»Ich habe 380 Gäste eingeladen«

Ralph Siegel wird 70. Doch fast noch lieber als über seinen Geburtstag redet er über sein großes Herzensthema – den schweren Stand, den deutschsprachige Künstler hierzulande seiner Meinung nach haben.

Herr Siegel, Sie feiern heute Ihren 70. Geburtstag. Geben Sie eine Party?
Ich habe 380 Gäste zu Schuhbeck eingeladen. Alle kommen: Lena, Gunter Gabriel, einfach alle. Außer Karel Gott, der konnte sein Konzert nicht verlegen.

Welche Rolle spielt deutschsprachige Musik heute noch in Deutschland?
Allein die Frage ist schon merkwürdig und würde in fast keinem Land der Welt gestellt werden. Ist es doch in fast allen Ländern als normal zu betrachten, dass das Volk beziehungsweise Sänger und Künstler welchen Genres auch immer in ihrer Muttersprache singen, in der Sprache, in der sie aufgewachsen sind und leben und denken. So natürlich auch in Italien, Frankreich, Griechenland, England, Süd - und Nordamerika.

Englischsprachige Musik wird aber überall häufiger gespielt.
Das liegt erst mal grundsätzlich daran, dass England und die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die Welt des Showbusiness für sich entscheiden konnte. AFN und BFN, die damaligen Besatzungssender, waren Vorreiter dieser musikalischen Entwicklung. Es galt, als Verlierer gute Miene zum traurigen Spiel der Nazizeit zu machen. Amerika und England brachten Künstler wie Bill Haley und Elvis Presley ins besiegte Deutschland mit, wo man nach allem Neuen lechzte. Das hatte zur Folge, dass ausländische Schallplattenfirmen in Deutschland ihre Künstler reihenweise promoten konnten. Die Radiosender und Macher waren dankbar, dass sie sich weltoffen und modern darstellen konnten und nahmen im Laufe der Zeit so gut wie keine Rücksicht mehr auf landeseigene Künstler. In den sechziger Jahren hielten sich zwar noch ein paar besonders starke deutsche Persönlichkeiten wie Freddy Quinn, Peter Kraus oder Manuela und Drafi Deutscher, aber später wurden deutsche Künstler nur noch belächelt. Alles, was da so noch in der Muttersprache produziert, geschrieben und gesungen wurde, wurde als Schlager abgetan, auch wenn 99 Prozent der Lieder nie Schlager geworden sind, denn ein Schlager bedeutet eigentlich ein großer Erfolg und den konnten nur noch wenige in diesem Genre verbuchen. Schlager kommt eben von Verkaufsschlager – »Hit« wie man in der englischen Sprache ganz klar definiert.

Das Fernsehen hat dem Schlager doch lange die Treue gehalten.

Nur wenige Fernsehsendungen hatten das Potenzial, Erfolge zu kreieren: vielleicht die ZDF-Hitparade, die Starparade oder DISCO. Aber auch diese Sendungen sind im Kampf um Einschaltquoten irgendwann unterlegen gewesen. Die Ausnahmen wie Helene Fischer, Andrea Berg und ein paar Rock- und Popartists können diese Entwicklung nicht aufhalten. Die meisten Künstler können nur noch über Live-Auftritte existieren, und da haben nur wenige das Glück, genügend Einnahmen zu erzielen.

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Wüssten Sie ein Rezept?
Die Kreativen im eigenen Land sollten so wie es auf der ganzen Welt üblich ist, wieder Vorrang haben – im Fernsehen und im Radio. Es gab erst kürzlich Erhebungen, dass zeitweise 84 Prozent der an den Sendern gespielten Songs ausländischer bzw. englischer Herkunft waren. Die wenigen »Bouranis« sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wo liegt die Grenze zwischen Schlager und Pop?

Die Grenze ist fließend, und die Bezeichnung Schlager habe ich ja schon erklärt und den falschen Umgang damit geschildert.

Muss Unterhaltung immer auch Tiefgang haben? Oder genügt einfach: gute Unterhaltung?

Unterhaltung sollte natürlich auch Tiefgang haben, aber zum richtigen Zeitpunkt und mit dem dafür geeigneten Interpreten. Reinhard Mey hat beides geschafft, und Tony Marshall hat eben sein Publikum einfach fröhlich eingestimmt, Spaß zu haben und seine alltäglichen Sorgen zu vergessen. DJs wollen die Leute zum Tanzen bringen, und Kabarettisten zum Nachdenken oder Lachen wie meine beiden Entdeckungen Gerhard Polt und Willy Astor.

Wohin könnte sich deutschsprachige Musik in naher Zukunft entwickeln?

Sie entwickelt sich täglich in diverse Richtungen und Gott sei Dank hin zur deutschen Sprache, denn die meisten Künstler freuen sich, endlich wieder in ihrer Muttersprache singen zu dürfen und nicht schweren Herzens zungenbrecherische Worte in den Mund zu nehmen, die sie ihr ganzes Leben nicht aussprechen konnten und auch nie authentisch singen werden.

Foto: Michael Tinnefeld