Stefanie Mahler*, 38

Diagnose Brustkrebs im Dezember 2006

    Hunderte Brustkrebspatientinnen habe ich als Ärztin selbst operiert. Ich habe Knoten entfernt, Brüste verkleinert oder ganz entfernt. Viele haben ihre Chemotherapie von mir bekommen, einige von ihnen habe ich sterben gesehen. Doch jeden Abend ging ich heim und dachte mir: Ein Glück, dass ich abends die Tür zur Klinik zumachen und alles hinter mir lassen kann. Doch seit einem Jahr habe ich selbst Brustkrebs. Auf einmal sitze ich auf der anderen Seite, auf dem Stuhl, auf dem ich nie sitzen wollte, und liege in dem Bett, in dem ich nie liegen wollte. Das ist ein furchtbares Gefühl. Ich leide plötzlich an der Krankheit, auf die ich mich all die Jahre spezialisiert hatte.
    Ich hörte die Diagnose und in meinem Kopf liefen alle möglichen Krankheitsszenarien ab. Auch heute noch habe ich nur einen Gedanken, wenn es mich irgendwo zwickt: Metastasen. Einmal bekam ich Nasenbluten und dachte sofort an eine Lebermetastase. Auf der Stelle bin ich in die Klinik und ließ mich von meinen Kollegen untersuchen. Ich glaube, dass ich wesentlich schlimmer auf irgendwelche Schmerzen reagiere als normale, unbedarfte Patienten. Ich habe wirklich Angst davor, dass mein Krebs zu streuen beginnt. Denn leider ist dies bei Brustkrebs sehr häufig der Fall.

    Es ist ein komisches Gefühl, in der eigenen Klinik plötzlich Patientin zu sein. Die Kollegen werden zu Ärzten oder Therapeuten. Aber gleichzeitig wollte ich überall mitreden. Bevor mir mein Chef eine Brust entfernt hat, haben wir die Operation bis ins kleinste Detail besprochen. Einen Freund von mir habe ich für die Narkose ausgesucht. Ich wollte mich von den besten Leuten operieren und betreuen lassen. Nach der Operation und während der Chemo war ich nur auf meinem Zimmer. Ich wollte nicht in den Fluren herumlaufen und auf Patientinnen treffen, die ich selbst kurze Zeit davor operiert hatte. Ich wollte nicht fragend angestarrt werden, ich bin doch ihre Ärztin. Bald fange ich wieder zu arbeiten an, irgendwann werde ich auch wieder mit Krebspatientinnen zu tun haben. Ich habe aber nicht vor, ihnen von meiner eigenen Erkrankung zu erzählen. Das ist unprofessionell. Ein Arzt lässt den Patienten reden und muss versuchen, dabei möglichst neutral und objektiv zu sein. Deshalb sollte man seine eigenen Emotionen nicht ins Gespräch mit Patienten bringen. Aber ich kann nicht ausschließen, in eine Situation zu geraten, in der ich als Mensch reagiere und einer Patientin von meinem Schicksal erzähle, wenn sie Angst vor der Operation oder der Chemo hat.

    So schrecklich die Krankheit auch ist – für mich als Ärztin ist es auch hilfreich selbst zu erleben, was Krebspatienten durchmachen. Manchmal wartet man tagelang auf das Ergebnis einer Untersuchung. Erst dann weiß man, ob man Krebs hat oder nicht, ob man sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen muss oder nicht, ob das eigene Leben noch lange dauern wird oder nicht. Die Wartezeit hat oft praktische Gründe. Der behandelnde Arzt ist im Urlaub oder auf einem Kongress, aber der Befund liegt in seinem Fach. Diese Stunden und Tage der Ungewissheit sind für die Patienten wie eine Folter – und das machen wir Ärzte uns oft nicht bewusst. Deshalb werde ich alles dran setzen, dass meine Patientinnen künftig das Untersuchungsergebnis so früh wie nur irgendwie möglich erfahren.

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    * Name von der Redaktion geändert

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