Brüder und Schwestern

Mennoniten haben eine lange Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung hinter sich. Die deutsche Fotografin Mika Sperling besuchte Gemeinden an allen Enden der Welt und berichtet aus dem Leben der Glaubensgemeinschaft.

Name: Mika Sperling
Alter: 25
Ausbildung: Hochschule Darmstadt, Kommunikationsdesign (Schwerpunkt Fotografie)
Wohnort: Bielefeld
Website: http://mikasperling.de/

SZ-Magazin: Worum geht es in Ihrem Projekt?
Mika Sperling: In meinem Projekt geht es um die Glaubensgemeinschaft der Russlandmennoniten. Ich habe Gemeinden und Familien in Deutschland, Russland und Kanada besucht. Während meiner Aufenthalte habe ich die Familien begleitet, fotografiert und mit ihnen Interviews geführt. Ich habe das Projekt Breeda en Sestre genannt, was auf Plattdeutsch Brüder und Schwestern bedeutet. Plattdeutsch ist jene Sprache, die die meisten Russlandmennoniten sprechen. Ich stamme selbst aus dieser Gemeinschaft ab und habe den Namen gewählt, weil es sich bei den abgebildeten Personen im weitesten Sinne auch um meine Geschwister handelt.

In welchem Bezug stehen Sie zur Glaubensgemeinschaft?
Über meine Großmutter hat zuerst meine älteste Schwester zum Glauben gefunden und wurde Mitglied der Gemeinde. Sie nahm ihre jüngeren Schwestern regelmäßig zur Kinderstunde mit. Als Kind machte ich mir anfangs keine großen Gedanken und besuchte die Veranstaltungen, fühlte mich aber schnell fehl am Platz. Ich hatte kurze Haare und einen Fernseher zuhause, die Kinder fragten mich danach. Bald wusste ich nicht mehr, was richtig und falsch war. Mit 14 habe ich aufgehört, an den Veranstaltungen teilzunehmen. Der Kontakt zu den Freunden brach ab.

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Was hat Sie dazu gebracht, dieses Projekt zu machen?
Ich bin in Russland geboren, bin aber bereits früh mit meinen Eltern nach Deutschland ausgewandert. Ich wollte in das Land reisen, um meine Wurzeln kennenzulernen. Bei meiner ersten Reise habe ich die zwei deutschen Dörfer besucht, in denen meine Eltern aufgewachsen sind. Meine Tante hat mich am Anfang meiner Reise begleitet und mich den Familien vorgestellt. Erst später, zurück in Deutschland, ist mir die Idee gekommen, diese Fotostrecke zu machen. Kurz darauf bin ich ein zweites Mal nach Russland gereist. Insgesamt war ich zweimal für je einen Monat in Russland, einmal für etwa vier Wochen in Kanada. In Deutschland habe ich die Gemeinschaft an meinen freien Wochenenden besucht.

Können Sie uns die Glaubensgemeinschaft der Russlandmennoniten etwas genauer beschreiben?
Die Geschichte der Mennoniten geht auf das 16. Jahrhundert zurück. Deutsche Angehörige der Glaubensgemeinschaft haben sich zwei Jahrhunderte später in die heutige Ukraine abgesetzt. Aus dieser Abspaltung sind die Russlandmennoniten entstanden. Unter dem kommunistischen Regime wurden die europäischen Russlandmennoniten stark unterdrückt. Mitglieder der Glaubensgemeinschaft wurden unter Stalin unterdrückt, nach Sibirien deportiert und in Arbeitslager gesteckt. Zehntausende sind in dieser Zeit ums Leben gekommen. Viele sind schon vor dieser Zeit nach Deutschland geflüchtet, heute leben hier etwa 200.000 Menschen, die von Russlandmennoniten abstammen. Nur wenige sind auch heute noch Teil der Gemeinschaft.

Was ist das Charakteristische am Glauben der Russlandmennoniten?
Mennoniten gehen auf die Täufergemeinden zurück und bevorzugen daher die Gläubigentaufe. Sie glauben an die Erlösung durch Gottes Sohn und lehnen Gebilde von Gott ab. Die russische Kultur hat sie in der Vergangenheit stark beeinflusst. Dies ist beispielsweise an der Kleidung, aber auch an der Kochkultur zu erkennen. Sie lehnen Modernisierung nicht gänzlich ab, versuchen aber, diese möglichst kritisch zu hinterfragen. Weltweit gibt es einige Abspaltungen, die sich gänzlich von der modernen Gesellschaft abgrenzen, dies ist aber vor allem in Südamerika der Fall. Die meisten begrüßen moderne Technologien, wenn sie für ihr Alltagsleben hilfreich sind.

Wie ist das Leben für Jugendliche in der Glaubensgemeinschaft?
Es kann durchaus passieren, dass man von Gleichaltrigen als Außenseiter gesehen wird. Die Kinder haben es nicht leicht. Sie tragen altmodische Kleidung und dürfen an vielen gewöhnlichen Freizeitaktivitäten nicht teilnehmen. Werden sie beispielsweise gefragt, ob sie ins Kino gehen wollen, stehen sie vor einem Zwiespalt. Entweder sie gehen mit, sündigen somit aber oder widerstehen der Versuchung und machen sich dafür bei den Anderen unbeliebt. In der Gemeinde wird oft über solche Situationen gesprochen und versucht, die Jugendlichen zu unterstützen.

Welche alltäglichen Dinge gelten sonst noch als Versuchung?
Mennoniten dürfen keinen Alkohol konsumieren. Auch Tanzen und das Hören von Tanzmusik gilt als Sünde, dementsprechend sollten sie auch nicht in die Disko gehen. Die Menschen in der Gemeinschaft sind aber sehr musikalisch und machen selbst sehr viel schöne Musik. Ein Beziehungspartner sollte Teil der Gemeinschaft sein und die gleiche Weltanschauung haben. Anschließend sollte man sich bis zur Hochzeit nicht zu viel Zeit lassen. Es gibt auch Berufe, die man als Mennonite nicht machen sollte. Politik und Kunst lassen sich nach ihren Anschauungen beispielsweise nicht gut mit dem Glauben vereinbaren.

Ein Teil Ihrer Geschwister sind weiterhin Teil der Glaubensgemeinschaft. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihnen?
Ich bin regelmäßig bei Familienfeiern und verstehe mich sehr gut mit ihnen. Für uns ist das ganz normal, unsere Familie war immer schon durchmischt. Wir haben von klein auf gelernt, damit umzugehen und uns gegenseitig zu tolerieren. Man akzeptiert sich, so wie man ist. Natürlich bedauern meine Verwandten, dass ich nicht Teil der Gemeinschaft bin, sind aber in keiner Weise aufdringlich.

Wie denken Sie rückblickend über das Projekt?
Anfangs wusste ich nicht einmal, ob ich überhaupt Vertrauen zu den Mensche aufbauen kann. Dann wurde ich aber von so vielen freundlichen Menschen ins Herz geschlossen und konnte mich gänzlich auf die Fotografie konzentrieren. Zeitweise stieß ich an meine Grenzen, ich machte mir vermehrt Gedanken über den Glauben und mein Weltbild geriet ins Wanken. Die Frage nach richtig und falsch keimte oft in mir auf. Heute habe ich genug Distanz zu diesem Projekt und kann zufrieden auf diesen Abschnitt zurückblicken. Derzeit arbeite ich an einem weiterführenden, tiefgründigeren Projekt.

Fotos: Mika Sperling