Flaschenpost

Was geschieht mit verschenktem Champagner? Unsere Autorin hatte einen Verdacht. Sie hörte sich um, stieß auf Schweigen - und ging die Sache detektivisch an.

Illustrationen: Satoshi Hashimoto

Dass man mit Champagner was falsch machen kann, ist auch eher neu. Aber:
1. Ich habe es gemacht.
2. Ivanca hat es gemacht.
3. Lorenz entdeckte, dass es andere mit ihm gemacht hatten.
4. Christiane macht es ständig, gut gelaunt.
5. Friedrich Rost, FU Berlin, hat sich wissenschaftlich damit beschäftigt.
6. Fritz J. Raddatz beklagte sich, dass er keinen Champagner geschenkt bekam.
7. Marie hat es gemacht, weiß aber nicht, dass ich es weiß.

1. Kapitel: 
Mir ist die Geschichte peinlich, aber es nutzt ja nichts: Wir waren zum Abendessen eingeladen, zwei Jahre mag es her sein, ich sagte zu meinem Mann: »Der Blumenstrauß allein ist etwas mickrig, haben wir nicht noch irgendwo Champagner, den wir Ivanca mitbringen können?« Ivanca heißt anders, wie alle, die hier nur mit Vornamen genannt werden – ich will sie ja nicht in die Pfanne hauen. Im Regal über der Garderobe fand ich eine Flasche Louis Roederer im braun-metallic schimmernden Karton. Ich googelte: Louis Roederer Brut Premier kostet knapp 40 Euro – nicht zu teuer, nicht zu billig, passte. Ich hatte ja schon lange den Verdacht gehegt, dass Champagnerflaschen der mittleren Preisklasse eine Art gehobener Wanderpokal geworden sind, die man geschenkt bekommt; und statt sie zu trinken legen sie viele irgendwo zur Seite, bis ihnen meistens in letzter Minute einfällt, dass man den Champagner als Gast-geschenk brauchen kann. Aber ich fand keine Anhänger meiner Theorie, im Gegenteil: »Nöööö«, sagten alle, »wir trinken den selbst.« Die arme Ivanca wurde mein Versuchskaninchen. Ich malte einen winzigen Strich auf die Unterseite des Kartons.

2. Kapitel:
Bevor ich auf Ivanca zurückkomme, muss ich erklären, dass ich hier nicht von sogenannten Billigchampagnern spreche, in vielen Supermärkten die Eigenmarken, deren Namen keiner kennt. Da diese Flaschen ohne Karton verkauft werden, schenkt kaum einer sie weiter – wer will schon als geizig gelten? Was auffiel: Kaum sicherte ich jenen Leuten, die es weit von sich gewiesen hatten, Champagner weiterzuverschenken, zu, nicht ihren richtigen Namen zu nennen, sprudelten die Geschichten nur so aus ihnen heraus. Nicht aus allen, aber aus vielen. Ivanca jedenfalls hat den Louis Roederer auch nicht selbst getrunken, sondern jemandem geschenkt. Ich weiß nicht, wem, aber so viel steht fest: nicht meiner Freundin Marie (Kapitel 7), denn die beiden kennen sich nicht.

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3. Kapitel:
Lorenz, mit dem ich studiert habe, wollte das Hochzeitsgeschenk für ein befreundetes Paar persönlicher gestalten und schrieb auf das Etikett von drei Champagnerflaschen »Für Ben« und auf die anderen drei »Für Katie«, dann verschloss der Weinhändler den Karton. Kürzlich bekam er zu seinem Geburtstag exakt diesen Karton von Ben und Katie zurück. Ungeöffnet. Lorenz bedankte sich herzlich – und sagte: nichts. So gehört sich das, man blamiert niemanden, so haben wir das gelernt. Bei Geschenken spielen wir alle Bullerbü, wahren den Schein einer heilen Welt, in der ein Geschenk mit Liebe und Bedacht ausgesucht wird und der Beschenkte sich aufrichtig zu freuen scheint, egal wie schnell er es anschließend wegpfeffert. Was für Champagner gilt, gilt auch für Rotwein, der zählt im Gegensatz zu Weißwein als etwas Besonderes – was im Einzelfall, zumal bei einem Weinkenner, ja gar nicht stimmen muss. Es geht aber nicht darum, was ein Geschenk gekostet hat, sondern darum, welchen Wert der Schenker und der Beschenkte ihm zumessen. Und daran ist nichts auszusetzen. Bleibt die Frage, warum man geschenkten Rotwein eher selbst trinkt als Champagner. Schon den Gedanken, sich allein eine Flasche aufzumachen, umweht eine gewisse Traurigkeit; eine angebrochene Flasche müsste man obendrein wegschütten, weil die Kohlensäure verfliegt. Rotwein dagegen umgibt eine Aura von Intimität, man trinkt ihn allein oder zu zweit, zumal wenn man nur eine Flasche davon hat. Mit Champagner assoziiert man Anlässe zum Feiern. Mit vielen. Einladungen sind auch Feiern. Mit vielen anderen.

4. Kapitel:
Wer meine Kollegin Christiane kennt, weiß, dass sie viel eingeladen wird und dass sie selbst oft zu sich nach Hause einlädt. Da gehen munter die Champagnerflaschen hin und her: Sie kriegt welche geschenkt, sie verschenkt welche, manchmal schenkt sie auch welche aus, wie es gerade kommt. Sie kann darin überhaupt nichts Schlechtes finden und glaubt nicht, dass ein Geschenk an Wert verliert, nur weil es nicht selbst gekauft wurde: »Irgendwer hat ja mal Geld dafür ausgegeben. Und ich bin heilfroh, wenn ich keine Vase oder so was kriege, die meine Wohnung noch mehr vollstopft.« Sie geht noch einen Schritt weiter: »Im Grunde möchte ich eigentlich, dass meine Gäste was mitnehmen bei mir. Damit ich anschließend weniger habe, nicht mehr. Aber wenn schon ein Geschenk, dann bitte was Vergängliches. Kein Buch, das ich aufheben muss – noch schlimmer: ein selbst geschriebenes Buch mit Widmung, das ich nicht mal weiterschenken kann.«

So gesehen ist Champagner ein modernes Geschenk, wenn viele, jedenfalls Gutverdiener über vierzig, von »Downsizing« sprechen, weil sie das Gefühl haben, von allem zu viel zu haben. Eine andere Reaktion auf dieses Gefühl ist in der Welt der Mitbringsel das Selbstgemachte geworden: Marmeladen mit ausgeschnittenem Stoffhäubchen auf dem Deckel, selbst angesetztes Knoblauchöl in einer niedlichen Flasche. Ja, da hat sich einer Mühe gegeben. Mühe zählt so viel wie Geld. Und man kann die Marmelade essen. Oder weiterverschenken. Aus der Mode gekommen, obwohl auch vergängliche Geschenke, sind hingegen Prosecco, Duftkerzen und gehobene Badesalze oder Seifen: Prosecco hat inzwischen ein Billigheimer-Image, die Kerze einen Ruch von Esoterik, und bei der Seife ist die Gefahr groß, dass der Beschenkte eine Nebenbotschaft heraushört: Du findest also, ich sollte mich öfter waschen?

5. Kapitel:
Wann wird aus einer Ware, die jeder im Laden kaufen kann, ein Geschenk? Diese Frage beant-wortet die Wissenschaft, die das Schenken untersucht hat, so: Wenn es in Geschenkpapier eingewickelt und mit warmen und oft erklärenden Worten dem Beschenkten übergeben wird. »Klar ist, dass man die Wertschätzung, die in einem Geschenk zutage treten kann, sich im Laden nicht selbst kaufen kann«, sagt Friedrich Rost, Erziehungswissenschaftler und Psychologe. Er hat sich an der FU Berlin eingehend mit dem Schenken befasst. Was also signalisiert eine Flasche Champagner, die zwar im Karton, aber meistens ohne Schleife und Geschenkpapier überreicht wird? Dass es sich hier um kein Geschenk im tieferen Sinn handelt, sondern um eine Aufmerksamkeit: Hätte ich sie selbst gekauft, hätte ich sie wohl auch eingewickelt. Und diese kleine psychologische Hilfe ermöglicht es uns wieder, die Flasche weiterzuverschenken, unverpackt.

Schenken ist ja eine hochkomplizierte Angelegenheit. Es fing mal an mit Gaben, die man den Göttern schenkte, um sie gnädig zu stimmen, veränderte sich über die Jahrhunderte, war und ist abhängig davon, in welchem Kulturkreis und welcher sozialen Schicht man lebt. Geblieben aber sind ein paar unausgesprochene Regeln: Dass man neue Kleidung zum Beispiel nur innerhalb der Familie verschenkt; oder dass Geldgeschenke einen schlechten Ruf haben, aber wenn schon Geld, darf es nur von oben nach unten geschenkt werden, also von der Großmutter zur Enkelin, niemals umgekehrt. Nur das Weiterverschenken ist noch verpönter als Geldgeschenke. Das war nicht immer so, sagt Friedrich Rost: »Nicht nur in der Ilias, sondern auch in schriftlichen Quellen des Mittelalters wird berichtet vom Verschenken von Schwertern, goldenen Bechern und gebrauchter Kleidung mit ausdrücklicher Nennung der ehemaligen Besitzer. Ihr magischer und damit besonderer Wert hing geradezu von den Vorbesitzern ab.«

6. Kapitel:
Champagner spielte im Leben des kürzlich verstorbenen Kritikers Fritz J. Raddatz eine große Rolle, in seinen Tagebüchern schreibt er unter anderem: »Die Reaktion meines (im ganzen begeisterten) Verlegers, der zwar amüsiert-erstaunt mein Kapitel über Ledig und meine Rowohlt-Jahre gelesen hat, aber doch offenbar wie einen Bericht über Waterloo: ..., dann verabschiedet er sich mit einem: ›Nun trinken Sie 1 Glas Champagner auf Ihr Buch.‹ Auf die Idee, dass ER mir evtl. 1 Fl. Champagner schicken dürfte/sollte/könnte/müsste, KOMMT er gar nicht.«

In Ephraim Kishons Erzählung Ringelspiel hortet ein Ehepaar sämtliche Geschenke, die zum Weiterverschenken geeignet sind. Eines Tages bekommen beide eine Bonbonniere geschenkt, stürzen sich mit Heißhunger drauf, stellen aber fest, dass die uralte Schokolade wie bemooste Kieselsteine aussieht. Empört beschweren sie sich bei Benzion Ziegler, der sie ihnen geschenkt hat, der sie wiederum selbst geschenkt bekommen hatte. Sie forschen weiter, die Bonbonniere machte seit Jahren ihre Runde in der Familie – was sie vergessen hatten: Sie selbst hatten vor vielen Jahren mit dem Ringelspiel begonnen und die Bonbonniere Tante Ilka geschenkt.

7. Kapitel:
Zu meinem Geburtstag schenkte mir meine Freundin Marie neben einer wunderhübschen Lackschale eine Flasche Champagner, Louis Roederer Brut Premier im metallic-braunen Karton. Spät am Abend hob ich den Karton und sah den Strich, mit dem ich vor zwei Jahren das Geschenk markiert hatte. Die Ecken waren leicht angeschrabbelt.