Gemeinsame Sache

Echte Freundinnen teilen alles, auch den Kleidergeschmack. Bei der neuen Mode wird man sich besonders schnell einig

 

Und warum neigen Freundinnen dazu, sich ähnlich zu kleiden? Unsere Autorin wundert sich über diese Frage

Bis heute verstehen Männer vieles an Frauen nicht. Und immerhin, das haben sie mit den Frauen gemein, denn die verstehen oft die Männer nicht. Eines der Rätsel, das Männer schwer, Frauen jedoch leicht lösen können, lautet: Warum ziehen sich Freundinnen oft so ähnlich an? Die Antwort aber ist kaum möglich ohne einen kurzen Moment der Fassungslosigkeit: Ausgerechnet Männer wundern sich darüber? Die scheinen doch selbst nur zwei Arten von Kleidung zu kennen: Shirt und Shorts, Cap und Sneakers oder grauer/blauer/dunkler Anzug mit hellblauem/weißem Hemd. Verzeihung, im Winter gibt es noch Jeans. Mit Freundschaft allerdings hat das herzlich wenig zu tun. Wahrscheinlich finden Männer deshalb auch keine Antwort. Musste mal gesagt werden.

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So: Warum sollen erwachsene Frauen, die dieselbe Musik hören, dieselben Bücher lesen, sich auf den zweiten Teil von Fuck Ju Göthe freuen, weil sie den ersten gar nicht so schlecht fanden, die täglich sowohl mindestens eine Stunde telefonieren als auch einander dreißig SMS schicken, die ganz einfach Freundinnen sind, warum also sollten die sich ausgerechnet in ihrem Modegeschmack strikt unterscheiden? Kleidung ist Kommunikation und somit auch Abgrenzung. Sie signalisiert in Sekunde eins jedem Fremden: Ich gehöre zu einer Gruppe. Warum soll das, was im Großen funktioniert, im Kleinen lächerlich sein? Orthodoxe Juden tragen seit Jahrhunderten schwarze Hüte und Mäntel, Mönche tragen Kutten, amerikanische Touristinnen Hosen mit elastischem Bund und rosa Bäckchen, Vogue- Redakteurinnen schwarze Hosen und Blusen, Soldaten tragen Uniformen, Straßensänger aus Guatemala bestickte Ponchos, Skater Rucksäcke, Oktoberfestbesucher Dirndl und Lederhosen, und das gilt inzwischen für alle Oktoberfeste, gleich ob in München, Berlin oder Milwaukee.

Soziologen wie die Wiener Völkerkundlerin Angelika Hagen predigen den Wert des »Sozialkapitals«. Damit sind nicht wie beim Humankapital die Fähigkeiten von Menschen gemeint, die die Ertragskraft von Firmen steigern, sondern die Gruppen, denen Menschen angehören oder mit denen sie sich identifizieren. Je mehr Gruppen sie sich zugehörig fühlen, desto zufriedener sind die Menschen. Wovon wiederum Firmen profitieren. Das reicht von der Zugehörigkeit zu einer Nation oder einer Religion über die Mitgliedschaft in einem Sportverein bis weit hinein in die kleinsten Zellen der Gesellschaft, wie Familie oder Freunde.

Wer die Spielregeln der digitalen Welt begriffen hat, weiß: Es kann nur derjenige frohgemut in der analogen Welt leben, der die paar Nischen wichtig nimmt, die nicht der Ökonomie untergeordnet sind. Freundschaft ist so eine. Plötzlich sieht man wieder Freundinnen, erwachsene Frauen, Arm in Arm durch die Straßen schlendern wie Kinder; eine Geste, die zeigt: Wir sind uns nah, nicht nur via Skype, wir treffen uns, nicht nur im WhatsApp-Chat, wir reden über alles, und darüber bloggen wir nicht. Wir können und wollen uns anfassen. Wir wickeln uns beide riesige Schals um den Hals. Wir leben.

Sich zu jemandem zu bekennen und dafür einzustehen ist eine der Grundideen des Menschseins. Kauf du den Rock in Taubenblau, ich kauf ihn in Rostrot. Wir tauschen dann, ja?

Fotos: Frederike Helwig/We Folk; Haare: Karin Bigler/Jed Root; Make-up: Andrew Gillmore/CLM; Produktion: Rihanna Petrie/We Folk; Models: Sophie Schleidweiler/ M + P Models, Pia Priewe/ M + P Models, Talisa Quirk/IMG; Digital Assistenz: Lisa Bennett/Erik Winterstam Art Media; Fotoassistenz: David Gilbey; Haare-Assistenz: Julia Ritter; Make-up-Assistenz: Ana Fry, Styling-Assistenz: Katharina Seifert und Malina Epp. Vielen Dank an The Roebuck Rub.

Fotos: Frederike Helwig; Styling: Almut Vogel