»Als Kind übte ich auf einer Papier-Tastatur«

Nach zehn Jahren Leitung der Hamburger Oper hat die Dirigentin Simone Young nun wieder Lust auf Freiheit. Ein Gespräch über Melodien, die im Schlaf kommen, und überschätzte Premierenabende.

Neben der Arbeit lernt Simone Young Russisch – und strickt: Seit die andere Großmutter dem gemeinsamen Enkelkind eine Decke gestrickt hat, ist ihr Ehrgeiz erwacht.

Simone Young in den Kulissen der Oper. Noch viel mehr Zeit verbringt sie in ihrem Büro - und natürlich im Orchestergraben.
SZ-Magazin: Sie gelten als Wagner-Fan. Was begeistert Sie so an ihm?

Simone Young: Als ich anfing, Wagner zu dirigieren, war ich neu in der Szene. Das war unerhört: Junge australische Frau dirigiert Ring-Zyklus in Berlin und Wien! Als würde ein Hund eine Geige in die Hand nehmen und Tschaikowsky spielen. Darum ist so viel darüber geschrieben worden. Aber ja, ich liebe Wagner. Der Ring, Parsifal, Tristan sind Werke, mit denen man sich lange beschäftigen kann und trotzdem nur bis in die zweite oder dritte Schicht vordringt. Es sind zwanzig Schichten darunter. Für das kommende Jahr habe ich mir eine Pause von Wagner verordnet, das erste Mal in mehr als zwanzig Jahren. Ich muss mich von ihm befreien, um tiefer in sein Werk eindringen zu können.

Sie verlassen die Hamburger Staatsoper nach zehn Jahren als Intendantin und Generalmusikdirektorin des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. Ein Knochenjob?
Ich würde sagen, ja. Man braucht Ausdauer, gute Gesundheit, Willenskraft – und positive Energie. Denn wenn der Chef nicht glaubt, es klappt, wer dann? Ich bin Australierin, und wir haben immer noch diese Pioniermentalität: Wenn man etwas nicht dabei hat, was man braucht, um etwas zu realisieren, improvisiert man und schafft es trotzdem – vielleicht wird es sogar besser. Unser Motto ist: The show must go on. Meine Eltern gehören noch zu der Generation, die wirklich gekämpft hat. Sie sind heute 94 und 91.

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Sie sind irisch-kroatischer Abstammung. Wie kamen Ihre Eltern nach Australien?
Meine Mutter zog mit fünf Jahren aus Kroatien nach Australien, ihre Familie war richtig arm. Ihr Vater arbeitete in den Goldminen, und sie wurde aus der Schule genommen, sobald sie alt genug war, um auf Farmen zu arbeiten. Mein Vater ist in Australien geboren, sein Vater stammte aus Irland und arbeitete in Australien beim Eisenbahnbau, dann als Feuerwehrmann. Beide Familien haben immer daran geglaubt, dass Bildung ein Weg aus der Armut ist. Und unsere Generation hat die Früchte geerntet. Ich habe im Jahr 2000 beim Dubrovnik Festival die Zagreber Philharmonie dirigiert und meine Mutter aus Australien eingeflogen. Wir traten in einer wunderschönen Kirche auf. Brahms’ vierte Sinfonie und sein erstes Klavierkonzert. Meine Mutter hat die ganze Zeit geheult. Meine Großmutter war Analphabetin – und dann verwirklicht die Enkelin den Auswanderertraum. Australien ist voll von solchen Geschichten.

Hatten Sie eine dieser typisch australischen Kindheiten: Strand, Surfen, BBQ?
Ich bin in Manly aufgewachsen, einem Stadtteil von Sydney mit einem langen Strand. Wenn man so groß wird, denkt man, jede Stadt müsste so aussehen. Weite Horizonte, überall sieht man aufs Wasser, und das Licht! Als ich die Winterfarben hier in Europa sah, die Bäume ohne Blätter, das war erschreckend. Bei uns sind die Bäume immergrün. Doch als der Sommer nach Deutschland kam und mit ihm das frische Grün, war das eine ganz neue Farbe für mich. Ich ging als Kind auf eine sehr vornehme Mädchenschule, wir wurden von Nonnen unterrichtet. Ich habe Latein gelernt, Geschichte, Mathematik auf höchstem Niveau. Ich war immer erst abends surfen, weil der Tag voll war mit anderen Dingen. Deswegen habe ich weniger Falten als die meisten australischen Frauen meines Alters. Obwohl ich, wie alle meine Freundinnen, meine Schulbücher mit Alufolie überzog und sie in der Mittagspause unter mein Gesicht hielt, um noch brauner zu werden.

Wie findet man am Strand von Manly zur klassischen Musik?
Mein Vater hat eine sehr poetische Seite, er hat mir die Liebe zur Literatur und Kunst mitgegeben. Immerzu hat er Radio gehört, er sammelte sein Wissen nur übers Radio. Das hat mich unglaublich beeinflusst und geprägt. Er liebte die Impressionisten, in der Malerei wie in der Musik. Er ging in einen Laden und kam mit Debussy-Noten für mich nach Hause.

Hatten Sie ein Klavier zu Hause?
In den ersten drei Monaten, die ich Klavierunterricht hatte, nicht. Da bekam ich eine Papiertastatur, weil ich unbedingt Klavier lernen wollte, aber kein Geld für ein Klavier da war. Meine Mutter war auch nicht begeistert. Sie wollte unbedingt, dass etwas aus mir wird. Ärztin. Oder Juristin. Was willst du mit der Musik, hat sie ständig gefragt. Sie empfand es als eine Art Verrat, dass die Nonnen mir diesen Weg öffneten.

Diese Papiertastatur, haben Ihre Eltern die Ihnen gebastelt?

Die gab es zu kaufen, die war spottbillig.

Wie haben Sie geübt, ohne zu hören?
Fingerübungen, das ging sehr gut. Und einmal in der Woche hatte ich Unterricht, da habe ich auf einem echten Klavier gespielt. Nach drei Monaten hat die Lehrerin gesagt, ihr müsst dem Kind ein Klavier kaufen. Ich bekam ein ganz schreckliches Ding, das fünfzig Pfund gekostet hatte.

Wie alt waren Sie da?
Sechs. Das Ding habe ich ein paar Jahre gehabt, und als meine Eltern sicher waren, dass die Musik keine kurzfristige Leidenschaft ist, bekam ich ein echtes Klavier. Das habe ich immer noch.

Und die Papiertastatur?
Beim letzten Umzug war sie noch da. Ich bin furchtbar sentimental in solchen Dingen, ich hebe alles auf. Stuart Challender, ein phänomenaler Dirigent in Sydney und 1991 einer der ersten Aidstoten Australiens, hat mir mal seine Partitur von Mahler 2 geschenkt. Auch die habe ich gerade wiedergefunden. Challender war schuld daran, dass ich nach Deutschland ging. Er sagte ständig: Ab nach Deutschland mit dir. So habe ich es gemacht. Ich bin mit 25 nach Köln.

Wollten Sie ursprünglich Pianistin werden?
Nicht wirklich. Ich war nicht diszipliniert genug, die Stellen immer wieder zu üben, die ich nicht konnte. Ich wollte lieber neue Stücke lernen. Wir hatten keinen Plattenspieler zu Hause. Wenn ich was hören wollte, musste ich es selbst spielen. Ich ging auf Trödelmärkte auf der Suche nach Klaviernoten. Ich erinnere mich an keine Zeit, in der ich die Noten nicht genauso lesen konnte wie geschriebene Sprache.

Sie haben nach der Schule erst mal Komposition studiert.
Aber mir wurde schnell klar, dass mir das Komponieren zu einsam war. Ich wollte mit anderen Menschen Musik machen. Es gibt nichts Schöneres als das Zusammenspiel mehrerer Musiker. Und Gesang. In meinen ersten Jahren auf der Musikhochschule entdeckte ich die Lieder. Schubert, Schumann, Wolf, Brahms selbstverständlich, Beethoven, Mahler. Weil ich so gut vom Blatt spielen konnte, habe ich all die Sänger begleitet. Als ich von zu Hause auszog und meinen Lebensunterhalt verdienen musste, habe ich für Laien-Operngruppen gespielt. Ich kam schnell vom Spielen zur Chorleitung und dann zum Dirigieren. Da war ich noch nicht einmal zwanzig.

In Deutschland haben Sie dann vier Jahre bei Daniel Barenboim assistiert. Hat er Sie eingeschüchtert?
Klar. Er war einer der großen Helden meiner Kindheit. Wir kannten uns nicht und trafen uns in Bayreuth, ich war dorthin empfohlen worden. Das erste Mal, als ich für ihn Klavier spielen musste, dachte ich, ich müsste vor Angst sterben. Barenboim ist einer der größten, bedeutendsten Köpfe unserer Zeit. Und er hat Humor. Er hänselt einen gern, das ist sehr lustig, vor allem für die anderen. Aber er schätzt Fleiß und den Wunsch, immer noch besser sein zu wollen.

Sie meinen: Ehrgeiz?
Es ist eher ein inneres Bedürfnis, das man den Werken gegenüber verspürt. Sie gehören zu den größten Dingen, die jemals geschaffen wurden. Wenn das innere Bedürfnis weggeht, diesen Werken gerecht werden zu wollen, ist es Zeit, etwas anderes zu machen.

Sie haben dann sogar die Wiener Philharmoniker dirigiert, in deren Orchester keine Frau erlaubt war.
Das war in den Gesetzen so verankert. Ich kam 1993 dahin, mit den besten Referenzen von Barenboim, und habe dann meine größten Erfolge in Wien gefeiert. Aber wenn man mit den Orchestermitgliedern spricht, sagen sie noch heute, wie überrascht sie waren, dass es so etwas gab: eine Frau, die dirigieren konnte. Wobei ich glaube, dass das weniger mit dem Frauenthema zu tun hatte als mit Tradition.

Was muss man vor allem können, wenn man dirigiert?
Man muss so ein starkes, klares Bild des Klanges haben, den man erwartet, dass es keinen Platz für Missverständnisse gibt. Wenn das Klangbild im Kopf da ist, kann ich das vermitteln, ohne etwas zu sagen. Nur mit meinen Händen. Das ist die Kernfrage des Dirigierens: Was will ich hören? Und nicht: Wie zeige ich das?

Die besten Aufführungen sind immer die letzten.

Neben der Arbeit lernt Simone Young Russisch – und strickt: Seit die andere Großmutter dem gemeinsamen Enkelkind eine Decke gestrickt hat, ist ihr Ehrgeiz erwacht.

Wie wichtig ist die Technik beim Dirigieren?
Jeder Dirigent arbeitet ein Leben lang technisch an sich, aber man hat gute Hände oder man hat sie nicht. So wie man eine gute Stimme hat oder eben nicht. Es gab einen Moment gestern in der Probe von Boccanegra, da dachte ich, ich habe dem Orchester noch nicht gesagt, dass ich an der Stelle ein bisschen nachgeben möchte. Aber es war so klar für mich, dass sie es gemacht haben. Man muss als Dirigent auch sehr eins sein mit dem eigenen Körper. Es gibt große Köpfe, aber die Verbindung zwischen dem Kopf und den Händen kriegen sie nicht hin.

Wie fühlen Sie sich vor einer Premiere?
Ich hasse Premieren. Sie entscheiden über alles, was mit einem Stück geschieht, wie es aufgenommen wird, wie es weiterlebt, wie viele Karten verkauft werden. Das ist unnatürlich. Man hat sechs Wochen im Team daran gearbeitet, Jahre drüber nachgedacht, und an einem Abend entscheidet sich alles. Die besten Aufführungen sind immer die letzten.

Sind Sie nervös?
Nur wenn ich das Gefühl habe, etwas ist noch nicht ganz fertig. Die Nervosität bekämpfe ich mit Routine, mit meinem Zeitplan vor einer Aufführung: Meditation, Tee trinken, in die Ferne schauen, Mind Games spielen, also Spiele am Computer, die den Kopf auf Trab bringen. Ganz kurz vor der Vorstellung gehen mir dann die Nerven durch, mir ist übel, ich rede zu schnell, mein Herz schlägt zu schnell, ich muss mich beruhigen, sonst ist mein Tempogefühl durcheinander. Wenn ich in den Graben laufe, ist alles gut. Ich bin konzentriert. Was war, was kommt, existiert nicht mehr. Das ist das Schöne an Liveaufführungen. Nach der Vorstellung sind wir entweder euphorisch oder depressiv. Dazwischen gibt es nichts.

Liegen Sie manchmal wach und denken darüber nach, wie Sie den nächsten Tag schaffen sollen?
Gar nicht. Ich bin mittlerweile wahnsinnig diszipliniert, was Problemlösungen und Organisation angeht. Wenn es drei Uhr morgens ist und ich etwas nicht vor zehn Uhr lösen kann, denke ich nicht mehr daran. Wenn ich es lösen kann, stehe ich auf und löse es.

War das mal anders?
Natürlich, vor 15 Jahren, als ich an der Oper in Sydney als Chefin anfing. Ich habe gekämpft, bis ich mir gesagt habe, du darfst diese mentale und emotionale Energie nicht verschwenden. Ich habe damals die persönliche Assistentin des scheidenden Intendanten übernommen, Wendy. Sie war 35 Jahre in dem Job und hat mir die vier Ds beigebracht: »Do it, dump it, delegate it, or decide when you are going to do it.« Jedes Mal, wenn man ein Papier in die Hand nimmt, gibt es nur die vier Optionen. Mach es, wirf es weg, delegiere es oder entscheide, wann du es erledigst. Was nicht geht in so einem Job: Das Papier auf die andere Seite des Schreibtisches zu legen, weil es einem gerade zu schwer ist.

Also schlafen Sie gut.
Nein, aber es ist die Musik, die mich wach hält. Eine Passage aus der Tschaikowsky-Sinfonie, die ich am Abend dirigiert habe. Davon werde ich wach.

Sie werden von einer Melodie wach?
Die Melodie findet ihren Weg in mein Ohr. In meinen Kopf, wie ein Ohrwurm. Man ist sehr intensiv dabei, hat die Partitur im Kopf, und der Kopf verarbeitet das noch weiter. So stark, dass die Musik im Inneren erklingt.

Wovor fürchten Sie sich, außer vor Barenboim und Premieren?
Vor Misserfolg. Vor Peinlichkeiten. Davor, ungewollt Leute zu verletzen. Ich glaube, ich bin eigentlich ein ganz guter Mensch. Aber es kommt vor, dass ich, eine halbe Stunde nachdem ich etwas gesagt habe, denke, Mensch, das war vielleicht nicht in Ordnung.

Wie richten Sie das wieder?
Sofort ansprechen. Ich finde es nicht schlimm, mich zu entschuldigen, auch wenn ich die Chefin bin. Im Gegenteil. Und ich habe Angst vor den Dingen, vor denen Frauen meines Alters Angst haben: dass man eines Tages überflüssig wird. Die Kinder gehen aus dem Haus. Und es gibt noch keinen weiblichen Dirigenten mit weißen Haaren. Wie wird das sein, wenn ich aufhöre, mir die Haare zu färben, und alt aussehe?

Sie haben zwei Töchter. Hat Ihr Mann die Kinder die meiste Zeit gemanagt?

Bei Yvann, unserer älteren Tochter, haben wir es uns geteilt, da war ich in Köln angestellt als Kapell- und Repetitorenmeisterin. Ich habe morgens geprobt, da hatte er sie, um eins habe ich übernommen, er hat nachmittags unterrichtet, und ich brachte sie ihm wieder, wenn ich abends Probe oder Vorstellung hatte. Wir beide haben uns kaum gesehen, aber das Kind war wohlauf. Zehn Jahre später kam Lucie. Ich stand wieder am Pult, als sie zehn Tage alt war. Ich hatte mittlerweile Hilfe, habe sie aber sechs Monate lang voll gestillt, und wir waren in den ersten drei Jahren zwar überall auf der Welt, aber keine Nacht voneinander getrennt. Wenn ein Baby zahnt, und Sie debütieren am nächsten Tag mit den New Yorker Philharmonikern – das ist nicht lustig. Doch ich wollte Kinder haben, und ich wollte diesen Beruf haben. Was zu kurz kam, war der Schlaf. Als wir 2005 nach Deutschland zurückgingen, war Lucie acht. Mein Mann hat seine Stelle dann aufgegeben.

Hatten Sie mit ihm je Gleichberechtigungsdiskussionen?

Das war nie ein Thema. Ich habe meinen Mann mit zwanzig geheiratet und bin immer noch mit ihm zusammen. Unglaublich. Oder? Er ist Lehrer, unterrichtet Sprachen. Als wir zusammenkamen, war ich noch Studentin und er Leiter seiner Fachschaft an einem der besten Gymnasien in Sydney. Eine weitere Karriere hat ihn nicht interessiert. Er wollte unterrichten, nicht verwalten. Er ist leidenschaftlicher Lehrer. So konnte er mit mir kommen und unterrichten, teilweise mit einer halben Stelle, damit er für die Mädels Zeit hatte.

Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Ihren Töchtern?

Fantastisch. Dafür bin ich sehr dankbar. Das hätte auch anders kommen können. Es ist natürlich immer wieder schlimm für uns alle, wenn ich bei wichtigen Anlässen nicht dabei sein kann. Lucie hat jetzt Schulabschluss, ich dirigiere an dem Tag in Zürich. Aber ich werde nach England fliegen, um ihr Abschiedskonzert zu erleben. Innerhalb von acht Stunden hin und her, es wird wahnsinnig knapp, hoffentlich ohne Verspätungen.

Haben Sie zu Ihrem Familienmodell böse Sprüche gehört?

Klar. Rabenmutter! Yvann wurde 1987 in Deutschland geboren. Da war ich eine Ausnahme, es gab kaum Frauen, die nach acht Wochen wieder arbeiteten, während der Mann zu Hause blieb und Erziehungszeit nahm. Lucie wurde 1997 in England geboren, wir gehörten mittlerweile einem anderen Milieu an, ich war umgeben von Juristinnen und Ärztinnen, die schnell nach der Geburt ihrer Kinder wieder gearbeitet haben. Aber ich glaube, es war einfacher für mich, diesen Beruf zu wählen, diesen Weg zu gehen und in Deutschland, Österreich und Frankreich erfolgreich zu sein, weil ich ein Känguru war, ein Exot: Australien war damals noch viel weiter weg als heute, insofern durfte ich anders sein. Bis vor zehn Jahren kamen alle Frauen, die in Deutschland als Dirigentinnen gearbeitet haben, aus anderen Ländern: Australien, Amerika, Russland, Korea.

Sind Sie in Australien als Frau in Ihrem Berufswunsch bestärkt worden?
Als ich anfing zu dirigieren, sagte mein damaliger Vorgesetzter: Sie sind hochbegabt, Sie könnten eine internationale Karriere als eine der besten Assistentinnen machen – aber Sie werden keine Karriere als Dirigentin machen, das kann nicht klappen. Ich war damals noch so naiv, dass ich das nicht als sexistische Bemerkung aufnahm, was es selbstverständlich war, sondern als Ansporn. Noch früher hatte mir eine Musiklehrerin gedroht, aus dir wird nichts. Ich hatte ihren Kurs verlassen, weil er so langweilig war. Neulich war ich auf einem Treffen in Berlin, »Global Female Leaders«, lauter interessante Frauen, viele aus meiner Generation und viele Mitte dreißig, Anfang vierzig. Sie sagten: Die Frauen meiner Generation waren die Ersten, die durch die Tür sind. Unsere Aufgabe war, zu beweisen, dass es machbar ist. Die, die folgen, müssen das Netzwerk bilden und die Tür aufhalten.

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Simone Young, Dirigentin
Sie dirigierte an den führenden Opernhäusern weltweit: der Wiener Staatsoper, der Opéra Bastille in Paris, dem Royal Opera House Covent Garden in London, der Met in New York. Seit 2005 ist Simone Young Intendantin und -Generalmusikdirektorin der Hamburger Staatsoper, zum Ende dieser Spielzeit hört sie auf. So beliebt sie war, so sehr wurde sie oft kritisiert. Spektakulär: die Inszenierung 2009, in der sie Brahms vom Turm des Hamburger Michel aus dirigierte und die Musiker an 50 Standorten in der Stadt spielten. Young hat zwei erwachsene Töchter, die in London leben. Im Herbst ziehen Young und ihr Mann in die Nähe der Töchter - und sie dirigiert wieder in aller Welt.

Fotos: Armin Smailovic