechsmonatige Welt­reise und zogen dann nach England, meine Brüder ­wurden geboren, meine Eltern trenn­ten sich. In unserem Haus in England gab es ­einen Geist, ein kleines Mädchen mit roten Samtschuhen.

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Ach was! Ein Geist!
Meine Mutter und ich sind keine esoterischen Menschen, aber wir haben das Mädchen gespürt. Es war kein glückliches Wesen. Zum Haus gehörte eine Kiste mit einem verblassten Paar roter Samtschuhe und Briefen, in denen alle ehemaligen Bewohner von ihren Erlebnissen mit dem Geist berichteten. Alle Paare, die dort jemals gewohnt hatten, trennten sich irgendwann. Das Haus stammte in Teilen aus dem 16. Jahrhundert, vor langer Zeit hatten Mönche dort gelebt, daher führte ein Tunnel zur nahe gelegenen Kirche. Meine Brüder und ich warfen nach der damals noch sehr strengen Schule unsere Unifor­men von uns und verschwanden in eine Fantasiewelt. Alles wurde zum Märchen. Diese Art, auf die Dinge zu schauen, versuche ich auch an meine beiden Kinder ­weiterzugeben.

Ihr Schmuck hat auch eine ­abgründige Seite.
Ich mag Kunst, die ein wenig dunkel ist: Louise Bourgeois, Arnulf Rainer oder Francis Bacon. Für mich beginnt Kunst nicht mit einer Ästhetik, sondern mit einer Idee. Die beste Übersetzung einer Idee in eine Ästhetik kann düster sein – und trotzdem schön. Zusammen mit meiner Mutter arbeite ich gerade an Skulpturen in der Form menschlicher Herzen. Sie gehen zurück auf die Geschichte unserer Familie, etwa die meines Großvaters, der während der Jagd starb: Ein Hirsch rannte in seine Flinte hinein, die ging los, und die Kugel traf ihn mitten ins Herz.

Passt das zusammen: Bildhauerin und Schmuck­designerin?
Mir war immer klar, dass ich Bildhauerin werden wollte. Viele meiner frühen Erinnerungen stammen aus dem Atelier meiner Mutter. Ich habe ihr geholfen, Skulpturen mit Sandpapier poliert und selbst mit Ton experimentiert. Mit zwölf fing ich an, eigene Steinskulpturen an­zu­fertigen. Der Schmuck kam irgendwann dazu. Beides hat miteinander zu tun, selbst die Materialien sind oft die gleichen. Viele meiner Inspirationen rühren vom Mate­rial her. Ich schaue mir einen Stein mit all ­seinen kleinen Besonderheiten an und überlege, was ich damit machen kann. Ich liebe einfach alles, was aus der Natur kommt. Als Kind hatte ich viele Ängste, gegen die ich nichts tun konnte: Ich lag nächtelang wach und dachte über die Zerstörung des Regenwalds nach.

Ein Kind der Achtziger.
Ja! Heute kann ich immerhin ein bisschen dazu beitragen, dass der Regenwald erhalten bleibt.

Inwiefern?
Als ich anfing, Schmuck zu designen, hatte ich keine ­Ahnung von den Problemen, die mit dem Gold­abbau zusammenhängen. Aber je mehr ich darüber erfuhr, des­to mehr hatte ich das Gefühl, mich engagieren zu müs­sen. Was ich gesehen habe, war furchtbar. In Kolumbien zum Beispiel sind die Arbeiter so arm, dass sie sich und ihre Familien kaum ernähren können. Sie roden den ­Regenwald, graben die Erde um, waschen sie und finden winzige Mengen Gold. Im Grunde ist alles Staub. Um das Gold vom letzten verbliebenen Sediment zu ­trennen, benutzen sie Quecksilber, das sehr giftig ist. ­Es bleibt in der Natur, und es findet keine Wiederauffors­tung des Waldes statt. Dazu kommt, dass die politische und soziale Situation dort mehr als schwierig ist. Kinderarbeit und Prostitution sind riesige Probleme. Mittlerweile bin ich Botschafterin der »Good Gold«-Initia­tive bei der NGO Solidaridad in den Niederlanden. Wir ­en­gagieren uns für nachhaltige Lieferketten, für ethisch ­gewonnenes Gold. Es gibt viele Wege, besseren Schmuck herzustellen.

Bei der Arbeit lässt sich Bibi van der Velden von der Natur inspirieren - und manchmal von einem Geist
Welche?
Ich arbeite viel mit recyceltem Gold, verwende aber auch Materialien, die nicht aus Minen stammen, etwa die Flügel des Skarabäus-Käfers.

Wo bekommen Sie die her?
Ich verbringe viel Zeit in Thailand, unsere Produktion befindet sich in Bangkok – wobei ich Wert darauf lege, dass wir allen sozialen Standards entsprechen und sehr gute Löhne zahlen. Anders ginge es gar nicht. Die handwerklichen Fähigkeiten unserer Mitarbeiter und ihr Fachwissen sind so gut, dass ich jedes Mal kleine Geschenke mitbringe, damit sie mir treu bleiben. In Thailand jedenfalls gelten die Käfer als Delikatesse, frittiert schmecken sie wie Chips. Die Flügel sind ein Abfall­produkt, ich beziehe sie von einer Farm, wo die Käfer im großen Stil gezüchtet werden. Außerdem verwende ich fossile Mammutstoßzähne.

Klingt abenteuerlich …

Vor einigen Jahren las ich im National Geographic einen Artikel über die bis zu 100 000 Jahre alten fossilen ­Stoßzähne, die der sibirische Permafrostboden durch den ­Klimawandel freigibt. Ich dachte, so etwas geht ­direkt ins Museum. Aber es tauchen so viele Zähne auf, dass sie verkauft werden – eine hervorragende Alter­native zu ­Elfenbein, mit dem ich niemals arbeiten würde. Ich habe viel Zeit darauf verwendet, herauszube­kom­men, wo ich das Material kaufen und wie ich es bearbeiten kann. Das British Museum in London hat mir da sehr geholfen. Sobald so ein Zahn dem Sauerstoff ausgesetzt ist, fängt er nämlich an zu verrotten. Schließlich habe ich ein Dorf in China ausfindig gemacht, wo man sich auf das Schnitzen versteht. Danach geht es nach Bangkok, wo die Goldelemente verarbeitet und die Stücke fertiggestellt werden. Indem man einen Ring aus Mammut-Elfenbein trägt, konserviert man ein Stück Evolution.

Fotos: Markus Burke