101 bis 120

Guido Westerwelle in Venedig. Ein zufriedener Autoboss. Ein verärgerter Botschafter. Kämpferische Frauen, versöhnliche Kontrahenten. Und kleine Männer neben großen Frauen.

    Moment 100: 2014

    Philipp Lahm verabschiedet sich aus der Fußball-Nationalmannschaft. Für das Cover des SZ-Magazins lässt er sich bald darauf im Münchner »Valentinstüberl« fotografieren, einer Boazn, die er sonst eher nicht aufsucht. Das Ergebnis aber liebt er.

    Über meinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft ist sehr viel geschrieben und gesprochen worden. Auch im SZ-Magazin gab es ein langes Interview. Dabei hat das Titelbild eigentlich schon alles gesagt: Letzte Runde. Eines meiner Lieblingsfotos, weil es zunächst kurz irritiert und dann amüsiert hat.

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    Moment 101

    Für Dieter Dorn, den ehemaligen Intendanten der Münchner Kammerspiele und des Residenzthaters, ist das SZ-Magazin in erster Linie ein Ausgleich.

    Über all die Jahre meiner Intendanz wurden unsere Inszenierungen von der Süddeutschen Zeitung mit grauenvollen Verrissen begleitet. Immerhin konnten wir beobachten, wie das Publikum mit den Jahren dazulernte: Je vernichtender eine Kritik, desto voller war die Vorstellung. Was allerdings die Süddeutsche betraf, war in all der Zeit das Magazin mein einziger Trost.
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    Moment 102: 2014

    Wir nennen es Arbeit: Der Illustrator Serge Bloch bemalt für eine Fotostrecke Badewannen mit fantasievollen Figuren und Mustern.

    Ich durfte für das SZ-Magazin schon Models mit Sonnencreme bemalen, was für ein Job! Aber der schönste Moment war, als mich die Redaktion in aller Ruhe Badewannen bepinseln ließ. Sah hübsch aus, auch wenn wir im Grunde diesen Luxusfirmen ihre schönen Designs total verhunzt haben. Egal, der Fotograf und ich hatten einen Riesenspaß.

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    Moment 103: 2013

    Einsame Spitze: Der Redakteur Lorenz Wagner begleitet den Mercedes-Chef Dieter Zetsche monatelang bei der Arbeit - und schreibt eine Reportage, auf die Zetsche auch in höchsten Kreisen angesprochen wird.
    Premium-Qualität, innovative Ideen, hohe Reichweite: Aus dem Mund eines Daimler-Managers klingt das nach einem Auto mit Stern. Doch all das gilt auch für das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Wie hoch dessen Reichweite tatsächlich ist, habe ich vor zwei Jahren auf der IAA erlebt: Normalerweise geht’s dort vor allem um unsere neuen Modelle. Doch damals wurde ich »on top« immer wieder auf das Porträt angesprochen. Und die Bundeskanzlerin sagte mir bei ihrem Messerundgang: »Die Geschichte über Sie im SZ-Magazin hat mir gefallen.« Na dann weiter so!

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    Moment 104: 2004
    Modestrecke als Sattel-Fest: Der Fotograf Martin Parr kombiniert für das Magazin große Models und kleine Jockeys. Eine der Lieblings-Modestrecken der Redaktion.

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    Moment 105

    Der RTL-Anchorman Peter Kloeppel hat seinen SZ-Magazin-Moment jeden Freitagmorgen: Er macht aus der Rubrik »Gemischtes Doppel« sein persönliches Rätsel.

    Natürlich lese ich das Magazin auch wegen seiner schönen, langen Reportagen und opulenten Bilderstrecken. Tun ja alle. Aber ich gebe zu: Die größte Freude bereitet mir das »Gemischte Doppel«. Ihm nähere ich mich seit Jahren mit besonderer Vorsicht und Vorfreude. Also: erst die Seite suchen, wo es steht, dann beim Aufschlagen der Seite sofort und ohne genaues Hinsehen den Text abdecken - und nur die beiden kleinen Bilder auf mich wirken lassen. Wie passen die zusammen? Was hätte ich darunter geschrieben? Langes Nachdenken, Ausprobieren meiner Ideen, Verwerfen derselben, schließlich, endlich, Auflösung und Erlösung. Und fast immer die Erkenntnis: Der Autor im »Gemischten Doppel« war mal wieder besser. Kompliment!
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    Moment 106: 1996

    Unter einem Jugendfoto von Hermine Braunsteiner auf dem Titel des SZ-Magazins steht: »Diese Frau will in Frieden sterben. Sie ist inzwischen Rentnerin im Rollstuhl, die ehemalige KZ-Aufseherin, die sie Stute von Majdanek nannten. Wir haben sie aufgespürt.« Der »SZ«-Reporter Thorsten Schmitz über die Arbeit an einer brutalen Geschichte.

    »Die Stute von Majdanek« wurde sie von den Häftlingen des Konzentrationslagers Majdanek genannt, weil sie Babys totgetreten und Frauen ausgepeitscht hatte. Zwanzig Jahre lang hatte die KZ-Aufseherin im Gefängnis in Mühlheim verbracht - bis sie vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau begnadigt wurde. Nach monatelangen Recherchen machte ich ihre Adresse ausfindig. Sie lebte unbehelligt in einem Altersheim in Bochum. Ich besuchte sie ohne ihre Einwilligung (auf Briefe und Anrufe hatte sie nie geantwortet). Sie zeigte keine Reue. Für die Reportage habe ich auch den Richter und den Staatsanwalt des Majdanek-Prozesses besucht. Beide waren an dem jahrelangen Verfahren gesundheitlich kaputtgegangen. Der Richter wurde zum Alkoholiker und bekam Leberkrebs, der Staatsanwalt erlitt einen Schlaganfall. Ich selbst hatte nach der Veröffentlichung viel Ärger mit Nazi-Sympathisanten, die in der Redaktion anriefen und drohten, sie wüssten, wo ich wohne. Hermine Braunsteiner starb 1999.

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    Moment 107: 2006
    Am Lieblingsland Italien arbeitet sich die Redaktion immer wieder ab. Nach diesem Titelbild meldet sich allerdings der italienische Botschafter und fragt entrüstet, was »Lecko Mio« überhaupt heißen solle, das sei doch nicht mal richtiges Italienisch. Sein Unverständnis ist verständlich - er ist halt nicht auf Münchner Schulhöfen groß geworden.

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    Moment 108: 1991

    Peter Meroth berichtet über »Die Gefangene der Maximilianstraße« - die Geschichte einer 35-jährigen behinderten Frau, die seit ihrer Geburt von ihren Eltern in einer Münchner Wohnung eingesperrt wurde.
    Die Handwerker, die sie entdeckten, hielten die schmächtige Frau für ein Mädchen. Eingesperrt in einer Wohnung. Wie Kaspar Hauser. In Münchens Nobelmeile. Passanten blieben stehen und gafften. Zwei Wochen lang berichteten die Zeitungen über »Die Gefangene der Maximilianstraße«. Dann schwand die Empörung und mit ihr das Interesse am Schicksal von Renate H. Seit 36 Jahren hatten die Eltern und die Schwester sie behütet und versorgt, plötzlich galten sie als Verbrecher, weil die Behörden hektisch reagierten und die Gesellschaft sich hilflos zeigte im Umgang mit ihren schutzbedürftigen Mitgliedern, aber sehr geübt darin, mit dem Finger auf sie zu zeigen. Das SZ-Magazin wollte der »Gefangenen« ihre Würde wiedergeben, die Hintergründe des Falles beleuchten, ihre Angehörigen zu Wort kommen lassen. Die Menschen verstehen. Ich gewann das Vertrauen der Familie. Und durch das Angebot, im Klinikum Haar mitzuarbeiten, konnte ich Renate H. durch verschiedene Stationen der Klinik und am Ende auch wieder nach Hause begleiten. Und so wurde ihre Geschichte zur Münchner Weihnachtsgeschichte 1991.

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    Moment 109: 2013

    Michael Krüger war viele Jahre lang der Leiter des Hanser Verlags - nach seinem großen SZ-Magazin-Interview zum Abschied in den Ruhestand bekommt er es mit merkwürdigen Blicken zu tun.

    Kürzlich saß ich im Berliner Bus H19 vom Grunewald in die Stadt und wurde von einer älteren Dame (also mein Alter oder ein Jahr älter), die mit ihrem Mann vor mir saß, angestarrt, in einer Weise, die mir peinlich war und die auch dem Mann peinlich war, der krampfhaft versuchte, seine eigene Frau, was vielleicht selten geschieht, in ein Gespräch zu verwickeln. Kurz vor der Schaubühne verriet sie den Grund ihres Starrens: »Ich habe Sie auf dem Cover des SZ-Magazins vor über einem Jahr gesehen und werde Sie niemals mehr vergessen, Sie haben etwas Dämonisches, habe ich zu meinem Mann gesagt, der nichts davon wissen wollte.« Mir fiel die Szene wieder ein: wie das Foto gemacht wurde, meine Ungeduld, die gar nichts Dämonisches hatte, und die Geduld des Fotografen, der meine Ungeduld genoss, weil dadurch etwas sichtbar wurde, was die Dame vor mir nicht mehr schlafen ließ. So bin ich dank des SZ-Magazins in die Träume wer weiß wie vieler alter Damen geraten, die nun ihren Männern vorwerfen, nicht so etwas schön Dämonisches zu haben wie ich. An der Schaubühne bin ich ausgestiegen und habe Richard den Dritten gesehen, der, weil er hässlich ist, bekanntlich alle anderen Menschen ausrottet. Ein dämonischer Mensch. Gottlob war es dunkel im Zuschauerraum, sodass keine der älteren Damen um mich herum erkannt hat, wer neben ihnen saß.

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    Moment 110

    Der Boxer Sven Ottke kann dem SZ-Magazin vor allem einen praktischen Nutzen abgewinnen.

    Wenn du so viel trainierst, wie ich das früher gemacht habe, sind die Boxhandschuhe natürlich immer von innen nass - durchs Schwitzen. Wenn wir im Gym waren, haben wir die Boxhandschuhe dann zum Trocknen meistens auf einen Haken gehängt. Aber wenn man unterwegs war, musste das anders gehen. Da die SZ und das noch saugfähigere Magazin überall erhältlich waren, egal ob in Hotels oder Trainingslagern, konnte man das alles in die Handschuhe stopfen, um die Feuchtigkeit rauszuholen. Bei der nächsten Trainingseinheit war dann alles wieder trocken. Insofern habe ich Zeitung und Magazin also nicht nur gelesen, sondern auch als Alltagshilfe genutzt.

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    Moment 111: 2013

    Unterwegs ins neue Leben: Die Drogeriekette Schlecker entlässt Tausende Mitarbeiter. Einige von ihnen gründen eigene Läden. Die Redakteurin Lara Fritzsche begleitet ein Jahr lang drei Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen.

    Frau Juhrich, im Sommer 2013 haben Sie Ihre eigene Drogerie »Drehpunkt« eröffnet. Gibt es den Laden noch?
    Ja. Auch wenn wir immer noch keine schwarzen Zahlen schreiben. Aber 2015 machen wir bisher fünfzig Prozent mehr Umsatz als im Vorjahreszeitraum. Anfang 2014 hätten wir fast aufgegeben. Wir saßen in unserem Mitarbeiterzimmer auf Plastikstühlen im Kreis und haben gesagt: »Noch einen Monat, und das war’s dann.«

    Und dann?

    Plötzlich zog es an. Wir haben mehr verkauft, die Leute kamen. Sie haben vermutlich einfach eine Weile gebraucht, um den Laden anzunehmen. Aus heutiger Sicht völlig klar. Aber damals waren wir sehr euphorisch, als wir endlich eröffnen konnten. Dass es danach problematisch weitergehen könnte, das hatten wir verdrängt.

    Sie wurden mit 58 Jahren arbeitslos. Heute stehen Sie jede Woche dreißig Stunden in Ihrer eigenen Drogerie. Was wäre, wenn Sie sich damals nicht getraut hätten zu gründen?
    Ich würde Saisonarbeit machen oder im Discounter an der Kasse sitzen. Obwohl, ich hätte vermutlich noch nicht mal so was gekriegt. Nach der Kündigung habe ich mich unnütz gefühlt. Als wir den Laden aufgebaut haben, nahm ich zehn Kilo ab und lag viele Nächte wach vor lauter Stress. Und als der Laden nicht lief, hätte ich mich am liebs-ten vergraben. Aber trotzdem ich würde alles wieder genauso machen.

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    Moment 112: 1995

    Die Autorin Antje Joel schreibt »Sag es. Damit es ein Ende hat«, eine dramatische Geschichte über Vergewaltigung und Inzest in einer Familie.

    Auf einmal rief Ulf Poschardt an, um mir zu sagen, ich sei für den Kisch-Preis nominiert (dabei war das die erste Reportage, die ich je geschrieben hatte). Ich bat ihn, am nächsten Tag noch einmal anzurufen, und sagte: »Ich liege gerade in den Wehen.« Später erfuhr ich: Er hatte gedacht, ich meinte, mit einer Geschichte. Tatsächlich gebar ich gerade meinen Sohn. Er ist jetzt fast neunzehn.

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    Moment 113: 1999

    Der spätere Chefredakteur Dominik Wichmann trifft Guido Westerwelle in Venedig - mit überraschendem Ergebnis.

    Es war der erste von vielen Magazinmomenten kommender Jahre, der Moment, als Guido Westerwelle sich an einem Vormittag im November 1999 in sein Ebenbild vertiefte. Wir standen an der Gartenmauer des »Grand Hotel des Bains«, das Morgenlicht der Adriasonne tauchte ganz Venedig und den Lido in ein helles, fast gleißendes Gelb. Westerwelle war säuerlich gewesen, als ich ihm einige Stunden zuvor einen weißen Anzug, ein rosa Hemd und hellbraune Lederschuhe auf sein Zimmer brachte: »Wollen Sie mich jetzt als Clown inszenieren?«, fragte er mich. »Dieses Outfit geht zu weit, junger Mann!« Wieder und wieder erklärte ich ihm, dass doch über Wochen hinweg alles mit ihm abgesprochen worden sei: die Anspielung auf den homosexuellen Gustav Aschenbach in Thomas Manns Tod in Venedig, der Anzug, das Hemd, die Schuhe, die Behutsamkeit eines Outings, das keines sein sollte, aber als solches wahrgenommen werden konnte. »Nein und abermals nein«, sagte Westerwelle, »so nicht.« Ich verließ das Zimmer und ging hinab in die Lobby. »Er hält sich nicht an das, was ausgemacht war«, sagte ich frus-triert zu André Rival, dem Fotografen, der extra aus Berlin eingeflogen war. André schwieg. Eine Minute, noch eine Minute. Irgendwann stand er auf und sagte: »Alter Fotografentrick. Komm mit.« Gemeinsam gingen wir zu Westerwelle. André Rival machte ihm den Vorschlag für ein Erinnerungsfoto. »Ein Polaroid, mehr nicht.« Westerwelle überlegte kurz und sagte dann zu: »Aber keinesfalls zur Veröffentlichung.« Westerwelle zog sich um, wir warteten vor dem Hotel. Einige Zeit später, das Bild war gemacht, nahm Westerwelle das Polaroid in die Hand und betrachtete es lange. »Ich finde, Sie dürfen sich gefallen«, sagte André Rival in die Stille hinein. Westerwelle lächelte - und gab das Foto frei.


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    Moment 114: 2004

    Bully Herbig hat ein Lieblings-Cover - natürlich aus ausschließlich kunsthistorischen Gründen.

    Von den insgesamt 1305 Titelseiten des SZ-Magazins ist mir eine besonders gut in Erinnerung geblieben: Größenverhältnisse, Farbgebung und Ausdruck sind hier zeitlos und brillant. Gegen die Tendenz des Naturalismus, eher symbolistisch abstrakt. Deshalb hängt dieses Meisterwerk zu Recht bei uns zu Hause an der Decke über dem Bett.

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    Moment 115: 2000

    Das SZ-Magazin druckt Fotos von Konrad R. Müller, die zu wilden Diskussionen führen. Der damalige Redaktionsleiter und spätere Geschäftsführer Rudolf Spindler hält den Abdruck dennoch für richtig.

    Er fühlte sich missverstanden, zu wenig gewürdigt, zu Unrecht abgestempelt als der ewige »Kanzlerfotograf« mit seinen Schwarz-Weiß-Porträts von Adenauer, Brandt, Kohl, Schröder. Dabei war Konrad R. Müller, als er uns im Sommer 2000 wieder mal in der Redaktion besuchte, der vielleicht wichtigste Porträtfotograf Deutschlands und gerade damit beschäftigt, zu seinem 60. Geburtstag eine erste große Retrospektive seiner Werke vorzubereiten. Terra Cognita sollte die Ausstellung im Kronprinzenpalais Unter den Linden heißen. Und kein anderer als sein Kumpel Gerhard Schröder, damals seit zwei Jahren Bundeskanzler, war von ihm dazu ausersehen worden, die Eröffnungsrede zu halten. Gezeigt werden sollten bereits veröffentlichte Aufnahmen, darunter viele aus dem SZ-Magazin, aber auch unbekanntes Material. Müller legte es auf den Bürotisch meines Kollegen Jan Weiler, und augenblicklich verstummte unser bis dahin lebhaftes Gespräch: Vor uns lagen acht Fotos von totgeborenen missgebildeten Embryonen in Schwarz-Weiß. Verwachsene Kinderköpfe mit nur einem Auge, entstellte Köper ohne Beine, im gleichen Sinn für das Menschliche dargestellt wie die für Müller typischen Porträts von Politikern und anderen Prominenten. Keine Gruselbilder, obwohl sie von Präparaten aus dem Medizinhistorischen Museum der Charité stammten. So im Tageslicht fotografiert, dass von den Glasbehältern nichts zu erkennen war, sahen wir vor uns leblose Wesen, denen Müllers Bildsprache eine Würde gab. Diese Kunst war es, die meine Kollegen Dominik Wichmann, Jan Weiler und mich so sehr berührte, dass wir uns spontan entschlossen, die Fotos in Heft 40/2000 zu veröffentlichen, zusammen mit einem Text von Roger Willemsen. Unsere Titelgeschichte mit der Zeile »Was ist Leben?« wollte sich auch in die damalige Gen-Debatte einschalten, in der Positionen vernehmbar waren, die sich im Falle von Missbildungen grundsätzlich für Abtreibung aussprachen. Naturgemäß gab es Diskussionen in der Redaktion. Manche Kollegen zeigten sich nicht damit einverstanden, Fotos von Föten zu veröffentlichen. So waren wir Redaktionschefs argumentativ gut vorbereitet auf Dutzende von Anrufen und Briefen, die uns nach der Veröffentlichung erreichten. Man warf uns Voyeurismus vor und fragte: Ist bei euch erlaubt, was Sensation verspricht? Habt ihr eigentlich bedacht, was werdende Eltern bei solchen Fotos empfinden, wenn sie von ihrem Arzt die Diagnose erhalten haben, ihr Kind leide an einem unheilbaren Schaden und sei womöglich nicht lebensfähig? Der Aufruhr war groß. Tagelang durfte ich Briefe beantworten und mit aufgebrachten Lesern telefonieren. Und so erhoffte ich mir bei der Ausstellungseröffnung in Berlin wenigstens ein paar Worte des Dankes für unser Wagnis. Vor dem Kronprinzenpalais angekommen, lief mir Konrad R. Müller jedoch laut schimpfend entgegen. Er zeigte auf mich und rief: »Der ist schuld, der ist verantwortlich, dass die Fotos im Druck so schlecht herausgekommen sind. Eine Katastrophe!« Minutenlang konnte er sich nicht beruhigen. Jede Gegenrede stachelte seinen Ärger noch mehr an. Das änderte sich zunächst auch nicht, als plötzlich Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer neben uns standen, die zu Fuß zum Kronprinzenpalais gekommen waren. Schröder war es, der die peinliche Situation schließlich entkrampfe, indem er seinen Arm um Müller legte und meinte: »Wir mögen dich, wie du bist, lieber Konrad.« - In der Ausstellung Terra Cognita waren Müllers Embryonen-Fotos übrigens in einem eigenen Raum zu sehen. Titel: Terra Incognita - unbekanntes Land.



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    Moment 116: 2008

    Bis zum letzten Schlag: Wolfgang Budig liegt im Krankenhaus und wartet auf
    seine Herztransplantation. Reporter Bastian Obermayer besucht ihn über viele Wochen immer wieder und schreibt die Geschichte eines Mannes zwischen Leben und Tod. Budig liest die Reportage heute mit gemischten Gefühlen.

    Die Ausgaben mit der Geschichte meines Herzens liegen im Keller. Ich kann nicht oft darin blättern, mich packt es jedes Mal wieder. Außerdem ist es ein komisches Gefühl, den Moment nachzulesen: Ich bin dem Tod näher als dem Leben - und ein Reporter steht neben meinem Bett. Aber gleichzeitig waren die vielen Gespräche mit einem bis dahin wildfremden Menschen wohltuend. Da musste ich nicht auf Gefühle Rücksicht nehmen, wenn mich die Warterei angekotzt hat und ich keine Lust mehr auf das alles hatte. Seiner Frau sagt man ja ungern, dass es einem scheiße geht - weil man weiß, wie sie sich sorgt. So gesehen war es fast schon eine Art Therapie. Gleichzeitig hatte ich auch Mitleid mit dem Reporter, immerhin ist der 1860-Fan, das ist ein lebenslanger Kampf, und man kann sich ja nun keinen neuen Verein transplantieren lassen.

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    Moment 117: 2015

    Hubert Burda gibt Michael Ebert und Sven Michaelsen ein ausführliches Interview zu seinem 75. Geburtstag.

    Liebes SZ-Magazin, am eigenen Leib musste ich erleben, wie frech und unverfroren ihr seid, wie raffiniert und gerissen, wie wild und gefährlich, wie klug und amüsant … Aber ich war auch nicht so schlecht! Alles Gute zum Geburtstag!

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    Moment 118: 2012

    Gipfeltreffen Schöne Tradition: Das SZ-Magazin bringt Menschen zusammen - Freunde, Gegner, Kollegen und Kontrahenten.

    Die Politiker Claudia Roth und Günther Beckstein treffen sich zum Gespräch. Für das Foto steigen sie in ein Boot auf dem Kleinhesseloher See. Der Fotograf Bert Heinzlmeier weiß seitdem, dass man einen CSU-Mann und eine Grünen-Frau nicht einfach so nebeneinandersetzen kann, es gibt da immer erst mal Diskussionsbedarf.

    Nach einem langen schönen Sommer war ausgerechnet dieser Tag komplett verregnet. Der Boots-verleiher am Kleinhesseloher See hatte sich auf seinen ersten freien Tag mit Kind gefreut, weil bei Regen niemand Boot fährt. Ich musste ihn mit mehreren Anrufen nötigen, zum See zu kommen und uns ein Boot zu vermieten. Claudia Roth kam gerade von einem Termin auf dem Oktoberfest und war bestürzt, dass sie bei dem Wetter in ein Boot steigen sollte. Beckstein immerhin war ziemlich entspannt und zu allem bereit. Aber dann gings los: Welche Farbe darf das Boot haben? Ist ja hoch-politisch. Grün? Rot? Schwarz war nicht verfügbar. Das geringste Übel war schließlich grün-blau. Dann die Frage: Wer übernimmt das Steuer? Roth setzte sich durch. Und kaum saßen die beiden im Tretboot, sind sie so schnell losgestrampelt, dass meine Assistentin und ich zehn Minuten gebraucht haben, um sie wieder einzuholen.

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    Moment 119: 1994

    Ernst Jandl und Blixa Bargeld

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    Moment 120: 1992

    Peter Radtke und Wolfgang Schäuble

    Fotos: Martin Parr / Magnum Photos / Agentur Focus; Barbara Dombrowski, Tina Hager; Andreas Nestl, Tanja Kernweiss, Colourbox, André Rival, Michael Herbig; Konrad R. Müller, Andreas Nestl; Bert Heinzlmeier, Eva Leitolf, Konrad R. Müller