»Mein Grabstein soll in Comic Sans beschriftet sein«

Vor zwanzig Jahren erfand Vincent Connare für Microsoft eine Schriftart, die als geschmacklos, blöd und infantil gilt – und längst unsterblich ist. Er bereut es nicht.

Die Revolution liegt genau zwei Jahrzehnte zurück, und ihr Name lautete Windows 95. Plötzlich musste man den Computer nicht mehr mit komplizierten DOS-Befehlen füttern, nein, das Heimcomputern war idiotensicher geworden. Startete man »Windows 95« zum ersten Mal, erschien gleich ein Musikvideo der Band Weezer auf dem grobschlächtigen Monitor. Ein Video! Das musste die Zukunft sein! Und der neue Bildschirmschoner erst! In 3D (fast jedenfalls)! Da irrte der Computer von alleine durch ein Labyrinth aus papierdünnen Backsteinwänden. Konnte man sich stundenlang anschauen.

Ja, an solch unverhofften digitalen Wundern berauschte man sich 1995, als das Fiepen des Modems ein Versprechen war – und jeder sich plötzlich auch zum Grafiker berufen fühlte. Denn wie mühelos war es nun, sich Visitenkarte, Geburtstagseinladungen und selbstentworfene CD-Cover auszudrucken. Und da gab es im Office-Paket von Windows 95 sogar diese eine Schrift, mit der alles gleich so charmant und knuffig aussah: Comic Sans.

Die legendäre Schriftart ist das präsenteste Relikt des antiken Betriebssystems. Seither ist Comic Sans auf jedem Betriebssystem zu finden – und auf beinahe jeder Einladung zum Elternabend, Schützenfest oder auf mahnenden Aushängen in der verschmutzen Büroküche. Seit es Comic Sans gibt, wird Comic Sans gehasst – die Schriftart gilt als geschmacklos und infantil, blöd und genial, lächerlich und unsterblich. Aber der Erfinder, Vincent Connare, 54 Jahre alt, geboren in Boston, heute in London zu Hause, versteht die ganze Aufregung eigentlich bis heute nicht.

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Mr. Connare, benutzen Sie manchmal noch Comic Sans?
Vincent Connare: Eigentlich nur, wenn ich wütend bin und eine Mail schreiben muss. Mit Comic Sans kann man sich ziemlich unmissverständlich ausdrücken. Das versteht dann jeder.

Dabei handelt es sich ja eigentlich um eine besonders niedliche Schriftart.
Ich würde Comic Sans so beschreiben: Es ist eine lockere, handgeschrieben aussehende Schriftart, die wir für Familien entworfen haben, in einer Zeit, als die wenigsten Haushalte einen Computer besaßen – und Computer eine sehr begrenzte Funktionalität hatten.

Das war vor ziemlich genau zwanzig Jahren.
Ich arbeitete damals bei Microsoft. Wir waren dort zwei Schriftdesigner. Ich glaube, man nannte mich offiziell einen »Typografischen Ingenieur«.

Und eines Tages dachten Sie sich: Jetzt mal was Lustiges?
Nein, eines Tages fragte mich Microsoft, was ich von den Schriften in ihrem neuen Programm »Microsoft Bob« halten würde. In diesem Programm, das rasch wieder in Vergessenheit geriet, tauchte ein Comic-Hund auf, der den Computernutzer ansprach. Was der Hund sagte, stand in Sprechblasen. Für diese Sprechblasen hatte man Times New Roman benutzt. Ich sagte, es sei falsch, Times New Roman als eine Comicschrift zu verwenden. Dann malte ich am Computer mit der Maus etwas, um ihnen zu zeigen, wie es besser aussehen würde. Ich glaube, ich hatte dafür nur drei Tage Zeit. Und nun ja, es gefiel ihnen.

Gefällt Ihnen denn Comic Sans heute noch?
Absolut. Comic Sans zeigt doch, worum es bei Design geht: Etwas Gutes zu entwerfen, das dem Kunden gefällt.

Bekannt wurde Comic Sans nicht durch den Hund aus »Microsoft Bob«, sondern weil es Teil des Schriftenpakets von Windows 95 war. Wie kam es dazu?
Die Assistentinnen bei Microsoft fingen damals plötzlich an, Comic Sans in internen Mails zu benutzen. So bekam die Schrift ziemlich schnell sehr viel Beachtung im ganzen Unternehmen.

Heute kann man sagen: Es gibt keine Schriftart, die so populär - und so verhasst ist.
Nun, Comic Sans ist beliebt bei Leuten, die gerne eine Schrift benutzen wollen, die das, was sie schreiben, nicht so aussehen lässt wie irgendeine stinknormale Buchseite. Comic Sans ist aber ziemlich sicher nicht beliebt bei Leuten, die elitäre Typografie-Experten sind und die noch nie eine Schrift entwerfen mussten für einen Kunden, der Verbraucherprodukte verkauft.

Das klingt jetzt ein wenig trotzig.
Ich behaupte ja nicht, dass Comic Sans die Typografie revolutioniert hätte. Lustige, verspielte Schriftarten gab es auch vor Comic Sans schon. Aber wir haben damals verändert, wie wir Typografie im Alltag benutzen können. Mit der massenweisen Verbreitung von Computern, die spätestens mit Windows 95 begann, konnte plötzlich jeder mit Schriften spielen. Nicht mehr nur Grafiker und irgendwelche Nerds. Comic Sans war eine besonders auffällige, besonders freundliche Schrift, also wurde oft mit ihr gespielt.

Erinnern Sie sich noch an die ersten Reaktionen auf die Schrift, als Windows 95 auf dem Markt war?
Ja, die waren zunächst durchweg positiv. Dass Comic Sans mehr Aufmerksamkeit bekam und mehr Aufregung verursachte als es für eine Schrift in einem Standard-Schriftenpaket eines Betriebssystems üblich ist, wurde mir erst klar, als mich viele Jahre später das „Wall Street Journal" fotografieren wollte und sie die Geschichte über micht sogar auf die Titelseite packten.

Da war längst das »Verbannt Comic Sans«-Manifest im Internet erschienen.
Es gibt ja immer jemanden, der irgendetwas nicht mag. Das macht die Sache nicht schlechter. Ich persönlich mag »Marmite« nicht, diesen dunklen, salzigen Brotaufstrich, den viele Briten sehr gerne essen. »Marmite« wird sogar so beworben: »Love it or hate it«. Es schadet nicht, wenn etwas polarisiert.

Sie können über all die Blogs und Tumblr, die sich heute über Comic Sans lustig machen, also lachen?
Natürlich, Comic Sans bringt mich immer zum Lachen. Das ist doch das Tolle daran. Und als ich erstmals davon gehört habe, dass jemand, der Comic Sans nicht mag, der Schrift eine eigene Website gewidmet hat, da fand ich das auch ziemlich lustig.

Es geht ja bei der Häme über Comic Sans oft darum, dass die Schrift unpassend benutzt wird. Für Schreiben mit ernstem Inhalt etwa. Oder anscheinend sogar auf Grabsteinen.
Tja, man sollte immer überlegen, an wen man schreibt, bevor man sich für eine bestimmte Schrift entscheidet. Aber wenn ich Fernsehen schaue, sehe ich Comic Sans besonders oft auf Ausdrucken und Zetteln in Klassenzimmern. Etwas Einfaches, das für Schulkinder geschrieben wurde. Ich finde, das passt wunderbar. Und ganz ehrlich: Ich fände es großartig, wenn mein Grabstein irgendwann einmal mit Comic Sans beschrieben wäre, und ich kenne auch einige Leute, die das sehr lustig fänden. Und dann hätte Comic Sans wieder jemanden zum Lachen gebracht.

Haben Sie jemals bereut, diese Schrift erfunden zu haben?
Nein. Nie!

Illustration: Jonas Natterer